Ich hatte Luca nicht noch mal geantwortet. Mir fehlten einfach die passenden Worte. Aber meine Laune war trotzdem wieder besser geworden. Das lag auch daran, dass die Kommunikation mit Marec wieder etwas besser funktionierte.
An dem Wochenende, an dem ich in Frankfurt gewesen war, war Flo zum Training in Oschersleben. Ich bekam davon nicht viel mit. Mir war nur klar, dass ein Anruf von meinen Eltern nichts Gutes heißen konnte.
„Flo ist Ende der Start-Ziel-Geraden gestürzt.", erzählte Mama ohne große Umschweife, „Papa ist gerade noch mit ihm im Krankenhaus. Er hat Schmerzen im Knie." „Schlimm?", fragte ich besorgt. Aber Mama konnte mir noch nichts Genaueres sagen: „Das werden wir gleich sehen, wenn der Arzt fertig ist."
Zum Glück durfte Flo noch am selben Tag wieder nach Hause. Er hatte eine Bänderdehnung im Knie, sollte aber noch mal einen anderen Arzt drauf schauen lassen. Aber auch diese zweite Untersuchung im Laufe der Woche brachte kein anderes Ergebnis. Selbst wenn damit eigentlich drei Wochen Sport-Pause angeordnet waren, ließ sich Flo seinen Start zwei Wochen später nicht ausreden.
Für diesen Donnerstag hatte unsere Fachschaft eine Party organisiert. Da wir mit unseren Professoren im Studiengang einen recht familiären Umgang pflegten, ließen sie die Freitagsvorlesungen ausfallen. Dafür wollten sie nur zur Party eingeladen werden. Da aber von denen eh fast nie jemand auftauchte und wenn nur für kurze Zeit blieb, war das noch nie ein Problem gewesen.
Ich hatte mich allerdings dieses Mal gegen die Party entschieden. Stattdessen nutzte ich meinen freien Freitag und reiste schon am Donnerstagnachmittag nach der letzten Vorlesung nach Oschersleben. Dort fand an diesem Wochenende der dritte Lauf der diesjährigen Junior-Cup-Saison statt. Doof war nur, dass zur gleichen Zeit die MotoGP in Frankreich Station machte.
Schon morgens war mein Auto voll beladen. So konnte ich direkt von der Hochschule aus losfahren und musste nicht erst noch mal im Wohnheim vorbei.
Mein Auto musste ich draußen vor dem Gelände auf einem extra Parkplatz abstellen. So wanderte ich jetzt mit meinen Taschen beladen durch das Fahrerlager und suchte unser Teamzelt.
Das noch nicht stand. Ich kam gerade pünktlich, um beim Aufbauen zu helfen. Großartig. Ich hatte absolut kein Problem damit zu helfen. Nur hatte mein Paps sehr genaue Vorstellungen davon, wie alles stehen sollte, die keiner von uns anderen kannte. Da kam es meistens zu einigen stressigen Situationen, denen ich einfach nur gerne aus dem Weg ging.
Als das Zelt schließlich stand und eingeräumt war, setzten wir uns erst mal an den Tisch zum Abendessen. Anschließend widmete sich jeder wieder seiner eigenen Aufgabe. Papa schraubte, Flo hing über dem Streckenplan und Mama und ich beseitigten die Spuren vom Abendessen.
Marec würde heute erst spät am Abend ankommen. Vermutlich lag ich dann selbst schon im Bett. Das bedeutete aber auch, dass ich eine Beschäftigung für den Abend brauchte. Papa wusste Abhilfe. Als er fertig mit dem Schrauben war, drückte er mir Wash&Wax-Spray und blaue Rolle in die Hand. Nachdem Flos KTM RC 390 blitzblank strahlte, ging ich relativ früh ins Bett.
Am Freitag hatte ich ein bisschen Glück. Die beiden Sessions, die der Junior Cup an diesem Tag hatte, fanden beide zeitgleich mit den ersten beiden Freien Trainings der Moto3 statt. Dadurch konnte ich direkt nach dem Freien Training und dem ersten Qualifying wieder vor dem Fernseher Platz nehmen und mir entspannt MotoGP und Moto2 anschauen. So entspannt das eben ging, wenn Vale, Fabio und Luca fuhren.
Es hatte in der Nacht geregnet und morgens zum Freien Training von Flo und Marec war die Strecke in keinem guten Zustand. An manchen Stellen war sie noch sehr nass, an anderen schon fast trocken. Mit diesen Bedingungen hatte Flo schon immer große Probleme gehabt. Zusätzlich steckte ihm auch noch der Sturz vor zwei Wochen auf dieser Strecke in den Knochen. Trotzdem schlug er sich ganz gut und beendete das Training auf Platz 11 und damit nur einen Platz hinter Marec auf dem 10. Platz.
In Frankreich regnete es bei anscheinend sehr kalten Temperaturen noch immer. Im Fernsehen waren überall Menschen in dicken Jacken zu sehen. Als ich über unsere Sat-Anlage endlich das richtige Programm gefunden hatte, begann gerade das erste Freie Training der MotoGP. Bei diesem ekligen Wetter wagten sich nur wenige Fahrer für mehr als drei, vier Runden auf die Strecke. Der Regen hörte zwar auf, doch die Strecke blieb bis zum Ende des Trainings nass. Erst in den letzten fünf Minuten fing sie langsam an abzutrocknen. Vale war mit dem 8. Platz sicherlich nicht zufrieden, denn er lag knapp 3,5 Sekunden hinter dem Schnellsten Jack Miller.
Die Ideallinie wurde auch im Moto2-Training immer trockener, aber es gab trotz allem noch nasse Stellen. Aus diesem Grund pushten die Fahrer alle noch nicht zu einhundert Prozent. Luca fuhr einige Runden mit konstanten Zeiten nacheinander und testete offensichtlich für das Rennen am Sonntag. Mit diesem Run setzte er sich auf Platz 9. Fabio hatte deutlich größere Schwierigkeiten, was sich an seinem 24. Platz zeigte.
Marec hatte sich die Sessions bei Kilian angesehen. Er kam erst hinterher wieder zu mir, blieb aber auch nicht lang. Denn die Vorbereitungen für sein eigenes Qualifying standen an.
Flo wollte erst nach dem Qualifying essen. Wir hatten früh in seiner Minibike-Karriere gelernt, dass er mit vollem Magen nicht fahren konnte. Ihm wurde dann immer schlecht.
Langsam groovte Flo sich wieder auf die Strecke ein. Leider waren die meisten anderen damit wie immer schneller. Auf der Zeitenliste nach dem ersten Qualifying stand er auf Platz 13. Marec machte sich zwar etwas besser, aber riss als 9. auch keine Bäume aus.
Vorsorglich hatte ich den Fernseher angeschaltet gelassen, sodass der richtige Sender noch eingestellt war. Nach dem Qualifying warf ich mich sofort wieder auf meinen Stuhl und verfolgte gespannt die letzten Sekunden des Moto3-Trainings. Jorge Martin beendete dort den Tag auf dem ersten Platz.
Es regnete wieder leicht in Frankreich. Trotzdem fuhren sich Vale, Luca und Fabio ein bisschen warm. Denn wenn es auch in den nächsten Tagen regnete, wäre es ein enormer Nachteil, keine Runde im Nassen gefahren zu sein. Vale beendete den Tag als 10., Luca auf Platz 5 und Fabio auf Platz 16.
Wieder hatte Marec nicht mit mir gemeinsam vor dem Fernseher gesessen. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, er wollte nicht bei mir sein, wenn Luca fuhr.
Doch auch jetzt dauerte es nach der Übertragung nicht lange, bis Marec bei uns im Zelt auftauchte.
„Habt ihr Lust auf eine Runde Phase 10?", fragte Flo. Er stand in der Tür des Wohnwagens und winkte uns mit der Spielverpackung. „Klar, komm ran!", rief Marec und machte ihm Platz am Tisch. Ich drehte mich um und fragte: „Willst du auch eine Runde mitspielen, Mama?" Sie sah von ihrem Buch auf und meinte: „Warum nicht? Ist ja noch ein bisschen Zeit, bis zum Abendessen."
Nach den ersten Phasen lag Flo vorn, aber auch Mama und ich waren gut dabei. Papa kam immer mal am Tisch vorbei, naschte vom Obstteller und erkundigte sich nach dem Spielstand. Sonst saß er aber wie immer am Motorrad und schraubte an was auch immer.
Am Ende zog Mama noch an Flo vorbei und machte uns alle nass. Nach dem Spiel räumte Marec gemeinsam mit Flo wieder auf, während ich mit Mama das Abendessen vorbereitete.
Zum Essen ging Marec zu seinen Eltern, doch hinterher dauerte es nicht lang, bis er mit Kilian und Felix im Schlepptau wieder auftauchte. Zu dritt saßen wir eine ganze Weile bei uns am Tisch. Meine Eltern waren heute selbst im Fahrerlager unterwegs und Flo hatte sich in den Wohnwagen verzogen. Er hatte abends gerne seine Ruhe.
„Drehen wir noch 'ne Runde?", fragte Felix schließlich. Kilian war sofort dabei. Marecs Blick glitt zu mir.
Ich war ein wenig überrascht. Vielleicht war auch das der Grund für meine schnelle Zustimmung.
Heute blieben wir zu viert. Wahrscheinlich waren alle anderen schon in kleinen Grüppchen losgezogen oder nicht unterwegs. Ich fand diese Konstellation am entspanntesten.
„Weißt du noch, als wir vor drei Jahren hier unterwegs waren?", fragte Marec, während wir im Halbdunklen auf dem Rettungsweg um die Strecke gingen. Wir waren inzwischen allein, denn die anderen hatten uns abgehängt.
„In dem Jahr ist so viel passiert.", überlegte ich, „Was genau meinst du?" Schmunzelnd meinte er: „Also zuerst habe ich ja an unser Flunky-Ball-Match mit Cola gedacht, aber dann ist mir das Bier-Pong-Duell von den beiden aus der Superbike eingefallen. Wie hießen die noch mal?" „Stefan und Calvin.", half ich ihm auf die Sprünge. „Ja, genau! Und dann musste ich noch daran denken, wie wir Felix wild knutschend mit Joshis Schwester hinter der Tribüne erwischt haben." Jenny.
Ich lachte leise. Dann meinte Marec: „Ich glaube, diesen Abend hat Jenny immer noch nicht überwunden." „Würde so einiges erklären.", fand ich. Zum Beispiel die bösen Blicke, sobald ich mich Felix näherte. Oder die absurden Vorwürfe vom letzten Mal.
„Aber den Abend am Sachsenring fand ich auch schön.", meinte ich dann. Na ja, bis zu einem gewissen Punkt. „Die Abschlussparty...", begann Marec. Damit meinte er die Saisonabschlussparty der Minibike-Saison. „...und danach einfach auf der Start-Ziel-Geraden sitzen...", fügte ich hinzu.
Marecs Blick schweifte in die Ferne, als er sagte: „Ja, der Abend war auch mega. Bis... also na ja, bis..." Tja, bis zu dem Moment in dem ich alles zerstörte. Das war der Abend gewesen, an dem ich ihm meine Gefühle gestanden hatte.
Danach war die Stimmung zerstört. Wir beendeten unsere Runde schweigend. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Aber diese Stille war schwer zu ertragen. Die Gedanken machten sich schnell selbstständig und drehten sich mehr um das, was schief lief, als um alles andere.
Es blieb bei einem flüchtigen Gute-Nacht-Kuss, als wir wieder vor meinem Wohnwagen angekommen waren. Meine Eltern saßen zu zweit noch im Zelt. Ich setzte mich noch eine Weile dazu.
Als meine Eltern ins Bett gegangen waren, nahm ich mir mein Handy und wählte Fabios Nummer. Ich wusste nicht, ob er noch wach war, aber jetzt gerade brauchte ich einfach seine Unterstützung.
Tatsächlich hob er nach dem dritten Klingeln ab. „Hey Vanessa.", er klang müde. „Hast du schon geschlafen?", fragte ich ihn schuldbewusst, doch er entgegnete: „Nein, ich... Nein, alles gut. Was ist los? Geht es wieder um Marec?" Es traf einen wunden Punkt in mir, als er sich schon denken konnte, warum ich anrief. Es schmerzte, dass es meine verkorkste Beziehung war und nicht unsere Freundschaft.
„Ja.", seufzte ich, „Aber irgendwie auch nicht so richtig." „Okay.", es raschelte im Hintergrund, „Erzähl." Ich hörte ihn gähnen und nahm mir vor, mich kurz zu halten.
„Ich vergleiche ihn ständig mit Luca.", maulte ich, „Und heute konnten wir kaum normal miteinander umgehen. Wir schleichen umeinander herum wie Katzen. Wir trauen uns beide nicht, zu sagen, was wir denken."
„Oh man, ich komm mir vor wie ein Kummerkasten.", seufzte Fabio eher beiläufig, sodass ich mir nicht sicher war, ob es für meine Ohren bestimmt gewesen war. „Ich... entschuldige bitte.", sagte ich schnell, „Ich hätte nicht mehr anrufen sollen."
„Doch!", rief er aus, „So war das nicht gemeint! Alles gut, ich möchte für dich da sein." Er machte eine kurze Pause: „Es ist nur, ich bin gerade erst von Luca gekommen. Da habe ich auch gerade schon ein paar Stunden einfach nur zugehört." „Oh.", mehr brachte ich in diesem Moment nicht über die Lippen.
In diesem Moment verschwanden meine eigenen Sorgen und alles, woran ich noch denken konnte, war Luca. Warum war Fabio bei ihm gewesen?
Fabio sagte mir natürlich nichts. Einerseits war das echt frustrierend, doch auf der anderen Seite wollte ich ja auch nicht, dass er meine Probleme vor Luca ausbreitete.
Schließlich entließ ich ihn. Er sollte ja besser auch noch ein paar Stunden Schlaf bekommen, wenn er morgen im Qualifying erfolgreich sein wollte.
Das zweite Qualifying vom Junior Cup am Samstag lag dummerweise genau im selben Zeitslot wie das dritte Freie Training der MotoGP. Obwohl ich wirklich mit Flo und Marec mitfieberte, war ich deshalb wohl nicht ganz bei der Sache.
Als mit dem 13. Platz für Flo und dem 11. Platz für Marec die Startplätze für beide Rennen morgen feststanden, wurde ich langsam ungeduldig. Flo wusste das. Er drückte mir seinen Helm in die Hand und bat mich: „Kannst du schon mal das Visier putzen?" Damit verschaffte er mir die perfekte Ausrede, um nicht bei ihm im Parc Ferme warten zu müssen.
Visier putzen war nicht unbedingt meine Lieblingsaufgabe, vor allem nicht, wenn der Helm frisch vollgeschwitzt war. Aber immerhin konnte ich so die letzten Minuten vom MotoGP-Training sehen und mir hinterher Fabio und Luca anschauen.
Womit man rechnen musste, wenn man bei offenen Zeltwänden im Teamzelt vor dem Fernseher saß und einen Helm putzte: Jeder Fahrer, der am Zelt vorbeikam, fragte mich, ob er seinen Helm gleich auch noch bringen könnte. Funktionierte übrigens auch ganz wunderbar, wenn man den Helm durch das Motorrad ersetzte.
Es waren nur noch ein paar Sekunden auf der Uhr gewesen, als ich den Fernseher angeschaltet hatte. Die Strecke in Le Mans war wieder nass, aber immerhin regnete es nicht. Vale war wohl ein recht ordentliches Training gefahren, denn sein Name stand an vierter Stelle.
Die Wolkendecke riss immer mal wieder auf und die Sonne schien durch die Lücken. Trotzdem trocknete die Strecke schlecht, sodass auch die Moto2-Fahrer mit Regenreifen losfuhren. Allerdings hatten sie sich anscheinend inzwischen an das schlechte Wetter gewöhnt, denn die Zeit waren deutlich besser als am Vortag. Das galt für Luca auf Platz 4, genauso wie für Fabio auf Platz 14.
Während der Qualis in Frankreich lief dann hier in Deutschland schon das Langstreckenrennen der German Speedweek, weswegen es für Flo und Marec heute bei einem Turn blieb. Die Strecke in Le Mans war jetzt so langsam trocken. Nach und nach kamen meine Familie und Marec dazu. Mama hatte für uns alle gekocht, sodass wir jetzt vor dem Fernseher essen konnten. In der Moto3 setzte sich Jorge Martin an die Spitze.
Danach folgte das vierte Freie Training der MotoGP, das Vale mit Platz 3 hervorragend nutzte und im Anschluss die beiden MotoGP-Qualifyings.
Der Ducati-Fahrer Andrea Dovizioso und der Lokalmatador Johann Zarco schafften den Sprung ins Q2. Im zweiten Quali dominierten die Yamaha-Fahrer. Vinales stand auf Pole, vor Vale und Zarco.
Seine erste Session auf wirklich trockener Strecke nutzte Luca gleich so richtig und lieferte das beste Qualifying seiner bisherigen Moto2-Karriere. Hinter dem Schweizer Tom Lüthi, Francesco Bagnaia und Franco Morbidelli setzte er sich auf Platz 4. Fabio hatte es dagegen deutlich schwerer. Er musste sich mit dem 20. Platz abfinden.
Marec scrollte neben mir durch Instagram. Ich saß daneben und langweilte mich. Mama bereitete das Abendessen vor, hatte aber meine Hilfe abgelehnt. Papa schraubte mal wieder.
Ich wollte ihn gerade fragen, wo Flo war, als der seinen Kopf aus dem Wohnwagen steckte und rief: „Spielst du mit mir Federball, Vanessa?" Dankbar sprang ich sofort von meinem Platz auf. Flo interpretierte das als „Ja" und ging mit Schlägern und Ball auf den asphaltierten Versorgungsweg vor unserem Zelt. Er reichte mir einen Schläger.
Wir stellten recht schnell fest, dass wir beide definitiv keine Meister im Federball waren. Entweder fehlte uns die Übung, oder wir waren doch einfach untalentiert. Am Ende war egal, woran es lag, dass wir im Schnitt weniger trafen, als wir daneben schlugen. Spaß hatten wir beide definitiv nicht zu knapp. Und wenn wir nur darüber lachten, wie doof der andere beim Verpassen der Schläge aussah.
Wir spielten bis zum Essen und auch danach noch eine kleine Runde. Dann ging Flo aber noch bei einem Kumpel vorbei. Also setzte ich mich zurück ins Zelt und schnappte mir mein Handy, um mit Fabio zu schreiben.
Irgendwann tauchte ein Schatten vor mir auf. „Ich drehe noch eine Runde mit den Jungs. Kommst du mit?", Marec sah mich erwartungsvoll an. Obwohl ich wusste, dass das schon seit Jahren eine Art Tradition geworden war, störte es mich heute.
Ich schüttelte den Kopf: „Ne du. Ich bleibe hier." Ein kleiner Teil von mir hatte gehofft, dass Marec bei mir bleiben würde. Das tat er natürlich nicht. Wieso auch?
Am Sonntag hatte der Junior Cup zwei Rennen auf dem Zettel. Das erste sollte kurz vor dem Start der Moto3 enden, aber durch das zweite Rennen würden wir den Start der MotoGP verpassen.
Die Warm Ups liefen nebenbei, während wir frühstückten und Flo sich auf sein erstes Rennen um 10 Uhr vorbereitete. Aus diesem Grund warf ich nur hin und wieder einen Blick auf den Bildschirm. Die Ergebnisse der Sessions waren Platz 23 für Fabio, Platz 7 für Luca und der 8. Platz für Vale.
Meine Viel-Glück-Nachrichten hatte ich schon heute Morgen verschickt. Auch an Luca. Ich hatte noch nicht mal Fabio erzählt, dass ich das inzwischen wieder machte.
Doch darüber konnte ich mir jetzt keine Gedanken mehr machen. Flo und Marec mussten in die Startaufstellung. Im üblichen Prozedere standen wir für etwa 10 bis 15 Minuten im Grid. Dann mussten alle Helfer die Strecke verlassen und die Jungs waren auf sich alleine gestellt.
Nach dem Start lief das Rennen ganze zwei Runden. Einer KTM war der Motor geplatzt und die Strecke war dadurch weiträumig verölt. Das musste erst gereinigt werden, bevor dort wieder gefahren werden konnte. Zum Glück waren es weder Flo noch Marec gewesen. Beide kamen nach dem Rennabbruch in die Boxengasse.
Wir schoben Flo in den Schatten des Boxenkomplexes. In der Sonne waren die Temperaturen doch schon recht hoch, vor allem wenn man in einer Lederkombi steckte. Um den Zeitplan nicht komplett über den Haufen zu werfen, wurde das Rennen auf acht Runden verkürzt. Es war jetzt also ein sogenanntes Sprintrennen. Nicht unbedingt ein Vorteil für Flo, der mit längeren Renndistanzen deutlich besser zurechtkam.
So zeichnete es sich auch dieses Mal ab. Er kam gerade in den Tritt und fing an, auf die Gruppe vor ihm wieder aufzuholen, als das Rennen abgewunken wurde. Als 12. war er nur noch eine halbe Sekunde hinter der Gruppe gewesen, in der auch Marec als 9. über den Zielstrich fuhr.
Durch die Verzögerung des Rennens und den Parc Ferme sahen wir von dem Moto3-Rennen nur noch den Zieleinlauf.
Zum Start der Moto2 herrschte in Le Mans strahlender Sonnenschein, also eigentlich perfekte Bedingungen. Doch Lucas Rennen ging nicht lang. Am Start machte er noch ordentlich Meter, musste sich aber in den folgenden Kurven etwas zurückfallen lassen. Kurve 11 wurde ihm schließlich zum Verhängnis. Durch eine Kollision mit Pasini verlor er die Kontrolle über sein Vorderrad und landete unsanft und ziemlich schnell im Kies.
Dagegen verlief Fabios Rennen schon fast unspektakulär. Als 18. überquerte er die Zielgerade. Das bekam ich jedoch schon nur noch aus den Augenwinkeln mit, denn die Vorbereitungen für das zweite Junior Cup-Rennen waren in vollem Gange. Nur aus diesem Grund hatte ich auch noch keine Zeit, mir Sorgen um Luca zu machen.
Erst als ich die Startaufstellung zu Rennen zwei verlassen hatte und an der Boxenmauer auf den Start wartete, schnappte ich mir mein Handy und dachte kurz darüber nach, Luca zu schreiben.
Doch das ließ ich bleiben. Ich entschied mich stattdessen für Valentino, obwohl ich wusste, dass er mir erst nach seinem eigenen Rennen antworten würde. Also suchte ich mir zusätzlich noch Fabios Kontakt raus und fragte ihn ebenso, ob er etwas wusste.
Heute war echt der Wurm drin. Auch das zweite Junior Cup-Rennen wurde nach nur zwei Runden abgebrochen. Diesmal war es keine Ölspur, sondern ein schwerer Sturz. Der Fahrer war bei Bewusstsein und wie sich im Nachhinein herausstellte unverletzt, aber die Rennleitung ging mit dem Krankenwagen auf Nummer sicher.
So kam es, dass auch das zweite Rennen mit einer verkürzten Rundenanzahl von elf Runden gefahren wurde. Jetzt kam Flo allerdings gleich gut in den Tritt und konnte in seiner Gruppe mithalten.
Marec war es jetzt, der Probleme hatte. Die zeigten sich am deutlichsten in der dritten Runde, denn dort endete sein Rennen im Kiesbett. Noch bevor das Rennen abgewunken wurde, war er aber schon wieder fit zurück in der Boxengasse.
Flo machte es richtig spannend. In jeder Runde kam er auf einer anderen Platzierung über die Start-Ziel-Gerade. Wir fieberten angespannt mit, denn das konnte ein wirklich gutes Ergebnis werden. Abgewunken wurde er schließlich auf Platz 8. Damit hatte er vier Plätze gut gemacht.
Doch durch den erneuten Abbruch hatten wir mehr als die Hälfte des MotoGP-Rennens verpasst. Vale ging gerade an Zarco vorbei und war damit Zweiter. Es dauerte nicht lange, bis er am Heck seines Teamkollegen Vinales klebte. Der machte schließlich kurz vor dem Ende einen Fehler, den Vale für sich nutzen konnte. Er führte!
Doch das blieb nicht lange so. Nur eine Runde später machte er selbst einen Fehler. Vinales ging wieder an ihm vorbei. Als Vale versuchte, sich seine Position zurückzuholen, ging er in Kurve 11 zu Boden. Das konnte doch nicht wahr sein!
Mir blieb allerdings keine Zeit, um ihm direkt zu schreiben. Ich hatte auch noch keine Antwort von Fabio. Meine Familie war schon dabei, das Zelt abzubauen und alles wieder ins Auto zu verladen. Also packte ich noch schnell mit an, bevor ich mich auch selbst auf den Weg nach Hause machte.
Auf der Rückfahrt nach Gelsenkirchen nahm ich mir die Zeit, um Fabio und Vale über die Freisprechanlage anzurufen. Denn von beiden hatte ich noch keine Antwort bekommen. Doch weder der eine noch der andere konnte mir etwas über Luca sagen.
Fabio hatte nur gehört, dass er im Medical Centre gewesen war, aber seitdem noch nichts Neues.
Vale hatte bis kurz vor meinem Anruf noch seinen eigenen Sturz aufgearbeitet, war selbst aber glücklicherweise unverletzt.
Ich hatte kein gutes Gefühl bei der Sache.

DU LIEST GERADE
Italian Dream
FanfictionFür sie ändert sich an einem Wochenende das ganze Leben. Für ihn auch, nur weiß sie das nicht und wird es so schnell auch nicht erfahren. Oder doch? Luca Marini ist ein junger, ambitionierter Motorradrennfahrer, gerade frisch in die Weltmeisterschaf...