Auf dem Küchentisch steht eine Tupperbox mit einem Zettel darauf, als ich am nächsten Morgen aufstehe. Dean liegt noch im Tiefschlaf im Bett, ich habe nicht mitbekommen, wann er gestern Abend nach Hause kam.
Guten Morgen, damit du nicht wieder Kartoffelpuffer mit Ketchup zum Mittag isst, habe ich dir etwas Nudelauflauf vorbereitet. Es ist mehr als genug, vielleicht möchte Maddie ja auch etwas davon. ❤️ Dean
Lächelnd schüttele ich den Kopf. Die Tatsache, dass ich anderenfalls solches, in Deans Augen unwürdiges, Essen zu mir nehme, hat ihn vermutlich den Nudelauflauf extra noch gestern Abend zubereiten lassen.
In der U-Bahn finde ich sogar zwei freie Plätze und stelle den Beutel mit der Dose dreist neben mich. Einige Leute empören sich darüber, eine Frau wird von ohnehin schon gestresstem Stahlgrau zu Grauoliv, aber dann hält der Zug an Philipps Haltestelle und ich sehe bereits sein helles Elfenbein-Perlweiß und seine dunklen Wuschelhaare.
Als der Zug anfährt, bleibt er noch immer an der Tür stehen, hält sich an der oberen Laufstange fest und dreht seinen Kopf langsam. Ich beobachte grinsend, wie er vorsichtig nach mir Ausschau hält und als er mich schließlich entdeckt, wechselt seine Farbe zu Aschgrau.
Ich deute mit dem Kopf auf den Platz neben mir, der gerade noch todesmutig von meinem Nudelauflauf bewacht wird und Philipp schiebt sich vorsichtig durch die moosgrüne Masse. Als er bei mir ankommt, nehme ich den Nudelauflauf hoch und er lässt sich neben mich auf den Sitz nieder.
„Guten Morgen," lächele ich ihn an. „Ich habe dir einen Platz freigehalten."
In der Szene in meinem Kopf sehe ich gerade aus wie ein Hund, der freudestrahlend einen riesigen Stock bringt, in der Hoffnung, seinem Herrchen eine Freude damit zu machen. Okay, etwas zurückschrauben mit dem Grinsen, Ricardo.„Äh.. danke," murmelt er und sieht verlegen auf seine Hände.
„Tut mir leid, wenn ich gestern so brummig war," gehe ich direkt in die Offensive und er schaut mich überrascht an.
„I-Ich.. wenn ich irgendwas gesagt habe, das-" stammelt er los und ich schüttele vehement meinen Kopf.
„Nein, ich war einfach nur.." unterbreche ich ihn. „Keine Ahnung, nicht gut drauf. Es lag nicht an dir, okay?"Er nickt, doch das Aschgrau bleibt und ich befürchte, er glaubt mir nicht.
„Was ist da drin?" fragt er stattdessen und deutet auf meinen Beutel, in dem sich der Nudelauflauf befindet, der eben noch so mutig seinen Platz bewacht hat.
„Nudelauflauf," antworte ich.
„Nudelauflauf?"
„Nudelauflauf," wiederhole ich.„Okay," macht er, hinterfragt es aber nicht weiter. Ich grinse ihn von der Seite an und sage: „Wenn du möchtest, teile ich mit dir."
„Was?"
„Den Nudelauflauf."
„Ich möchte dir nichts wegessen."
„Es ist so viel, das schaffe ich im Leben nicht," stelle ich klar. „Also, natürlich nur, wenn du willst. Es sei denn, du bist allergisch."„Auf Nudelauflauf?"
Ich zucke mit den Schultern, registriere aber begeistert, dass das Aschgrau in seiner Färbung dem amüsierten Gelbgrün weicht.
„Wer ist denn allergisch auf Nudelauflauf?"
Ich reiße theatralisch die Augen auf. „Kennst du nicht die bekannte Nudelauflaufintoleranz?"Jetzt lacht Philipp und seine blauen Augen glitzern wieder dabei. „Nein, noch nie gehört," sagt er ernst und steht auf, da der Zug bereits unsere Haltestelle erreicht hat.
Auf der Rolltreppe - er lässt mich vor - kichert er aber hinter mir und als ich ihn ansehe, hat seine Färbung einen cyanfarbenen Ton angenommen.„Aber es gibt die Pastaphobie," grinst er.
„Ist das so?" lache ich.
„Ja," nickt er ernst, doch seine Augen funkeln verschmitzt dabei. „Das ist sehr, sehr hart für die Betroffenen."
„Hm," überlege ich. „So ein Leben ohne Nudeln stelle ich mir auch hart vor."
„Nun, wir beide könnten zumindest noch von Kartoffelpuffern mit Ketchup leben."Ich lache laut los und heute bin ich derjenige, der das Ende der Rolltreppe verpasst und ins Straucheln gerät. Gerade noch rechtzeitig packt Philipp meine Hüfte und zieht mich, samt Beutel mit Nudelauflauf, zurück an sich und geleitet mich sicher über die Kante.
„Diese Rolltreppen sind ganz schön hinterhältig," murmelt er und ich starre ihn verdattert an.Mein Herz schlägt ganz schnell und kurzzeitig sehe ich alle Farben doppelt so intensiv. Wie immer, wenn ich einen Adrenalinschub habe. Ich blinzele und nicke nur apathisch.
Eine stahlgraue Frau drängelt sich zwischen uns hindurch und meckert etwas wie „Super, wenn man im Weg steht" vor sich hin und ich bin noch zu perplex, um ihr etwas Sarkastisches hinterherzurufen. Stattdessen folge ich Philipp, der sich bereits in Richtung Ausgang bewegt.
„An was arbeitest du gerade?" will er wissen, schaut aber weiter geradeaus. Das Cyan ist verschwunden, stattdessen ist das Elfenbein-Perlweiß am Rande wieder zu sehen.
„Hm, nichts Konkretes," überlege ich. „Ein Kunde hätte gern weitere Ideen für einen Zahnpflegelutscher und ich habe mich irgendwie auf Hüte eingeschossen."„Hüte?"
„Ja."
„Wie passen Hüte zu Zahnpflege?"
„Ich habe keine Ahnung," lache ich. „Ich bin in dieser Hinsicht manchmal etwas merkwürdig."
Er läuft grübelnd neben mir her, als wollte er versuchen, meine Gedankengänge nachzuvollziehen, doch bevor ich ihm sagen kann, dass diese Mühe vollkommen vergeblich ist, sind wir in der Agentur und Maddie kommt uns gerade entgegen.„Guten Morgen, Lieblingskollegin," begrüße ich sie überschwänglich und küsse sie auf die Wange, als ich ihr meinen Kaffee abnehme.
Maddie runzelt die Stirn und Philipp ist nun fast vollkommen in seine elfenbein-perlweiße Wolke gehüllt. Er schaut verlegen umher und ich betone: „Heute bin ich kein Miesepeter, versprochen!"Maddie hebt eine Augenbraue, grinst aber dabei. „Na gut, ich will dir mal glauben. Wie geht's dir, Phil?"
Er zuckt förmlich zusammen, als sie ihn anspricht und sofort kommt das Aschgrau zurück. Mir wird noch schwindelig bei seinen Farbwechseln.
„G-ganz gut, denke ich," antwortet er verlegen.
„Ich nehme dich erst mal mit," kündigt sie an. „Aber wenn Ricardo frech zu dir ist, darfst du ihn hauen. Das machen wir hier alle so."Sie zwinkert mir zu und ich bedanke mich mit einem Luftkuss, den ich ihr mit dem Mittelfinger zupuste, bevor ich in mein Büro verschwinde.

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Farbenspiel | ✓
Novela JuvenilRicardo Cook hat eine besondere Gabe: er kann recht passabel zeichnen und er kann die Farben anderer Menschen sehen. Doch nicht alle Menschen haben die gleichen Farben und manche sind ein wahrer Regenbogen. ------------ ❝ Verzweifelt suche ich in me...