Lichtgrün

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Auf der Fahrt zurück nach New York City sagen Philipp und ich nicht viel. Von der Unbeschwertheit der letzten vierundzwanzig Stunden ist nicht viel übriggeblieben und ich sehe bedauerndes Achatgrau und nachdenkliches Fernblau bei ihm.
Für mich fühlt es sich nicht nach einer Heimfahrt an, denn ich weiß, dass ich mich bei Dean nicht zu Hause fühlen werde.

„Wo soll ich dich absetzen?" fragt Philipp, als wir an einer roten Ampel halten und ich antworte leise: „Am ‚True Colors', danke."
Der Satz hallt in meinem Kopf nach. Danke? Wie bei einem Taxifahrer oder Chauffeur. Ich sehe ihn an, betrachte seine schönen Gesichtszüge und mir fällt ein, dass mein gesamter Skizzenblock voll ist mit Bildern von ihm, von seinen Details.

Ich krame den Block hervor und stecke ihn in das Handschuhfach vor mir. Philipp runzelt nur kurz die Stirn, sagt aber nichts.
Schließlich hält er vor Elmars Laden, der heute natürlich geschlossen ist.
„Danke," sage ich leise.
„Nicht dafür," antwortet Philipp und fummelt an den Knöpfen seines Autoradios herum.
„Nicht fürs Absetzen," stelle ich klar. „Für alles. Für das Wochenende und-"
„Schon gut, Ricardo," winkt er ab und sieht durch die Windschutzscheibe, als wollte er gleich wieder losfahren.

Ich sehe das Elfenbein zurückkommen, zusammen mit beigeroten Wolken und mein Brustkorb zieht sich schmerzhaft zusammen. Bereut er es?
Gern würde ich Philipp sagen, dass dieses Wochenende das Schönste war, das ich je erleben durfte, aber ich befürchte, er glaubt mir nicht und tut es als kitschig ab.

Also senke ich nur meinen Kopf und löse den Sicherheitsgurt. „Dann sehen wir uns wohl in der Agentur," murmele ich und er trippelt ungeduldig mit seinen Fingern auf dem Lenkrad herum.
„Ja, bis dann," sagt er nur und kaum, dass ich ausgestiegen und die Tür zugeschlagen habe, braust er davon.

Ich stehe da, mit meinem Rucksack in der Hand und fühle mich gerade so verloren, als hätte mich jemand mitten im Wald ausgesetzt.
Schwermütig mache ich mich auf den Weg zur U-Bahn und fahre zu meiner Wohnung.

•••

Aus dem Wohnzimmer höre ich den laufenden Fernseher, als ich Deans und mein Apartment betrete. Ist er nicht arbeiten? Der Fernseher geht aus und ich wappne mich für die Inquisition, die wohl gleich folgen wird.
„Ricardo?" ruft Dean und mit erstickter Stimme antworte ich: „Ja, hier."

Er kommt um die Ecke geeilt und blickt mich sorgenvoll an. Er ist ganz essigrot vor Sorge und atmet erleichtert auf. „Du bist zurück," sagt er und ich nicke, während ich meine Jacke aufhänge.
„Kön-Können wir reden?" fragt er zögerlich und ich nicke erneut. Wir müssen dringend reden und es ist besser, es hinter mich zu bringen.

Noch immer sitzt ein dicker Kloß in meinem Hals und ich spüre, dass meine Tränen drohen überzulaufen. Ich folge Dean in unser Wohnzimmer und setze mich neben ihm aufs Sofa. Er mustert mich aufmerksam und seufzt. Erleichtertes Lichtgrün umfängt ihn und lässt auch sein übliches Grasgrün wieder auftauchen.

„Pass' auf," beginnt er und knetet seine Finger. „Sowas passiert manchmal. Ich bin bereit, dir zu verzeihen. Sehen wir es als Ausrutscher, das kommt in den besten Familien vor."
Verwirrt sehe ich ihn an.
„Wir vergessen das Ganze und du erzählst mir lieber nicht, wo du warst und-"

„Es ist vorbei, Dean," unterbreche ich ihn und meine Stimme bricht. Dean lächelt und nimmt meine Hände in seine. „Das ist gut, Ricardo. Wir fangen einfach nochmal von vorn an und dieses Mal-"
„Nein, Dean," sage ich energisch und entziehe ihm meine Hände. „Mit uns ist es vorbei. Mit dir und mir."

Ungläubig weiten sich seine Augen und sein Mund. Verwirrtes Perlbrombeer zeigt sich und er stottert: „Aber.. du bist zurückgekommen. Ich dachte.. warum?"
Ich seufze und eine erste Träne läuft über meine Wange. „Es ist nicht genug," flüstere ich heiser.
„Nicht genug?" fragt er mit hoher Stimme.
Ich schüttele den Kopf. „Ich fühle mich wohl bei dir und es war alles schön, aber.. es ist nicht genug und das wurde mir jetzt klar."

Wütend springt Dean auf, zwischen dem Perlbrombeer sehe ich nun auch Grauoliv, von seinem sonst so ausgeglichenem Grasgrün ist nichts mehr zu erkennen.
„Aber er ist es?" schreit er. „Irgendein dahergelaufener Fotograf ist genug für dich?? Dafür schmeißt du unsere gemeinsamen Jahre weg, Ricardo?"

„Ich schmeiße sie nicht weg, Dean," schluchze ich verzweifelt. „Ich werde die Zeit mit dir nie vergessen, aber ich kann so nicht weitermachen. Es tut mir so leid, ich wollte dich nie verletzen, aber-"
„Aber? Dass du einfach verschwindest und mich hier voller Sorge zurücklässt, nicht wissend, ob du überfallen wurdest oder sonst was, das verletzt mich nicht? Hat er dich denn wenigstens ordentlich gefickt?" schreit Dean mich hasserfüllt an und ich weine nun bitterlich.

„Bitte sei nicht so, Dean," schniefe ich. „Ich wollte nie-"
„Doch, Ricardo," faucht er. „Du wolltest und du hast."
Damit geht er in den Flur und kurz darauf knallt die Wohnungstür so heftig zu, dass einer der Bilderrahmen auf unserer Kommode mit einem lauten Klack! umfällt. Das Bild darin zeigt Dean und mich an unserem einjährigen Jubiläum.

•••

Als Dean nach drei Stunden noch immer nicht zurück ist, gehe ich duschen. In einen kuscheligen Schlafanzug gehüllt lege ich mich ins Bett und versuche, Philipp anzurufen.
„Hi, hier ist die Mailbox von Phil. Sprecht nach dem Ton," höre ich nur und zögere kurz.
„Hi," sage ich erstickt. „Ich bin's.. Ricardo.. ich.. wollte nur hören, ob du gut nach Hause gekommen bist."
Ich lege auf und irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich keine Antwort auf meine Frage bekommen werde.

•••

Irgendwann muss ich eingeschlafen sein und bin wieder einmal dankbar für die moderne Technik, die mich morgens weckt, weil ich einen automatischen Wecker eingestellt habe. Wie erwartet habe ich keine Nachrichten auf meinem Handy. Keine von Dean und keine von Philipp.

Als ich ins Wohnzimmer komme, liegt Dean noch angezogen auf dem Sofa. Selbst seine Schuhe hat er noch an und seine sandigen Fußspuren sind in der ganzen Wohnung verteilt. Wieder stinkt es bestialisch nach abgestandenem Whisky und wer weiß noch was. Ich erkenne, dass seine linke Hand verbunden ist, hat er sich verletzt?

Seufzend ziehe ich ihm seine Boots aus, hole einen Besen, fege den Boden und wische anschließend noch. Dean bekommt von alledem nichts mit.
Ich gehe duschen und mache mich dann niedergeschlagen auf den Weg zur Arbeit. Wohl oder übel werde ich Maddies Angebot annehmen und vorübergehend bei Familie Flemming wohnen müssen.

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