Gelborange

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„Oh," macht Philipp und lächelt verlegen. An seiner Atmung kann ich erkennen, dass er nervös ist. An seiner Atmung und an dem Magenta, das sich in seiner Färbung ausbreitet. „Es hat nicht immer Vorteile, dass du Farben sehen kannst."
„Hm," überlege ich. „Ich schätze, wenn du jetzt ein Foto von mir machen würdest, könntest du darauf auch einiges erkennen, was anderen Menschen verborgen bleibt."

Überrascht sieht er zu mir auf. „Meinst du?"
„Ist es nicht so? Du siehst die Menschen durch deine Kamera anders, oder?" bohre ich nach.
„Ich schätze schon," murmelt Philipp und sieht auf unsere noch immer verschränkten Finger. „Es ist, als würde man auf den Bildern ihre.. Essenz oder so sehen."
„Darum fotografierst du auch lieber Tiere, richtig?"

Das Gelborange von Verwunderung umhüllt ihn und seine blauen Augen mustern mich verblüfft. „D-Das hast du dir gemerkt?"
Ich zucke mit den Schultern und lächele ihn aufmunternd an. „Ich sagte, Menschen sind bunter als Tiere und du hast geantwortet, dass du darum auch lieber Tiere fotografierst."

Philipp nickt und trinkt einen weiteren Schluck von seinem Kaffee. „So ist es," stimmt er mir zu. „Tiere verstellen sich nicht oder versuchen, etwas anderes zu sein als sie sind."
„Im Gegensatz zu den meisten Menschen," überlege ich laut.
„Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie du diese Gegensätze erträgst," sagt er nun. „Du siehst immer die Wahrheit, aber auch das, was die Menschen versuchen, dir vorzugeben."

Nachdenklich lehne ich mich an den Stamm des Baumes zurück. „Um ehrlich zu sein, beachte ich die Fassade nie. Genauso wenig wie ich Aussehen oder Statussymbole beachte."
Interessiert werde ich weiter von ihm beobachtet und lache verlegen. „Also, mir entgeht natürlich nicht, wenn jemand gut aussieht, aber wenn derjenige dafür voller Neid, Missgunst und Egoismus ist, verliere ich schlagartig das Interesse."

„Vielleicht ist Elfenbein ja Egoismus?" bringt Philipp zur Sprache und ich runzele die Stirn.
„Egoismus ist Leuchtrot," stelle ich klar. „Das habe ich noch nicht bei dir gesehen."
Philipp lächelt verlegen und zieht wieder an einem Grashalm.
„Warum denkst du das?" will ich wissen, doch ich erkenne an dem bereuenden Beigerot und dem verschämten Aschgrau, dass er das Thema nicht weiter vertiefen will.

Ich seufze leise, als Philipp mir nicht antwortet und murmele dann: „Besonders gesprächig bist du heute aber nicht."
„Tut mir leid," flüstert er und das Beigerot wird noch deutlicher.
„Okay, pass auf," sage ich entschlossen und knie mich nun vor ihn.

Überrascht weicht er ein Stück zurück und sieht mich mit großen Augen an.
„Du kannst mit dem Entschuldigen aufhören, Philipp," sage ich. „Wenn du nicht reden willst, ist das okay. Ich habe auch nicht immer Lust zu reden. Ich bin ein ehrlicher Mensch und ich mag es, wenn man ehrlich zu mir ist. Also sag mir einfach, dass ich die Klappe halten soll oder dass du nicht reden willst, okay?"

„Okay?" macht er verblüfft und ich sehe das Lavendel wieder hervorkommen. Anscheinend habe ich ihn mit meiner Ansage nicht vergrault.
„Was möchtest du jetzt lieber tun?"
Philipp sieht beschämt auf seine Finger, die immer noch mit dem Gradhalm spielen. Das Lavendel ist durchzogen von Aschgrau, weil er sich offenbar schämt, aber davon habe ich jetzt genug.

„Schluss mit dem Schämen," meckere ich gespielt. „Raus mit der Sprache!"
„Ich denke, ich muss nicht reden," lacht er und ich sehe auch Gelbgrün und verschmitztes Cyan.
Oh Gott, wie gern ich ihn jetzt malen würde.
Sarkastisch hebe ich eine Augenbraue und auf einmal blitzt wieder entschlossenes Nussbraun in ihm auf.

Philipp beugt sich nach vorn und schnappt nach meinen Lippen. Reflexartig lege ich meine Hand an seine Wange und erwidere den Kuss. Wieder sehe ich alle Regenbogenfarben durch meinen Geist wallen, als unsere Zungen sich zärtlich und vorsichtig umspielen. Seine Lippen sind warm und weich und ein starker Kontrast zu den rauen Bartstoppeln, die ich unter meinen Fingern fühle.

Ich weiß nicht, wie lange wir dasitzen und uns küssen und ich mehr Farben sehe als bei meinem Kaubonbonwerbespot, aber ein leises Brummen unterbricht uns schließlich.
„Sorry," murmelt Philipp und löst sich von mir, um sein vibrierendes Handy aus seiner Hosentasche zu ziehen.

„Ja?" beantwortet er den Anruf und ich starre noch immer gebannt auf seine geschwollenen Lippen, über die er sich unentwegt mit der Zunge fährt.
„Oh, okay," sagt er. „Ja, mache ich. Er soll warten. Ich bin in zwanzig Minuten da."
Philipp beendet den Anruf und sieht mich entschuldigend an, nun von besorgtem Essigrot und Beigerot umhüllt. „Ich muss los."

Fragend sehe ich ihn an.
„Luca, mein kleiner Bruder, hat in der Schule eine Tür an den Kopf bekommen. Es scheint nichts Ernstes zu sein, aber die Schule ist immer übervorsichtig und meine Eltern können gerade nicht-" erklärt er schnell und ich lege meine Hand auf seinen Arm.

„Hey," mache ich. „Ist schon okay. Kümmere dich um Luca."
„Tut mir leid, Ricardo," seufzt er.
„Wir hatten gesagt, dass du mit dem Entschuldigen aufhören kannst," lächele ich und beginne, meine Stifterolle und meinen Skizzenblock einzupacken.
„Aber es tut mir für mich leid," wendet er leise ein. „Wegen mir hätten wir das noch ewig machen können."

Ich muss grinsen und nicke zustimmend, denn das Selbe empfinde ich auch.
„Ich hoffe, Luca hat wirklich nichts Ernstes," sage ich.
„Sehen wir uns wieder?" fragt er vorsichtig und ich runzele die Stirn.
„Das hoffe ich sehr. Bist du morgen nicht bei Maddie?"
„Nein, morgen bin ich bei meinem Vater in der Firma," erwidert er augenrollend.

„Oh," mache ich. „Habe ich dich jetzt mit dem freien Tag in Schwierigkeiten gebracht?"
„Ich denke nicht, sonst hätte sie wohl etwas gesagt."
„Ich fahre nochmal in die Agentur und kläre das für dich," biete ich an.
„Danke, Ricardo," lächelt er und sieht mich erwartungsvoll an.

Wieder lege ich meine Hand an seine Wange und presse meinen Mund sanft auf seinen. „Bis bald, Philipp," säusele ich und registriere freudig, dass er sich nach unserem Kuss wieder über die Lippen leckt, als wollte ihn für sich konservieren.

Mühsam steht er auf, winkt mir noch einmal unbeholfen zu und trottet dann in Richtung U-Bahn. Ich blicke ihm nach und sehe vermutlich sehr schwärmerisch in diesem Moment aus. Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass ich auch noch eine halbe Stunde hier bleiben kann, bevor ich zur Agentur aufbreche, um Maddie zu ihrer Mittagspause abzufangen und so ziehe ich meine Stifte und meinen Skizzenblock doch wieder hervor und beginne, noch einen Philipp zu zeichnen. Dieses Mal in Lavendel.

Farbenspiel | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt