Nach dem Essen blieb Vale nicht mehr lang bei uns. „Ich lasse euch dann jetzt mal allein, damit ihr noch ein bisschen Zeit für euch habt. Schön, dich kennengelernt zu haben.", sagte er zu mir, „Ich hoffe, dass ich dich nicht zum letzten Mal gesehen habe, aber das liegt wohl an ihm." Hinter vorgehaltener Hand deutete er auf Luca. Der gab einen protestierenden Laut von sich, seufzte dann aber und murmelte: „Ja, wahrscheinlich."
„Also, schön, dass du mit uns essen warst. Bis bald.", Vale nahm mich genauso herzlich in den Arm wie Luca. Dann verließ er den Tisch und ging zu einer großen Tafel, an der sein Team aß.
Luca verfolgte ihn mit den Augen und richtete seinen Blick erst wieder auf mich, als Vale saß. Doch seine Augen hatten jetzt wieder dieses warme Leuchten, das während des Essens gefehlt hatte. Trotzdem sah er irgendwie traurig aus, als er feststellte: „Ihr scheint euch ja ganz gut zu verstehen."
„Er... hat eine einnehmende Persönlichkeit.", schmunzelte ich, „Ich glaube, ich könnte mich tatsächlich mit ihm verstehen. Aber wahrscheinlich nie so gut wie mit dir." Den letzten Satz flüsterte ich fast. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich wirklich wollte, dass Luca das hörte.
Er hörte es. Ein wenig unsicher fragte er nach: „Ist das schlimm für dich?" „Nein, überhaupt nicht.", erwiderte ich.
Ich hatte das Essen wirklich genossen, doch ich genoss auch die Zeit allein mit Luca unglaublich.
Allein schon wenn er mich aus seinen karibikwasserblauen Augen ansah, schlug mein Magen Purzelbäume. Die Welt erschien mir so viel bunter, wenn er in meiner Nähe war. Ich bemerkte gar nicht, wie die Zeit verging.
So kam es auch, dass Luca irgendwann auf die Uhr sah und plötzlich meinte: „Es ist schon nach zehn Uhr. Was hältst du von einer kleinen Runde durchs Fahrerlager? Um diese Uhrzeit ist es deutlich ruhiger." „Gern.", stimmte ich zu und stand auf. Luca tat es mir gleich und führte mich zum Ausgang.
Die Luft draußen war noch immer warm. Aus diesem Grund liebte ich Sommernächte. Man konnte selbst nach Sonnenuntergang noch stundenlang draußen sitzen oder einen Spaziergang machen.
Tief atmete ich ein und wandte den Blick nach oben in den sternenbedeckten Himmel. Es war wunderschön. Das Wissen um Luca an meiner Seite erfüllte mich mit einer tiefen Ruhe. All die Nervosität war vergessen. Stattdessen machte sich Zufriedenheit in mir breit.
„Lass uns in diese Richtung gehen.", meinte Luca und bog nach rechts ab. Er führte mich durch die Gänge zwischen den Hospitalities und den Trucks, wo die Fahrer schliefen. Nebenbei erklärte er mir, welcher Fahrer wo schlief und um welche Trucks man besser einen Bogen machen sollte.
Wir begegneten tatsächlich nur noch sehr wenigen Fans, von denen die meisten aber auch hartnäckig nach ihrem Idol suchten. Es waren aber auch nicht mehr viele Fahrer unterwegs. Die, die wir trafen, waren größtenteils auf dem Weg ins Bett.
Luca ließ sich in keine längeren Gespräche verwickeln. Manchmal sprach er kurz mit dem entsprechenden Fahrer, manchmal antwortete er auch nur knapp auf eine zugerufene Begrüßung.
Bis wir um die nächste Ecke in der Nähe der Honda-Trucks bogen. Dahinter stieß Luca fast mit einem rückwärts laufenden, laut auf Französisch rufenden und ziemlich wild gestikulieren Menschen in einer hellblauen Jacke zusammen.
Es dauerte keine Sekunde, bis ich Fabio erkannte. Er brauchte auch nur den Bruchteil einer Sekunde länger, um mich zu erkennen.
Vor Überraschung weiteten sich seine dunkelbraunen Augen und ein breites Grinsen erhellte sein Gesicht. Ohne zu zögern oder gar Luca zu beachten, schlang er seine Arme um mich und zog mich in eine stürmische Umarmung.
Ich war ein wenig überrascht, doch ich freute mich ja auch, ihn zu sehen. Also erwiderte ich die Umarmung und begrüßte ihn: „Hi Fabio."
Jetzt schob er mich von sich, lächelte mich an und erwiderte: „Schön dich zu sehen!" „Das finde ich auch.", lächelte ich und senkte den Blick etwas, um meine roten Wangen zu verstecken. Fabio ließ seinen Blick nämlich über mich wandern und schien sich dabei jedes Detail einzuprägen.
„Gut siehst du aus!", stellte er dann fest und ich konnte nur schüchtern ein „Danke" hauchen.
Mein Kopf war viel zu überlastet, um in diesem Moment Lucas Verwirrung zu registrieren. Der stand bedröppelt neben uns und fragte sich ziemlich offensichtlich, woher ich den kleinen Franzosen kannte.
Fabio bemerkte das allerdings auch nicht, oder wollte es nicht bemerken, denn er war viel zu beschäftigt damit, mich über alles auszufragen, was ihm gerade in den Sinn kam.
„Ich hätte nicht gedacht, dich so schnell wiederzusehen. Wie kommt es denn?" „Mein Bruder fährt hier wieder mit.", antwortete ich. Er fragte weiter: „Was fährt er denn?" „Eine deutsche Nachwuchsklasse. Den ADAC Junior Cup powered by KTM." „Und was für ein Bike?" „Eine KTM 390 RC in Cup-Ausführung.", erklärte ich geduldig.
Fabio hörte aufmerksam zu und wollte sämtliche technischen Details des Motorrades wissen.
Irgendwann fragte er mich dann: „Wie lange bleibst du denn an der Strecke?" „Bis Sonntag nach dem letzten Rennen natürlich!", erwiderte ich. „Dann sehen wir uns vielleicht noch mal. Ich muss jetzt ins Bett, sagt mein Team.", er verzog unwillig das Gesicht.
„Na gut. Dann gute Nacht.", verabschiedete ich ihn. Sofort wurde ich wieder in eine überschwängliche Umarmung gezogen. Während er mich so festhielt, flüsterte Fabio in mein Ohr: „Gute Nacht. Pass mir auf Luca auf. Der guckt auch so, als müsste er gleich ins Bett."
Schmunzelnd löste er sich von mir und ging winkend in die Richtung seines Motorhomes davon.
Während des ganzen Gesprächs mit Fabio war von Luca kein Ton zu hören. Als Fabio außer Sichtweite war, meldete sich auch Luca wieder zu Wort: „Okay, alles klar. Woher kennst du den Franzosen?"
Ich lachte ausgelassen. Die Erinnerungen an unser erstes Treffen waren immer noch irgendwie surreal. Fabios offensive Art sorgte bei mir öfter mal für einen Lacher.
„Wir haben uns am Sachsenring zusammen dein Rennen angeschaut.", erklärte ich. Luca sah allerdings immer noch ein wenig verwirrt aus, deswegen ging ich mehr ins Detail: „Er hat mich auf dem Dach aufgegabelt und angesprochen. Er kommt mir unglaublich lieb, aber total verpeilt vor." „Ist er. Ich habe nicht viel mit ihm zu tun, aber...", Luca überlegte ganz genau, was er als Nächstes sagte: „Er scheint dich zu mögen."
Wir schlenderten weiter durch das ruhige Fahrerlager. Die Menschen wurden noch weniger. Es musste inzwischen schon echt spät sein.
Als hätte er meine Gedanken gelesen, meinte Luca plötzlich: „Es ist schon nach Mitternacht. Soll ich dich nach Hause bringen?" Ähm, wollte er mich loswerden? Mein Herz machte einen unangenehmen Satz.
Ohne Vorwarnung lächelte er mich warm an und sagte: „Es wäre schön, wenn wir uns morgen wieder sehen würden." Ich musste wohl wirklich ziemlich erschrocken ausgesehen haben.
„Ja", hauchte ich, „Das wäre wirklich schön." „Wie sieht denn dein Tagesablauf morgen aus?", wollte Luca wissen, während wir zu Valentinos Motorhome zurückgingen. „Na ja, mein Bruder hat sein Rennen um 17.35 Uhr. Sonst habe ich eigentlich nichts vor.", meinte ich schulterzuckend.
Luca holte seinen Roller und ließ mich aufsteigen. Bevor er losfuhr, drehte er sich zu mir um und schlug vor: „Ich würde morgen vor dem Rennen zu euch kommen. Also... wenn du magst." „Gern.", nickte ich eifrig.
Jetzt konnte Luca erst so richtig Gas geben. Die Straßen waren ja schließlich leer. Und plötzlich wünschte ich mir genau das Gegenteil. Wenn wenigstens ein paar Menschen unterwegs wären, müsste Luca ab und zu mal bremsen und könnte sich nicht so in die Kurven legen.
Wider Erwartens kamen wir tatsächlich heil vor dem Junior-Cup-Fahrerlager an und Luca ließ mich absteigen. „Mein Qualifying endet 15.50 Uhr. Ich könnte so gegen 16.30 Uhr hier sein. Na ja, ungeduscht.", schmunzelte er. Ich lachte: „Puh, dann dusch lieber noch und komm zehn Minuten später!" „Na gut. Ich werde mich auf jeden Fall beeilen.", sagte er mit einem weichen Lächeln.
„Na dann...", meinte ich. „Na dann...", wiederholte Luca, „Gute Nacht. Wir... sehen uns morgen." „Ja, bis morgen.", murmelte ich.
Langsam lehnte sich Luca nach vorn, doch nicht um, wie erwartet, mich zu umarmen. In einer schnellen Bewegung drückte er mir seine weichen Lippen auf die Wange. Doch schon einen Wimpernschlag später hatte er sich wieder zurückgezogen und winkte mir noch mal, bevor er den Roller wendete und zurück in sein eigenes Fahrerlager verschwand.
Es dauerte einen Moment, bis mir richtig klar wurde, was da eben passiert war. Doch als es so langsam durchsickerte, konnte ich das Lächeln von meinem Gesicht nicht mehr verbannen.
Mit den Fingerspitzen berührte ich meine Wange, während ich ohne Eile zu unserem Teamzelt schlenderte.
„Na, zurück?", begrüßte mich mein Vater. Er und Marecs Dad saßen noch im Zelt und plauderten vermutlich mal wieder über Gott und die Welt. Da waren die beiden echt schlimmer als jede Frau.
Ich nickte und gähnte herzhaft. Schon auf dem Weg ins Bett wollte ich wissen: „Wann geht es denn morgen los?" „Wir wollten eigentlich gleich um 9 mit den Trainings anfangen.", erklärte Papa. „Na gut. Weckt mich einfach.", seufzte ich.
„Warte doch mal.", meinte mein Dad, als ich schon fast hinter der Tür verschwunden war, „Wie war es denn?" „Erzähle ich morgen, okay?", inzwischen konnte ich kaum noch die Augen offen halten. Jetzt wo die Spannung nachließ, wurde ich immer müder.
Mein Dad gab nach: „Na gut. Gute Nacht, Schnecke." „Gute Nacht.", murmelte ich noch, ging in den Wohnwagen und fiel ins Bett.
Es brauchte nicht viel, um mich zu wecken. Schon beim ersten Weckerklingeln war ich hellwach. Im Gegensatz zum Rest meiner Familie, was dazu führte, dass ich mich aus dem Bett quälen musste, um den nervigen Ton auszuschalten.
Eigentlich konnte ich auch gleich wach bleiben und mich um Frühstück kümmern. Also zog ich mir eben eine Jeans und ein T-Shirt an und schaffte mir Platz in der Wohnwagenküche. Ich schob die Brötchen in den Ofen und bereitete den Wasserkocher vor. Es war eine Angewohnheit meiner Familie, zum Frühstück Tee zu trinken. Erst danach gingen meine Eltern dann zu Kaffee über. Allerdings konnte ich nicht den Ofen und den Wasserkocher gleichzeitig anschalten, da sonst die Sicherungen rausflogen.
Erst als die Brötchen fertig waren, kochte ich das Wasser und brühte den Tee auf. In der Zwischenzeit deckte ich den Tisch.
Nach und nach regte sich etwas im Wohnwagen. Meine Mutter war die erste, die sich zu mir gesellte. Ein wenig verschlafen folgte ihr gut zehn Minuten später mein Vater. Nur mein Bruder brauchte deutlich länger.
Schließlich ging meine Mutter noch mal nach drinnen und weckte meinen Bruder ein zweites Mal. Bis er sich aus dem Wohnwagen bequemte, vergingen weitere zwanzig Minuten. In der Zeit kamen auch Marec und seine Eltern aus ihrem Wohnwagen und setzten sich an den Frühstückstisch.
Dann endlich tauchte auch Flo auf. Er setzte sich zielsicher auf den Platz zwischen Marec und mir.
Der musterte mich schon seitdem er am Tisch aufgetaucht war mit einem undefinierbaren Blick.
Als etwas Ruhe am Tisch eingekehrt war und jeder sich seinem Brötchen widmete, fragte mein Dad mich plötzlich: „Also Schnecke, du hast gestern gar nichts mehr erzählt. Wie war es denn?" Ich konnte praktisch spüren, wie meine Augen zu leuchten anfingen. Begeistert gab ich eine detaillierte Zusammenfassung des gestrigen Abends.
„Das klingt sehr gut.", meinte mein Vater, als ich geendet hatte. Ich hatte das Gefühl, dass er wirklich ein bisschen neidisch war. Er war seit Jahren Rossi-Fan, schon bevor es mich überhaupt gab.
Meine Mutter stimmte ihm zu, beschloss allerdings im gleichen Atemzug, dass es Zeit war, zu den Trainings aufzubrechen. Gemeinsam räumten wir den Tisch ab. Während meine Eltern ein paar Flaschen Wasser und Snacks einpackten, wandte ich mich Marec zu: „Kommt ihr mit?"
Nachdenklich sah Marec hinter mich. „Meine Eltern wohl eher nicht. Aber ich kann schon mitkommen, denke ich.", murmelte er, „Ich hol eben mein Handy."
Nur wenige Minuten später machten wir uns zu fünft auf den Weg. Wir suchten uns eine Stelle an der Strecke nahe der KTM-Tribüne, von wo aus man eine Leinwand direkt vor der Nase hatte, aber auch ein gutes Stück Strecke sehen konnte. Dort breiteten wir eine Decke auf der Wiese aus und setzten uns auf den Hügel.
Marec rutschte direkt hinter mich, mit der Erklärung, dass er ja groß genug war, um über mich drüber zu schauen. Flo quetschte sich zwischen meine Eltern, die neben mir saßen.
Das erste Training war die Moto3-Klasse, in der Fabio fuhr. Ich verfolgte ihn ganz genau und war überrascht von seiner guten Leistung. Nach 40 Minuten Training hatte er die drittschnellste Zeit gefahren. Irgendwie war ich stolz auf ihn.
Danach ging die MotoGP für ihr drittes Freies Training auf die Strecke. Als Valentino das erste Mal an uns vorbeifuhr, schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen. Ich dachte an die Gespräche vom gestrigen Abend und seine lockere Art. Papa sprang sofort auf und knipste fleißig mit seinem Handy.
Marecs Atem in meinem Nacken ließ mich zusammenzucken. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie nah er an mich herangerutscht war. Doch jetzt war ich mir seiner Nähe überdeutlich bewusst.
Er lachte leise: „Er hat irgendwie was von einem Teenie-Fangirl." „Stimmt schon... irgendwie.", seufzte ich und lachte dann auch.
Wir verfolgten das Training und neckten uns jedes Mal, wenn entweder Rossi oder Marquez vorn lagen. Am Ende hatte Valentino die fünftschnellste Zeit, während Marquez nur auf Platz 8 landete. Der Schnellste war Andrea Iannone gewesen. Triumphierend wandte ich mich zu Marec um und grinste ihn an. Er seufzte ergeben: „Na gut. Diesmal war er schneller." „Er wird auch morgen schneller sein.", erwiderte ich überzeugt.
„Das werden wir sehen.", Marecs Stimme verblasste für mich schon wieder, denn in diesem Moment ging die Moto2 auf die Strecke. Auf dem Bildschirm war deutlich zu sehen, wie Luca die Boxengasse verließ. Ich hielt die Luft an.
Doch Luca hatte sichtlich zu kämpfen. Als er nach etwa der Hälfte des Trainings an die Box zurückkehrte und sein Team neue Reifen aufzog, stand Luca neben einem der Mechaniker und gestikulierte wild. Mein Vater betrachtete Lucas Handzeichen und meinte: „Sieht aus, als hätte er Fahrwerksprobleme." Ich nahm mir vor, ihn später zu fragen.
Luca ging wieder auf die Strecke, doch er schaffte kaum Zeitenverbesserungen. Zum Ende des Trainings stand seine Zeit an 22. Stelle. Ich seufzte schwer und hoffte, dass das Qualifying später besser lief.
Zwischen dem letzten Freien Training und dem ersten Qualifying lag fast eine Stunde Zeit. Wir nutzten die Zeit, um uns etwas zu Essen zu besorgen. Uns allen reichte ein Apfel nicht als Mittagessen.
Mit dem Essen in der Hand kehrten wir an unseren Platz zurück. Marec setzte sich wieder hinter mich, rückte jetzt aber gleich etwas näher an mich heran. Diese Nähe löste ein Kribbeln aus. Ich war mir in diesem Augenblick nicht sicher, ob es angenehm war. Meine Schultern verspannten sich, als er so nah heranrückte, dass wir uns schon fast berührten.
Ich konnte mich erst wieder etwas locker machen, als endlich das Qualifying der Moto3 begann. Meine Konzentration lenkte ich darauf, Fabio und seine Zeiten ganz genau zu verfolgen. Es lief gut für ihn. Nicht so toll wie im Training zuvor, aber gut.
Als ich in den letzten Runden meine Hände zusammenpresste und jeden mit quasi Giftpfeilen aus meinen Augen beschoss, der schneller als Fabio war, fragte Marec: „Warum eigentlich der Franzose? Ich mein, an dem hast du doch vor dem Sachsenring noch nichts gefunden?" War das Eifersucht?
Egal, darauf konnte ich mich jetzt nicht konzentrieren. „Jetzt nicht.", zischte ich ihn an und wandte mich wieder den letzten Sekunden des Qualifyings zu.
Fabio rauschte über die Ziellinie. Hinter ihm folgten noch einige Fahrer, doch keiner konnte seiner Zeit noch gefährlich werden. Er würde morgen als Fünfter starten, vor ihm nur noch sein Teamkollege Joan Mir, der WM-Leader Brad Binder, Enea Bastianini und Aron Canet. Ich atmete auf.
Als Nächstes folgte ein viertes Freies Training der MotoGP. Hier landete Valentino auf Platz drei hinter den beiden Ducati-Piloten. Marquez wurde Vierter, war also wieder langsamer.
Anschließend begann das Q1 der MotoGP. Es gab zwei Qualifyings in dieser Klasse. In den Freien Trainings eins bis drei wurden die zehn schnellsten Fahrer ermittelt. Diese gingen dann automatisch in Q2 auf die Strecke und kämpften dort um die vorderen Startplätze. Die übrigen Fahrer mussten erst in Q1 fahren. Hier schafften die schnellsten beiden den Sprung in Q2 und konnten dort ebenfalls um die Top 10 kämpfen. In Q1 ging es also um die hinteren Plätze.
Weder Valentino noch Marquez mussten Q1 durchlaufen. Deshalb verfolgten wir das nur aus dem Augenwinkel und unterhielten uns stattdessen über Flos Rennen. Marec steuerte einige hilfreiche Kommentare bei, wenn es um die Kurven ging, die Flo Schwierigkeiten bereiteten.
Den Sprung in Q2 schafften schließlich Eugene Laverty und Cal Crutchlow.
Jetzt wurde es spannend. Nach nur fünf Minuten Pause fuhren die Stars der Szene aus ihren Boxen. Die drei Italiener, die schon im vierten Freien Training an der Spitze gestanden hatten, ließen auch jetzt kaum einen anderen Fahrer zum Zug kommen.
Die drei waren es auch, die am Ende die erste Startreihe bildeten. Platz eins ging an Andrea Iannone, Andrea Dovizioso wurde Dritter und Valentino bildete die goldene Mitte mit Startplatz zwei. Marec seufzte frustriert, weil Marquez nur Fünfter wurde.
Jetzt fehle nur noch das Qualifying der Moto2. Ich drückte von Beginn an die Daumen für Luca. Ein wenig besser als zuvor sah es tatsächlich aus. An seinen Teamkollegen Balda kam er jedoch nicht heran. Der konnte Platz zwölf für sich beanspruchen, während Luca am Ende nur von der 19. Position starten würde.
Zurück im Fahrerlager suchte ich hektisch nach Klamotten, um mich noch mal umziehen zu können, bevor Luca hier auftauchte. Hatte ich das meinen Eltern überhaupt schon erzählt? Ich wusste das in diesem Moment nicht.
Ich entschied mich schließlich für ein schlichtes, schwarzes Kleid. Das konnte ich auch gleich in der Startaufstellung anbehalten.
Kaum hatte ich den Reißverschluss des Kleides geschlossen, da klopfte es auch schon an der Tür. Marec steckte den Kopf herein und knurrte leise etwas vor sich hin, das ich nur mit Mühe verstand: „Der Marini ist hier." Dann war er auch schon wieder verschwunden.
Sofort breitete sich ein Grinsen auf meinem Gesicht aus, das ich einfach nicht verhindern konnte. Ich folgte Marec nach draußen und fand Luca schon im Gespräch mit Papa. Der schien gerade Flos Motorrad zu erklären. Luca nahm es ganz genau unter die Lupe und fragte immer wieder nach.
Solange die beiden miteinander sprachen, hielt ich mich im Hintergrund. Stattdessen kümmerte ich mich darum, dass mein Bruder sich aufwärmte.
Erst dann fiel Lucas Blick auf mich. Sofort riss er sich von der KTM los und kam auf mich zu. Er nahm mich in den Arm und es war, als würde alle Last von meinen Schultern abfallen. „Hey.", hauchte er an meine Haut, „Schön, dich zu sehen." „Ganz meinerseits.", lächelte ich.
„Wie sieht's aus?", fragte ich nach, „Verstehst du meinen Vater?" „Es geht. Wir verständigen uns schon irgendwie.", Luca schmunzelte. Es fiel mir gar nicht auf, dass er mich noch immer festhielt.
Erst als Flo fertig angezogen wieder aus dem Wohnwagen kam und lautstark herumpolterte, lösten wir uns zwangsweise voneinander. Ich rief ihn zu uns herüber und platzierte beide auf einem Stuhl. Dann gab ich Luca einen Streckenplan in die Hand und erklärte Flo: „Das ist Luca Marini. Er kann dir noch ein paar Tipps für dein Rennen geben."
Luca war ein bisschen überrumpelt, doch er fing sich schnell und stellte sich selbst noch mal vor. Zum Glück sprach Flo deutlich besser Englisch als mein Vater. Ich ließ die beiden allein.
Eine halbe Stunde vor dem Start mussten sich alle Fahrer am Eingang des Fahrerlagers sammeln. Flo setzte sich hoch konzentriert den Helm auf, winkte sich allerdings sofort wieder Luca heran. Mein Vater stellte sich mit Flos Trinkflasche in der Hand auf die andere Seite des Motorrades und beobachtete die beiden. Ohne auf ihn zu achten, griff Flo nach seiner Flasche, trank einen Schluck und fragte Luca gleich die nächste Frage. Mein Vater tat mir fast ein bisschen leid.
Als die Youngster auf die Strecke geschickt wurden, gesellte Luca sich zu mir. Gemeinsam machten wir uns auf den Weg in die Boxengasse. Wir mussten erst am Paddock vorbei, bevor unsere Tickets kontrolliert wurden.
Luca blieb auch in der Startaufstellung an meiner Seite. Die Fotografen klebten quasi an der Position meines Bruders und das, obwohl er nur auf Platz 24 stand. Es fiel mir nicht ganz leicht, für jedes Foto zu lächeln. Flo war irgendwann auch genervt, weshalb Luca sich etwas zurückzog und schon mal einen Platz an der Boxenmauer suchte.
Ich ging sofort zu ihm, als die Fahrer in die Warm-Up-Lap entlassen wurden. „Okay, los geht's.", murmelte ich und Luca hielt mir seine Hand hin.
Kurz vor dem Start griff ich danach. Er gab mir in diesem Moment Halt, denn der Start war immer das Schlimmste. Das wusste auch meine Mutter, die anstatt auf die Strecke zu schauen, lieber das Treiben in der Boxengasse beobachtete. Flo kam nicht gut weg.
„Na los, jetzt setz um, was ich dir gesagt hab.", meinte Luca mehr zu sich selbst, als er sich vorn an die Gitter stellte und die Fahrer fixierte.
Und Flo setzte es um. Am Start noch zurückgefallen, kam er jetzt in fast jeder Runde näher an die vor ihm Fahrenden heran, manchmal auch vorbei.
Seine Zieleinfahrt auf dem 21. Platz wurde von lautstarkem Jubel begleitet. Marec hatte einige Plätze verloren und wurde nur 24.
Luca riss sich sofort von der Strecke los und stürmte in Richtung Park Fermé. Wir folgten ihm, doch ich hielt meine Eltern auf, als ich sah, wie Luca Flo empfing und ihn direkt in die Arme schloss. Die beiden unterhielten sich kurz, dann schlugen sie noch mal mit einem High-Five ein.
Schließlich kamen wir doch dazu und Flo grinste mich dankbar an. Mein Vater nahm ihn in den Arm und betonte immer wieder, wie stolz er auf ihn war. Mama hielt sich im Hintergrund, aber sie zeigte Flo beide Daumen nach oben. Ich drückte Luca die Trinkflasche in die Hand, bevor ich meinen Bruder in die Arme nahm.
Luca reichte Flo sein Getränk weiter und Flo sah sofort zu ihm auf. In seinem Blick lag so was wie Bewunderung. Ich konnte mir ein zufriedenes Lächeln nicht verkneifen.
Unbemerkt löste ich mich kurz von meiner Familie und Luca und ging ein paar Motorräder weiter zu Marec und seinem Vater. Er stand neben seinem Bike und unterhielt sich mit seinem Vater.
„Was war los?", fragte ich ihn ganz unverblümt. Marec seufzte und erklärte: „Ich war nicht ganz bei der Sache." „Oh. Okay."
Ich wusste nicht so recht, was er mir damit sagen wollte. Kurz blieb ich noch bei ihm, doch dann zog es mich schnell wieder zurück zu Luca. Der blödelte inzwischen mit meinem Bruder herum.
Als die Motorräder wieder freigegeben wurden, war Luca der Erste, der an Flos Bike war. Er entfernte den Ständer und reichte ihn mir weiter. Das Motorrad schob er selbst. Flo stand ein wenig verwirrt daneben, nahm sich aber, ohne zu zögern, seinen Helm und seine Handschuhe. Um den Rest kümmerten sich meine Eltern.
Zurück im Fahrerlager räumten wir alles wieder an seinen Platz und setzten uns gemeinsam an den Tisch. Luca war schnell genug und sicherte sich einen Stuhl neben mir. Auf der anderen Seite ließ sich Marec nieder.
Meine Mutter, die mir gegenüber saß, amüsierte sich prächtig über Luca und Flo. Der hatte sich nämlich auf die andere Seite von Luca gesetzt und beschäftigte ihn mit allem, was ihm gerade in den Sinn kam. Hin und wieder ließ sie ihren Blick aber auch zwischen mir und den beiden Jungs neben mir schweifen.
Ich selbst genoss einfach Lucas Nähe und war froh, dass er sich hier so wohlfühlte. Zumindest kam es mir so vor. Er hatte mir noch keine hilfesuchenden Blicke zugeworfen. Wenn er mich ansah, dann sah er irgendwie zufrieden aus.
Gerade in diesem Moment sah er mich wieder an. Es war sofort um mich geschehen. Seine Augen leuchteten und erfüllten mich mit einer wohligen Wärme. Ich lächelte ihn weich an. Er lächelte zurück und berührte mit den Fingern seiner linken Hand meine rechte. Ein angenehmes Kribbeln durchzuckte meinen Körper und meine Wangen verfärbten sich dunkelrot. Verlegen senkte ich den Blick.
Das Klingeln eines Handys zerriss die plötzlich entstandene Stille. Luca sprang sofort auf und fummelte sein Smartphone aus der Hosentasche. Er ging ein paar Meter vom Tisch weg und nahm den Anruf an.
Selbst wenn ich versuchen würde, etwas zu verstehen, ich könnte es nicht. Luca sprach Italienisch, und zwar schnell. Alles was ich tun konnte, war seine Gesichtszüge zu beobachten. Doch ich konnte nicht mal ablesen, ob der Anrufer gute oder schlechte Nachrichten hatte.
Nach ein paar Minuten legte er wieder auf und kehrte zu uns zurück. Er wirkte nervös und fragte mich mit leiser Stimme: „Können wir kurz reden?" „Klar.", stimmte ich sofort zu und stand auf. Ich stolperte über Marecs Beine und warf ihm einen bösen Blick zu. Doch er sah nicht so aus, als würde es ihm leidtun.
Luca ging ein bisschen voraus und blieb schließlich vor unserem Zelt stehen. Dort atmete er noch einmal durch und sah mich an. „Willst du heute wieder mit mir essen? Vale hat gekocht.", fragte er und ich strahlte ihn an: „Gern." Ein breites Grinsen ergriff von seinem Gesicht Besitz.
Ich sagte nur noch schnell meinen Eltern bescheid, dann lud mich Luca auch schon wieder auf seinen Roller. „Genießt die Zeit zu zweit.", sagte mein Dad, als er uns noch bis zum Roller begleitete.
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Italian Dream
FanfictionFür sie ändert sich an einem Wochenende das ganze Leben. Für ihn auch, nur weiß sie das nicht und wird es so schnell auch nicht erfahren. Oder doch? Luca Marini ist ein junger, ambitionierter Motorradrennfahrer, gerade frisch in die Weltmeisterschaf...