Kapitel 49

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Christina

Mit gesenktem Kopf folge ich Luca in Richtung meiner Garderobe. Auf dem Weg werden wir erneut von den verschiedensten Leuten zu unserem tollen 3. Platz beglückwünscht, aber ich bringe kein einziges Wort heraus. An der Garderobe angekommen, öffne ich die Türe und bleibe mitten im Raum stehen. Hinter mir höre ich, wie Luca die Tür leise wieder schließt und dann offensichtlich ruhig dort stehen bleibt. Es ist mucksmäuschenstill. Nur die gedämpften Stimmen von draußen sind zu hören und keiner von uns beiden rührt sich. Ich, weil mein Körper wie erstarrt ist und Luca-... keine Ahnung warum. Irgendwann ertönen dann doch leise Schritte auf dem Boden und ich spüre, dass Luca jetzt dicht hinter mir steht. „Christina.", haucht er leise und beim Klang seiner Stimme zucke ich heftig zusammen. Er legt seine Hände auf meine Schultern und dreht mich langsam zu sich um. Ich halte meinen Blick weiterhin gesenkt und starre auf seine Brust. Wenn ich ihm jetzt in die Augen schaue, die mich vermutlich gerade unheimlich liebe- und verständnisvoll mustern, dann ist es endgültig um mich geschehen. Und trotzdem tue ich es. Wie in Zeitlupe hebe ich meinen Kopf und mein Blick fährt über Lucas Gesicht bis zu seinen Augen. Natürlich hatte ich Recht. Der Knoten in meiner Brust wird sofort enger, als ich in seine glänzenden Augen schaue. Luca legt seine großen Hände an meine Wangen und streicht sanft die ersten Tränen weg, die sich stumm einen Weg darüber gebahnt haben. Ich weiß nicht, wie oft ich heute schon geweint habe, aber es war definitiv zu oft. Eigentlich müsste ich mich langsam leer geweint haben, aber nein. Immer noch stumm schauen wir uns gegenseitig an und ich versuche die letzten Sekunden mit ihm zu genießen. Mit ihm, der mich in den letzten 13 Wochen immer zum Lachen gebracht hat, der egal in welcher Situation immer für mich da war und der sich um mich gesorgt und gekümmert hat, wie kein anderer. Er hat mein Herz des Öfteren zum Stillstehen gebracht und auch die ein oder andere Träne habe ich dank ihm verdrückt, aber trotzdem war ich in seiner Nähe immer glücklich und habe mich wohlgefühlt. Und jetzt muss ich mich von dem Menschen verabschieden, der mir mittlerweile so unglaublich viel bedeutet und dem ich alles anvertraut habe. „Können wir bitte schnell machen? Ich halt das nicht aus.", flüstere ich jetzt mit zitternder Stimme und trotz der traurigen Umstände legt sich ein leichtes Lächeln auf Lucas Lippen. Er drückt mir einen Kuss auf die Schläfe und schlingt dann fest seine Arme um meinen Körper. Ein letztes Mal drücke ich mich gegen den, mir mittlerweile so vertrauten Oberkörper und vergrabe mein Gesicht wie immer an seinem Hals. Ich spüre, wie sein Herz rast und wie er mit seinem Daumen über meinen Rücken streicht. Meine Arme sind fest um seinen Nacken geschlungen und ich klammere mich an ihn, als müsste ich mich vor dem Ertrinken retten. Nach einer gefühlten Ewigkeit, die meiner Meinung nach immer noch zu kurz war, löst er langsam seine Arme von meinem Körper und auch ich gebe ihn widerwillig wieder frei. „Tschüss Christina. Wir hören uns, okay?", ertönt seine kratzige Stimme und der Kloß in meinem Hals wird immer größer. Ich nicke nur. Mehr kann ich nicht. Ganz langsam dreht sich Luca um und dann greife ich doch noch einmal blitzschnell nach seinem Handgelenk. „Tschüss Luca.", verabschiede ich mich jetzt ebenfalls ordentlich von ihm und drücke ihm einen sanften Kuss auf die Wange. Ein letztes Mal schaut er mir intensiv in die Augen, bevor er sich endgültig umdreht und sich von mir entfernt. Im Türrahmen winkt er mir noch einmal zu und dann schließt er die Türe hinter sich und ist weg. Einfach weg und ich weiß nicht, wann und ob ich ihn Wiedersehen werde. Mit letzter Kraft schleppe ich mich zur Couch, auf welche ich mich erschöpft fallen lasse und die Tränen laufen mir in Strömen über die Wangen.

Ich weiß nicht, wie lange ich alleine bin und einfach weine, aber irgendwann legt sich ein Arm um meinen Rücken und ich werde vorsichtig gegen einen warmen Körper gedrückt. Durch meine tränenverschleierten Augen erkenne ich einige blonde Haarsträhnen und atme tief Kathrins Geruch ein. Schluchzend hänge ich wie ein Häufchen Elend in ihren Armen und sie scheint mit der Situation völlig überfordert zu sein. „Shhhh. Ganz ruhig.", wispert sie immer wieder, aber ich kann mich einfach nicht beruhigen. Mein Herz fühlt sich an, als wäre es schmerzhaft in zwei Teile gerissen worden. Wie Recht ich offensichtlich vor wenigen Tagen damit hatte, dass Luca mein Herz einfach mitnehmen wird. Nach weiteren verstrichenen Minuten, höre ich wie sich die Garderobentür öffnet. „Gott sei Dank.", seufzt Kathrin erleichtert auf und keine zwei Sekunden später spüre ich eine große Hand auf meinem Bein. „Hey, Bambi...", dringt Andrzejs besorgte Stimme an mein Ohr und er setzt sich auf die andere Seite neben mich auf das Sofa. Vorsichtig löst er mich aus Kathrins Armen, zieht mich mit einem Ruck seitlich auf seinen Schoß und legt beschützend seine Arme um meinen Körper. Andrzej ist einfach mal wieder Andrzej. Diese tiefe Verbindung, die wir beide haben ist unbeschreiblich und er ist tatsächlich wie mein verschollener Zwillingsbruder. Sofort werde ich ruhiger, bis ich irgendwann völlig erschöpft in seinen Armen hänge. Er streicht mir immer wieder sanft durch die Haare, während Kathrins Hand beruhigend auf meinem Knie liegt. „Ich glaube du musst dringend schlafen. Das war heute alles ein bisschen viel für dich, mh?", flüstert Andrzej leise in mein Ohr und ich nicke kaum merklich. Ich will tatsächlich einfach nur noch nach Hause. Während Kathrin aufsteht und meine Sachen zusammen packt, bleibt Andrzej mit mir sitzen. „Können wir dich alleine lassen?", erkundigt er sich vorsichtig bei mir. „Zur Not kannst du bestimmt mit zu Vica und mir ins Hotelzimmer oder zu Kathrin in ihr Appartement." Sofort schüttle ich den Kopf. „Nein. Ich will alleine sein.", krächze ich und räuspere mich daraufhin, um meine Stimme wieder zu kontrollieren. Das war glatt gelogen. Eigentlich will ich nicht alleine sein, aber die einzige Person, die ich in meiner Nähe haben will, ist nicht mehr da. Ich beobachte Kathrin abwesend dabei, wie sie meine Sachen in meine Tasche packt und diese dann über ihre Schulter schiebt. „Wir können.", dreht sie sich in unsere Richtung und Andrzej greift um meine Taille und stellt mich vor sich auf dem Boden ab. Ich greife automatisch wieder nach seiner Hand und klammere mich an ihm fest, als ich jetzt erneut mit gesenktem Kopf auf den Flur trete. Unterwegs sammeln wir noch Vica ein, die mir nur kurz verständnisvoll über den Rücken streicht, sonst aber schweigt und ich bin ihr dafür unglaublich dankbar. Da ich heute ausnahmsweise mit dem Shuttle gekommen bin, steht mein Auto glücklicherweise zu Hause und ich steige gemeinsam mit den anderen in einen schwarzen Bus. Auf der Fahrt spricht keiner ein Wort und ich starre wie hypnotisiert aus dem Fenster und beobachte die vorbeiziehenden Lichter.
Als wir vor meiner Wohnung ankommen, schnalle ich mich ab und murmle ein leises „Danke.", während ich nach meiner Tasche greife. „Hierfür nicht, Bambi. Bist du sicher, dass wir nicht noch mit hoch kommen sollen?", erkundigt sich Kathrin erneut und ich schüttle den Kopf. „Nein, ich schaff das. Tschüss, hab euch lieb." „Wir dich auch!", schallt es mir dreistimmig entgegen und ich laufe daraufhin mit hängendem Kopf in Richtung meiner Haustüre.

Luca

Der Abschied von Christina hat mir gerade im wahrsten Sinne den Boden unter den Füßen weggerissen. Sie alleine zurückzulassen, während sie weint hat mir das Herz gebrochen und jetzt sitze ich niedergeschlagen gemeinsam mit Cyril in einem Shuttle zu meinem Hotel. Immer wieder sehe ich ihr Gesicht vor mir, wie sie mich leidend aus ihren traurigen Augen anschaut und es breitet sich eine Gänsehaut auf meinem ganzen Körper aus. Ich vermisse sie jetzt schon. Das wird mir schmerzlich bewusst, während ich aus dem Fenster starre. Diese kleine zierliche Person ist mir in den letzten Wochen so sehr ans Herz gewachsen, dass es mich jetzt fast umbringt, sie hier zurück zu lassen und das ist definitiv nicht normal. Noch nie habe ich mich so leer und einsam gefühlt, wie in diesem Moment. „Cyril. Ich kann nicht nach Hause.", flüstere ich jetzt ganz leise. „Was?" Er schaut mich an, als wäre ich nicht mehr ganz klar im Kopf. Bin ich auch nicht. Ohne sie werde ich tatsächlich völlig verrückt. „Ich kann nachher nicht nach Hause fliegen.", wiederhole ich meine Worte diesmal entschlossener und mit deutlichem Nachdruck. „Du musst mir meinen Flug umbuchen. Bitte.", flehe ich ihn jetzt regelrecht an, aber Cyril schüttelt den Kopf. „Nein Luca. Du musst zurück in die Schweiz. Wir müssen morgen zum Casting für das Musikvideo und das weißt du genau. Erst vor ein paar Tagen hast du mir versichert, dass du dir die Tänzerin an deiner Seite selbst aussuchen möchtest und jetzt werde ich den Termin sicherlich nicht wieder verschieben, nur weil du wieder irgendwelche Hirngespinste hast." Ratlos kaue ich auf meinen Fingernägeln herum. Ich will nicht zu dem Casting. Und ich will auch nicht dieses doofe Musikvideo mit einer x-beliebigen Tänzerin drehen. Ich habe nur eine einzige Tanzpartnerin und die hat mir gewaltig den Kopf verdreht. Plötzlich halte ich inne. „Vertraust du mir?", wende ich mich abrupt an Cyril, der mich nach dieser Frage erstaunt anschaut. „Ja natürlich, aber-..." „Okay, dann vertrau mir bitte auch jetzt. Ich organisier eine Tänzerin für das Video. Versprochen." Heiliges Luca-Hänni-Let's-Dance-Ehrenwort, füge ich in Gedanken noch hinzu und meine Mundwinkel ziehen sich automatisch ein Stückchen nach oben. „Aber du musst meinen Flug umbuchen! Bitte! Ich kann morgen früh auf keinen Fall nach Hause fliegen!" Cyril seufzt laut auf und zieht dann aber sein Handy aus der Hosentasche. Nach ein paar Minuten, schaut er wieder auf und blickt mir ernst in die Augen. „Okay. Sonntag, 12 Uhr. Und keine Wiederrede." Mir fällt ein riesiger Stein vom Herzen und ich atme erleichtert aus. „Danke schön! Du wirst es nicht bereuen." „Was auch immer du vorhast: Bitte verletze sie nicht. Das hat sie nicht verdient.", flüstert Cyril jetzt und ich schüttle energisch den Kopf. Oh nein. Das werde ich ganz bestimmt nicht tun.

Eigentlich wollte ich erst nochmal eine Nacht über meine Idee nachdenken, aber ich liege hellwach in meinem Bett und starre an die Decke. Ich weiß, dass ich unfassbar müde bin, aber meine Gedanken in meinem Kopf lassen mich einfach nicht zur Ruhe kommen. Tja. Und dann treffe ich plötzlich aus dem Bauch heraus eine Entscheidung. Kurzerhand schwinge ich mich aus dem Bett, schlüpfe in meine Schuhe und schleiche leise durch das Hotel, bevor ich in die kühle Nachtluft hinaustrete.

Dangerous StormWo Geschichten leben. Entdecke jetzt