Enzianblau

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„Hutmacher!" schreckt Philipps Stimme mich einige Zeit später von meiner Zeichnung hoch. Ich starre nach oben und da steht er vor meinem Schreibtisch, ganz in kreativem Zitronengelb.
„Was?" frage ich verwirrt. Meine Verwirrtheit gilt eher der Tatsache, dass er so ganz anders aussieht als sonst, so.. zitronengelb eben. Funkelnde Augen, breites Grinsen und alles.

„Deine Hüte," erklärt er. „Was ist mit dem Hutmacher?"
„Alice im Wunderland-Hutmacher?"
Er nickt eifrig und scheint sich unbändig darüber zu freuen, dass ich sofort auf seinen Gedankengang komme.
„Das ist gar nicht schlecht," überlege ich und blättere meinen Skizzenblock um. „Und dann die-"
„Grinsekatze," vervollständigt er meinen Gedanken.

„Das ist absolut genial, Philipp," lobe ich ihn und beginne sofort zu zeichnen. Er bleibt grinsend vor meinem Schreibtisch stehen und als ich aufschaue, sehe ich, dass er seinen Kopf leicht geneigt hat, um auf mein Blatt zu sehen, sein Zitronengelb durchzogen von capriblauen Streifen.

Ich mag es normalerweise nicht, wenn mir jemand beim Zeichnen zusieht. Besonders, wenn ich gerade im Flow bin. Aber er hat mir zu der Idee verholfen und außerdem stört er mich nicht wirklich.
„Hast du noch viel zu tun mit Maddie?" frage ich und er schaut ertappt.
Das Aschgrau kratzt am Rand und er schüttelt den Kopf. „Sie meinte, wir wären soweit fertig, ich kann auch-" stammelt er.

„Nein," rufe ich schon fast dazwischen. „Bleib ruhig. Immerhin hast du mich gerade in den Flow geschickt."
Er lacht verlegen. „Nennst du das auch immer so?"
„Klar, wie soll ich es sonst nennen?"
Ich stehe auf und setze mich auf das Sofa, damit er besser zuschauen kann. Wenn er am Schreibtisch hinter mir stünde, würde mich das doch etwas nervös machen.

Vorsichtig setzt Philipp sich neben mich und beobachtet still, wie mein Stift über das Papier fliegt. Seine langen Finger fummeln nervös aneinander herum und ich werde das Gefühl nicht los, dass er irgendwas will.
„Was ist?" frage ich.
„Ich.. äh.. nein, schon gut.." murmelt er und ich runzele die Stirn.
„Was ist?" frage ich eindringlicher.
„Darf ich dich fotografieren?" flüstert er schon fast, seine Färbung eine Mischung aus Aschgrau, Zitronengelb und Capriblau.

Mit großen Augen sehe ich ihn an und Beigerot kommt dazu.
„Klar," platze ich heraus, denn ich möchte nicht, dass er seine Frage bereut. Erleichtert lächelt er mich an und verschwindet kurz aus meinem Büro.

Ich widme mich wieder meiner Skizze und stelle fest, dass ich dem Drang widerstehen muss, dem Hutmacher unter seinem gigantischen Hut mit den Zahnpflegelutschern eine Wuschelfrisur zu verpassen. Ich mag wuschelige Haare, stelle ich fest. Seit wann?

Ein Klicken lässt mich kurz hochschauen und ein zitronengelber, grasgrüner und vor Konzentration ganz enzianblauer Philipp drückt permanent auf den Auslöser seiner Kamera.
„Störe ich dich?" fragt er leise und ich schüttele den Kopf. Ich beiße mir auf die Unterlippe, denn gerade würde ich viel lieber ihn statt diesen Hutmacher malen.

„Was ist los, Ricardo?" fragt er mich hinter seiner Kamera.
„Was soll sein?"
„Du willst was sagen, aber traust dich nicht."
Überrascht schaue ich direkt in die Linse.
„Ist das eine Zauberkamera, dass du das so sehen kannst?" witzele ich und Klick! Klick! Klick! macht der Auslöser.

„Für mich schon," antwortet er lächelnd. „Also?"
„Hm," mache ich und bin plötzlich verlegen. „Darf ich dich malen?"
„Wieso?" fragt er zurück. „Warst du nicht gerade beim Hutmacher?"

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Kamera ihm etwas von seiner Scham zu nehmen scheint. Das Aschgrau ist gar nicht mehr zu sehen, er strahlt in kreativem Zitronengelb, entschlossenem Nussbraun und konzentriertem Enzianblau.

„Wieso wolltest du mich fotografieren?" kontere ich und er senkt lächelnd die Kamera.
„Guter Punkt," stimmt er mir zu.
„Du darfst die Bilder dann auch behalten," biete ich an, bereue es aber fast schon, weil ich mir wünsche, sie selbst für mich haben zu können.

Schnell eile ich zu meinem Schreibtisch, um meine Stifterolle und meinen privaten Skizzenblock zu holen.
„Keine schwarzen Seiten?" fragt Philipp interessiert und ich schüttele den Kopf, während ich nach meinem enzianblauen Stift suche.
„Heute nicht," murmele ich und beginne sofort mit den Wuschelhaaren.

•••

Ich weiß nicht, wie lange wir so auf meinem Sofa sitzen. Ich zeichne bis mein Handgelenk schmerzt und höre das Klicken von Philipps Kamera nur noch im Hintergrund. Trotzdem sein Gesicht größtenteils durch das Gerät verdeckt ist, male ich ihn in den verschiedensten Positionen. Lächelnd, nachdenklich, beschämt, verschmitzt.

„Mist," murmelt er irgendwann und lässt die Kamera sinken.
„Was ist los?" frage ich.
„Mein Akku ist leer," seufzt er. „Der Fluch einer halbautomatischen Spiegelreflexkamera."
Ich winke mit meinem Stift. „Mein Vorteil: keine Akkus," lache ich und er nickt grinsend.

Mit Schrecken stelle ich mit einem Blick auf die Uhr fest, dass es bereits kurz vor zwei ist. „Vielleicht sollten wir auch erst mal eine Pause machen," schlage ich vor. „Ich schulde dir noch einen Nudelauflauf."
„Du hast mich noch gar nicht nach meinen Unverträglichkeiten gefragt," wendet er ein.
„Oder Phobien?"

Er lacht und ich würde am liebsten noch ein Bild von ihm zeichnen.
„Es sind keine Motten in dem Auflauf, oder?" will er wissen und ich verziehe angewidert mein Gesicht. „Wieso sollte irgendjemand einen Auflauf mit Motten machen?"
Sein Lachen wird noch herzlicher. „Ich meinte nur wegen der Phobie. Ich hab nur Angst vor Motten."

„Keine Motten," stelle ich klar. „Du kannst den Auflauf bedenkenlos essen."

•••

„Oh Gott," stöhnt Philipp in unserer kleinen Küche, lehnt sich mit geschlossenen Augen zurück und streckt sich. Sein weißes T-Shirt spannt über seinem Oberkörper und ich erwische mich dabei, wie ich mich frage, wie er wohl darunter aussieht.

„Das war der leckerste Nudelauflauf, den ich je gegessen habe," lobt er. „Du musst mir unbedingt das Rezept geben. Oder wir kochen den mal zusammen."
Meine Augen schießen von seinem T-Shirt nach oben und ich starre ihn an. Sofort ist er wieder von Aschgrau umhüllt und lehnt sich vor auf den Tisch. „S-Sorry," murmelt er. „Ich wollte nicht-"

„Ricardo?" kommt Peter in die Küche und unterbricht uns. „Cooper ist am Telefon und ich brauche dich mal."
„N-Na klar," antworte ich verwirrt und stehe eilig auf. Philipp räumt bereits die Teller weg und sieht mich nicht an. „Schon gut," winkt er ab. „Wir sehen uns morgen."

Peter flitzt bereits los und ich stehe kurz hin- und hergerissen herum, bevor ich ihm schließlich folge.

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