Kapitel 15 ~ Zu viele Tränen

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Vor dem Treppenaufgang zum Gryffindor-Turm blieben wir stehen. Ich nahm seine Jacke von meinen Schultern und gab sie ihm wieder, obwohl sie so gut nach ihm roch. "Danke, für alles, Draco." Er lächelte leicht und gab mir einen kurzen Kuss auf die Stirn. "Schlaf schön, Isabella." Mit diesen Worten machte er sich auf zu den Kerkern. Ich sah ihm noch etwas hinterher, bis er nicht mehr zu sehen war.

Mit schnellen Schritten ging ich in den Schlafsaal. Hermine lag in ihrem Bett, mit dem Rücken zu mir. Ihr Atem war tief, also schlief sie wohl schon. Auch Ginny hatte die Augen geschlossen. Schnell zog ich mir meinen Pyjama an und kuschelte mich in mein Bett. Was ein verrückter Tag.


Am nächsten Morgen wachte ich für meine Verhältnisse spät auf und ging direkt duschen. Mir war immer noch etwas kalt, und ich wollte mich ungern erkälten. Fertig unter der Dusche und endlich wieder gewärmt, ging ich zurück in den Schlafsaal, um mich einigermaßen ansehnlich zu machen. Hermine saß auf ihrem Bett und las ein Buch. Als sie mich hörte, legte sie es demonstrativ weg und verließ das Zimmer.

Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen und meine Unterlippe begann zu zittern. Ich wollte nicht schon wieder weinen, doch dass sie so abweisend zu mir war, war ich einfach nicht gewohnt. Ginny kam gerade in das Zimmer, als ich meine Haare fertig gemacht hatte. "Nimm es Hermine nicht allzu übel. Sie weiß einfach nicht, wie sie mit der Situation umgehen soll." Sie setzte sich auf mein Bett und sah mich mitleidig an.

"Ich weiß, dass es sie verletzt hat. Aber sie sollte auch nicht so abweisend sein. Ich habe ihr nichts getan!" "Du hast sie belogen. Und zusätzlich Malfoy geküsst. Er nennt sie immer Schlammblut und macht sie fertig." Traurig setzte ich mich neben sie. "Das weiß ich. Aber er war anders, als wir gelernt haben. Arrogant, aber nett und hilfsbereit." Ginny sah mich auffordernd an. "Bist du verliebt in ihn?" Ich holte tief Luft und atmete diese schwerfällig aus. "Sag mir bitte die Wahrheit. War da mehr als ein Kuss?" Als ich ihren Blick auffing, konnte ich nichts anderes, als die Wahrheit sagen.

"Wir haben uns öfter getroffen und ja, ich glaube ich bin verliebt in ihn." Ich starrte auf meine Füße. Ginny stand auf, was ich nur daran bemerkte, dass das Bett etwas nach oben ging. Ich hörte nur, wie sie die Tür schloss. Der Schmerz traf mich härter, als alles, was ich erwartet hatte. Sie würde es nun bestimmt den anderen erzählen. Die Schluchzer übermannten mich und ich rollte mich auf meinem Bett zusammen. Es tat höllisch weh und ich wollte gerade einfach nur hier weg. Am Besten zu Fred.

In diesem Moment wurde mir bewusst, wie sehr er mir hier auf Hogwarts fehlte. Früher verbrachten wir immer mehrere Stunden damit, über den Dächern zu fliegen und zu quatschen. Jetzt war er aber nicht mehr hier und hinterließ ein Loch in Hogwarts. Also beschloss ich, ihm einen Brief zu schreiben, in dem ich ihn bat, am Hogsmeade-Wochenende zu kommen. Ich brauchte nun einfach meinen besten Freund.


Eine Stunde später hatte ich mich endlich beruhigt. Ich sah in den Spiegel. Meine Augen waren blutunterlaufen, mein ganzes Gesicht war rot und meine Schminke war komplett verlaufen. Schnell wusch ich mir das Gesicht und machte mich auf den Weg zum Unterricht. Die erste Stunde hatte ich zwar komplett verpasst, aber ich würde nicht den ganzen Tag versäumen.

Im Klassenzimmer von Professor Slughorn sahen mich alle an. Ich war zwar nicht zu spät, trotzdem waren schon alle da. Traurig starrte ich in alle Gesichter und schaute mich nach einem freien Platz um. Zu meinen Freunden, die mich gekonnt ignorierten, konnte ich ja nicht. Professor Slughorn kam herein. "Ah, Ms. Gabott. Setzen Sie sich doch einfach zu Mr. Zabini." Stumm nickte ich und setzte mich.

Ich bemerkte den besorgten Blick von Draco auf mir, doch ich konnte ihn nicht ansehen. Er saß neben Zabini, was es mir etwas leichter machte, ihn zu ignorieren. Im Unterricht konnte ich mich kaum konzentrieren. Die ganze Zeit starrte ich zum Tisch, an dem Hermine und Harry tuschelten und immer wieder zu mir rüber sahen. Nervös puhlte ich an meinen Fingern herum. Wahrscheinlich hatte Ginny ihnen schon alles erzählt.

Nach der Stunde packte ich meine Sachen nur langsam zusammen. Ich wollte keinem der anderen begegnen, die immer relativ schnell waren. Als das Zimmer relativ leer war, kam Draco auf mich zu. Besorgt schaute er mir in die Augen. "Was ist passiert? Wo warst du beim Frühstück?" "Ich habe Ginny alles erzählt... Sie hat nicht mal etwas dazu gesagt, sondern ist sofort weg gegangen. Ich weiß nicht was ich tun soll, Draco." Vor lauter Verzweiflung ließ ich auch noch mein Buch fallen.

Schnell hob er es auf. "Was meinst du denn mit alles?" Dankbar nahm ich das Buch und steckte es in meine Tasche. "Naja, dass wir uns öfter getroffen haben und...". Ich brach ab, da ich Angst vor seiner Reaktion hatte. "Und...?" Tief durchatmend sah ich ihm direkt in die Augen. "Und, dass ich glaube, dass ich mich in dich verliebt habe."

Geschockt und mit offenem Mund starrte er mich an. Ich konnte keinerlei Emotionen in seinen Augen ablesen. Doch dann wechselte sein Blick von geschockt zu kalt. So kalt, dass mein Herz zum zweiten Mal heute zerbrach. "Das wird nichts, Gabott. Eine kleine Romanze, gut und schön. Aber verliebt? Vergiss es!" Er drehte sich ohne einen letzten Blick um und verließ das Klassenzimmer.

So dunkel und eng hatte dieses Zimmer noch nie auf mich gewirkt wie gerade in diesem Moment. Meine Brust zog sich zusammen und ich bekam kaum Luft. Die Tränen konnte ich auch nicht mehr aufhalten. Ich setzte mich auf einen Stuhl und starrte an die Wand. Ich hatte meine Freunde verloren, wegen einer "Romanze" mit Draco Malfoy. Dem Jungen, der mir gerade das Herz zersplittert hatte.

Wie in Trance schnappte ich mir irgendwann meine Tasche und lief hinaus. Niemand war mehr auf den Gängen, da die nächste Stunde schon längst angefangen hatte. Ich wollte nur hier raus. Schnell ging ich in Richtung Wald und setzte mich dort einfach auf den Boden. Ich würde nie wieder in dieses Schloss zurückkehren. Meinen Kopf legte ich auf meine Knie und schluchzte vor mich hin. So viel geweint wie in den letzten zwei Tagen hatte ich zuletzt, als Ben starb.

Ben... Wie sehr ich ihn mir nun her wünschte. Plötzlich warf sich ein Schatten über mich und ich schaute auf. Luna stand vor mir. Sie setzte sich neben mich, auch einfach auf den Boden und legte eine Hand auf meine Schulter. "Warum weinst du denn?" Ihre Stimme war so sanft, fast schon beruhigend. Als ich nichts sagte, nahm sie mich einfach nur in den Arm. Diese überraschende Geste genoss ich trotzdem ungemein. Genau das hatte ich gebraucht. Jemand, der mich nicht verurteilte. Aber Luna wusste auch noch nichts von Draco.


Wir saßen einige Stunden im Wald und schwiegen uns fast nur an. Ab und zu erzählte sie mir etwas über ihre verstorbene Mutter oder ihren Vater. Als es langsam dunkel wurde, machten wir uns auf den Weg zurück. Auch wenn ich dort nicht hin wollte, musste ich es wohl oder übel. Luna zog mich mit sich an den Ravenclaw-Tisch, voller Selbstverständlichkeit. Ich lächelte den anderen Schülern kurz zu und setzte mich ihr gegenüber.

"Nun erzähl schon. Was ist passiert? Ich denke, du hast dich nun beruhigt, um darüber zu reden." Seufzend sah ich sie an. "Okay, aber bitte verurteile mich nicht, Luna." Sie lächelte mich so warm an, dass ich ihr einfach alles aus den letzten Wochen erzählte. Am Ende sah sie nicht geschockt, nicht angeekelt oder sauer aus. Sie schaute mich einfach nur verständnisvoll an. "Ich verstehe. Du hast dich eben verliebt. Was ist daran so schlimm?" Luna faszinierte mich immer wieder. Ihre lockere und verträumte Art machte es nicht schwer, sie zu mögen.

"Naja, es ist erstens Draco und zweitens hat er mir unmissverständlich klar gemacht, dass er nicht das selbe fühlt wie ich." "Dafür schaut er aber verdächtig oft hier her." Sie blickte an mir vorbei. Schnell drehte ich mich um und fing seinen Blick auf. Draco schaute schnell weg und tat so, als würde er sein Essen total interessant finden. "Ich glaube, er weiß, dass er dich verletzt hat und dass er genauso fühlt wie du. Er traut sich nur nicht, es auszusprechen." Wie sehr ich mir wünschte, dass sie Recht hatte, konnte ich gar nicht in Worte fassen.

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