Ich schlafe nur schlecht in dieser Nacht. Immer wieder wache ich auf, wälze mich umher und träume wirres Zeug von Grashalmen, Wuschelhaaren und Kochlöffeln.
Als ich nach dem Duschen in die Küche gehe, steht dort eine Lunchbox mit einem Zettel von Dean.
Es war noch etwas von der indonesischen Gemüsepfanne übrig, das kannst du heute Mittag essen. Ich bin spätestens gegen 17:30h zu Hause, wollen wir dann noch ein bisschen spazieren gehen? Du darfst dir noch überlegen, was wir heute Abend essen. ❤️ Dean
Mein Herz zieht sich krampfhaft zusammen und ich kann kaum atmen. Zu allem Überfluss vibriert auch noch mein Handy mit einer Nachricht von Philipp.
Philipp
Hey, alles okay
bei dir?Wie geht es Luca?
Es war nur eine
Beule, wie ich schon
vermutet hatte.
Nachmittags konnte er
schon wieder frech
werden :)Da bin ich froh.
Ricardo, was ist los?
Ich fahre mir mit der Hand über mein Gesicht. Was soll ich darauf antworten? Ich habe meinem Freund gesagt, dass ich nicht mehr mit ihm zusammensein will und er gibt sich die größte Mühe, mich wieder von sich zu überzeugen. Super Idee, um Philipp direkt in die Flucht zu schlagen.
Andererseits will ich ihn auch nicht anlügen und freue mich auch ein bisschen, dass ihm selbst über Nachrichten aufzufallen scheint, dass es mir nicht gut geht.
Philipp
Nichts, was ich jetzt
in einer kurzen Nachricht
zusammenfassen könnte.Dann schick mir eine
lange Nachricht.Später vielleicht, okay?
Ok.
Oh, oh. Vermutlich denkt er, dass ich ihm ausweiche oder dass es etwas mit ihm zu tun hat.
Philipp
Es ist nur gerade sehr
chaotisch bei mir.Verstehe schon.
Nein, du bist bestimmt
wieder Beigerot oder
dieses Elfenbein.Beigerot?
Reue. Du bereust, dass
du gefragt hast.Kannst du Farben über
Nachrichten sehen?Nein, aber ich kann es
bei dir offenbar auch so
erahnen. Und es hat nichts
mit dir zu tun. Ich weiche
dir nicht aus.Okay.
Wann sehen wir uns wieder?
Beim letzten Satz klopft mein Herz etwas schneller. Findet er das vielleicht zu aufdringlich? Bin ich zu aufdringlich?
Philipp
Ich muss bis fünf
arbeiten.Heute ist es bei mir eher
schlecht, aber was ist mit
morgen?Morgen wollte ich
fotografieren fahren.Oh. Wo denn?
Im Bear Mountain
State Park. Hättest du
denn Lust, mitzukommen?Störe ich dich nicht dabei?
Ich denke nicht. Aber ich
bin vermutlich ziemlich
langweilig, wenn ich
fotografiere.Ich bin auch langweilig,
wenn ich zeichne.Bist du garantiert nicht,
Ricardo! Soll ich dich
abholen?Können wir uns in der
Stadt treffen? Ich würde
mir vorher gern noch
ein paar neue Stifte
holen.Okay, wo denn?
In der Nähe der
Agentur ist das True
Colors. Sagen wir so
gegen 11?Perfekt. Dann sehen
wir uns dort. Ich freu
mich.Ich mich auch.
Seufzend stecke ich mein Handy ein und sehe wieder auf den Zettel von Dean. Ich lasse ihn zusammen mit der Lunchbox auf dem Tisch stehen und mache mich auf den Weg in die Agentur.
In der U-Bahn sehe ich das gleiche moosgrüne, stahlgraue Menschengedränge wie jeden Morgen, doch ich habe nicht das Bedürfnis, irgendjemanden dieser Menschen zu zeichnen.
„Wie geht es dir?" fragt mich Maddie wenig später, als sie mir meinen Kaffee reicht. Besorgtes Essigrot wabert durch ihr sonst so helles Grasgrün und ich weiß, dass sie sich um mich sorgt.
„Beschissen," antworte ich wahrheitsgemäß.
„So schlimm mit Dean?" will sie wissen und plötzlich entgleitet mir ein kleines Schluchzen.Ich eile in mein Büro, denn das Letzte, was ich will, sind neugierige Blicke von Kollegen, weil der exzentrische Ricardo einen Heulkrampf hat. Maddie flitzt mir hinterher und schließt schnell die Tür hinter sich, während ich mich auf das Sofa in meinem Büro fallen lasse und mir die Tränen über mein Gesicht strömen.
„Er denkt, es liegt an ihm," schniefe ich. „Er hat gesagt, er will mehr Zeit mit mir verbringen und für mich da sein und.. er war so verletzt."
Die Worte sprudeln nur so aus mir heraus und Maddie hört mir geduldig zu.
„Ich habe gesagt, dass es keine Phase ist und er war so traurig und das wollte ich nie, aber ich kann auch nicht mit ihm zusammensein und er hat mir eine Lunchbox gemacht und ist so nett und ich bin einfach so ein Arschloch."Ich weine nun richtig und schluchze unkontrolliert, als Maddie zu mir kommt, sich auf die Armlehne des Sofas setzt und mich an ihre Brust zieht. Sie ist nun vollkommen in fürsorgliches Pastellgelb gehüllt. Liebevoll streichelt sie über meine Wange und redet beruhigend auf mich ein: „Du bist kein Arschloch, Ricardo. Niemand ist in dieser Situation der Schuldige. Du kannst nichts dafür und es ergibt keinen Sinn, mit Dean zusammenzubleiben, wenn du unglücklich dabei bist."
„Er macht mich ja nicht unglücklich," schniefe ich.
„Aber macht er dich denn glücklich?" fragt meine weise Kollegin und ich schüttele den Kopf. „Es ist irgendwas dazwischen," gebe ich zu.
„Und es ist nicht genug," redet sie mir zu. „Du verdienst das volle Glück, Ricardo."
„Und wer sagt, dass ich das mit Philipp finde?" zweifle ich.
„Niemand sagt das, Ricardo," lächelt sie und wischt mir eine Träne von der Wange. „Aber lieber versuchst du es und scheiterst dabei, als dich dein ganzes Leben lang zu fragen, ob du mit ihm vielleicht glücklich geworden wärst."Ich schniefe und schaue sie fragend an. „Wann bist du so weise geworden, Maddie?"
Sie lächelt und streicht mir über die Wange. „Ich schätze, ich habe so meine lichten Momente."
Dankbar umarme ich sie und sie erwidert die Umarmung ebenso herzlich.
„Mein Angebot steht, Ricardo," beteuert sie erneut und ich nicke.
„Vielleicht komme ich darauf zurück, aber ich versuche es erst einmal so."
„Ich weiß, es wird schwer, aber bleib stark," sagt sie. „Und ich bin jederzeit für dich da."
„Danke, Maddie," seufze ich und umarme sie erneut.„So," lächelt sie und wischt mir die verbliebenen Tränen vom Gesicht. „Magst du mir vielleicht beim Brainstorming für das Keppler-Projekt helfen? Nächste Woche ist das erste Shooting und ich könnte gut einen kreativen Kopf gebrauchen."
Dankbar für diese Ablenkung stimme ich zu und folge Maddie in ihr Büro.
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Farbenspiel | ✓
Teen FictionRicardo Cook hat eine besondere Gabe: er kann recht passabel zeichnen und er kann die Farben anderer Menschen sehen. Doch nicht alle Menschen haben die gleichen Farben und manche sind ein wahrer Regenbogen. ------------ ❝ Verzweifelt suche ich in me...