Kapitel 12

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01.03.2020

Luca

Ich habe keine Ahnung wie ich Christina jemals für gestern Abend danken soll. Nachdem Michèle einfach nicht zu mir gekommen ist, saß ich wie ein Häufchen Elend auf meinem Sofa, habe geweint und vor mich hingestarrt. Bis ich dann die wohl schlauste Idee des Abends hatte, nämlich Christina zu fragen ob sie hier her kommen möchte. Tja und kaum war sie da ging es mir mit einem Schlag viel besser. Wenn sie mich in den Arm nimmt kann ich mich sofort entspannen und sobald sie dann mit ihrer positiv quirligen Art, aber trotzdem so rücksichtsvoll, durch meine Wohnung springt, lasse ich mich direkt davon anstecken. Ein kleines bisschen Stolz bin ich auch immer noch, dass sie von meinen Kochkünsten so begeistert war, obwohl ich eigentlich nichts mega aufwendiges gekocht habe.
Nachdem wir beide aufgegessen hatten, haben wir beschlossen uns noch etwas nach draußen auf die Sitzlounge auf meinem Balkon zu setzen. Da es abends noch relativ kalt draußen ist, habe ich Christina direkt einen Teppich zugeschmissen, natürlich mit dem Wissen dass sie eine kleine Frostbeule ist. Lächelnd hat sie ihn angenommen, über sich ausgebreitet und dann stumm in die Ferne gestarrt. Es war keine unangenehme Stille. Wir saßen einfach nebeneinander und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Gegen 23 Uhr habe ich sie dann zurück ins Hotel gefahren, da ich sie auf keinen Fall nachts alleine mit dem Taxi fahren lassen, oder gar laufen lassen wollte.

Und jetzt befinde ich mich, mit zwei Kaffeebechern in der Hand, auf dem Weg in Richtung Tanzschule für unser erstes Training in Woche 2 und bin wahnsinnig gespannt, was wir diese Woche tanzen werden.
Als ich die Türe aufdrücke steht Christina schon im Raum und ein Strahlen breitet sich in ihrem Gesicht aus, als ihr Blick auf meine Hände fällt. „Ohh du hast Kaffee mitgebracht. Danke schön!", kommt sie auf mich zu, nimmt mir einen Becher aus der Hand und legt kurz ihren Arm um mich. „Wer sagt denn, dass der für dich ist?", versuche ich ernst zu bleiben und sie ein bisschen zu ärgern. Kurz hält sie tatsächlich in der Bewegung inne und schaut mich unsicher an. Bei ihrem Anblick kann ich mir ein Zucken meiner Mundwinkel allerdings nicht mehr verkneifen und sie versteht, dass ich sie bloß ärgern wollte. Gespielt böse schiebt sie die Unterlippe nach vorne und verschränkt ihre Arme. „Du bist gemein!" „Nein. Es macht einfach nur viel zu viel Spaß dich zu provozieren, weil du dann so süß aussiehst, wenn du versuchst böse zu sein.", lache ich jetzt. Erneut stößt sie einen undefinierbaren Laut aus, bevor sie einen Schluck aus ihrem Becher nimmt. „Wenn du meinst." Als Antwort nicke ich nur und wechsle dann das Thema.
„Und? Was tanzen wir?" „Totales Kontrastprogramm zu letzter Woche. Standard. Einen langsamen Walzer.", erklärt sie mir mit einem Hauch Unsicherheit in der Stimme. „Aha. Und was ist daran jetzt das Problem? Vielleicht bin ich ja ein guter Standardtänzer und hier muss ich wenigstens kein Latino sein.", stelle ich fest. „Ja den Latino kannst du zu Hause lassen.", lacht sie, ehe sie fortfährt: „Du darfst diese Woche den Gentleman spielen, das müsste dir eigentlich besser liegen. Aber das Lied und die Atmosphäre sind sehr romantisch und ich weiß nicht genau wegen gestern und generell..." Ich winke ab. „Alles gut, mach dir darüber mal keine Gedanken. Ich komme damit denke ich ganz gut klar. Und jetzt los. Bring mir den langsamen Walzer bei.", klatsche ich voller Tatendrang in die Hände. Hätte ich gewusst, was da auf mich zukommt, wäre ich wohl lieber wieder rückwärts durch die Türe gegangen.

Seit einer geschlagenen halben Stunde stehe ich vor dem Spiegel und soll in der Haltung stehen bleiben. Alle 10 Sekunden zupft Christina irgendwo anders an meinem Körper herum, weil das Körperteil sich nicht mehr an der richtige Stelle befindet. „Aua. Christina ich kann nicht mehr.", beginne ich zu jammern. „Das tut wirklich weh. Können wir nicht eine Pause machen?", stöhne ich weiter, aber sie hat wenig Mitleid. „Weiterkämpfen Tiger. Es wird von Tag zu Tag besser glaub mir.", versucht sie mich zu motivieren, während sie von unten gegen meinen Arm klopft der schon wieder gesunken ist und meinen Kopf lang zieht. „Komm, noch 10 Sekunden." Ich jaule leise auf. Trotzdem kneife ich die Augen zusammen, beiße mir auf die Zunge und versuche meine Arme oben zu halten. „3...2...1...geschafft.", erlöst mich endlich Christinas Stimme. Sofort sacke ich zusammen und lasse mich langsam auf den Boden sinken. „Auaaa. Das kann doch nicht gesund sein? Wieso macht man sowas? Das ist lebensmüde!", versuche ich verzweifelt mein Unverständnis auszudrücken. Christina blickt allerdings nur auf mich herab und grinst. Ein Knurren verlässt meinen Mund. Ich kann die Schadenfreude in ihrem Gesicht nur zu gut erkennen und wie viel Spaß es ihr macht mich zu quälen. „Na komm. Wir machen erstmal mit der Fußarbeit weiter. Aber glaub bloß nicht, dass du um die Haltung drum herum kommst. Die verbessern wir nachher noch.", streckt sie mir die Hände entgegen um mich hochzuziehen. Gequält seufze ich auf, greife dann aber doch nach ihren Händen und ehe ich mich versehe stehe ich schon wieder vor ihr. „Wenn's denn unbedingt sein muss...", murmle ich leise und höre ihr aufmerksam zu als sie beginnt mir die ersten Schritte zu zeigen.

Christina

Schon während des ersten Trainingstages beschleicht mich das Gefühl, dass Luca und der Langsame Walzer keine guten Freunde werden. Er ist ständig am jammern und auch seine Konzentration lässt sehr zu wünschen übrig. Ich weiß, dass ich die Choreo recht anspruchsvoll gestaltet habe und auch die Musik ist kein Kinderspiel, aber eigentlich war ich der Überzeugung, dass es für Luca machbar wird. Vielleicht steckt ihm aber auch einfach noch die Enttäuschung vom gestrigen Abend in den Knochen.
Ich drehe meinen Kopf und betrachte ihn. Wir machen gerade eine kleine Verschnaufpause und er sitzt auf dem Boden des Tanzsaals. In der einen Hand eine Wasserflasche, in der anderen sein Handy, auf welches er gedankenverloren starrt. Ich weiß sofort, wessen Chat er geöffnet hat, ohne dass ich einen Blick über seine Schulter geworfen habe. Langsam stellt er die Wasserflasche ab und beginnt an seinen Fingernägel zu kauen. Das macht er immer dann, wenn er aufgeregt ist, oder mit einer Situation nicht umgehen kann. Ich weiß nicht, was in seinem Kopf abgeht, aber ich beneide ihn definitiv nicht um dieses Gedankenkarussell. Er scheint bemerkt zu haben, dass ich ihn anschaue, denn jetzt dreht er den Kopf zu mir und schaut mich hilfesuchend an. Um ihm zu signalisieren, dass ich aufmerksam bin, hebe ich fragend meine Augenbrauen. „Kannst du mir helfen?", fragt er mich jetzt schüchtern und deutet neben sich auf den Boden. Ein Ruck geht durch meinen Körper und ich stehe von der Bank am Rande des Tanzsaals auf, um auf ihn zuzugehen. Kaum habe ich mich neben ihm niedergelassen beginnt er mir etwas vorzulesen. Offenbar eine Nachricht von Michèle: „Hallo Luca, es tut mir unfassbar Leid, dass ich gestern einfach nicht aufgetaucht bin aber ich hatte Angst. Angst, dass es schon wieder ein erzwungener Abend mit dir wird. Versteh mich nicht falsch, ich verbringe wirklich sehr gerne meine Zeit mit dir, aber du hast sicherlich selbst auch schon gemerkt, dass wir aktuell irgendwie aneinander vorbei leben. Ich würde mich freuen, wenn du diese Woche vielleicht abends mal etwas Zeit für mich hast und wir dann über alles reden können. Bis bald und viel Spaß noch beim Training, deine Michèle"

Langsam lässt er sein Handy sinken und blickt mich an. Ich bin überrascht, wie sehr er mir vertraut und sich mir gegenüber öffnet, dass er so eine persönliche Nachricht laut vorliest. „Was mache ich jetzt?", möchte er wissen. Kurz überlege ich. „Kommt darauf an...wenn du eurer Beziehung noch eine Chance geben willst, was ich vermute, dann solltest du definitiv so schnell wie möglich mit ihr reden. Am Besten noch heute. Weil so böse das jetzt auch klingt, ich bemerke, dass du abgelenkt bist und dich nicht 100% konzentrieren kannst. Und wenn das so weitergeht, dann leidet nicht nur dein Privatleben, sondern auch Let's Dance darunter und ich glaube das möchtest du nicht." Langsam nickend blickt Luca mich an. „Also ich an deiner Stelle würde ihr jetzt schreiben, dass sie doch heute Abend einfach vorbeikommen soll. Und wir zwei hören früher auf zu trainieren, damit du deine Gedanken zu Hause noch ein bisschen sortieren kannst, okay?" „Okay."
Plötzlich springt Luca auf und zieht mich mit sich hoch. Erschrocken stolpere ich ein paar Schritte zur Seite, ehe mich zwei starke Arme auffangen und dann fest umschließen. „Danke, danke, danke! Du bist die allerbeste Trainerin die ich mir hätte wünschen können! Wirklich! Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen würde.", flüstert Luca neben meinem Ohr. „Hey, das ist meine Aufgabe.", erkläre ich ihm gerührt, streiche ihm über den Rücken und löse mich dann aus seinem Griff, um ihm in die Augen zu schauen. „Und wenn du mich nicht hättest, würdest du jetzt nicht weiter an deiner Haltung trainieren, aber genau das werden wir zwei jetzt schleunigst tun.", grinse ich ihn an. Luca verdreht die Augen und stöhnt laut auf. „Och nööö...Christiiiina..." „Keine Wiederrede, sonst wird das am Freitag ein absolutes Desaster und ich denke das wollen wir beide nicht." Motivation sieht zwar anders aus, aber trotzdem schlurft er mir jetzt murrend hinterher und schimpft leise vor sich hin. Ich grinse in mich hinein. Das wird ja noch lustig diese Woche.

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