Schwarz-Weiß

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Maddie und ich sitzen nebeneinander auf dem Boden vor der Lagerhalle, unsere Rücken an die Wand gelehnt. Unter Tränen habe ich ihr alles erzählt. Von Deans Reaktion, dem Wochenende mit Philipp, Deans zweiter Reaktion, dem Zustand der Wohnung heute Morgen, den Fotos und dem Zettel. Maddie hat mir eine Packung Taschentücher gereicht und ich habe sie dankend angenommen. Mamas haben immer Taschentücher dabei.

„Vielleicht-" beginnt sie, doch in diesem Moment wird die Tür aufgerissen und Philipp kommt herausgestürmt, sein Telefon an sein Ohr gepresst.
„Beruhige dich, Sannie," sagt er energisch. „Es geht mir doch gut."
Verdattert starren Maddie und ich ihn an, während er auf und ab geht und seine anscheinend aufgeregte Schwester am Telefon zu beruhigen versucht.

„Was ist da los?" murmelt Maddie und ich zucke ahnungslos mit den Schultern. Ich bin selbst sehr besorgt und beobachte ihn still.
„Warte," sagt er ins Telefon. „Ich gucke.. ja.. Moment.."
Er drückt etwas auf dem Telefon und dann höre ich eine aufgebrachte weibliche Stimme über den Lautsprecher.

„Aber warst du am Wochenende nicht da, Phil?" ruft sie, als er auf seinem Telefon etwas zu suchen scheint.
„Ja," murmelt er. „Aber ich bin gestern wieder nach Hause gefahren."
„Hast du es?"
„Ja, ich lese."

Er scheint irgendetwas im Internet zu lesen und entfernt sich dabei weiter von uns, so dass ich den Rest der Unterhaltung nicht verstehen kann.

Meine clevere Freundin Maddie neben mir hat bereits ihr eigenes Telefon in der Hand und öffnet ihren Browser. „Wo wart ihr, sagst du?" fragt sie mich und ich starre Philipp noch immer hinterher.
„Bear Mountain State Park," nuschele ich und kurz darauf kommt von Maddie: „Ich glaube, ich hab was gefunden."

Nur widerwillig wende ich meinen Blick von Philipp ab, der noch immer telefoniert und sehe auf ihr Display. Sie hat die Webseite einer lokalen Zeitung geöffnet, die über einen Vorfall im Bear Mountain State Park berichtet.

Schwerer Fall von Vandalismus im Bear Mt. State Park - Polizei bittet um Mithilfe

In der Nacht von Sonntag auf Montag kam es zu einem schweren Fall von Vandalismus im Bear Mountain State Park. Wie das örtliche Polizeidezernat verlauten ließ, wurde ein anliegendes Haus massiv zerstört, sowie ein Kanu schwer beschädigt. Das Haus war zum Zeitpunkt der Tat menschenleer, mögliche Zeugen des Vorfalls werden gebeten, sich unter Berufung auf diesen Artikel zu melden.

Darunter sieht man mehrere Bilder des Tatorts und sofort erkenne ich Philipps Tiny House mit dem kleinen Steg und der Lannie davor. Nur dass die Lannie halb im Wasser versunken ist und das Häuschen kaum wiederzuerkennen. Überall liegen Trümmer und die Glasscheibe, die die Hälfte des Daches bedeckte, liegt in tausenden Scherben auf dem darunterliegenden Bett. Auf einem der Bilder ist zu erkennen, dass die Bettlaken mit einer der Scherben zerschnitten wurden, sogar Blut klebt daran und auf einem anderen sieht man sämtliches Inventar aus den Schränken zertrümmert auf dem Boden.

„Oh mein Gott," keuche ich entsetzt auf. „Das ist Philipps Haus."
Genau jetzt kommt Philipp zurück und sieht mich mit Maddie dort sitzen. Umständlich stehe ich auf und gehe auf ihn zu.

„Philipp," sage ich, doch er sieht mich nur hasserfüllt an. „Wag es nicht!" faucht er und geht an mir vorbei zurück in die Lagerhalle.
Was? Denkt er etwa..?
Maddie neben mir greift meinen Arm und sieht mich eindringlich an.

Ich ziehe mein Handy hervor und schreibe eine Nachricht an Dean.

Dean

Wo warst du?

Ich hab mich zumindest
nicht von irgendwelchen
dahergelaufenen Fotografen
ficken lassen!

Können wir das nicht
sachlich klären, Dean? Ich
erkenne dich gar nicht
wieder.

Vielleicht hätte ich dir auch
deine Unterhose waschen und
für alle Welt sichtbar
aufhängen sollen.

Was?

Oh, und ihr habt das Gleitgel
vergessen. Sorry, das liegt jetzt
leider im See. War es gut? Wie
viele Wanderer haben euch
zugesehen, als ihr es am Steg
getrieben habt, Ricardo?

Woher weißt du,
wo ich war?

iPhone Suche, Ricardo. Denkst
du, ich bin so dumm? Nur schade,
dass dein Philipp nicht da war.
Ich wollte ihm eigentlich nur einen
kleinen Besuch abstatten.
Naja, jetzt müsst ihr euch ein
anderes Liebesnest suchen, ihr
kleinen Turteltäubchen.

Du bist vollkommen
übergeschnappt.

Das sagt der Richtige!

Entsetzt zeige ich Maddie die Nachrichten, die sofort ihr Telefon nimmt und eine Nummer wählt.
„Hallo, mein Name ist Madeleine Flemming und ich habe wichtige Hinweise zu dem Vorfall im Bear Mountain State Park," sagt sie sachlich.

Mir wird schwindelig und ich stütze mich zittrig an der Wand ab. Den Rest von Maddies Telefonat bekomme ich nicht mit, weil ich beginne, trocken zu würgen.

•••

„Möchtest du einen Tee, Ricardo?" fragt mich Ella und kniet mit ihrem Stift vor mir. Ich liege in ihrem Zimmer auf einer Gästematratze und statt Menschen zu malen, versucht sie seit geraumer Zeit, mir Dinge zu malen, die mich aufmuntern könnten.

Um mich herum liegen Bilder von Einhörnern, Zuckerwatte, Eisbechern, Schokolade..
„Tee klingt toll, Liebes," sage ich erschöpft und sie krabbelt zurück zu ihrem Zeichenblock.

Ella war außer sich vor Freude, als es hieß, ich würde über Nacht bleiben. Sie räumte sofort eine Ecke in ihrem Zimmer für mich frei, damit ich dort mein Quartier aufschlagen konnte.

Meine kleine, weise Freundin erkannte bereits nach kurzer Zeit, dass unsere üblichen Zeichen- und Malspiele heute wohl anders ausfallen würden, denn sie schob die Kiste mit ihren Buntstiften in eine Ecke und nahm nur einen schwarzen Stift zur Hand.

Ron fuhr unterdessen mit meinem Schlüssel in unsere Wohnung und holte unter offenbar lauten Protesten von Dean ein paar Sachen für mich. Da Ron ungefähr doppelt so schwer wie Dean ist, gab dieser schon nach einem kurzen lauten „Verpiss dich!" von Ron nach und ließ ihn gewähren, so wie Ellas Vater später erzählte.

„Sie kommen wieder," plappert Ella glücklich, als sie mir stolz ihre dampfende Teetasse präsentiert.
„Wer, Schätzchen?" frage ich matt. Meine Stimme ist ganz heiser vom vielen Übergeben und Weinen. Seit ungefähr zwei Stunden hat beides nachgelassen und ich bin völlig leer.
„Die Farben."

Fragend runzele ich die Stirn. Dieses Kind ist manchmal wirklich unheimlich.
„Wir müssen nur etwas finden, was dich wieder fröhlich macht. Ein dickes Kaninchen?" plaudert sie weiter. Ich zwinge mir ein Lächeln auf und versuche, nicht schon wieder zu weinen. „Dicke Kaninchen sind toll."

„Dann kommt jetzt ein dickes Kaninchen," erklärt sie und zeichnet weiter.
Ich beobachte sie still, doch alles, was ich sehe, ist schwarz und weiß, wie Philipps Fotografien.

Farbenspiel | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt