Kapitel 13

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02.03.2020

Christina

Es ist der Morgen des zweiten Trainingstages und ich bin gerade dabei mich auf den Weg ins Training zu machen. Von Luca habe ich, seit wir uns gestern Abend verabschiedet haben, nichts mehr gehört. Ob das jetzt ein gutes oder schlechtes Zeichen ist, weiß ich nicht, aber ich werde es wohl gleich herausfinden.
Als ich in der Tanzschule ankomme, ist Luca noch nicht da. Ich lege meine Tasche am Rand auf den Bänken ab und beginne mich schon einmal etwas zu dehnen. Als ich die Tür hinter mir höre, richte ich mich auf und wende mich Luca zu. „Guten Morgen!", nuschelt Luca noch völlig verschlafen. Auf den ersten Blick kann ich seinen Gefühlszustand nicht deuten, außer, dass er unfassbar müde ist. „Morgen...hast du verschlafen oder was?", grinse ich ihn an. Luca nickt nur mit dem Kopf, legt seine Tasche neben meine, bevor er mir dann bei meinen Dehnübungen Gesellschaft leistet. Scheint so, als würde er nicht über den Abend mit Michèle sprechen wollen. Oder sie haben sich wieder zusammengerauft und es gibt nicht wirklich etwas spannendes zu erzählen. Letztendlich kann ich ja auch wirklich froh sein, wenn seine Gedanken wieder beim Training sind und nicht überall anders. Dass ich mich da zu früh gefreut habe, habe ich im Laufe des Tages dann auch festgestellt.

Lucas Konzentration ist absolut gar nicht vorhanden. Die einfachsten Schritte, die er gestern noch konnte, bekommt er heute nicht ansatzweise hin. Bestimmt zum 10. Mal erkläre ich ihm jetzt die Schrittfolge und er macht immer wieder den gleichen Fehler, wie die vorherigen 9 mal auch schon. „Luca ist das dein Ernst? Was machst du da?", reißt mir langsam der Geduldsfaden. „Das sind drei Zahlen Luca, DREI.", werde ich jetzt etwas lauter. Ich sehe wie er zusammen zuckt und mich schuldbewusst anschaut, aber manchmal ist es auch mit meiner Ruhe und Gelassenheit vorbei und ich muss mich kurz abreagieren. „Wir machen eine Pause.", stöhne ich auf und setze mich mit meiner Wasserflasche am Rand des Tanzsaals auf den Boden. Luca beobachtet dies kritisch und bleibt unschlüssig in der Mitte stehen. Dann setzt er sich aber doch in Bewegung und lässt sich am anderen Ende des Raums auf den Bänken nieder. Wahrscheinlich hat er sich gerade überlegt, dass es vielleicht schlauer wäre mich kurz alleine zu lassen und damit hat er absolut Recht. Tief atme ich ein und aus und lege meinen Kopf auf meine Knie. Ich weiß auch nicht, was mich jetzt so durchdrehen lässt. Eigentlich bin ich ein recht geduldiger Mensch und auch vom letzten Jahr bin ich es gewohnt, Tanzschritte 100 mal zu wiederholen, bis sie ansatzweise richtig sind. Aber was mich wirklich zur Weißglut bringt ist, dass ich weiß das Luca es eigentlich kann. Er muss sich nur konzentrieren und mir zuhören.
Ich hebe meinen Kopf wieder und blicke zu Luca, welcher nicht mehr auf der Bank sitzt, sondern dort mittlerweile mit geschlossenen Augen liegt. Zu gerne würde ich wissen, was gestern Abend passiert ist, denn offensichtlich hat er die Nacht nicht damit verbracht sonderlich viel zu schlafen und das kann positive und negative Gründe haben. Aber wenn er mir nichts erzählen möchte, dann kann ich auch nichts machen. Noch einmal versuche ich mich zu beruhigen, bevor ich aufstehe und zu meiner Tasche laufe. Mit zwei Ingwer Shots in der Hand bewege ich mich nun auf Luca zu, in der Hoffnung, dass diese ihn etwas aufwecken werden. „Luca...", spreche ich ihn vorsichtig an, da er immer noch mit geschlossenen Augen vor mir liegt. Erschrocken zuckt er zusammen und setzt sich schnell auf. „Entschuldigung. Ich wollte wirklich nicht, ab-...", er bricht ab als er den Ingwer Shot sieht, welchen ich ihm lächelnd entgegen strecke. „Na los. Anstoßen mit einem Shot und weiter gehts.", beginne ich ihn wieder zu motivieren, was seine Wirkung nicht verfehlt. Luca nimmt mir zögernd das kleine Fläschchen aus der Hand, trinkt es brav leer und stellt sich neben mich. „Jetzt werde ich bestimmt gleich übersprudeln vor Energie.", ist er schon wieder in der Lage einen Witz zu machen und ich kann nicht anders als laut zu lachen und ihn mit mir zur Ausgangsposition zu ziehen.

Der restliche Tag verlief ohne seltsame Vorkommnisse. Luca hat wie durch ein Wunder sein "altes Ich" wiedergefunden und war größtenteils damit beschäftigt sich über den Tanz aufzuregen und zu jammern. Gedanklich habe ich mir dennoch auf meine Liste geschrieben, immer Ingwer Shots in meiner Tasche dabei zu haben. Vielleicht entwickeln die sich ja zu meiner neuen Geheimwaffe. Aber wenn's funktioniert soll's mir Recht sein.
Ich habe gerade das Training für beendet erklärt, als Matthias, unser Kameramann, noch mal den Tanzsaal betritt. „So ihr zwei, würdet ihr mir kurz unauffällig folgen? Wir haben da mal was vorbereitet.", erklärt er geheimnisvoll. Verwirrt schaue ich zu Luca, aber der scheint genau so wenig einen Plan zu haben was hier abgeht wie ich. Auch er schaut zu mir, zuckt dann mit den Schultern und folgt, dicht gefolgt von mir, Matthias durch die Gänge der Tanzschule.
Nachdem wir hinunter in den Keller gegangen sind, drückt Matthias eine schwere Tür auf und führt uns in einen großen dunklen Saal. Überall stehen kleine Tische und in der Mitte befindet sich eine beleuchtete Bühne, auf welcher ein großer schwarzer Flügel steht.
„Wir dachten es wäre schön, wenn Luca im Einspieler Klavier spielen und singen würde, so wie ihr es auch zu Beginn der Choreo geplant habt.", erklärt Matthias uns jetzt den Grund, warum wir hier sind. Lucas Augen fangen an zu funkeln, als er realisiert, dass er in dieser wunderschönen gemütlichen Atmosphäre jetzt Klavier spielen darf und ist schon auf dem Weg in Richtung Bühne. Ich bleibe hinter den Kameras stehen und beobachte ihn, wie er sich positioniert und sich vorsichtig einspielt. Aber nur so lange bis Matthias mich skeptisch anschaut. „Was ist? Findest du die Idee nicht gut?" Jetzt bin ich es, die ihn verwirrt anschaut. „Doch. Ich finde es super schön, dass er etwas persönliches einbauen kann.", teile ich ihm meine Gedanken der letzten Minuten mit. „Und warum stehst du dann noch hier? Du stehst in der Choreo doch auch neben ihm am Flügel. Also hopp. Hoch mit dir." Auch Luca steht jetzt auf und streckt seinen Arm nach mir aus, um mich auf die Bühne zu ziehen. Dabei macht er einen übertriebenen Knicks und hält mich nur an meinen Fingern ganz sachte feste. „Darf ich bitten, Madame? Ich würde mich äußerst geehrt fühlen, wenn ich Ihnen etwas vorsingen darf." Ich muss lachen und auch Luca kann sich ein Grinsen jetzt nicht mehr verkneifen. Er führt mich so an den Flügel, dass ich ihm gegenüber stehe und ihn beobachten kann. Sofort kommen die Erinnerungen an meinen Geburtstag zurück. Wenn ich schon bei einem einfachen Happy Birthday in meiner Garderobe meine Tränen nicht zurückhalten kann, wie soll das erst jetzt werden mit dieser filmreifen Kulisse im Hintergrund und einem wesentlich emotionaleren Song?
Ich atme einmal tief durch und versuche mich zu sammeln. Das letzte was ich eigentlich will ist, dass ich jetzt komplett die Fassung verliere und dann völlig aufgelöst am Freitag im Einspieler zu sehen bin. Ich lege meine Hände auf das Klavier und schaue zu Luca. Auch er grinst mich noch einmal an, bevor er ganz sachte anfängt eine Melodie zu spielen. Ich merke, wie sich schon jetzt eine leichte Gänsehaut auf meinen Armen ausbreitet und ich verstärke den Druck meiner Hände auf den Flügel um mich zu beruhigen. Luca hebt erneut den Kopf und blickt mir geradewegs in die Augen als er anfängt zu singen.
Kaum verlassen die ersten Töne seinen Mund, ist es um meine Fassung auch schon geschehen. Meine Augen brennen und ich versuche angestrengt die Tränen weg zu blinzeln. Vergeblich. Gegen Lucas Stimme ist mein Körper machtlos. Mein Herz pocht laut und ich merke wie meine Finger zittern, als ich versuche mir die Tränen von der Wange zu streichen. Die Kameras um uns herum habe ich mittlerweile komplett ausgeblendet und ich kann nichts anderes tun als Luca anzustarren und versuchen ein Schluchzen zu unterdrücken. Der Blick, mit welchem er mir immer wieder in die Augen schaut, ist so sanft und intensiv, dass ich für eine kurze Zeit die Luft anhalte. Es ist unglaublich, was er mit seiner Stimme und seiner Leidenschaft, die er in den Song legt, in mir auslösen kann und ich habe ihn definitiv unterschätzt. Auf Lucas Lippen liegt ein entspanntes Lächeln, während er mir immer wieder einen beruhigenden Blick zuwirft.
Ich bin immer noch bemüht, zumindest äußerlich die Fassung zu behalten, während es in meinem Inneren tobt. Mein Herz rast, die Tränen laufen mir über die Wangen, ich atme flach, überall an meinem Körper habe ich Gänsehaut und meine Knie sind weich. Fast bin ich froh, als Luca das Lied langsam ausklingen lässt. Sofort steht er auf, läuft um den Flügel herum, löst meine verkrampften Finger von der Kante und nimmt mich fest in den Arm. Ich schlinge meine Arme um seinen Nacken, vergrabe mein Gesicht an seinem Hals und lasse den Tränen freien Lauf. Luca streicht mir unaufhörlich über den Rücken und hält mich fest. „Also ich liebe es ja, in anderen Menschen Emotionen auszulösen...aber ich will dich eigentlich echt nicht jedes Mal zum weinen bringen, wenn ich singe...das tut mir im Herzen weh.", flüstert er mir leise ins Ohr, so dass nur ich es hören kann. Kurz lehne ich meinen Kopf nach hinten und schüttle energisch den Kopf. Im Augenwinkel sehe ich, dass das Kamerateam gerade den Raum verlässt. Na immerhin ist mein Gefühlsausbruch nicht mehr auf Kamera. „Das war wunderschön!", ertönt jetzt meine zitternde Stimme und ich kann nicht anders, als mich wieder an ihn zu drücken. Ich spüre Lucas leises Lachen, als sein Brustkorb sich hebt und senkt und atme tief durch, während er uns weiterhin sachte hin und her wiegt.
Nach einer gefühlten Ewigkeit habe ich mich zumindest so weit beruhigt, dass ich keine Angst mehr habe umzukippen, wenn Luca mich loslässt und ich trete einen Schritt zurück. Schüchtern wische ich die fast getrockneten Tränenspuren von meiner Wange und mein Gefühlszustand wird mir ein bisschen unangenehm. Luca scheint dies zu bemerken und streicht mir meine verhedderten Haare aus dem Gesicht. „Hey, das muss dir nicht unangenehm sein.", spricht er meine Gedanken aus. „Ich freue mich, wenn es dich berührt hat, auch wenn es wirklich schwer für mich ist weiterzusingen wenn du weinend vor mir stehst.", grinst er bevor er meine Hand nimmt und mich aus dem Raum zieht. „Komm, wir holen oben unsere Sachen und dann bringe ich dich zum Hotel."

Dangerous StormWo Geschichten leben. Entdecke jetzt