Bordeauxviolett

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Als meine Haltestelle kommt, stürze ich schon fast aus dem Zug, doch auf dem Bahnsteig sehe ich weder Elfenbein noch Aschgrau oder Wuschelhaare. Den kompletten Weg zur Agentur sehe ich mich suchend nach Philipp um, doch keine Spur von ihm.

„Hey," begrüßt Maddie mich verwirrt. „Alles gut bei dir? Hast du Phil heute früh gar nicht getroffen?"
„Ist er nicht hier?" frage ich atemlos, doch sie schüttelt nur ihren Kopf. „Ich dachte, er kommt wieder mit dir zusammen."
Sie gibt mir meinen Kaffeebecher und betrachtet mich prüfend. „Alles okay, Ricardo? Du siehst blass aus."

„Ich weiß nicht," murmele ich. Mein Herz schlägt ganz schnell und irgendwie ist mir auch ein bisschen schlecht. Außerdem wünsche ich mir, dass Philipp gleich zur Tür hereinkommt, damit ich ihm das mit Dean erklären kann.

Erklären? Was erklären? Dass ich einen Freund habe? Warum habe ich das Bedürfnis mich erklären zu müssen?
„Ricardo?" Maddie streicht über meinen Arm. Essigrot säumt ihr Grasgrün und ich weiß, dass ihre Sorge mir gilt.
„Ich gehe erst mal in mein Büro," kündige ich an. „Sagst du mir Bescheid, wenn Phil da ist? Oder schick ihn doch gleich zu mir."

„Wolltest du ihm nicht gestern noch schreiben?" will sie wissen und ich schüttele verwirrt den Kopf. „Ja, hab ich auch, aber.. schick ihn einfach zu mir, okay?"
„Du sagst, wenn etwas ist, ja?" hakt sie nach, doch ich winke ab und gehe in mein Büro.

Um zehn Uhr ist dieses Meeting mit Keppler, bis dahin muss er hier sein. Also starre ich auf meine Tür und lausche auf jedes kleine Geräusch draußen. Doch alles, was ich höre, sind die Schritte und Stimmen der anderen Kollegen, das Rattern der Kaffeemaschine oder das Summen des Kopierers.

Mein Telefon klingelt und ich hebe den Hörer ab, ohne meine Tür aus den Augen zu lassen. „Ja?" beantworte ich den Anruf.
„Ricardo, kommst du?" fragt Peter am anderen Ende. Überrascht sehe ich auf meine Armbanduhr und stelle fest, dass es bereits fünf vor zehn ist.
„Bin unterwegs," sage ich schnell und eile los zum Konferenzraum.

Als ich den Raum betrete, sehe ich Peter, Maddie und diesen Keppler bereits an der Blocktafel sitzen. Keppler ist ein hagerer, unscheinbarer Mann, der jedoch von einer schwarzroten Färbung umhüllt ist, die ich unheimlich finde. Wie bei Philipps elfenbein-perlweißer Färbung kenne ich die Bedeutung nicht genau. Er lächelt milde, als ich den Raum betrete und ein „Entschuldigung" murmele.

Keppler gegenüber sitzt jemand in Elfenbein mit bordeauxvioletten Flecken und ich erkenne an den Wuschelhaaren genau, wer es ist. Als ich mich zu Maddie setze, schaut Philipp mich für den Bruchteil einer Sekunde an, doch als sein Blick meinem ausweicht, übernimmt das Bordeauxviolett die Oberhand. Diese Farbe kenne ich. Enttäuschung.

Ich schlucke schwer und reiche unterdessen Keppler die Hand. „Ricardo Cook," stelle ich mich vor. „Ich bin der Grafiker."
„Fred Keppler," erwidert der Mann und hält meine Hand ein wenig zu lange fest. „Ich bin der Kunde."
Ich lächele verlegen und schaue wieder zu Philipp, der auf den Tisch starrt.
Die Gegensätze der Farben dieser beiden Männer machen mich völlig fertig.

„Dann können wir ja anfangen," freut sich Peter und geht zum Flipchart, auf dem bereits die ersten Vorstellungen des Kunden aufgeführt sind.

•••

Das Meeting dauert etwa drei Stunden und ich bin sicher, kurz vor dem Migränetod zu stehen. Philipp hat mich während der kompletten Zeit nicht einmal angesehen. Stattdessen wechselten seine Farben von aschgrau, wenn er angesprochen wurde, zu Elfenbein, wenn andere miteinander sprachen.

Generell sagte er kaum etwas, schob Keppler nur Beispiele seiner Fotos zu, die dieser mit großem Interesse betrachtete. Die Bilder zeigten mich, woraufhin Keppler mich wieder lange ansah und grinste, eine junge Frau mit schwarzen Haaren und dunklen Augen, die Philipp als seine Schwester vorstellte, und einige Landschafts- und Tierfotografien, die Keppler überhaupt nicht zu interessieren schienen.

Ich hingegen hing mit meinem Blick lange an den Tierfotos fest, denn sie hatten etwas unglaublich Anziehendes für mich, auch wenn alle in schwarz-weiß gehalten waren.

„Fotografieren Sie nur oder arbeiten Sie auch als Model, Mr. Wooding?" fragt Mr. Keppler Philipp geradeheraus.
Philipps Elfenbein wandelt sich augenblicklich in Aschgrau und ich merke, wie mein Kiefer sich anspannt, so fest beiße ich meine Zähne zusammen.

Maddie neben mir kichert und stupst mich in die Seite, doch ich ignoriere sie.
„Ich.. nein," stammelt Philipp und sieht beschämt auf seine Hände. „Das überlasse ich anderen."
„Schade," säuselt Keppler und legt nachdenklich seinen Finger ans Kinn. „Sie haben das perfekte Gesicht für meine neue Idee. Mr. Cook, meinen Sie, Sie könnten Mr. Wooding Tattoos aufmalen? Und vielleicht ein paar Narben?"

Entsetzt reiße ich die Augen auf, doch Peter sieht mich eindringlich an.
„Ich.. ich mache kein Bodypainting, Mr. Keppler," erkläre ich ernst. „Ich bin Grafiker."
„Natürlich," überlegt der schmierige Typ weiter. „Aber wenn die Fotos fertig sind?"
„Dann schon," wende ich ein. „Allerdings sagte Mr. Wooding ja bereits, dass er nicht als Model zur Verfügung steht."
„Das bleibt abzuwarten," grinst Keppler und steht auf.

„Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit, meine Herrschaften," verkündet er. „Mrs. Flemming, bitte schlagen Sie mir einige Modelle vor. Groß, dunkelhaarig, gern mit tiefblauen Augen."
Beim letzten Satz sieht er Philipp eindringlich an und ich balle meine Hand zur Faust. Was fällt ihm ein?

Peter und Maddie begleiten den Kunden nach draußen und ich eile um den Tisch zu Philipp.
„Philipp," sage ich leise. „Können wir-"
„Ich habe gleich noch einen Termin," weicht er mir aus und will bereits aus dem Raum gehen.

Seine Färbung nimmt einen Ockerton an und ich packe seinen Arm. Ich sehe, dass er lügt.
„Du kannst auch ehrlich sein und sagen, dass du nicht mit mir reden willst," sage ich ernst.
Er atmet tief durch und das Bordeauxviolett, gemischt mit dem Aschgrau und dem Elfenbein kommt zurück. „Es gibt auch nichts zu reden," sagt er leise.

„Ich finde doch," widerspreche ich, doch er schüttelt seinen Kopf. „Ich hätte es dir sagen sollen."
„Was?" fragt er und lacht unecht. Er zieht seinen Arm aus meinem Griff und geht durch die Tür aus dem Raum. „Ist ja nicht so, dass du mir Rechenschaft schuldig bist."

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