Nussbraun

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Ich sitze an meinem Schreibtisch und kritzele auf meinem Skizzenblock herum.
Wird Philipp den Auftrag wohl annehmen? Wenn er Menschen gar nicht gern fotografiert, vermutlich nicht. Und wenn doch? Ich weiß von Maddie, dass dieser Keppler sehr speziell ist. Philipp mit seinem schüchternen Aschgrau wird vermutlich vollkommen überfordert von dessen Anforderungen sein. Oh, ich sehe ihn schon ganz in Alarmrot gehüllt vom Set stürmen.

Die letzte Keppler-Kampagne liegt schon eine Weile zurück, war aber zu der Zeit als BDSM total im Trend lag und alle Frauen sich plötzlich für verrucht hielten, weil sie Fifty Shades of Grey gelesen hatten. Keppler scheint ohnehin Interessen in diese Richtung zu haben, denn er blühte bei den Meetings regelrecht auf und kam mit einer Idee nach der anderen um die Ecke. Einmal war Maddie kreidebleich, ihre Färbung vollkommen von Alarmrot und Schlammbraun getränkt, aus dem Konferenzraum gekommen und als ich sie fragte, was los sei, hat sie nur den Kopf geschüttelt und gesagt, sie würde das Projekt an Peter übergeben wollen.

Am Ende wurden Kepplers Wünsche gemeinsam von Peter und Maddie auf ein Minimum des Zumutbaren heruntergehandelt, vor allem mit der Begründung, dass Fotos von halbnackten (Keppler wollte gern vollkommen nackte, breitbeinige) Männern, die sich mit verbundenen Augen und Lederhalsbändern (Keppler wollte hier am liebsten noch einen der beiden von der Decke hängend mit Knebel) gegenseitig mit seinem Parfüm einsprühen, vermutlich von jedem renommierten und auch nichtrenommierten Magazin abgelehnt würden.

Maddie hat mir nie erzählt, was genau er noch für Wünsche in jenem Meeting geäußert hat, aber als der neue Auftrag kam, sah ich ihrer alarmroten Färbung an, dass sie große Angst vor einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Kunden hat. Ich habe ihr gut zureden müssen, dass es damals vermutlich nur dem BDSM-Trend geschuldet war und er jetzt vermutlich mit pastellfarbenen Sextoys, die wie Superhelden oder Comicfiguren aussehen oder Filtern mit Hundenasen und -ohren an den Models arbeiten wolle.

Wenn ich mir allerdings vorstelle, dass meine selbstbewusste, ausgeglichene Freundin Maddie bei dem Kunden schon aus der Fassung gerät, möchte ich nicht wissen, was mit dem armen Philipp geschehen wird. Vielleicht war das Ganze keine gute Idee und ich sollte ihn lieber vorwarnen.

Kurz darauf höre ich, wie Maddie und Philipp lachend ihr Büro verlassen. Sein Lachen verwirrt mich. Er lacht nicht oft, das habe ich schon gemerkt. Es klingt entspannt und ich widerstehe dem Drang, aufzuspringen und wie selbstverständlich durch meine Tür zu spazieren, nur um seine Färbung dabei zu sehen. Ist er immer noch Aschgrau oder gelbgrün wie an dem Tag als wir bei Gina waren? Ich zwinge mich selbst, sitzen zu bleiben und weiterhin auf meinem Skizzenblock zu kritzeln, denn sie werden sicherlich gleich in mein Büro kommen, um mir zu erzählen, wie sie verblieben sind.

Als ich auf meinen Block schaue, runzele ich verwundert die Stirn. Ich habe Bäume gemalt. Bäume, aus deren Stämmen Licht scheint.

Wenig später höre ich wieder Schritte vor meinem Büro und dieses Mal schaut Maddie herein. Sie strahlt und setzt sich ohne zu fragen auf mein Sofa. Verwirrt sehe ich zur Tür. Wo ist Philipp?
„Er ist perfekt!" begeistert sich Maddie. Sie strahlt in hellem Zitronengelb und ein entschlossenes Nussbraun zeigt mir, dass sie dieses Mal vorhat, die Sache allein durchzuziehen.

„Okay?" mache ich zweifelhaft und schaue noch immer zur Tür. „Ist er nicht etwas zu.. still für Keppler?"
„Ach, den sieht er doch ohnehin erst beim Meeting und dann nur Shooting. Die Bilder, die er mir gezeigt hat, sind der Wahnsinn und wenn ich die zusammen mit denen, die er von dir gemacht hat, Keppler präsentiere, wird der sofort starten wollen," plappert sie fröhlich. „Dieses Mal schaffe ich das allein. Du hattest recht, Ricardo. Vermutlich wollte er nur auf den Trend aufspringen und ich war zu der Zeit auch gerade erst frisch wieder aus der Elternzeit zurück und viel zu emotional."

Wow, so entschlossen und motiviert habe ich Maddie lange nicht gesehen. Ihre Färbung sieht fast aus wie ein Tiger mit dem Zitronengelb und den nussbraunen Streifen darin.
„Holt er sich noch einen Kaffee?" frage ich bemüht beiläufig und blicke noch immer erwartungsvoll zur Tür.
„Wer?"
„Philipp."
„Phil? Nein, der ist schon wieder los," erwähnt sie und beginnt bereits laut ihre weitere Planung mit mir zu teilen. Sie springt auf und geht vor meinem Sofa auf und ab, während sie überlegt, welche Meetings sie wann anberaumt und wann wohl das erste Shooting stattfinden könnte.

Verblüfft sehe ich sie an. Er ist weg? Ein kleiner Stich der Enttäuschung macht sich in mir bemerkbar. Immerhin habe ich ihn hergebracht, habe die beiden sozusagen einander vorgestellt. Und dann verabschiedet er sich nicht einmal? Das ist schon sehr unhöflich.

„Ricardo? Hallo?" ruft Maddie nun und als ich aufsehe, steht sie mit verschränkten Armen vor mir.
„Was?"
„Die Bilder."
„Fuchur?" frage ich und suche mein Tablet mit den Entwürfen. „Kriegst du gleich."
„Nein, die habe ich gestern Abend noch von dir bekommen, danke," sagt sie und runzelt die Stirn. „Warum du allerdings auf meinem Schreibtisch wühlst, obwohl du die Entwürfe auf dem Tablet hast, muss ich bis heute nicht verstehen."

Ich lächele verlegen und suche nach meinem.. ja, was eigentlich? Maddie nimmt meinen Skizzenblock hoch und schaut sich meine Kritzeleien von den Bäumen an. „Wow," macht sie. „Seit wann malst du Landschaften?"
„Ich war nur in Gedanken," rede ich mich heraus.
„Das sieht toll aus, Ricardo. Als würde das Licht direkt aus dem Holz scheinen."
„Was für Bilder meintest du denn jetzt?" frage ich nach, denn ich verstehe beim besten Willen nicht, was sie jetzt noch will und außerdem bin ich gerade etwas.. verstimmt und möchte meine Ruhe haben.

„Die von dir."
„Welche von mir?"
„Die Mr. Wooding von dir gemacht hat."
„Wieso?"
„Ich brauche sie."
„Warum?"
„Bist du doof, Ricardo? Für Keppler. Für die Präsentation." Verwirrt schaut Maddie mich an.
„Aber.. bekomme ich die wieder?" will ich wissen.
„Ich mache dir ein paar Kopien, okay?"
„Kann ich dir nicht ein paar Kopien geben?"
„Ricardo, was ist los mit dir?"

Moosgrün mischt sich in Maddies Zitronengelb und ich merke, sie ist genervt von mir. Ich bin selbst genervt von mir. Augenrollend gebe ich ihr den Umschlag mit den Bildern, die Philipp von mir gemacht hat, und winke ab. „Nimm' sie einfach," brumme ich.

„So großzügig von dir," antwortet sie schnippisch. „Trink mal lieber deinen Kaffee, du bist heute irgendwie miesepetrig."
Und damit geht sie und lässt mich in meinem Büro allein.

Farbenspiel | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt