Orange

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Ein Klicken lässt mich aufsehen und ich erblicke Philipp mit seiner Kamera vor dem Gesicht. Sofort kehrt das Aschgrau zurück, als ich ihn offenbar dabei ertappe, wie er mich fotografiert.
„S-Sorry," murmelt er und schaut beschämt auf den Apparat in seinen Händen.

„Nein, gleiches Recht für alle," winke ich ab.
„Darf ich sie auch fotografieren?" fragt er vorsichtig und zeigt auf die konzentriert malende Ella.
„Klar," antwortet diese nebenbei. „Aber du musst sie mir dann zeigen."
Philipp lacht leise und beginnt, mehrere Schnappschüsse von ihr zu machen.

Beim Fotografieren, während er den richtigen Winkel sucht, ist seine Farbe plötzlich ganz orange. Von dem üblichen Perlweiß oder auch dem oft prominenten Aschgrau ist nichts mehr zu sehen. Seine Gesichtszüge sind ebenfalls viel entspannter und er lächelt die ganze Zeit, während er Ella beim Malen fotografiert.

Ich beeile mich, die Bilder, die mir aufgetragen wurden, noch mit Farben zu versehen und lege ihm den Stapel dann vorsichtig auf den kleinen Tisch, der vor meinem Sofa liegt.
„Das hier auch noch," erklärt Ella und bringt mir ihr fertiges Kunstwerk von Philipp.

Er senkt die Kamera auf seinen Schoß und runzelt die Stirn. „Ich dachte, du wolltest mich malen und mir das Bild dann zeigen," wundert er sich.
„Aber die Bilder sind am Schönsten, wenn Ricardo sie ausgemalt hat."
In diesem Moment steckt Maddie ihren Kopf zur Tür herein und schaut erst kurz zu Philipp und dann zu ihrer Tochter.

„Schätzchen, kommst du kurz mit zu mir?" sagt sie in einem typischen Mama-befreit-euch-mal-Ton.
Ella zuckt mit den Schultern und sagt deutlich zu meinem Gast: „Aber du haust nicht ab, ohne dich von mir zu verabschieden."
Philipp hebt verblüfft die Augenbrauen und antwortet dann lächelnd: „Das würde mir im Traum nicht einfallen."

Ella betrachtet ihn misstrauisch und sagt dann: „Doch, du rennst ziemlich schnell weg. Aber sag' zumindest Auf Wiedersehen."
„Kommst du, Ella?" lenkt Maddie die Kleine ab und sie flitzt zu ihrer Mom aus meinem Büro.

Verblüfft sieht Philipp mich an, das Aschgrau ist zurück, offenbar hat Ella mit ihrer Aussage mal wieder genau ins Schwarze getroffen. Ich zucke lächelnd mit den Schultern und wende mich dem Bild zu, was Ella mir zuletzt gab.

Philipp ist sofort darauf zu erkennen, sie hat seine Wuschelhaare und seine Augen besonders betont. Der Rest ganz dünn gezeichnet, als würde man ihn gar nicht richtig sehen. Um seinen Kopf sieht man Gedankenblasen, in denen er selbst zu sehen ist wie er geht, fotografiert oder traurig aussieht, in anderen sieht man eine junge Frau mit schwarzen Haaren.

Ich bin nicht sicher, was Philipp sagen wird, wenn er das Bild sieht, aber ich kann es nicht ungeschehen machen.
Ich suche in meiner Stifterolle nach passenden Farben und male den fotografierenden Philipp orange, den Gehenden aschgrau und sowohl den kleinen, traurigen als auch den großen Philipp perlweiß und elfenbeinfarben, auch, wenn man es nicht gut auf dem weißen Papier erkennen kann.

Die schwarzhaarige Frau male ich grasgrün, sonnengelb, orange, zitronengelb und erdbraun an.

Das Klicken seiner Kamera lässt mich hochsehen und wieder lächelt er entschuldigend. „Sorry, du warst so konzentriert beim Aussuchen der Farben. Es ist nur ein Kinderbild, weißt du?" murmelt er.
„Ella ist nicht nur ein Kind," widerspreche ich. „Sie nimmt sehr viel mehr wahr als mancher Erwachsener."

Ich reiche ihm das Bild und erwäge kurz, meine Bürotür abzuschließen, denn ich rechne fest mit einer weiteren Flucht, obwohl er Ella versprochen hat, sich noch zu verabschieden.
Philipp betrachtet das Bild lange und runzelt seine Stirn.

„Warum ist Sannie so bunt?" ist das Erste, was er fragt und ich bin froh, auf meinem Schreibtischstuhl zu sitzen, denn anderenfalls hätte mich seine Reaktion buchstäblich umgehauen.
„Die Frau mit den schwarzen Haaren?" frage ich zurück und er nickt. „Sie wirkt einfach so."

„Hm," macht er und faltet das Blatt vorsichtig zusammen, um es in den Skizzenblock, den ich heute Morgen in der U-Bahn heimlich in seinen Rucksack geschoben habe, zu legen.

„Willst du gehen?" frage ich nun vorsichtig, denn in sein Aschgrau mischt sich wieder etwas Eisblau und ein Hauch von Alarmrot.
„Ja.. ich.." stammelt er verlegen. „Ich will dich auch nicht länger aufhalten."

„Tust du nicht," wende ich ein. „Ich wollte mir ohnehin etwas zu Essen in dem kleinen Bistro unten an der Ecke holen. Möchtest du mich vielleicht begleiten?"

Ich habe keine Ahnung, warum ich diesen Mann nicht einfach in Ruhe lassen kann. Ganz offensichtlich fühlt er sich sehr unwohl in meiner Gegenwart und ich schlage ihm ein Mittagessen vor.

Überrascht sieht er mich an und ich rudere schnell zurück: „Entschuldige, du hast sicher noch andere Termine oder Besseres zu tun. Ich wollte mich nicht aufdrängen."
„Gibt's dort auch Pizza?" fragt er zögerlich und ich nicke. „Okay."

Ich kann nicht anders und lächele ihn an. Irgendwie freue ich mich plötzlich so sehr, dass er nicht gleich wieder wegläuft und auch, dass er sowohl das Bild von ihm als auch den Skizzenblock nicht weggeworfen hat.

„Vielleicht sage ich Ella nur trotzdem schon auf Wiedersehen," fällt ihm ein und ich klopfe an Maddies Büro. Die Tür wird aufgerissen und Ella strahlt uns an. „Ja, bitte?" fragt sie wie eine kleine Empfangsdame.

„Ich wollte nur auf Wiedersehen sagen," erklärt Philipp und hockt sich vor sie.
„Was ist mit den Fotos?" will das Mädchen wissen.
„Die lasse ich Ricardo zukommen, sobald ich sie entwickelt habe. Auf Fotopapier sind sie viel schöner als auf dem kleinen Display."
Ella überlegt kurz und nickt dann zustimmend. „Bis bald, Phil," sagt sie und umarmt ihn.

Verblüfft schauen Philipp und ich uns an. Ella ist kein sehr berührungsfreundliches Kind, außer ihre Eltern und mich lässt sie sich kaum von jemandem anfassen.
„Auf Wiedersehen, kleine Ella," lächelt Phil.
„Das werden wir auf jeden Fall," erwidert sie nur und verschwindet wieder im Büro ihrer Mutter.

„Wow," lache ich, als Philipp und ich die Treppen nach unten gehen. „Normalerweise ist sie nicht so zutraulich bei Fremden."
„Tja," witzelt er. „Was soll ich sagen? Die Mädels fliegen auf mich."

Kurz werfe ich einen Seitenblick auf ihn und nicke dann nur, weil ich nicht weiß, was ich darauf antworten soll.

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