Beigerot

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Den restlichen Sonntag verbringen Dean und ich gemütlich im Ferienhaus. Wir gehen gemeinsam im dahinter gelegenen Wald spazieren, kochen uns etwas (okay, Dean kocht und ich decke den Tisch und begnüge mich damit, währenddessen den grasgrünen, kochenden Dean zu zeichnen) und machen sogar ein Mittagsschläfchen auf dem riesigen Sofa.

Viel zu schnell blickt Dean auf die Uhr und erinnert uns daran, dass wir zurück nach New York müssen, denn morgen hat uns der Alltag wieder. Wir packen zusammen und zurück nach Hause fahre ich. Während der Fahrt hält Dean meine Hand und lächelt mich an. „Das war wirklich schön," sagt er.
„Fand ich auch," stimme ich ihm zu und drücke seine Finger.

•••

Unsanft reißt mein Wecker mich am nächsten Morgen aus dem Schlaf. Dean liegt noch neben mir und scheint ihn gar nicht gehört zu haben. Ich küsse seine Stirn und tapse trotzig ins Bad.

Als ich mir gerade die Haare style, kommt mein Freund herein. „Oh, ich hab zu lange geschlafen," brummt er und legt seinen Kopf auf meine Schulter. „Du musst doch sowieso erst mittags im Restaurant sein," lache ich und tätschele seine Wange. Im Spiegel kann ich an seiner stahlblauen Färbung sehen, wie müde er noch ist. „Leg' dich wieder hin," weise ich ihn an.

„Aber ich wollte dir Frühstück machen," protestiert er. „Und eine Lunchbox."
„Eine Lunchbox? Bin ich jetzt wieder in der dritten Klasse?" lache ich. „Ich hole mir was im Bistro bei Gina."
Dean hebt skeptisch eine Augenbraue. „Kartoffelpuffer mit Ketchup sind keine Mahlzeit, Ricardo."
„Aber lecker," kichere ich und schiebe ihn etwas zur Seite, damit ich mich weiter anziehen kann. „Außerdem muss ich los, damit ich nicht zu spät komme."

„Morgen mache ich dir was," verspricht er und kriecht zurück ins Bett.

•••

In der U-Bahn kann ich heute keinen Platz ergattern. Ich dränge mich also zwischen den ganzen moosgrünen und stahlgrauen Leuten zur gegenüberliegenden Tür hindurch und starre durch die schmutzige Scheibe auf die dunkle Tunnelwand.

Vielleicht sollten Dean und ich eine ganze Woche wegfahren. Das Wochenende in den Hamptons war so bunt und entspannt und hat mir so gutgetan, wir sollten so etwas wirklich-

„Guten Morgen," sagt jemand neben mir und in der Reflexion der Scheibe sehe ich etwas in Magenta leuchten. Verwirrt drehe ich den Kopf zur Seite und da steht Philipp, heute Magenta mit aschgrauen Flecken und starrt auf den verklebten Boden des U-Bahnwagens.

„Hallo," brumme ich und will zurück auf die Tunnelwand starren, doch stattdessen werden meine Augen von seinem blöden Magenta angezogen. Wieso ist er ständig nervös und beschämt? Und warum muss er das in meiner Nähe sein? Am Freitag konnte er ja nicht schnell genug verschwinden, warum tut er es jetzt nicht auch?

Im schmutzigen Scheibenbild (als Spiegel kann man dieses graubraune Ding kaum bezeichnen) sehe ich, wie er verlegen seinen Hinterkopf kratzt und von einem Fuß auf den anderen tritt. Seine Farbe wird von seinem Elfenbein erfüllt und zugleich gesellt sich Beigerot dazu. Was hat er mit seinen Farben?

„S-Sorry," stottert er und ich kann sehen, wie er sich von mir wegdrängen will, doch die moosgrüne Masse will ihm keinen Durchgang gewähren.
„Schon gut," antworte ich etwas milder.
„I-Ich wollte nicht.." murmelt er und drängt sich noch immer weg von mir, das Beigerot nun sehr präsent neben dem Aschgrau.

Bereut er, mich angesprochen zu haben? Das ist doch lächerlich.
„Können Sie mal aufhören zu drängeln?" motzt ein stahlgrauer, fetter Glatzkopf ihn an und stößt ihn unsanft mit dem Ellbogen an. Philipps Beigerot wird noch deutlicher und ich sehe bereits alarmrote Flecken am Rand.

Sofort kommt mir die Szene von einem Philipp, der sich wie Spider-Man an der Decke des U-Bahnwagens entlanghangelt, um dieser Situation zu entkommen, wieder in den Sinn.

„Können Sie mal aufhören zu schwitzen?" schnauze ich den Fettsack an und ziehe Philipp zu mir an die Tür. „Wenn Sie so gestresst sind, sollten Sie vielleicht lieber zu Fuß gehen und nicht andere Leute in der U-Bahn anpöbeln!"

Der Fettsack dreht sich augenrollend weg und ich tue dasselbe. „Arschloch," brumme ich und Philipp starrt mich mit großen, blauen Augen an. „Oh," mache ich und schüttele den Kopf. „Nicht du."
„D-Du bist nicht gut gelaunt heute," stellt er fest und ich runzele die Stirn.

Eigentlich war ich sehr gut gelaunt bis.. ja, bis er kam. Und auch das lag nur daran, weil er mich an meinen Groll von Freitag erinnerte. Seit wann bin ich so nachtragend?
„Doch, ich.. ich war nur in Gedanken," rede ich mich heraus.
„Ich wollte wirklich nicht stören." Das Aschgrau und das Beigerot leuchten wieder, zum Glück ist das Alarmrot nicht mehr zu sehen, aber auch das mysteriöse Elfenbein ist wieder verschwunden.

„Schon gut," winke ich ab und überlege, wie ich das Thema wechseln kann. „Und? Hat Maddie dich am Freitag gleich in die Flucht geschlagen?"
Super Ricardo, warum fragst du ihn nicht gleich, warum er sich nicht verabschiedet hat? Und vielleicht fragst du dich auch gleich, warum dich das so geärgert hat.

„Maddie?" fragt er zurück. „Ach so, Mrs. Flemming."
Ich lache kurz auf und nicke. Ich kann mich noch immer nicht daran gewöhnen, dass jemand Maddie als Mrs. Flemming bezeichnet.
„Ich habe heute einen weiteren Termin mit ihr."
Überrascht reiße ich die Augen auf. „Du machst die Kampagne?"
Er zuckt mit den Schultern. „Wenn der Kunde mich will, vermutlich schon. Ist zwar nicht mein Traumengangement, aber ein guter Einstieg."

„Kennst du den Kunden?" frage ich zögerlich und er runzelt die Stirn.
„Muss ich?"
„Nein, aber vielleicht machst du dich schon mal schlau, was er bei vorherigen Projekten für Ansprüche hatte," schlage ich vor.
Philipp schüttelt den Kopf. „Ich denke, das würde mich nur beeinflussen. Erst einmal müssen sie mich ja annehmen und dann überzeuge ich lieber mit meinem eigenen Stil."

Ich hole Luft, um etwas zu sagen, entscheide mich dann aber dagegen. Der Zug hält an unserer Haltestelle und Philipp und ich drängen uns gemeinsam zur Tür. Und vielleicht trete ich dabei ganz aus Versehen sehr fest gegen die Achillessehne des stahlgrauen Fettsacks.

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