Graubeige

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Nachdem ich einen lavendelfarbenen, lächelnden Philipp mit Wuschelhaaren gezeichnet habe, packe ich meine Sachen zusammen und mache mich auf den Weg in die Agentur.

„Hey," werde ich überrascht von einer Maddie begrüßt, die trotz Mittagspause an ihrem Schreibtisch sitzt. „Ich denke, du machst heute frei."
„Ja," seufze ich und lasse mich auf den Stuhl ihr gegenüber fallen. „Mach ich auch."
Maddie hebt skeptisch eine Augenbraue und ich erkenne neugieriges Capriblau in ihrer grasgrünen Färbung.

„Du hast Redebedarf," stellt sie fest und ich nicke. „Geht es um Phil?"
Wieder nicke ich.
„Steht er auch auf dich?"
Ich versuche mir das Lächeln, das sich unweigerlich auf mein Gesicht schleichen will, zu unterdrücken, scheitere dabei aber gnadenlos. Also grinse ich verlegen und zucke vorsichtig mit den Schultern. Immerhin hat er es nicht direkt gesagt, aber..

„Oh mein Gott," quietscht Maddie aufgeregt, springt von ihrem Schreibtisch auf und flitzt zu ihrer Bürotür.
„Was hast du vor?" rufe ich, denn meine Gedanken machen sich sofort wieder selbstständig und in der Szene in meinem Kopf rennt Maddie schreiend durch die Agentur, ruft jedem, der es wissen und auch jedem, der es nicht wissen will, zu: „Ricardo steht auf Phil und Phil steht auf Ricardo!" und erzeugt dann am Kopierer ungefähr eintausenddreihundertsiebenundsechzig Wurfzettel, auf denen genau das steht, und wirft diese aus dem
Fenster, damit sie wie Schnee über die ganze Stadt verteilt werden.

Doch nichts dergleichen geschieht, Maddie schließt lediglich die Tür und kommt aufgeregt zu mir zurückgeeilt. Sie setzt sich vor mir auf ihren Schreibtisch, nun vollkommen in Capriblau gehüllt und sieht mich erwartungsvoll an.
„Was?" mache ich lachend und sie lacht ebenfalls.
„Jetzt erzähl schon!" ruft sie aufgeregt.
„Was soll ich denn erzählen?"
„Wie wär's mit allem?"

Ich seufze und fahre mit den Händen über mein Gesicht. „Ich war bei ihm," murmele ich.
„Und?"
„Wir haben geredet."
„Worüber?"
„Über alles Mögliche."
„Und?"
„Nichts und."
Maddie sieht mich enttäuscht an. „Mehr nicht?"

„Heute früh hab ich ihn in der U-Bahn getroffen," erzähle ich weiter.
„Ich denke, du hast frei?" wundert sie sich.
„Das hab ich erst danach entschieden."
„Wonach?"
„Nachdem ich ihn geküsst habe."
Maddies Augen fallen ihr fast aus dem Kopf. „Du hast ihn geküsst?" schreit sie nun fast.
„Pscht!" mache ich. „Schrei doch noch lauter! Oder verteile gleich Wurfzettel in der ganzen Stadt, Maddie!"

„'Tschuldigung," kichert sie. „Warum hast du ihn geküsst? Okay.. Dumme Frage, natürlich willst du ihn küssen, aber-"
Gott, sie macht mich fertig mit ihrer Aufregung.
„Es hat sich so ergeben," seufze ich.
„Und dann?"
„Waren wir gemeinsam frühstücken und sind in den Park gegangen und haben noch mehr geredet," berichte ich. „Und haben uns noch mehr geküsst," füge ich nuschelnd hinzu.

„Oh, Ricardo," seufzt sie und liebevolles Altrosa umhüllt sie. Sie scheint sich sehr für uns zu freuen.
„Und wo ist er jetzt?"
„Er musste sich um seinen kleinen Bruder kümmern."
Gedankenverloren fummele ich an einem Fussel an meiner Hose herum.
„Und der Haken?" will meine aufmerksame Freundin nun wissen.

Ich sehe sie an und seufze. „Liegt auf der Hand," flüstere ich. „Dean."
„Du musst es ihm sagen, Ricardo," sagt Maddie ernst.
„Habe ich schon."
„Was?"
In dem Szenario in meinem Kopf beuge ich mich nach vorn, um ihre beiden Augen wie zwei Tischtennisbälle aufzufangen, weil sie nacheinander aus ihrem Gesicht purzeln, so weit reißt sie ihre Lider auseinander.

Doch keine Augen kullern mir entgegen, nur ihr Mund steht offen und ich erzähle weiter: „Er hat auf dem Sofa geschlafen und nachts bin ich zu ihm und habe ihm gesagt, dass ich jemanden kennengelernt habe, der mir nicht mehr aus dem Kopf geht."
„Oh, Ricardo," erwidert sie mitfühlend. „Was hat er gesagt?"
„Nichts," antworte ich. „Und heute früh, als ich aufgestanden bin, war er schon weg."
„Meinst du, er ist sauer?"

„Keine Ahnung, Maddie," fauche ich. „Wie ginge es dir denn, wenn Ron dir sagen würde, dass er ständig an jemand anderen denken muss?"
Maddie sieht nachdenklich aus und mitfühlendes Graubeige zeigt sich.
„Ricardo," sagt sie liebevoll und nimmt meine Hand. „Wenn du einen Platz zum Schlafen brauchst.."

„Ja, ja, danke," winke ich ab und weiche ihrem Blick aus. „Ich muss das erst mal klären."
„Du weißt es selbst gerade nicht, oder?" bohrt sie weiter. „Was du tun sollst."
„Nein," flüstere ich. „Das weiß ich wirklich nicht. Ich muss nachdenken."
„Ich bin für dich da," sichert Maddie mir zu. „Ob du einen Platz zum Schlafen brauchst oder nur ein Ohr.."
„Danke, Maddie," entgegne ich ehrlich und umarme sie fest. „Vielleicht komme ich darauf zurück."

•••

Zwanzig Minuten später betrete ich den Ort, an dem ich immer am besten nachdenken kann. Das kleine Glöckchen verrät meine Ankunft im ‚True Colors' und Elmar kommt lächelnd an den Tresen.
„Hallo Lieblingskunde," begrüßt er mich freundlich.
„Hey, Elmar," antworte ich nur und gehe sofort zum Regal mit den vielen Stiften.
„Nachdenken?" fragt er nur und ich nicke. Bin ich so leicht zu lesen oder kennen mich meine nahen Freunde einfach nur zu gut?

Elmar und ich kennen uns technisch nur auf einer Kunden-Verkäufer-Basis, aber er zählt für mich dennoch zu meinen engsten Freunden. Schon von Anfang an verstanden wir uns auch ohne viele Worte und Elmar nimmt Dinge nie persönlich, weder wenn ich wortkarg bin noch in sehr redebedürftigen Phasen.

Nachdenklich streiche ich mit meinen Fingerspitzen über die verschiedenen Stifte und überlege.
Bin ich bereit, meine Beziehung zu Dean einfach zu beenden? Die gemeinsame Zeit einfach hinter mir zu lassen für jemanden, der emotional das genaue Gegenteil zu Dean zu sein scheint?

Dean war immer mein Anker, meine Zuflucht. Stets ausgeglichen und entspannt, egal, wie aufgewühlt oder hektisch ich selbst gerade war.
Aber was bin ich für ihn? Auch ein Anker? Oder nur der manchmal etwas sprunghafte, euphorische Ricardo, der sich schon wieder beruhigen wird?

Philipp hingegen ist so rätselhaft für mich, obwohl ich so viel an seinen Farben lesen kann. Er ist schüchtern, aber doch gewitzt und dann plötzlich mutig und entspannt. Kann das gutgehen?

Wenn ich in mich hinein höre, weiß ich, dass ich Dean noch mag, aber das ist eben alles. Ich mag ihn und ich will nicht, dass er verletzt wird. Aber meine Zukunft mit ihm verbringen? Ich fürchte, das will ich auch nicht.

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