Kapitel 15

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Luca

Christina ist immer noch im Badezimmer und ich höre das Rauschen des Wassers. Gelangweilt sitze ich auf dem Sofa, drehe mein Handy in meinen Händen herum und warte darauf, dass sie endlich fertig ist. Ich schalte den Fernseher ein und wechsle unkontrolliert durch die verschiedenen Kanäle, bevor ich ihn wieder ausmache. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, die sie weg ist, obwohl es gerade einmal 10 Minuten sind. Aber wenn ich Zeit mit Christina verbringe vergeht die Zeit wie im Flug. Wir sind menschlich so sehr auf einer Wellenlänge, dass ich selbst immer wieder fasziniert davon bin. Wir können über die unlustigsten Sachen stundenlang lachen, aber genau so gut auch ein ernstes Gespräch führen. Zum Beispiel wenn es um Michèle geht. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass Christina immer ihre ehrliche Meinung mit mir teilt, ohne mir etwas böses zu wollen oder ähnliches. Ich höre wie das Wasser abgestellt wird. Na endlich, Frau Luft ist auch mal fertig. Sofort grinse ich stumm vor mich hin, als ich an unsere sinnlose Unterhaltung von vorhin denke. Es ist ein so freies Gefühl, nicht aufpassen zu müssen was man sagt, aus Angst dass der Andere es vielleicht falsch aufnimmt. Vielleicht verstehen wir uns auch deshalb so gut. Weil wir beide einfach sind wie wir sind und uns für den Anderen nicht verstellen. Ich bin in ihrer Nähe einfach ich selbst. Nicht wie bei Michèle. Sie dreht mir aktuell jedes Wort im Mund rum, so dass ich mich schon gar nicht mehr traue irgendetwas zu sagen, weil ich weiß, dass es im Streit enden wird. Gestern hatten wir zwar ein relativ offenes und ehrliches Gespräch und sind auf den gemeinsamen Entschluss gekommen, unserer Beziehung noch mal eine Chance zugeben, aber seither hatten wir keinen Kontakt mehr. Gut, ich war den ganzen Tag mit dem Training beschäftigt, aber trotzdem würde ich mich zumindest über eine kurze Nachricht sehr freuen. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich meinen Abend jetzt mit Christina verbringe anstatt mit Michèle. Ich konnte nicht schon wieder so einen angespannten Abend erleben, an dem wir beide nicht wissen was wir sagen sollen und dann einfach ins Bett gehen. Das Schlimme ist, ich habe keine Ahnung, wie wir jemals wieder aus diesem Loch rauskommen sollen.

Die Badezimmertüre öffnet sich und ich schaue erfreut auf, senke meinen Blick aber sofort wieder. Vor mir steht Christina in nicht mehr als einem Handtuch eingewickelt. „Sorry, ich wollte dich wirklich nicht in Verlegenheit bringen, aber ich habe meine frischen Klamotten im Schlafzimmer liegen lassen.", sagt sie und ich höre, dass sie dabei lächelt. Jetzt schaue ich sie doch wieder an. „Schau mal lieber dass du dir jetzt etwas anziehst...wenn jetzt der Zimmerservice kommt und dich so sieht, dann haben wir ein ganz anderes Problem, als dass ich dich so gesehen habe.", kann auch ich jetzt darüber lachen. Christina verschwindet prompt im Schlafzimmer. „Apropos Zimmerservice. Die brauchen echt lange. Wenn das so weitergeht verhungere ich hier echt noch.", fange ich wieder mal an zu meckern. Nach einem kurzen Moment der Stille taucht Christina wieder vollständig angezogen in meinem Sichtfeld auf und schaut mich nachdenklich an. „Luca Hänni du bist unglaublich.", stellt sie kopfschüttelnd fest. „Ja das weiß ich. Aber trotzdem danke für das nette Kompliment."
Lachend lässt sie sich neben mir aufs Sofa fallen. „Nein...nicht so wie du denkst. Wie kann ein Mensch eine so große Leidenschaft fürs Essen haben wie du? Also ich meine ich esse auch wirklich gerne, aber du toppst echt alles. Denkst du auch noch an was anderes?", philosophiert sie vor sich hin. Ich lache kurz auf. „DU isst gerne? Und wieso vergisst du dann immer zu Essen?" Jetzt zuckt sie mit den Schultern. „Ich weiß es doch auch nicht. Wenn ich abgelenkt bin, dann denke ich da nunmal nicht dran. Gibt wichtigeres." „Nein! Gibt es nicht! Ich schwöre dir ich kitzle dich durch bis du um Gnade bettelst, wenn du nochmal sagst es gibt wichtigeres als Essen. Da bekomme ich ja Angst, dass du noch mager süchtig wirst." „Nee die Zeiten habe ich hinter mir gelassen und außerdem bin ich nicht kitzelig." Nach dem ersten Teil ihres Satzes horche ich auf. Hinter sich gelassen? Das heißt sie hatte schon mal Probleme damit. Ich kann nicht verhindern, dass mein Blick einmal kurz besorgt über ihren Körper fährt. Notiz an mich: ab sofort auf Christinas Essverhalten achten. „Doch du bist sehr wohl kitzlig.", lasse ich sie fürs erste mit dem unangenehmen Thema in Ruhe, aber ich werde das definitiv im Auge behalten. „Und woher willst du das wissen?", kontert sie jetzt frech. „Weil ich es weiß." Schmollend schaut Christina wieder aus dem Fenster und ich nutze den Augenblick um mit meinem Zeigefinger in ihre Taille zu piksen. Natürlich zuckt sie sofort zusammen und ich grinse sie triumphierend an. „Das zählt nicht, ich habe mich erschrocken." Ich will gerade etwas erwidern, als es endlich an der Zimmertür klopft. „Juhu, das wurde aber auch Zeit!", springe ich auf, renne zur Tür und kann Christinas belustigten Blick in meinem Rücken nur erahnen.

Ich bin gerade dabei mir eine volle Gabel Spaghetti in den Mund zu schieben, als mein Handy anfängt zu klingeln. Genervt stöhne ich auf. „Oh oh, Herr Hänni wird beim Essen gestört...", macht sich Christina mir gegenüber immer noch über mich lustig. Ich werfe ihr einen warnenden Blick zu, bevor ich nach meinem Handy greife und in der Bewegung innehalte. Ja... «Oh oh» kannst du laut sagen. Ich werfe Christina noch einen schnellen Blick zu, welche mich kauend mustert und nehme dann den Anruf entgegen. „Ja, Michèle?" Christina scheint meine plötzlich angespannte Haltung nicht entgangen zu sein, denn sie hört auf zu essen und beobachtet mich stumm.

Christina

Dass Luca sich sofort verspannt hat, als er auf sein Handy geschaut hat, ist mir natürlich aufgefallen. Ich halte inne und beobachte ihn dabei, wie er anfängt auf seiner Unterlippe herum zu kauen. „Ich dachte du bist heute sowieso nicht da...", murmelt er kleinlaut und sinkt immer weiter auf seinem Stuhl zusammen. „Doch natürlich will ich das auch!", wird er nach einer kurzen Pause wieder etwas energischer. Vorsichtig fange ich wieder an zu essen, um möglichst keine Geräusche zu machen, die ihn in Schwierigkeiten bringen könnten, aber das hat sich wohl eh erledigt, als ich seinen nächsten Satz höre. „Ich bin bei Christina, wir haben nach dem Training beschlossen noch schnell etwas zu essen ... Nein, im Hotelzimmer." Kurz schaut er mir entschuldigend in die Augen, ehe sein Gesichtsausdruck wütend wird und er seine Zähne zusammenbeißt. „Hör auf damit Michèle. Ich habe dir das bestimmt schon fünf mal erklärt und ich weiß nicht was dein Problem ist.", zischt er jetzt ins Telefon. „Sie ist nur meine Tanzpartnerin...gezwungener Maßen muss ich Zeit mit ihr verbringen und das weißt du genau." Ich halte in der Bewegung inne. Die volle Gabel befindet sich auf dem halben Weg zu meinem Mund und Lucas und mein Blick begegnen sich. Ich weiß nicht was ich schlimmer finden soll, die Tatsache dass wir beide an unser Gespräch von vorhin zurück denken und beide wissen dass er Michèle gerade eine eiskalte Lüge auftischt, oder dass er es anscheinend doch so furchtbar findet mit mir Zeit zu verbringen, oder die Tatsache, dass ich mir denken kann, was Michèle ihm im Bezug auf mich gerade an den Kopf geworfen hat. Und wenn ich über Option zwei genauer nachdenke, hat er sie auch hier eiskalt angelogen, denn er würde ja wohl kaum mit mir hier sitzen, wenn er keine Lust hätte, oder? Langsam schiebe ich mir jetzt die Gabel in den Mund und Luca beobachtet jede kleine Regung in meinem Gesicht. Ich versuche mir nicht anmerken zu lassen, wie verwirrt ich bin, aber Luca scheint es trotzdem zu bemerken, denn er schüttelt kaum merklich den Kopf. Jetzt wendet er sich wieder Michèle zu. „Hör zu. Wenn du so ein großes Problem damit hast, sollten wir es vielleicht doch einfach beenden, weil das lasse ich mir von dir nicht vorschreiben. Ich rede wieder mit dir, wenn du dich beruhigt hast. Machs gut." Und schon hat er aufgelegt. Erwartungsvoll blicke ich ihn an, vorbereitet darauf, dass er gleich einfach aufsteht und geht. Aber es passiert nichts. Er sitzt mir gegenüber und starrt auf seinen Teller. Nach einer gefühlten Ewigkeit flüstert er kaum hörbar: „Es tut mir so Leid." Ich lege meine Stirn in Falten und warte weiter ab. „Ich habe zwei wichtigen Menschen in meinem Leben gerade quasi das Herz gebrochen. Michèle, weil ich ihr mit der Trennung gedroht habe und dir, weil..." Jetzt hebt er den Kopf und schaut mich an. Ich sehe die Tränen in seinen Augen glitzern und muss schlucken. „Dir weil ich gesagt habe, dass es für mich ein Zwang ist Zeit mit dir zu verbringen, aber das stimmt nicht. Wirklich. Ich genieße jede Sekunde mit dir. Wenn du da bist, dann fühle ich mich befreit und ich denke nicht mehr an meine Probleme die zu Hause auf mich warten. Du lenkst mich ab. Aber Michèle glaubt mir nicht, deshalb musste ich... Ich weiß einfach nicht was ich machen soll..."
Jetzt laufen ihm die Tränen über die Wangen. Selten habe ich ihn so überfordert gesehen und ich halte es auf meinem Stuhl nicht mehr aus. Ich springe auf, laufe um den Tisch herum und setze mich einfach seitlich auf seinen Schoß, bevor ich ihn fest in den Arm nehme. Nur zögerlich legt er seine Arme um meinen Bauch. „Es ist alles gut! Also zumindest von meiner Seite aus... Ich bin für dich da.", versuche ich ihn zu beruhigen. Jetzt festigt auch er den Griff um meine Taille und hält mich nah bei sich, während er seinen Kopf auf meiner Schulter in meinen Haaren vergräbt. Heute scheint irgendwie der Tag der Tränen zu sein. Erst ich, jetzt er. Ich streiche ihm weiterhin über den Rücken und kraule seinen Nacken bis er langsam beginnt ruhiger zu atmen. Irgendwann löst er einen Arm von mir und streicht sich seine Tränen weg. Mit dem anderen hält er mich immer noch gegen seinen Brustkorb gedrückt. Wir sagen beide nichts und genießen einfach nur die Stille und die Nähe des Anderen. Nach einer Ewigkeit löse ich mich dann doch sanft von ihm, streiche ihm seine Haare aus dem Gesicht und stehe von seinem Schoß auf. „Soll ich dir das Essen nochmal warm machen?", erkundige ich mich vorsichtig. Wie ein Häufchen Elend schaut er zu mir auf und nickt. Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen und ich drücke ihm einen Kuss auf die Haare, bevor ich mich mit seinem Teller in die Küche bewege um ihn in die Mikrowelle zu stellen. Dort angekommen atme ich tief durch. Oh mein Gott. Diese Situation überfordert selbst mich und meine Gefühle...

Dangerous StormWo Geschichten leben. Entdecke jetzt