Kapitel 22

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11.03.2020

Luca

Ich bin eigentlich relativ zufrieden, wie die letzten zwei Tage verlaufen ist. Tänzerisch ist natürlich noch einiges zu verbessern, aber immerhin habe ich es geschafft, die Gedanken an meine Trennung in den Hintergrund rücken zu lassen und Vollgas zu geben.
Für Christina endete es gestern allerdings etwas schmerzhaft, da sich bei einer Figur, bei der ich sie über den Boden ziehe, ein relativ großes Stück Holz aus dem Parkett in ihren Oberschenkel geschoben hat. Zugegeben, auch vorher hat diese Hebefigur schon ein paar Probleme bereitet und sie hat bestimmt den ein oder anderen blauen Fleck kassiert, weil ich sie zu schnell oder zu spät losgelassen habe. Aber bei dem Holzsplitter bin ich wirklich unschuldig. Und auch wenn ich im ersten Moment vielleicht schadenfroh bin und extra noch drauf gedrückt habe, tut sie mir direkt danach auch wieder Leid.
Im Hotelzimmer hat sie den Splitter dann jedenfalls mit einer Pinzette entfernt, mir ein Bild davon geschickt und es tat mir schon nur vom anschauen weh. Dafür beneide ich sie wirklich nicht, aber wenn jemand hart im nehmen ist, dann Christina.

Heute ist unser letzter Trainingstag für diese Woche und auf Grund des 70er Jahre Specials, stecke ich in einem mehr oder weniger attraktiven John Travolta Kostüm, um Szenen für den Einspieler zu drehen. Skeptisch schaue ich in den Spiegel. Das schwarze Hemd ist nur bis zur Hälfte zugeknöpft, so dass man eigentlich meinen gesamten Oberkörper sehen kann, meine Haare sind mit viel Gel zurück gekämmt und um den Hals trage ich eine Goldkette. Die weiße Schlaghose ist auch nicht wirklich das, was ich in meiner Freizeit anziehen würde und ich verziehe das Gesicht. Ich habe reichlich wenig Lust in diesem Outfit jetzt nach draußen zu gehen, aber was soll's.
Das einzige, worauf ich mich wirklich freue ist Christinas Blick, wenn ich nachher so im Tanzstudio auftauche. Ich muss jetzt schon lachen, wenn ich nur an ihre Reaktion denke und kann es kaum erwarten sie live zu sehen.

Und ich hatte mir nicht zu viel versprochen. Kaum betrete ich den Raum in diesem seltsamen Outfit, schlägt Christina die Hände vors Gesicht und lacht. „Wie sieht's du denn aus?", bringt sie japsend hervor und schaut mich durch ihre Finger hindurch an. „Ich beweis dir jetzt, dass ich den perfekten 70er Hüftschwung habe." Meine seltsamen Drehungen die ich dabei ausgeführt habe, bringen sie nur noch mehr zum lachen und sie schüttelt den Kopf. „Meine Güte...also auch wenn das definitiv nicht mein Favoriten Outfit an dir ist, steht es dir eigentlich ausgesprochen gut. Aber kannst du das bitte ausziehen? Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn du so aussiehst."
Ich halte inne und schaue sie verwirrt an. „Hä? Du bist das Verkleiden ja wohl vom letzten Jahr noch gewohnt." „Ja genau, und das hat für die nächsten paar Jahre absolut gereicht. Außerdem sah Oli dann wenigstens scheiße aus, im Gegensatz zu dir. Weil -...", sie bricht ab und kommt auf mich zu. Ich bleibe stehen und schaue sie erwartungsvoll an. „Ich bezweifle auch, dass es eine gute Idee ist, wenn du hier mit halb nacktem Oberkörper tanzt, wenn diese Woche eh schon eine seltsam zweideutige Stimmung herrscht." Während sie das sagt, streicht ihre Hand ein mal kurz über die nackte Haut an meiner Brust und ich halt unbewusst die Luft an. Ihre Finger hinterlassen ein heißes Prickeln und ich schüttle mich kurz, in der Hoffnung, dass sie es nicht bemerkt hat. Halleluja, was war das denn? Seltsame Stimmung kann man wohl laut sagen. Dieser Tanz tut mir wirklich nicht gut.
Christina bekommt von meinem kurzen Aussetzer glücklicherweise nichts mit, da sie schon damit beschäftigt ist, ihre Schuhe anzuziehen. „Was ist? Wird das heute noch was?" Ups. Doch Erwischt.
Ich nicke schnell mit dem Kopf, schnappe meine Trainingsklamotten und gehe mich in der Umkleide umziehen. Als ich mir mein richtiges Tshirt über den Kopf gezogen habe, atme ich erleichtert auf. Jetzt kann sie mich wieder anfassen, ohne dass ich und mein Körper komplett durchdrehen.

Die Gedanken an Christinas Hand auf meiner nackten Brust rücken schnell in den Hintergrund, als ich feststelle, dass heute nochmal ein anstrengender Tag wird. Wir schaffen es einfach nicht den Tanz von vorne bis hinten durchzutanzen und langsam ist meine Geduld am Ende und ich kann mich nicht mehr konzentrieren. Der fehlende Trainingstag scheint sich jetzt doch bemerkbar zu machen und auch Christina weiß sich nicht mehr zu helfen.
„Lass uns eine kurze Mittagspause machen. Vielleicht wird's danach mit neuer Energie besser.", schlägt sie gerade vor und ich nicke zustimmend. Ich greife nach unseren Salaten und folge ihr nach draußen. Sobald die Sonne scheint, versuchen wir zumindest die Pausen an der frischen Luft zu verbringen um neue Kraft zu tanken.
Christina ist gerade dabei sich ihre erste Gabel in den Mund zu schieben, als ihr Handy klingelt. „Wer ist das denn? Normalerweise ruft mir doch während dem Training niemand an.", gibt sie skeptisch von sich. Trotzdem lässt sie die Gabel sinken und greift nach ihrem Handy. „Oh, da muss ich rangehen....Hallo?" Sie steht auf und lässt mich alleine am Tisch zurück, während ich beobachte, wie sie am anderen Ende der Terrasse auf und ab geht. Ihr Gesichtsausdruck ist ernst und sie nickt immer mal wieder. Ich kann sie nicht hören und stelle mir immer wieder die Frage, mit wem sie telefoniert und warum sie so niedergeschlagen aussieht.
Als sie sich nach einigen Minuten seufzend wieder neben mich fallen lässt, packt mich die Neugier und ich schaue sie erwartungsvoll an. „Wer war das?" Als sie nicht direkt antwortet, ist mir die Frage unangenehm. „Oh, du musst natürlich nicht antworten, wenn es was privates ist. Ich dachte nur vielleicht-..." „Schon gut. Ich muss es dir sowieso sagen. Um genau zu sein ging es in dem Gespräch auch um dich. Das war mein Management." Sie schiebt sich jetzt die Gabel Salat in den Mund, die sie vorhin wieder zurück gelegt hat und kaut erstmal. Ich merke wie ich nervös werde. Wieso meldet sich ihr Management bei ihr? Und was hat das mit mir zu tun? Ich kann nicht verhindern, dass mir ein dramatischer Gedanke in den Kopf schießt und ich sie angsterfüllt anschaue. Muss sie etwa aufhören? Bekomme ich eine neue Tanzpartnerin, weil Christina plötzlich 'wichtigere' Dinge zu tun hat und kurzfristig weg muss?
Ich halte die Luft an, als sie sich zu mir dreht und mir in die Augen schaut. „Es gibt ein Problem und es tut mir unfassbar Leid für dich und ich weiß nicht wie ich es dir erklären soll, aber -..."
„NEIN!", entfährt es mir plötzlich lauter als geplant. Christina zuckt erschrocken zusammen und schaut mich verständnislos an. „Nein...ich will keine neue Tanzpartnerin...ich kann das nicht ohne dich...du darfst mich nicht alleine lassen. Bitte! Du musst hierbleiben.", wiederhole ich leise und senke meinen Blick.
Christina scheint ein Licht aufzugehen und sie lacht kurz auf, bevor sie dann doch wieder ernst wird. „Hey, keine Sorge. Ich bleibe hier. Als Tanzpartnerin wirst du mich so schnell nicht mehr los. Außer natürlich ich sollte mir wieder den Fuß brechen, aber gehen wir mal nicht direkt vom schlimmsten aus."
Erleichtert hebe ich wieder den Kopf und schaue sie erneut an. „Aber süß von dir.", streicht sie mir jetzt grinsend über den Arm und ich räuspere mich verlegen. Im Nachhinein ist es mir etwas unangenehm, sie so angefleht zu haben, aber eigentlich ist es auch nur die Wahrheit. Das wäre wirklich die absolute Hölle für mich, wenn ich jetzt eine neue Partnerin bekommen würde. Warum? Keine Ahnung. Schließlich haben meine Tanzpartnerinnen in Musikvideos oft gewechselt und ich bin das eigentlich gewohnt, aber hier ist das etwas anderes.
Plötzlich fällt mir ein, dass sie mir ja immer noch nicht gesagt hat, um was es in dem Telefonat ansonsten ging. „Und was wollte dein Management dann von dir?", spreche ich meine Gedanken aus.
„Mhmmm naja...du hast ja die ganze Sache mit diesem Corona Virus mitbekommen.", fängt sie vorsichtig an und ich nicke. „Und weil die Ansteckungsgefahr so hoch ist, hat die Produktion beschlossen die Show als Vorsichtsmaßnahme diese Woche erstmal ohne Publikum stattfinden zu lassen. Damit das Studio aber nicht ganz leer ist, dürfen wenigstens eure Freunde und Familie zuschauen. Und die anderen Paare sind ja auch noch da und wir feuern uns alle gegenseitig an."
Kurz überlege ich und sie beobachtet meine Reaktion. „Hätte auch schlimmer kommen können... Lieber ohne Publikum tanzen, als die Show ganz abzusagen. Auch wenn es mir für die Zuschauer, die Karten gekauft haben und jetzt nicht kommen dürfen echt unfassbar Leid tut." „Da hast du Recht. Obwohl es glaube ich schon ein seltsames Gefühl sein wird. Aber ich bin froh, dass es dich scheinbar nicht allzu sehr stört und ich soll dir sagen dass du jetzt deiner Familie Bescheid geben musst.", informiert mich Christina weiter. „Also die Vorstellung am Freitag nicht mit dir sondern mit einer anderen Partnerin auf der Fläche zu stehen ist wesentlich schlimmer als die vor reduziertem Publikum zu tanzen.", greife ich erneut das Thema von vorhin auf. Christina grinst mich nur an und boxt mir in die Schulter. „Schleimer. Wir sollten lieber mal weiter trainieren, sonst machen wir zwei am Freitag alles Mögliche auf der Fläche nur nicht tanzen.
Da muss ich ihr ausnahmsweise mal zustimmen, denn bis jetzt war jeder Durchgang eine absolute Katastrophe und das sollte dringend noch besser werden, bevor wir heute Abend zurück nach Deutschland fliegen.

Dangerous StormWo Geschichten leben. Entdecke jetzt