Ich starre nach oben durch das Glasdach und je länger ich in das weiße Band der Milchstraße über uns sehe, desto mehr Sterne entdecke ich. In meinem ganzen Leben habe ich noch nicht so etwas Schönes gesehen. Abgesehen von dem, was vor etwa zwanzig Minuten geschah. Das hat alles Bisherige in den Schatten gestellt.
Philipp kuschelt sich noch dichter an mich und ich streiche weiter gedankenverloren durch seine Wuschelhaare.
„Alles okay?" fragt er leise und ich lächele so glücklich vor mich hin, dass mir sogar Tränen in die Augen steigen.
„Alles perfekt," murmele ich und er seufzt leise.„Ich denke, ich weiß, was es bedeutet," flüstert er in die Dunkelheit und ich runzele kurz verwirrt die Stirn.
„Das Elfenbein," erklärt er und ich warte gespannt, was er erzählt. Philipps Hand streicht sanft über meine Seite, während er zu überlegen scheint.„Mein Eltern sind recht.. konservativ," beginnt er. „Beide sind im Golfclub, LionsClub und was weiß ich noch alles. High Society und immer auf ihren Ruf bedacht. Meine Mutter ist gefühlt schon immer Mrs. Harold Wooding gewesen und sagt meinem Vater in aller Regel, welchem Event sie als Nächstes beiwohnen, welche Gäste zur Dinnerparty geladen werden, das volle Programm.
„Sie sind nicht böse oder gemein, meinen Geschwistern und mir fehlt es an nichts, aber sie können sich nicht wirklich gut mit ihren Kindern beschäftigen. Schon immer hatten wir Hausangestellte, die sich um uns kümmerten und bei mir war es Eduardo, unser Hausmeister, der mir am meisten ans Herz wuchs. Von ihm lernte ich Handwerken und er nahm mich oft mit zum Angeln.
„Meine Eltern behandeln alle Hausangestellten wie Mobiliar. Es ist da und notwendig, wird aber nicht wirklich gesehen. Und so ähnlich war es auch manchmal mit uns Kindern, es sei denn, wir hatten Besuch oder wurden bei anderen Anlässen vorgeführt. Schon früh stand fest, dass ich einmal Dads Firma übernehmen werde. Sannie darf so ziemlich das tun, was sie möchte. Sie ist die Prinzessin und soll einfach nur einen guten Mann heiraten und dann Ehefrau sein, so wie meine Mom. Luca soll Finanzberater werden und mich über kurz oder lang in der Firma unterstützen."
Ich möchte etwas sagen, doch noch nie habe ich Philipp so viel am Stück reden gehört und so höre ich schweigsam zu, während ich weiter mit seinen dunklen Strähnen spiele.
„Eduardo hatte einen Freund, Sam. Sie waren unglaublich liebevoll zueinander und wir angelten oder werkelten oft zu dritt und Sam war auch derjenige, der mir zu meinem elften Geburtstag meine erste Kamera schenkte.
„Als meine Eltern herausfanden, dass Eduardo und Sam nicht nur Freunde, sondern ein Paar waren, ist meine Mutter total ausgerastet. Sie sagte, das, was sie täten, wäre widernatürlich und sie würden versuchen, mich auch schwul zu machen. Eduardo wurde fristlos gekündigt und ich sah keinen der beiden je wieder.
„Das war einen Tag nach meinem elften Geburtstag und da hatte ich nicht das geringste Interesse an irgendetwas Sexuellem. Das änderte sich natürlich nach einiger Zeit und als ich feststellte, dass mich Jungs eben mehr interessieren als Mädchen, erinnerte ich mich sofort an die Reaktion meiner Eltern bei Eduardo und Sam.
„Wann immer das Thema Partnerschaft oder Freundinnen bei uns zu Hause zur Sprache kam, erfand ich Namen und Geschichten und redete mich heraus, dass ich mich noch nicht festlegen wollte. Das war gar nicht nötig, denn nach dem zweiten Satz hört niemand mehr wirklich zu.
„Denn das ist es, was ich denke, das es ist. Unsichtbar. Ich fühle mich unsichtbar. Viele Menschen nehmen mich nicht wahr, am wenigsten meine Eltern. Es hat auch seine Vorteile, denn so konnte ich dennoch.. Erfahrungen sammeln. Auch, wenn die Jungs, mit denen ich das tat, mich meist nur auf Grund meines Autos oder meiner teuren Klamotten wahrnahmen. Für mich selbst interessierte sich eigentlich niemand."
Philipp spricht nicht weiter und ich schlucke schwer. „Du hast teure Klamotten?" frage ich, um die schwere Stimmung etwas aufzulockern. Er hebt seinen Kopf und sieht mich im Dunkeln an.
„Ich bin es nicht gewohnt, dass mich jemand sieht, Ricardo," gibt er zu und ist von reinstem, ehrlichen Weiß umgeben. „Nicht so wie du."Ich streiche über seine Wange und lächele ihn an. „Und ich bin es nicht gewohnt, dass jemand mich so in seinen Bann zieht," antworte ich. „Es gab schon viele Menschen, die mich fasziniert haben, aber wenn ich sie einmal gemalt hatte, waren sie.. aus meinem System. Du hingegen.. jedes Mal, wenn ich dich sah, hatte ich das unbändige Bedürfnis, deine Farben festzuhalten, dich zu zeichnen. Es wurde mit jedem Mal schlimmer und nicht besser. Und jedes Mal hatte ich das Gefühl, dass das, was ich zeichnete, nicht annähernd dem nahe kam, was ich versuchte darzustellen."
Er runzelt die Stirn. „Aber heute hast du nicht besonders viel gezeichnet," stellt er fest. „Hast du schon gen-"
Ich lege meinen Zeigefinger auf seine weichen Lippen und schaue ihn böse an. „Denk nicht mal im Traum daran, ich könnte genug von dir haben, Philipp," sage ich streng. „Zum einen habe ich diesen Tag heute einfach nur genossen und wollte die Dinge, die ich gesehen habe, nicht mit einem Blick aufs Papier unterbrechen und zum anderen.."„Ja?" fragt er, denn ich spreche nicht weiter. Ich versuche, ein Kichern zu unterdrücken, scheitere aber gnadenlos.
„Zum anderen?" hakt er nach.
„Zum anderen," gluckse ich. „Wäre es doch etwas unangebracht gewesen, meinen Skizzenblock zu holen und dich zu zeichnen, wenn du auf mir sitzt."Philipp kichert nun ebenfalls und legt sein Kinn auf meiner Brust ab. „Da hast du wohl recht," grinst er. „Das hätte mich schon etwas.. abgelenkt."
„Echt?" mache ich. „Du sahst recht konzentriert aus."
„Du aber auch," erwidert er und seine Zunge fährt über seine schönen Lippen. „Ich hätte dich gern fotografiert."
Ich lache laut auf. „Kamera im Bett? So, so. Für später, oder wie?"
„Auch das," grinst er verschmitzt. „Aber ohne kitschig klingen zu wollen, es war wirklich wunderschön."
„Das fand ich auch," flüstere ich und küsse ihn wieder.Philipp legt seinen Kopf auf meiner Brust ab und ich schiebe meine Finger wieder in seine Strähnen, während ich in die Sterne sehe und friedlich einschlafe.
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Farbenspiel | ✓
Teen FictionRicardo Cook hat eine besondere Gabe: er kann recht passabel zeichnen und er kann die Farben anderer Menschen sehen. Doch nicht alle Menschen haben die gleichen Farben und manche sind ein wahrer Regenbogen. ------------ ❝ Verzweifelt suche ich in me...