Schilfgrün

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„Ja," murmelt er verlegen und sein Blick entgleitet mir wieder. „Hat ein wenig gedauert, ich entwickle selbst, aber meine Entwicklerflüssigkeit war leer, darum musste ich neue bestellen und die Lieferung dauert leider immer ein wenig."
„Sie sind fantastisch geworden," erkläre ich und werde von einer moosgrünen Frau, die sich an uns vorbei zum Ausgang des Wagens drängt, noch dichter an ihn gedrückt. Hält er die Luft an?

„Hm," brummt er. Anscheinend scheint er meine Meinung nicht zu teilen.
„Machst du das beruflich?" versuche ich das Thema etwas lockerer zu gestalten, denn jetzt seinen Brief anzusprechen würde vermutlich dazu führen, dass er in seiner Panik die Notbremse zieht und dann wie von der Tarantel gestochen, eventuell an der Haltestelle an der Wagendecke hangelnd, eben diesen zu verlassen versuchen würde, um so viel Abstand wie möglich zwischen uns zu bringen.

„Fotografieren?" fragt er zurück und ich zucke kurz zusammen, weil ich fast sarkastisch geantwortet hätte: „Nein, an Haltestangen hängend U-Bahnwagen verlassen." Stattdessen nicke ich nur und sehe beschämt auf den Stoff seines rauchblauen Sweatshirts.

„Mehr oder weniger," sagt er, noch immer sieht er überall hin, nur nicht zu mir. „Ich verdiene mir ganz gut was damit dazu."
„Dazu?"
„Hm."
„Und sonst bist du Zirkusakrobat?" frage ich.
„Was?" Entsetzt sieht er mich an und ich lache leicht und zucke mit den Schultern.
„Sehe ich aus wie ein Zirkusakrobat?"

Ich schließe meine Augen und schüttele den Kopf. Er würde es nicht verstehen und wenn ich ihm jetzt erzählte, dass in meinem Kopf manchmal Szenarien ablaufen, die so nie stattfinden, würde er mich vollends als Freak abstempeln. „Sorry, war ein dummer Scherz," murmele ich. „Was machst du, wenn du nicht fotografierst?"

„Ich studiere Betriebswirtschaft," sagt er, klingt aber nicht besonders glücklich darüber. Als ich wieder zu ihm sehe, ist das Aschgrau etwas verblichen, stattdessen hat sich etwas Schilfgrün dazugetan.
„Und du siehst aus, als würdest du das total gern tun," witzele ich. Ertappt weiten sich seine Augen und das Aschgrau kommt rasant zurück.

„Ich.. ähm.." stammelt er. Der Zug hält an der nächsten Haltestelle und wieder werde ich gegen ihn gedrückt. Mit Bedauern stelle ich fest, dass es sich um meine Haltestelle handelt.
„Oh, ich muss leider," erlöse ich ihn und dränge mich zwischen den moosgrünen Leuten hindurch auf den Bahnsteig.

Schade, denke ich. Ich wüsste gern, warum er etwas studiert, was ihm gänzlich egal zu sein scheint und ob das vielleicht etwas mit dem ständig präsenten Elfenbein-Perlweiß zu tun hat.
„Ich soll die Firma meines Vaters übernehmen, dafür ist das Studium notwendig," sagt er auf einmal neben mir und ich zucke erschrocken zusammen.

„Oh, entschuldige," murmelt er verlegen und macht einen Schritt zurück, um mehr Abstand zwischen uns zu bringen. Leider eilen jedoch unzählige Menschen über den Bahnsteig, um entweder zur U-Bahn oder zum Ausgang zu gelangen und so stößt einer von ihnen Philipp unsanft zurück, so dass er hart gegen mich prallt. Instinktiv packe ich seine Oberarme, damit wir beide nicht stürzen.

„Oh Gott, sorry," faselt er, sein Gesicht nun tiefrot, während sein Aschgrau jetzt auch mit Alarmrot durchzogen ist.
Das Szenario in meinem Kopf lässt ihn die Menschenmenge teilen wie Moses das Rote Meer und dann fluchtartig den Bahnhof verlassen, eine aschgraue, elfenbeinfarbene Staubwolke hinter ihm.

„Bahnsteige zur Rushhour sind nur selten ein guter Ort für Unterhaltungen," versuche ich, die Situation aufzulockern.
„Wohl wahr," brummt er und beginnt tatsächlich, sich durch die Leute zu schieben. Da er die gleiche Richtung einschlägt, in der sich auch meine Agentur befindet, folge ich ihm einfach.

Auf der Rolltreppe nach oben stehe ich verlegen hinter ihm herum und beobachte fasziniert, wie erst das Alarmrot und ein wenig später auch das Aschgrau nachlassen. Diese elfenbeinfarbene-perlweiße Färbung kehrt zurück und Philipp starrt gedankenverloren vor sich hin. Hat er überhaupt mitbekommen, dass ich ihm gefolgt bin?

Ich räuspere mich leise und sofort kommt das Aschgrau zurück. Vorsichtig dreht er sich um und sieht mich mit seinen blauen Augen an.
„Sorry," lächele ich. „Ich muss auch hier lang. Nicht, dass du denkst, ich stalke dich."

Verlegen kratzt er sich am Hinterkopf und jetzt kommen auch die nervösen Magentaflecken zurück.
Dieser Mann ist echt ein Chamäleon, so oft wie er seine Farben wechselt.
„Ich denke, wir haben den gleichen Weg," erklärt er und stolpert fast, weil er das Ende der Rolltreppe erreicht hat.

Gerade noch rechtzeitig packe ich seinen Unterarm und verhindere so seinen Sturz. Geht das jetzt heute den ganzen Tag so weiter? Einer von uns droht zu fallen und der andere hält ihn fest.

„Danke," flüstert er und ich zucke mit den Schultern. „Danke für vorhin in der Bahn," antworte ich und folge ihm im gleichen Schritttempo zum Ausgang.
„Deine Kollegin hat mich angerufen," sagt er plötzlich und ich nicke zustimmend.
„Maddie war hin und weg von deinen Bildern," erzähle ich wahrheitsgemäß. „Sie braucht noch einen Fotografen für eine Kampagne."

„Eigentlich fotografiere ich gar nicht oft Menschen," wendet er ein und ich sehe ihn verblüfft an.
„Nicht?"
Er schüttelt den Kopf und sieht weiterhin auf die Straße vor uns, nie zu mir. „Lieber Tiere oder Landschaften. Am liebsten Tiere."
„Ich male selten Tiere," überlege ich laut und bemerke, wie er mich verwundert ansieht, aber sofort wieder wegschaut.
„Warum?"
„Sie sind nicht so.. bunt."

Statt mit einem Kommentar wie „Aber Tiere sind doch genauso farbig wie Menschen" zu antworten, nickt Philipp nur. „Darum mag ich sie auch lieber," sagt er leise, als wir an der Agentur ankommen.

Bevor ich seine Aussage hinterfragen kann, kommt uns schon Maddie entgegen. „Guten Morgen, ihr beiden," begrüßt sie uns freudig. Liebevoll umarmt sie mich und drückt mir meinen vollen Kaffeebecher in die Hand.
„Wie schön, dass Sie es so schnell einrichten konnten, Mr. Wooding," wendet sie sich nun an Philipp und schüttelt seine Hand mit den langen Fingern. „Setzen wir uns doch in mein Büro."

Beide entfernen sich den Gang entlang von mir und ich blicke ihnen nach.
Wooding. Interessanter Name, denke ich.

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