Kapitel 38 ~ Gewissensbisse

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Mit höllischen Kopfschmerzen wachte ich im dunklen Zimmer auf. Ich hatte keine Ahnung wo ich war, geschweige denn, welchen Tag wir hatten. Langsam setzte ich mich auf und versuchte, meine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Ich war im Krankenflügel. Um mich herum lagen viele Verletzte, unter anderem auch Neville, der im Bett neben mir platziert war. Ich erkannte außerdem eine Person, die auf einem Stuhl neben meinem Bett saß und hoffte sofort, dass es Draco war. Doch als das Licht anging wurden meine Hoffnung direkt zerstört. Es war Fred. Auch wenn ich froh war, dass es ihm gut ging und er hier war, war die Verzweiflung größer, dass der Abschied von Draco wirklich echt war.

Madam Pomfrey sah sich um und ich tat es ihr nach. Die Betten auf der anderen Seite waren auch fast komplett belegt. Ginny lag in einem, direkt daneben Bill. Sein Gesicht war mit großen Wunden übersät. Auf dem Stuhl daneben saß Fleur mit gequältem Gesichtsausdruck. Die Wunden erinnerte mich an meine, als Greyback mich gebissen hatte. Mit klopfendem Herzen betete ich, dass Bill dies nicht passiert war. Madam Pomfrey kam zu mir. "Hallo Ms. Gabott. Wie fühlen Sie sich?" Ihr Lächeln war gequält und auf jeden Fall gespielt. Wer wollte es ihr verübeln? Dumbledore war tot. Voldemort hatte einen Triumph geschafft, den niemand erwartet hatte. "Ich habe höllische Kopfschmerzen, aber ansonsten geht es mir ganz gut." Sie nickte und gab mir einen kleinen Becher. "Der wird gegen Ihre Schmerzen helfen. Ruhen Sie sich noch etwas aus." Ich nahm die Schmerzmittel und legte mich zurück in mein Kissen.

Stunden später wurde ich wieder wach. Meine Kopfschmerzen waren nur noch ein leises Zwicken. Ich öffnete die Augen und sah Fred und George neben meinem Bett sitzen, die über irgendetwas angeregt diskutierten. Als Fred meine offenen Augen erblickte, lehnte er sich erleichtert zu mir und umarmte mich. "Du bist wieder wach." Leicht lächelnd nickte ich, als auch George mich in den Arm nahm. Ich ließ meinen Blick wieder durch das Zimmer gleiten. Nun waren viele Betten wieder frei, nur Bill lag noch in seinem. Er unterhielt sich mit Fleur und lächelte mir kurz zu, als er mich erblickte. "Wie geht es ihm?" Die Frage wandte ich an Fred. "Besser. Er wird nicht heulend bei Vollmond durch die Gegend laufen." Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.

Am Abend durfte ich den Krankenflügel verlassen und wurde sofort zu McGonagall zitiert. Ich wusste, sie wollte über Draco reden. Über das, was auf dem Astronomieturm geschehen war. "Alles in Ordnung, Kleine?" Fred begleitete mich zum Schulleiterbüro, welches nun nicht mehr Dumbledores Büro war. Ich nickte, doch Fred hielt mich am Handgelenk fest und zog mich in eine Umarmung. Ich wartete auf die Tränen, doch es kamen keine. Da war nur Enttäuschung. Enttäuschung wegen Draco, aber auch wegen mir selbst. Ich hätte von Anfang an ehrlich sein müssen, hätte Dumbledore von Dracos Vorhaben erzählen sollen. Doch ich hatte nur an die Liebe zu Draco gedacht, nicht an die Konsequenzen. Fred hielt mich noch kurz in seinen Armen, ehe wir unseren Weg fortsetzten. "Nichts davon ist deine Schuld, Bella." Mein Lachen war mehr als falsch. "Natürlich ist es meine Schuld. Seit fast einem Jahr weiß ich, dass Draco ein Todesser ist und ich habe nur an mich gedacht! Ich wollte Draco nicht verlieren. Ich habe in Kauf genommen, dass Dumbledore stirbt, nur damit Draco hier bleiben kann." "Du hast aus Liebe gehandelt. Das macht dir niemand zum Vorwurf." "Du vielleicht nicht. Harry, Ron und Hermine schon. Und McGonagall wahrscheinlich auch."

Vor dem Schulleiterbüro wurden meine Gewissensbisse nur noch schlimmer. Vor einigen Wochen hatte ich wieder mal die Möglichkeit gehabt, es Dumbledore zu sagen, doch wieder mal hatten meine Gefühle gesiegt. Ich hatte selbst meine Eltern angelogen. McGonagall rief mich zu ihr hinein. Fred lächelte mir noch einmal zu. "Bis gleich, Kleine." Ich nickte nur und öffnete die Tür. "Hallo Ms. Gabott. Setzen Sie sich doch." McGonagall stand hinter dem Schreibtisch. Sie hatte tiefe Augenringe. Ich wollte in diesen Tagen nicht in ihrer Haut stecken. Vorsichtig setzte ich mich auf einen Stuhl und sah die Professorin abwartend an. "Wie geht es Ihnen, Ms. Gabott?" Überrascht von der Frage suchte ich nach einer passenden Antwort. "Ganz okay." Meine wirkliche Gefühlswelt wollte ich ihr nicht beschreiben. Sie nickte. "Ich muss Sie zu den Vorfällen auf dem Astronomieturm befragen. Mr. Potter erzählte mir, Sie hatten versucht, Mr. Malfoy aufzuhalten." Mit einem Nicken bestätigte ich ihre Aussage. "Wussten Sie von Mr. Malfoys Plänen?" Wieder ein Nicken, wenn auch dieses Mal mit Schmerzen im Bauch und Angst im Nacken. "Wieso haben Sie nie etwas gesagt?" "Ich konnte es nicht. Ich hatte solche Angst, Draco zu verlieren. Das konnte ich nicht ertragen." McGonagall seufzte, als sie sich schwerfällig auf den Stuhl fallen ließ. "Am Ende war es ja auch nicht Mr. Malfoy. Es war Professor Snape." Die Enttäuschung in ihrem Gesicht konnte man deutlich erkennen. "Ja. Ich hatte gehofft, er würde die Todesser aufhalten, doch Snape belegte Professor Dumbledore mit dem Todesfluch."

Mit schweren Schritten verließ ich McGongalls Büro. Fred kam direkt auf mich zu. "Und?" "Es ist alles in Ordnung. Sie ist zwar enttäuscht, weil ich nie etwas über Dracos Pläne gesagt habe, aber letztendlich war Snape der Verräter und das hatte niemand geahnt." Fred nickte und strich mir über den Arm. "Es war nicht deine Schuld. Harry hat erzählt, dass Dumbledore nicht wirklich überrascht vom Dunklen Mal auf Dracos Arm war." "War er auch nicht. Vielleicht hat er es gewusst." Ich zuckte mit den Schultern. Über Draco nachzudenken, ließ einen Schmerz auf meine Brust senken, der mir fast die Luft abschnürte. Wir machten uns auf den Weg zur Großen Halle. Diese sah wieder aus wie vor dem Angriff, sie war aber bedeutend leerer und die Blicke derer, die noch darin saßen, waren betrübt.

Ich wollte mich mit Fred gerade zu George setzen, als Blaise auf mich zukam. Bevor ich etwas sagen konnte, nahm er mich in den Arm. "Es tut mir Leid." Es war nur geflüstert, aber in meinen Ohren hallte es noch lange nach. Mehr als ein Nicken brachte ich nicht zustande, als ich mich an ihn klammerte. "Weißt du, wie es ihm geht?" Blaise machte meine Hoffnung sofort zunichte, als er den Kopf schüttelte. Als er meinen Blick sah, lächelte er leicht. "Es geht ihm bestimmt gut. Mach dir nicht allzu viele Sorgen." Er strich mir nochmal behutsam über den Rücken, bevor er sich wieder auf den Weg zum Slytherin Tisch machte. Ich sah ihm noch einen Moment hinterher, ehe ich mich an den Tisch setzte. Harry, Hermine und Ron kamen in diesem Moment in die Halle. Harry sah schrecklich aus. Dumbledores Tod nahm ihn sehr mit. Die drei setzten sich etwas abseits von uns und würdigten mich keines Blickes. Also widmete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf das Gespräch von Fred und George.

Als ich, nachdem ich mich von Fred und George verabschiedet hatte, die Große Halle verlassen wollte, stellte sich plötzlich Harry in den Weg. "Können wir kurz reden?" Ich nickte kraftlos. Eigentlich wollte ich nur in mein Bett. Wir stellten uns nach draußen, wo niemand unser Gespräch mitbekommen konnte. "Danke, dass du versucht hast, Malfoy aufzuhalten." Verwirrt sah ich ihn an. "Dachtest du, ich möchte, dass Draco Dumbledore tötet?" "Nein, aber du hast selbst gesagt, dass ihr euch liebt. Ich hatte eher erwartet, dass du ihm hilfst." Traurig und enttäuscht blickte ich zu Boden. "Am Ende war es nicht mal Draco. Er hätte es nicht getan. Er ist kein kaltblütiger Mörder, so wie Snape es ist." "Wie auch immer, danke. Und ich hoffe, du kämpfst am Ende auf der richtigen Seite." Mit diesen Worten ließ er mich stehen. Und diese Worte trafen mich mehr, als es ein Fluch je gekonnt hätte.

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