20.05.2020
Christina
Tja. Und dann ist er plötzlich da. Der letzte Trainingstag. Noch stehe ich zu Hause in meiner Wohnung und starre beinahe apathisch vor mich hin, weil ich mich weigere loszugehen. Ich will nicht, ich kann nicht und ich bin definitiv nicht bereit dafür. Wie ein Film flimmern die letzten Wochen vor meinem Inneren Auge ab, und der Knoten in meiner Brust wird immer größer. Unbewusst fange ich an, an meiner Unterlippe zu knabbern und ich weiß, dass ich es später wieder bereuen werde. Mit zitternden Händen ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche und suche den richtigen Kontakt. Alleine schaffe ich das nicht und werde vermutlich morgen noch hier stehen. Nach kurzem Klingeln nimmt meine Zielperson den Anruf entgegen und ich seufze beim Klang seiner Stimme erleichtert auf. „Hey Bambi was gibt's? Solltest du nicht schon längst in der Tanzschule sein?", erkundigt sich Andrzej verwirrt und ich nicke nur stumm mit dem Kopf. Dabei vergesse ich, dass Andrzej mich ja gar nicht sehen kann und sich deshalb jetzt besorgt erneut nach mir erkundigt. „Bambi?? Alles okay?" „Nein... ich glaube nicht.", flüstere ich leise und meine Stimme zittert gefährlich, was auch meinem besten Freund nicht entgeht. „Oh, nicht weinen Bambi! Alles wird gut, okay? Wo bist du?" „Zu Hause. Ich sollte aber schon längst auf dem Weg ins Training sein, aber ich kann nicht...", ich breche ab, weil meine Stimme versagt. „Letzter Trainingstag, hm?", ertönt Andrzejs einfühlsame Stimme und spätestens jetzt bahnt sich eine Träne den Weg über meine Wange, die ich schnell wegstreiche. Ich wollte nicht weinen. Kurz atme ich tief durch, bevor ich Andrzejs Vermutung zustimme. „Ja, letzter Trainingstag. Ich stehe seit einer halben Stunde vor meiner Haustüre und starre vor mich hin, weil ich nicht will, dass der Tag anfängt.", erkläre ich Andrzej und muss dabei selbst kurz auflachen, weil es so lächerlich klingt. Andrzej aber bringt keinen blöden Spruch, wie ich es eigentlich von ihm erwartet habe, sondern seufzt ebenfalls leise auf. „Okay Bambi hör mir zu. Ich telefoniere mit dir bis du in der Tanzschule bist, ja? Dazu musst du aber jetzt loslaufen." Tatsächlich mache ich was Andrzej mir sagt und ich greife nach der Türklinke. Na dann mal los. Während ich die Treppen runter laufe, erzählt Andrzej mir irgendetwas vom Tanz der Profis fürs Finale, der seiner Meinung nach super krass wird und ich bin sehr dankbar über diese kleine Ablenkung. „Und Kathrin hat auch ein Solo.", erklärt er mir gerade, während ich raus auf die Straße trete. Eigentlich bin ich fast ein bisschen traurig, dass ich weder beim Opening, noch beim Profitänzer-Tanz mittanzen werde, aber natürlich ist es ein schöner Grund, warum ich es eben nicht tun werde. „Und wie läuft euer Training? Was habt ihr eigentlich für einen Jurytanz bekommen?", richtet Andrzej die Aufmerksamkeit wieder auf die wesentlichen Dinge. „Salsa." „Uiiii hot! Erste Show und letzte Show. Na, wenn das mal kein runder Abschluss ist. Ich bin ja jetzt sehr gespannt auf Lucas Entwicklung in Sachen Körperkontakt. Aber denkt bitte daran: es schauen auch Kinder zu.", stellt Andrzej frech fest, während ich darüber nur schmunzeln kann. Wäre ja auch ein Wunder gewesen, wenn er diese Chance ungenutzt gelassen hätte, eine freche Bemerkung über Luca und mich abzufeuern. Im Gegensatz zu Andrzej weiß ich allerdings wie die Choreo unserer Salsa aussieht und sie ist tatsächlich nicht ganz ohne. Eigentlich basierte sie ursprünglich auf wesentlich weniger Körperkontakt, aber nachdem uns Jorge am Sonntag besucht hatte, habe ich meine komplette Choreo über Bord geworfen und es ist eine neue entstanden. Und die hat es in sich. Glücklicherweise hat Luca wirklich extreme Fortschritte darin gemacht, sich dem Charakter des Tanzes anzupassen, weshalb ich nicht jede seiner Berührungen ständig verbessern muss. Er drückt mich mittlerweile schon von ganz alleine fest gegen seinen Körper und erleichtert mir meine 'Arbeit' damit enorm. Oder in unserem Fall halt auch irgendwie nicht. Das Gefühl, welches er in mir auslöst, wenn er mich sanft, aber bestimmt immer wieder nah an sich zieht ist unbeschreiblich und ich will gar nicht davon anfangen, was immer wieder mit meinem Körper passiert, wenn er seine Stirn gegen meine lehnt und mich intensiv anschaut. „Träumst du schon wieder?", bringt mich Andrzejs Stimme plötzlich zurück in die Realität. „Nein. Ich habe gerade nur daran gedacht wie Luca-..." „Natürlich Luca. Wer auch sonst macht unser Bambi völlig sprachlos.", lacht Andrzej jetzt laut auf und ich verdrehe die Augen. „Man lass mich. Ich habe über unseren Tanz nachgedacht.", versuche ich ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen, aber damit mache ich es nicht wirklich besser. „Über euren Tanz also. Scheint ja ganz schön viel Körperkontakt zu beinhalten eure Salsa, wenn du selbst bei dem Gedanken daran völlig weggetreten bist." „Andrzej! Hör auf jetzt!", werde ich langsam wirklich wütend und stöhne auf. Es ärgert mich, dass er Recht hat, aber ich würde es ihm gegenüber niemals zugeben. Diese Salsa bringt mich völlig aus dem Konzept und noch viel schlimmer ist, dass er der Grund dafür ist. Ich habe in meinem Leben schon weiß Gott wie oft Salsa getanzt und sicherlich auch mit ähnlich viel oder sogar noch mehr Körperkontakt und nie habe ich dabei so gefühlt, wie ich es bei Luca tue. Und das macht mir langsam tatsächlich ein bisschen Angst. Dieser Mann hat sich im Laufe der Zeit einfach unbemerkt in mein Herz geschlichen und es quasi in Besitz genommen. Das Schlimmste ist aber, dass ich weiß, dass er es einfach mitnehmen wird. Und zwar in genau 3 Tagen. „Sag mal...kann es sein, dass du so gereizt und durcheinander bist, weil Luca bald nach Hause fährt?", reißt mich Andrzej schon wieder aus meinen Gedanken und trifft wie immer den Nagel perfekt auf den Kopf. „Nein.", versuche ich ihn vom Gegenteil zu überzeugen und scheitere dabei kläglich. Das hätte sogar ein Gehörloser erkannt, dass ich hier gerade nicht die Wahrheit gesagt habe. „Ohje.", ist das einzige was Andrzejs Lippen verlässt und in Gedanken stimme ich ihm zu. Ja. Ohje kann man wohl laut sagen. Glücklicherweise komme ich um eine weitere Antwort herum, als jetzt der Eingang der Tanzschule vor mir erscheint. „Andrzej ich muss Schluss machen. Ich bin da.", fange ich an mich von ihm zu verabschieden, während ich mit meinem Körpergewicht die Eingangstüre aufdrücke. „Alles klar. Dann viel Erfolg euch beiden und genieße es bitte, dass du dem Knirps noch ein letztes Mal in den Arsch treten darfst." Ich lache leise auf. „Werde ich. Tschau Andrzej!" „Tschüss Bambi! Lieben Gruß an Luca und du kannst mich immer anrufen, das weißt du!" Dankend schicke ich ihm einen Kuss durch den Lautsprecher, bevor ich auflege und tief durchatme. Los geht's.
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Dangerous Storm
Fanfiction«Mein Herz schlägt einen Purzelbaum, alles in mir fängt heftig an zu kribbeln und ich weiß irgendwie gar nicht mehr genau, wo oben und unten ist. Und dann haucht er mir plötzlich einen letzten Satz in mein Ohr, der mich zum glücklichsten Menschen di...