Azurblau

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„Ich.. äh.. schätze, wir sollten uns umziehen," murmelt Philipp nach einiger Zeit, seine Lippen liegen noch immer an meinem Hals und auch ohne meine Augen zu öffnen, weiß ich, dass er mich nicht ansehen will.
„Hm," mache ich. „Ich habe nur leider keine Wechselsachen dabei."
„Das macht nichts," kommt es von ihm und ich lehne mich nun doch zurück, um ihn fragend anzusehen.

„Du meinst, ich sollte den Rest des Tages einfach ohne Hose mit dir auf diesem Boot verbringen?" kichere ich. „So einer bist du also."
Philipps Wangen werden rot und wie erwartet färbt er sich ein wenig Aschgrau, aber ich erkenne auch Lavendel, Cyan und ein wenig Nachtblau. „Nun, dagegen hätte ich ganz sicher nichts," antwortet er grinsend. „Aber ich hätte auch eine andere Lösung."
„Sag' nicht, du hast zufällig immer zwei Ersatzunterhosen dabei."

Er nickt ernst und erwidert: „Natürlich. Und um ehrlich zu sein, finde ich es mehr als bedenklich, dass das bei dir nicht der Fall ist."
Ich lache laut los und schüttele ungläubig den Kopf. Ich weiß nicht, wann er seine Schüchternheit abgelegt hat, ob er sie vielleicht im Auto auf dem Parkplatz oder gar in New York City vergessen hat, aber ich mag diesen ausgelassenen, witzigen Philipp.

„Ich habe ein.. Haus hier," gibt er schließlich zu und blickt mich interessiert an.
„Im Ernst?" frage ich verblüfft und er nickt.
„Es ist klein.. also wirklich klein, aber ich habe es selbst gebaut und es reicht für mich und.." plappert er und wird nun doch wieder überwiegend von dem üblichen Aschgrau und Magenta umfangen.
„Moment," unterbreche ich ihn. „Du hast ein Haus selbst gebaut?"
„Es ist nur sehr klein," wiederholt er und ich lache.
„Du hast ein fucking Haus gebaut und ich schaffe es nicht mal, ein Bücherregal mit Anleitung zusammenzubauen, ohne hinterher in die Notaufnahme zu müssen."

„Du musstest in die Notaufnahme?" fragt er kichernd.
„Zwei linke Hände," sage ich und halte meine Hände hoch. Philipp legt seine Handflächen gegen meine und verschränkt unsere Finger. „Ich finde deine Hände sehr schön und so untalentiert können sie gar nicht sein, so gut, wie du zeichnest."
Ich lächele beschämt und küsse vorsichtig seinen Mund. „Aber alles Handwerkliche liegt mir rein gar nicht. Darf ich es sehen?"
„Was jetzt?"
„Dein Haus, was dachtest du denn?"

Philipp weicht meinem Blick aus und an seinen roten Wangen erkenne ich, dass er wohl an etwas anderes dachte. Etwas umständlich klettere ich von seinem Schoß und lasse meine Hand noch einmal durch seine Haare fahren. „Erst mal nur das Haus," säusele ich und er grinst schief, bevor er nach den Paddeln greift. Ich setze mich an die Stelle, an der er vorher saß und schon bewegen wir uns über den See zurück zu dem kleinen Steg, an dem wir gestartet sind.

Erst von hier aus kann ich erkennen, dass weiter oberhalb des Stegs an der Uferböschung ein winziges Holzhaus steht. Es hat ein spitzes Dach, dessen eine Hälfte komplett aus Glas ist, einen kleinen Schornstein auf der anderen Seite und sogar eine kleine Veranda. Es ist das winzigste und hübscheste Haus, das ich je gesehen habe und ich ziehe meinen Skizzenblock hervor und beginne, das Häuschen zu zeichnen.

„Es nennt sich Tiny House," erklärt Philipp, während er das Boot gekonnt über das Wasser paddelt. „Es war ein Bausatz und ich brauchte mehrere Monate, es fertigzustellen, aber es ist meins und ich liebe es." Stolzes Azurblau umhüllt ihn und ich beobachte ihn ehrfürchtig.
„Das glaube ich dir sofort," sage ich. „Es ist perfekt."
„Naja," lacht er. „Man muss immer mal was machen, aber im Großen und Ganzen ist es das. Es hat eine Photovoltaikanlage und erzeugt selbständig Strom, einen winzigen Kamin und auch einen Wassertank. Man kann kochen, duschen und wirklich länger dort wohnen. Letzten Sommer war ich fast die kompletten Semesterferien hier."

„Es ist wirklich traumhaft, Philipp," flüstere ich und kann mich nicht entscheiden, ob ich ihn oder das kleine Fleckchen Erde, auf das er so stolz ist, lieber ansehen will. „Danke, dass du das mit mir teilst."
Er stoppt kurz die Paddel und sieht mich direkt an. „Abgesehen von meiner Familie bist du der Erste, dem ich es zeige," gibt er zu und ich schlucke schwer.

Bevor ich etwas sagen kann, paddelt er weiter und sagt fröhlich: „Ich habe auch genügend Klamotten dort und dann machen wir uns was zum Essen, jetzt bin ich nämlich wirklich am Verhungern."

Das Innere des Häuschens ist wohnlich und übersichtlich und ich fühle mich sofort wohl. Es gibt ein winziges Bad mit einer Toilette und einer Dusche, eine kleine Küchenzeile und über eine Leiter scheint man nach oben unter das Dach zu kommen, wo sich offenbar der Schlafbereich befindet.

Philipp öffnet einen Schrank, der nicht als solcher erkennbar ist und reicht mir eine Boxershorts. „Die anderen Sachen können wir gleich im See auswaschen und zum Trocknen in die Sonne hängen," erklärt er und ich gehe ins Badezimmer, um mich zu waschen und umzuziehen.

Als unsere Unterhosen gewaschen auf einer gespannten Leine am Ufer hängen, holt Philipp einen kleinen Grill hervor und stellt diesen auf dem Steg auf. „Kannst du den im Blick behalten?" fragt er. „Ich schaue mal, ob ich was gefangen habe."
Verwundert blicke ich ihm nach und sehe, dass ein Stück weiter zwei Angeln am Ufer stecken, die Philipp nun einholt. Nur an einer der Schnüre hängt ein Fisch, aber dieser ist so groß, dass Philipp begeistert in die Hände klatscht.

Während er den Fisch fachmännisch ausnimmt, verziehe ich mich in das kleine Haus und suche in der Küchenzeile nach Geschirr und Besteck.
Zusammen mit dem Essen aus dem Picknickkorb - hier finde ich Sandwiches, Obstsalat und kleine Gemüsespieße - bereite ich uns ein schönes Picknick auf der Picknickdecke direkt am Steg vor.

„Ich hab leider keinen Wein da," entschuldigt sich Philipp, als er sich schließlich zu mir setzt. „Findest du es schlimm, wenn ich dir nur Cola oder Wasser anbieten kann?"
Strahlend schüttele ich den Kopf. „Cola ist perfekt, Philipp."

Die langsam untergehende Sonne taucht den ganzen Himmel und den darunterliegenden See in ein traumhaft leuchtendes Orange. Mein Handy, das ich vollkommen vergessen habe, brummt in meiner Tasche.

Dean

Kommst du irgendwann
nach Hause?

Nein, Dean. Heute komme
ich nicht nach Hause. Mach
dir bitte keine Sorgen.
Wir sehen uns morgen.

Wo bist du?

Bist du bei IHM?

Ich beschließe, nicht darauf zu antworten, sondern schalte mein Telefon aus und genau in diesem Moment kommt Philipp mit zwei Flaschen Cola zurück.
„Der Empfang ist hier draußen grauenhaft," sagt er und reicht mir eine der Flaschen.
„Wem sagst du das," antworte ich. „Aber etwas Zeit offline tut einem mal ganz gut."

Farbenspiel | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt