Kapitel 44 ~ Einsicht

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Isabella

Am nächsten Tag wachte ich mit einer Übelkeit auf, die kaum auszuhalten war. Mein Magen überschlug sich, aber es kam nichts raus. Ich sah mich um und bemerkte, dass ich bei Fred und George in der Wohnung war. Wie war ich nur hier her gekommen? Ich erinnerte mich nur noch daran, Alec getroffen zu haben und mit ihm in eine Bar gegangen zu sein. Was nach Mitternacht passiert war, war weg. Verzweifelt fuhr ich mir durch die Haare. Schon wieder hatte ich so viel getrunken, dass ich mich an nichts erinnerte. Und dazu ging es mir noch miserabel.

Die Tür ging auf und ein verschlafener Fred schlurfte ins Zimmer. "Morgen." Er klang sauer. "Morgen", murmelte ich und zog den Kopf ein. "Du hast Besuch. Dort liegen frische Sachen, die George geholt hat." Fred nahm sich nur einen Pullover und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer. Besuch? Wahrscheinlich war es Alec. Hatte er genauso viel getrunken wie ich? Ich zog mir die frischen Sachen an und versuchte, meine Haare etwas zu richten. Das verbliebene Make-Up wischte ich weg. Dann trank ich erst mal die Wasserflasche, die neben dem Bett stand, komplett leer. Langsam ging der Schwindel weg, der mich befallen hatte.

Mit müden Schritten verließ ich das Zimmer Richtung Wohnzimmer. Stimmen drangen zu mir durch, doch ich nahm keine wirklich wahr. Mein Gehirn war wohl immer noch vernebelt. Als ich auf das Sofa blickte, blieb mir fast das Herz stehen. Draco. Sein Blick lag besorgt auf mir, als er aufstand und mich einfach in den Arm nahm. All die Anspannung der letzten Tage, nein, Wochen, fiel von mir ab und ich krallte mich an ihm fest, als könnte er sich jeden Moment in Luft auflösen. Tränen stiegen in mir auf und mein Blick verschleierte. Ein Schluchzer entwich meiner Kehle, was Draco nur dazu brachte, mich fester in den Arm zu nehmen und mir beruhigend über den Rücken zu streichen. Genau das hatte ich gebraucht. Die Nähe zu Draco. Die Gewissheit, dass seine Gefühle die selben waren, wie damals. Zu wissen, dass er mich nach wie vor liebte.

Wir standen Ewigkeiten einfach nur da. Ich weinte mich aus und Draco hielt mich fest. Irgendwann setzten wir uns aufs Sofa. "Was machst du hier?" Ich wischte mir mit dem Handrücken über die Augen und sah ihn dann an. Er lächelte matt. "Ich war gestern erst um zwei Uhr in London. Es tut mir Leid, Isabella. Ich musste zwei Todesser abwimmeln. Ich hab dich betrunken in einer Bar vorgefunden und hier her gebracht." Draco machte eine kurze Pause und beobachtete mich kritisch. "Was ist los? Seit wann greifst du bei Problemen zum Alkohol?" Ich schnaubte. "Ich war mit Alec was trinken, weil er verlassen wurde. Bestimmt trinke ich nicht wegen Problemen." "Fred hat mir erzählt, was an deinem Geburtstag passiert ist. Außerdem ist dieser Alec viel früher als du auf Wasser umgestiegen. Du hast immer weiter getrunken." Was? Ich hatte nie bemerkt, dass Alec irgendwann keinen Alkohol mehr trank. Aber ich konnte mich ja nicht mal mehr erinnern, dass ich immer weiter getrunken hatte. "Also?" Draco sah mich eindringlich an. "Was soll ich sonst tun? Hermine, Harry und Ron hassen mich, all meinen Freunden bereite ich nur Probleme und Sorgen, du hast mich verlassen..." Wieder entwichen Schluchzer meiner Kehle. "Ich bin hier, Isabella." "Ja, jetzt. Die letzten Wochen warst du weg. Ich war alleine. Was hätte ich tun sollen?"

"Mit mir reden." Fred kam hinter uns ins Zimmer. "Ich dachte, ich wäre dein bester Freund." Er kniete sich vor mich und nahm meine Hand. "Bist du doch auch." Meine Augen waren noch immer voller Tränen. "Dann rede mit mir. Wann immer dich etwas belastet, wann immer du das Gefühl hast, alleine zu sein, komm zu mir. Ich bin für dich da. Genauso wie George. Wir beide lassen dich nicht alleine." Meine Gefühle drohten zu explodieren, als ich alle gleichzeitig fühlte. Schmerz, der sich seit Bens Tod in mir aufgestaut hatte, Trauer, Leid, Liebe, Freundschaft, Hass... Zu viel für mich. Ich fiel in Freds Arme und begann erneut zu weinen. Er strich mir beruhigend über den Rücken.

Fred und ich beschlossen, unter Absprache mit George, dass es am Besten wäre, bei ihnen zu wohnen. Dort waren keine ehemaligen Freunde, die mir das Leben zur Hölle machten. Dort war mein bester Freund und sein Zwilling, die beiden, die mich immer zum Lachen brachten. Als wir beim Fuchsbau angekommen waren, war Mrs. Weasley am Boden zerstört. "Ich habe alles getan, um sie davon abzuhalten, so gemein zu dir zu sein." Ich nahm sie in den Arm. "Es liegt doch nicht an Ihnen. Sie haben so viel für mich getan. Danke, Mrs. Weasley." "Ach Kind, nenn mich doch endlich Molly." Sie lächelte mich warmherzig an. Von Melissa konnte ich mich nicht verabschieden, da sie unterwegs war, aber ich hinterließ ihr eine kleine Notiz, dass sie mich besuchen sollte. Hermine stand am Treppenaufgang, als ich hinunter kam. "Bin schon weg." Ich wollte bedrückt an ihr vorbei, doch sie hielt mich am Handgelenk fest. Fragend blickte ich ihr in die Augen. Und dann tat sie etwas, was ich nicht mehr erwartet hätte. Sie umarmte mich. Etwas perplex erwiderte ich die Umarmung. "Es tut mir Leid. Lass uns bei Gelegenheit reden." Ich nickte nur, unfähig, etwas zu sagen. Sie löste sich von mir. "Ich hab dich lieb." Sie strich mir über den Arm und ich verließ den Fuchsbau mit einem angenehmen Glücksgefühl.

Mit neu gewonnenem Mut kamen wir in der Wohnung an. Zu meiner Erleichterung war Draco noch da. Fred bot mir sein Zimmer an, er würde sich die nächsten Wochen mit George ein Zimmer teilen. Also machten Draco und ich uns auf in mein neues Zimmer. Bevor ich überhaupt etwas sagen konnte, drehte er mich zu sich um und drückte mich gegen die Wand. "Du hast mir so gefehlt, Isabella." Sofort küsste er mich. Den Kuss erwidernd fuhr ich mit meiner Hand durch sein Haar und murmelte außer Atem. "Du mir auch." Eine Weile standen wir einfach an die Wand gedrückt und küssten uns. Irgendwann lösten wir uns voneinander und schnappten nach Atem. Die Schmetterlinge in meinem Bauch waren endlich zurück und ich konnte nicht anders, als Draco anzustarren. Ein lustvolles Grinsen umspielte seine Lippen. "Dir gefällt wohl immer noch, was du siehst?" Auch mir entwich ein Grinsen, doch ich erwiderte nichts. Stattdessen küsste ich ihn einfach wieder, doch dieses Mal lustvoller.

Nachdem wir uns nun auch körperlich begrüßt hatten, lagen wir im Bett. Draco wischte mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Die neue Frisur steht dir wirklich gut." Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. "Danke." Langsam fuhr ich die Kontur seines Gesichtes nach. "Geht es dir besser?" Ich nickte nur und küsste ihn kurz. "Jetzt sowieso." Draco entwich ein Lächeln, wurde aber schnell wieder ernst. "Was ist los?" Er seufzte und setzte sich auf, was ich ihm nach tat. "Im Malfoy Manor ist es unerträglich. Der Dunkle Lord ist fast jeden Tag da. Kennst du noch Professor Burbage?" Ich nickte. Professor Burbage war unsere Lehrerin in Muggelkunde. "Sie haben sie umgebracht. Dann hat seine Schlange sie gefressen." Mein Magen drehte sich um seine eigene Achse, alleine nur bei dem Gedanken. Draco sah geschockt aus, weswegen ich ihn in den Arm nahm. "Ich hätte ihr helfen sollen." Bestimmt schüttelte ich den Kopf. "Dann hätte er wahrscheinlich dich getötet. So schlimm es auch ist, ich bin froh, dass du nicht eingegriffen hast." Er vergrub seinen Kopf in meiner Schulter. In diesem Moment bemerkte ich, dass er mich genauso brauchte, wie ich ihn. Wir gaben uns gegenseitig Halt, jedoch mit der Gewissheit, dass er nicht für immer hier bleiben konnte.

Eine Weile saßen wir einfach im Bett und redeten über Unbedeutendes wie das Wetter oder die anstehende Hochzeit. Als Draco sich jedoch mit schmerzverzerrtem Gesicht den linken Arm hielt, war mir bewusst, dass er gehen musste. "Es tut mir Leid."  Sein Blick war entschuldigend. "Es ist okay." Ich war zwar nur halb überzeugt, doch wenn er nicht ging, wäre es fataler. Er küsste mich, so liebevoll wie schon lange nicht mehr, strich mir eine Strähne aus dem Gesicht und ging dann. Mein Blick blieb an der Tür hängen, aus der er gerade gegangen war. Wir hatten nur wenige Stunden zusammen, jedoch waren es die schönsten seit langem. Mit einem glücklichen, wenn auch besorgten Seufzen, fiel ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

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