Miesepetrig, wie Maddie es genannt hat, bin ich tatsächlich den Rest des Tages und mache auch eine Stunde früher Feierabend als sonst. Ich habe keine Ahnung, warum ich heute so schlecht gelaunt bin, aber ich weiß, dass ich in solch einer Stimmung nicht gut arbeiten kann.
Ich schlendere also ins „True Colors", wo Elmer mich mit dem Klingeln des kleinen Glöckchens an der Tür freudig begrüßt. „Ich hatte schon Sorge, dass du Urlaub hast oder umgezogen bist und ich Insolvenz anmelden muss, Ricardo," lacht er.
„Sorry, Elmer," murmele ich gedankenverloren und gehe direkt zu dem Regal mit den feinsäuberlich sortierten Stiften. „Hatte viel um die Ohren."
„Und wer hat dir heute in deinen Kaffee gepinkelt?" fragt der ältere Mann und ich sehe ihn verwirrt an.„Ricardo," grinst er. „Ich mag nicht ganz so viel sehen wie du, aber schlechte Laune erkenne ich sofort. Besonders bei dir."
„Ach," winke ich ab. „Ich habe eben auch mal einen schlechten Tag." Ich ziehe einen aschgrauen Stift hervor und behalte ihn in der Hand.
„So, so," macht Elmer und gesellt sich zu mir. „Ich habe hier schönes Grasgrün. Ist deins nicht bald wieder leer?"
„Nein," seufze ich. „Davon habe ich genug."„Genug im Sinne von ‚Es reicht mir' oder ‚Ausreichend'?" will mein Lieblingsverkäufer wissen.
Was soll diese Fragerei? Ich runzele meine Stirn. „Ausreichend, denke ich," murmele ich und ziehe noch einen alarmroten Stift hervor, der zwar nicht hundertprozentig meiner Vorstellung entspricht, aber vorerst genügen wird. Wofür, weiß ich allerdings nicht.„Nur die beiden?" fragt Elmer.
„Ja," erwidere ich kurz angebunden.
„Okay," lacht er. „War schön, mal wieder mit dir zu plaudern, Ricardo."•••
Ich lungere vor dem Fernseher herum und zappe durch die Kanäle, ohne etwas Bestimmtes zu suchen oder überhaupt zu sehen, was auf dem Bildschirm läuft.
Das Geräusch des Schlüssels in der Wohnungstür signalisiert mir, dass mein lieber Freund Dean es heute tatsächlich einmal nach Hause schafft, bevor ich schlafe. Wie ehrenhaft von ihm.
„Hey," ruft er aus dem Flur und ich höre, wie seine Schuhe auf den Boden plumpsen.
„Hey," brumme ich zurück und schalte den Fernseher aus. Dean kommt ins Wohnzimmer und lässt sich neben mich aufs Sofa fallen. Er küsst meine Wange und ich spüre, dass seine Nasenspitze noch ganz kalt ist.
„Na?" macht er ganz außer Atem.Ich antworte nicht, sondern lehne meinen Kopf nach hinten und schließe die Augen. Was soll man auf ‚Na?' bitte antworten?
„Ricardo," seufzt er. „Bist du sauer?"
„Nein," erwidere ich langgezogen, öffne meine Augen jedoch nicht.
„Hey," kommt es von ihm und er nimmt meine Hand in seine kalten Finger. „Ich habe mich extra beeilt und dachte, wir machen heute Abend was-"„Danke, aber ich denke, ich gehe einfach ins Bett," unterbreche ich ihn und stehe auf. Wenn er jetzt wieder was kochen will, raste ich aus. Ohne seine Antwort abzuwarten, gehe ich ins Badezimmer.
•••
„Raus aus den Federn," werde ich am nächsten Morgen unsanft geweckt. Verschlafen und noch vollkommen zerknautscht blinzele ich, denn irgendjemand hat es gewagt, das Deckenlicht im
Schlafzimmer einzuschalten. Es ist Samstag und es ist noch dunkel draußen, also was zur-„Los, duschen, anziehen und dann geht's los," bestimmt Dean und ich stöhne auf: „Was?"
„Wir fahren weg," erklärt er und macht bereits seine Seite des Bettes. „Hopp, hopp!"
„Weg?"
„Ja, ich habe zwei Tage frei und ich will die Zeit nur mit dir verbringen," kündigt er an.
„Und wo willst du hin?"
„Mein Boss hat ein Ferienhaus in den Hamptons, da fahren wir hin. Komm', wenn wir rechtzeitig dort sind, können wir noch auf den Wochenendmarkt."Ich wälze mich müde aus dem Bett und reibe mein Gesicht. „Ich muss erst noch packen," stöhne ich.
„Das übernehme ich, während du duschst," bietet er fröhlich an. „Und wenn du fertig bist, wartet ein frischer Kaffee auf dich."
Er gibt mir einen Schmatzer auf die Stirn und schiebt mich ins Badezimmer.Noch vollkommen perplex dusche ich und mache mich fertig. Währenddessen überlege ich, dass ich vermutlich genau so etwas gerade brauche. Die letzten Wochen habe ich nur herumgehangen, vielleicht tut mir ein Tapetenwechsel ganz gut.
„Hast du-" beginne ich, als ich aus dem Badezimmer komme, doch Dean drückt mir bereits einen Thermobecher mit duftendem Kaffee in die Hand.„Stifterolle, Anspitzer, Skizzenblöcke," zählt er auf. „Wo ist denn der mit den schwarzen Seiten, den du letztens gekauft hattest?"
Verblüfft schaue ich mich um, denn er hat tatsächlich schon einen Koffer gepackt und dazu eine Tasche mit meinen Zeichenutensilien. Er sitzt davor und seine grasgrüne Färbung ist mit türkisblauen Wölkchen geschmückt. Wow, so viel Vorfreude habe ich selten in ihm gesehen.„Der.. äh.. ist noch im Büro," lüge ich.
„Sollen wir noch schnell im „True Colors" anhalten und dir einen Neuen holen?" schlägt er vor, doch ich schüttele den Kopf.
„Nicht nötig, denke ich," antworte ich. „Es wird auch so gehen."
„Dann mal los," klatscht er begeistert in die Hände.„Womit fahren wir?" frage ich verwirrt. In einer Stadt wie New York ist es praktisch die dümmste Idee, ein Auto zu besitzen. Es ist überall Stau, man erreicht alles schneller mit der U-Bahn und Parkplätze sind im Prinzip nirgends vorhanden und wenn, dann sind sie unbezahlbar.
„Ich hab uns ein Auto gemietet," verkündet Dean fröhlich und drückt mir die Tasche mit den Malsachen in die Hand.
„Wann hast du das alles organisiert?" frage ich verblüfft und trotte ihm, der bereits den Koffer zur Tür trägt, hinterher.„Naja, ich hatte es schon die ganze Woche im Hinterkopf und da du gestern Abend so früh ins Bett bist, hatte ich da ja genügend Zeit," lacht er.
Nachdem wir beide im Auto sitzen und uns angeschnallt haben, greife ich seine Hand.
„Tut mir leid," sage ich leise.
„Was jetzt?" fragt er mich und strahlt weiterhin grasgrün.
„Dass ich gestern so brummig war."
„Ich war ja in letzter Zeit auch nicht besonders.. präsent," entschuldigt er sich. „Darum tut uns so ein Wochenende sicher beiden ganz gut."Ich nicke und drücke seine Hand. „Danke, Dean."
„Danke, dass du mitkommst," lächelt er und küsst meine Wange, bevor er uns aus der Parklücke manövriert und wir in unseren Wochenendtrip starten.
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Farbenspiel | ✓
Teen FictionRicardo Cook hat eine besondere Gabe: er kann recht passabel zeichnen und er kann die Farben anderer Menschen sehen. Doch nicht alle Menschen haben die gleichen Farben und manche sind ein wahrer Regenbogen. ------------ ❝ Verzweifelt suche ich in me...