Das Wochenende wirkte noch lange nach. Ich konnte nicht schlafen. Sobald ich die Augen schloss, sah ich wieder Luca vor mir. Und wenn nicht, grübelte ich über Marec. Damit raubte ich mir selbst den Schlaf.
Die Kombination aus Schlafmangel und dem Zwiespalt zwischen Marec und Luca brachte eine unglaublich miese Mischung an Stimmungen hervor. Im Grunde war ich unausstehlich. Vorsorglich traf ich mich mit Bea, Philipp und Rapha in dieser Woche nur in der Hochschule. Nach Assen fiel es mir schwer, meine Fassade zu jeder Zeit aufrecht zu erhalten. Das Lächeln, das mir eigentlich in Fleisch und Blut übergegangen war, verrutschte immer öfter. Noch nie war mir ein Fehler so deutlich klar geworden. Aber ich konnte nicht mehr zurück.
Nach den Vorlesungen ging es für mich sofort und ohne Umwege zurück nach Hause. Dort vergrub ich mich in meinem Zimmer, um allein und frustriert zu grübeln. Dass mich das nicht weiterbrachte, wusste ich selbst. Aber da ich nicht wusste, wie es für mich weitergehen sollte, hatte ich wohl keine andere Wahl. Manchmal musste man doch ein paar Dinge für sich selbst klären, bis man gemeinsam mit anderen einen Schritt vorwärtsmachen konnte.
Am Mittwochnachmittag wurde ich überrascht. Über meinen Laptop ließ ich eine eher depressive Playlist laufen, während ich an der Wand gelehnt auf meinem Bett saß. Ich löffelte Schokoladeneis – was für ein Klischee – und starrte dabei nachdenklich an die Wand. Es war heute nicht bei Grübeleien über Marec geblieben. Schon den ganzen Tag schlich sich Luca regelmäßig in meine Gedanken ein. Ob das daran lag, dass ich gestern Abend mit Fabio telefoniert und wir über diese unglaublich unangenehme Situation am Samstagabend gesprochen hatten? Es lag auf der Hand, dass es mich mehr aus der Bahn geworfen hatte, als es sollte. Trotzdem redete ich mir ein, dass diese virtuelle Begegnung keine Bedeutung für mich hatte.
Bis es an der Tür klingelte. Ich wusste nicht, ob meine Mitbewohner zu Hause waren, aber die gingen eh nie an die Tür. Also rappelte ich mich auf und stellte meinen Eisbecher auf den Schreibtisch, fest davon überzeugt, gleich in Ruhe weiter zu essen.
Doch als ich sah, wer da die Treppe zu meiner Wohnungstür nach oben kam, fielen mir fast die Augen aus dem Kopf.
„Was machst du denn hier?", kreischte ich und riss Lilia schon in eine stürmische Umarmung, als sie geradeso den Treppenabsatz erreicht hatte. Für eine Sekunde wirkte sie dezent überrumpelt. Aber schon im nächsten Moment lachte sie und schob mich etwas von sich.
„Du siehst scheiße aus.", sagte sie dann todernst. Genau das, was ich hören wollte. Ich schnaubte: „Das weiß ich selbst. Dafür hättest du nicht herkommen müssen." „Jetzt geh erst mal rein.", sie schob mich in meine Wohnung und schmiss die Tür hinter uns zu, „Wir haben einiges zu klären."
Da hatte sie vermutlich recht. Ich war ihr offensichtlich zu langsam, denn sie zwängte sich an mir vorbei und verschwand schnellen Schrittes in meinem Zimmer. „Schokoeis? Dein Ernst?", rief sie dann. Gerade als ich das Zimmer betrat, versenkte sie den Löffel in meinem Eis und schaufelte den verbliebenen Rest meiner Eiscreme in sich hinein. Unverschämt!
„Was genau wird das?", fragte ich mit vor der Brust verschränkten Armen. „Ich halte dich davon ab,", sie schob den nächsten Löffel hinterher, „verzweifelt Eis in dich hinein zu stopfen und am Ende verbittert und Diabetiker zu sein."
Mir klappte die Kinnlade nach unten. Das hatte sie gerade nicht gesagt! „Mir geht es ganz wunderbar.", brummte ich. „Ja, ist klar. Deswegen auch der Anruf am Sonntag.", die Ironie triefte nur so aus ihrer Stimme.
Okay, ich musste es wohl zugeben. In meiner kompletten Überforderung hatte ich am Sonntagabend, nachdem ich wieder in Gelsenkirchen angekommen war, Lilia angerufen und ganz vielleicht mehr als eine halbe Stunde am Telefon geweint. Aber zu meiner Verteidigung, ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie sich frei nehmen und sich ins Auto setzen würde.
„Ich war eben ein bisschen neben der Spur.", rechtfertigte ich mich, „Aber mir geht es schon wieder ganz wunderbar." „Hast du mit Marec gesprochen?", mit nur einer Frage traf sie genau ins Schwarze.
Ich wand mich unter ihrem strengen Blick, der mich schließlich doch zu einer Antwort nötigte: „Nein." „Und jetzt verrate mir noch mal, wie genau so eine Beziehung funktioniert.", schnaubte sie. „Im Moment gar nicht.", gab ich zurück. Wissend nickte sie: „Eben. Und dafür hast du Luca aufgegeben."
Sie konnte meine Entscheidung immer noch nicht verstehen. Viel schlimmer war allerdings, dass auch ich inzwischen zweifelte. Es wäre sicherlich nicht einfach geworden mit Luca, aber ich war mir tausendprozentig sicher, dass er so etwas nie ungeklärt gelassen hätte.
Trotzdem wurde in meinem Kopf in diesem Moment ein Schalter umgelegt und ich nahm eine verteidigende Haltung an: „Du weißt doch überhaupt nicht, ob es mit Luca besser geklappt hätte." „Ach komm schon.", schnaubte sie, „Niemand ist so ein Idiot wie Marec."
„Dieser Idiot ist zufällig mein Freund." „Ich weiß. Sollte er aber nicht sein.", diese Selbstverständlichkeit, mit der Lilia das sagte, brachte mich tierisch auf die Palme. „Findest du es nicht ganz schön unverschämt, wie du hier über meine Entscheidungen urteilst? Du kennst Luca ja nicht mal.", warf ich ihr vor.
„Du hast mir ja keine Chane gegeben.", schnaubte sie, „Du hast ihn ja schneller wieder abgeschossen, als ich überhaupt von ihm wusste." „Jetzt übertreibst du aber!", das war ja wohl die Höhe.
Lilia rieb sich über die Nasenwurzel. Dann sah sie mich wieder fest an: „Das war Absicht." Dazu sagte ich nichts mehr. Ich hatte unser ständiges Streiten über Luca satt. Dass sie meine Entscheidung nicht guthieß, wusste ich ja inzwischen. Warum konnte sie es nicht einfach gut sein lassen? Ich konnte es jetzt doch eh nicht mehr ändern. Luca würde wahrscheinlich eh nie wieder ein Wort mit mir reden, wenn er nicht in so eine Situation wie am Samstag geriet. Tja, und der einzige, der uns in solche Situationen bringen konnte, hatte mir am Sonntag hoch und heilig versprochen, dass das nicht mehr vorkam.
Lilia schlug jetzt versöhnlichere Töne an: „Ich meine es doch nicht böse. Ich sehe nur, dass du wegen Marec ständig unglücklich bist. Das war mit Luca anders. Da hast du mich nach einem Rennwochenende nicht vor Frust heulend angerufen, sondern vor Sehnsucht. Ich glaube einfach, dass du mit Luca besser dran warst."
„Ich weiß.", seufzte ich, „Aber das ist zu spät." „Hast du denn noch mal mit ihm gesprochen?", Lilia setzte sich neben mich auf mein Bett. Ich schüttelte den Kopf: „Nicht so richtig. Na ja, das am Samstag halt." „Das kann man ja kaum als Gespräch bezeichnen.", fand sie, „Wie kannst du dann sagen, dass es zu spät ist?"
„Ich bitte dich.", schnaubte ich, „Er wird froh sein, wenn ich mich nicht wieder melde." „Du vermutest es, aber das weißt du nicht.", gab sie zu bedenken.
Diese Diskussion führt zu nichts. „Lass uns nicht mehr über Luca sprechen.", bat ich sie. „Na gut.", sie gab schneller nach als gedacht, „Nur eine Sache noch: Du gibst zu schnell auf. Und jetzt lass uns irgendwas unternehmen. Ich muss morgen Nachmittag wieder zurück."
Also fuhren wir erst in die Innenstadt und aßen dort in meinem Lieblingsladen. Anschließend ging es mit der Bahn zurück nach Buer und dort in meine Lieblingscocktailbar. Tatsächlich umschifften wir das Thema „Marec und Luca" großzügig. Es tat gut, mal einen Abend lang an etwas anderes zu denken.
Am Donnerstag war es damit aber schnell wieder vorbei, denn Marec rief mich an. Lilia war gerade zur Tür raus, als mein Handy klingelte. Die Realität holte mich mit voller Wucht wieder ein.
Ich hob ab, hatte aber keine Chance, etwas zu sagen. „Wir müssen uns unterhalten.", kam es wie aus der Pistole geschossen. Ich forderte ihn auf: „Schieß los." „Nicht am Telefon.", widersprach Marec, „Ich würde dich gern sehen."
Ich zögerte. „Kannst du am Wochenende zu mir kommen?", fragte er. Wieder mal viel zu schnell stimmte ich zu: „Ich kann morgen nach der letzten Vorlesung starten." „Klingt gut.", meinte er. Damit war das Gespräch für Marec für heute auch schon wieder beendet.
Gut, dass ich ihm nicht verraten hatte, wie lange meine Vorlesungen gingen, denn diese Woche hatte ich schon mittags Schluss. So konnte ich am Freitag erst noch ganz entspannt die zweiten Freien Trainings aus Jerez gucken. FP1 fand während meiner Vorlesungszeit statt, doch ich war inzwischen geübt darin, Vorlesung und Liveübertragung gleichermaßen zu folgen.
Das Moto3-Training fand noch bei leichtem Regen statt. Als die MotoGP auf die Strecke ging, wurde der Regen stärker. Für Valentino also nicht unbedingt die optimalen Bedingungen. Er beendete das Training auf dem 16. Platz. Dann hörte es zwar auf zu regnen, aber die Sonne ließ sich trotzdem nicht blicken. Auf nasser Strecke fuhren Fabio auf Platz 16 und Luca auf Platz 21.
Das zweite Freie Training der Moto3 begann schon, während ich noch auf dem Heimweg war. Doch pünktlich zur MotoGP schaltete ich zu Hause den Fernseher an. Die Strecke war jetzt abgetrocknet. Das brachte Valentino gleich eine Verbesserung auf Platz 12.
Während die Moto2 die ersten Runden drehte, packte ich mir schon mal eine kleine Tasche mit Klamotten fürs Wochenende. Irgendwie sagte mir mein Gefühl, dass nur eine bequeme Jogginghose nicht reichen würde.
Als ich die Tasche gerade gepackt an die Tür stellen wollte, zeigten die Kameras Luca. Es war eine Wiederholung. Lucas Motorrad hatte ganz offensichtlich versucht, ihn loszuwerden. Doch er hatte den heftigen Wackler abgefangen und war nur ordentlich durchgeschüttelt worden. Meinem Herzen ging es nach dieser Schrecksekunde ganz ähnlich.
Trotzdem hatte Luca sich auf Platz 8 verbessert. Fabio toppte dieses Ergebnis sogar noch und beendete das Freie Training auf Platz 4. Mit dem Wissen um diese guten Ergebnisse konnte ich mich beruhigt ins Auto setzen und die knapp dreistündige Fahrt zu Marec antreten.
Ich kam erstaunlich gut durch, hatte keinen Stau auf der Strecke und kam so am frühen Abend bei ihm an. Marecs Mutter hatte gekocht, sodass wir zunächst im Familienkreis aßen.
Danach verzogen Marec und ich uns in sein Zimmer, um ungestört reden zu können. Nur leider redete keiner. Wir saßen uns mehr oder weniger gegenüber, ich auf dem Bett und er verkehrt herum auf dem Schreibtischstuhl, und sagten nichts.
Schließlich brach Marec die Stille: „Ich hatte mir das alles leichter vorgestellt." Ich konnte ihm nur zustimmen: „Ja, ich auch." Er verzog ein wenig das Gesicht. Das war wahrscheinlich nicht, was er hören wollte. Aber es war die Wahrheit.
Dann machte Marec einen weiteren Schritt: „Das, was ich neulich in Assen gesagt habe, war nicht fair. Entschuldige bitte. Ich sollte einfach die Klappe halten, wenn ich sauer bin." „Aber wäre es nicht wichtiger, rauszufinden, wieso du sauer bist?", überlegte ich laut, „Wo liegt der Fehler? Warum kriegen wir das einfach nicht hin?"
„Okay, eine Frage nach der anderen.", Marecs leichtes Schmunzeln tat gut. Doch er wurde zu schnell wieder ernst: „Ich weiß es." „Was genau?", was war noch mal meine erste Frage gewesen?
Es kostete ihn einiges an Überwindung, doch schließlich brachte er eine Antwort heraus: „Ich bin eifersüchtig." Die erhoffte Erleuchtung blieb aus. Das war nichts, was er sonderlich gut verborgen hätte.
Von seinen weiteren Ausführungen war ich deutlich überraschter. „Es liegt nicht mal an dem, was du so tust oder sagst. Also mit Fabio telefonieren, oder dass du dich so gut mit Felix und Kilian verstehst. Ich habe manchmal das Gefühl, du vergleichst mich mit Luca." Hatte er ihn eigentlich jemals beim Vornamen genannt?
Schuldbewusst senkte ich den Blick und biss mir auf die Lippen. Genau das tat ich doch. Und zwar schon seit Wochen. Ich versuchte, davon abzulenken: „Ich hätte echt gedacht, dich stören Fabio und Valentino mehr."
„Ach, Fabio ist wahrscheinlich schon in Ordnung.", er winkte ab, „Und ein paar Nachrichten mit Valentino kann ich verschmerzen." Dass ‚ein paar' eher täglich bedeutete, verschwieg ich ihm lieber. Stattdessen meinte ich zur Beruhigung: „Ich glaube, Fabio und du würdet euch mögen, wenn ihr euch kennenlernen würdet." Eigentlich bezweifelte ich das zwar, denn Fabio war nicht besonders gut auf Marec zu sprechen, aber ich hatte eh die Hoffnung, dass es nie dazu kommen würde.
„Das Einzige, was mich an den beiden stört, ist der Kontakt zu Marini.", lenkte Marec das Thema zurück, „So kann nämlich immer mal wieder so was wie letzten Samstag passieren und was mache ich, wenn du dabei irgendwann doch feststellst, dass du lieber wieder zu ihm zurückwillst?" „Dafür müsste er das auch wollen. Es gehören immer zwei dazu.", rutschte es mir heraus. Dass diese Aussage nicht besonders clever gewesen war, merkte ich spätestens an Marecs erschrockenem Blick.
„Ich mein ja nur.", versuchte ich die Situation zu retten, „Luca hat definitiv kein Interesse daran, wieder etwas mit mir anzufangen." Wen versuchte ich hier zu überzeugen? Ihn oder mich?
„Und was ist mit dir?", war ja klar, dass ich da nicht so einfach rauskam. „Ich bin glücklich mit dir.", log ich. Denn wenn ich mir die letzten Wochen so ansah, war ich vieles. Frustriert, gestresst, wütend. Aber eins ganz sicher nicht: glücklich.
„Was uns zur nächsten Frage bringt: Wo liegt der Fehler?", seufzte Marec. Der Stuhl war ihm inzwischen unbequem geworden, also kam er zu mir ins Bett. Seine Nähe erzeugte eine merkwürdig prickelnde Spannung auf meiner Haut.
Es dauerte bis tief in die Nacht, dieser Frage nachzugehen. Irgendwann schliefen wir darüber ein.
Als ich am Morgen aufwachte, war die andere Seite des Bettes leer. Mit einem Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass ich die dritten Freien Trainings schon verpasst hatte. Ich beeilte mich mit dem Anziehen und ging dann in Richtung Wohnzimmer.
Marec saß dort in einer Wolldecke eingewickelt auf der Couch. Der Fernseher lief. Vor ihm auf dem Tisch standen zwei Teller. Einer war leer, aber auf dem anderen befanden sich Brötchen, Ei und Bacon. Seine Eltern schienen nicht zu Hause zu sein. Als er mich sah, sagte er: „Hey, ich wollte dich nicht wecken." „Hast du ja offensichtlich nicht.", erwiderte ich noch etwas verschlafen.
Er hob eine Seite seiner Decke an und meinte: „Komm her." Und das tat ich auch. Ich kuschelte mich an seine Seite und legte meinen Kopf auf seiner Schulter ab. Meine Beine zog ich an und wickelte mich in die Decke ein.
Marec lehnte sich nach vorn, sodass ich meinen Kopf heben musste. Er angelte den vollen Teller und reichte ihn mir. „Frühstück.", meinte er simpel und lehnte sich dann wieder zurück.
Im Fernsehen liefen schon die Vorberichte zum Qualifying. Marec und ich schwiegen. Ich hing meinen Gedanken nach, während ich die Leckereien von meinem Teller naschte. Irgendwie machte es mich traurig, hier auf dem Sofa zu sitzen und nicht an der Strecke mitzufiebern. Oder war es der Umstand, dass ich hier neben Marec saß und nicht neben Luca?
Bevor ich noch weiter darüber nachgrübeln konnte, begannen die Qualifyings. Das war wahrscheinlich auch besser so. Bei Moto3- und MotoGP-Qualifying war noch alles gut. Ich war natürlich etwas angespannter, als Vale fuhr. Der hatte nämlich kleinere Probleme, wurde aber trotzdem Siebter.
Doch als die Moto2 auf die Strecke ging, war es Marec, der sich anspannte. Ich hatte in diesem Moment keine Nerven, darauf zu achten. Stattdessen drückte ich meinen beiden Jungs die Daumen. Im ersten Run war Luca richtig gut dabei, doch als er noch mal die Reifen gewechselt hatte, kam er in eine größere Gruppe und konnte keine wirklich freie Runde mehr fahren. So stand für ihn am Ende der elfte Startplatz fest. Fabio würde von Platz 14 starten.
Am Abend wurden wir von Marecs Freunden zum Feiern eingeladen. Zum Glück hatte ich meinem Gefühl nachgegeben und auch schickere Klamotten mitgenommen. Ich trug eine schwarze Boyfriendjeans mit einem hellen Gürtel und dazu ein schlichtes schwarzes Top mit Rollkragen. In der Nacht war es noch recht frisch zu dieser Jahreszeit, also zog ich mir eine taillierte, beigefarbene Jacke und meine ebenfalls hellen Sneaker an.
Wir trafen uns mit Marecs Freunden in Frankfurt zuerst in einer Bar. Von dort sollte es später noch in einen Club gehen. Ein paar von ihnen kannte ich schon, weil sie Marec mal an der Strecke besucht hatten.
Erstaunlicherweise benahm Marec sich vorbildlich. Es war tatsächlich so, als lebten in diesem Körper zwei völlig verschiedene Personen. Wenn ich so darüber nachdachte, gefiel mir der „Zuhause-Marec" tausend Mal besser als der „Rennstrecken-Marec". Bei Luca hätte ich diese Unterscheidung niemals treffen müssen.
Nein! Verdammt! Ich wollte Marec doch nicht mehr mit Luca vergleichen. Er machte es mir aber auch verdammt schwer. Ich nahm das halb leere Cocktailglas vor mir und kippte es in einem Zug hinunter. Den skeptischen Blick von einem der Jungs mir gegenüber bemerkte ich zwar, doch ich beachtete ihn nicht weiter.
Vielleicht hätte ich das tun sollen, denn vom Rest des Abends hatte ich nur noch Bruchstücke in Erinnerung. Nur eine Situation hatte ich noch zusammenhängend vor Augen.
Ich wusste nicht mehr genau, wo wir zu diesem Zeitpunkt gewesen waren, aber es war irgendwo draußen gewesen. Nach einem wirklich warmen Tag war es in der Nacht noch mal richtig kalt geworden. Marec und ich schlenderten Arm in Arm eine Straße entlang. Ob die anderen zu dieser Zeit noch bei uns gewesen waren, konnte ich nicht mehr sicher sagen.
Worüber wir zuvor gesprochen hatten, wusste ich nicht mehr, aber ich sagte zu ihm: „Luca fehlt mir." Schlimmer als diese alkoholgesteuerte Aussage erschien mir jetzt im Nachhinein Marecs Antwort: „Weiß ich doch." Und nach einem Moment Stille fügte er noch hinzu: „Ich bin nicht so blöd, wie ich mich manchmal anstelle."
Noch viel schlimmer war für mich, dass die Stimmung zwischen uns am Sonntag absolut normal war. Marec sprach mich nicht auf diese Situation an. Vielleicht hatte er es vergessen? Aber sogar ich erinnerte mich daran und ich war felsenfest davon überzeugt, dass Marec deutlich weniger getrunken hatte.
Die WarmUp-Sessions hatten wir verschlafen, aber die Rennen wollten wir uns noch zusammen anschauen. Danach musste ich zurück nach Gelsenkirchen fahren. Bevor das Moto3-Rennen startete, schrieb ich noch schnell Vale und Fabio die übliche Nachricht.
„Machst du das immer?", fragte Marec. „Was?", gab ich zurück und er erklärte: „Na ja, Nachrichten schreiben." „Achso.", ich seufzte, „Ja." „Ah okay. An den Marini auch?" Ich schüttelte den Kopf und sperrte mein Handy. Eine Sekunde lang dachte ich darüber nach, entschied mich dafür, dass es keine gute Idee war. Trotzdem öffnete ich den Messenger wieder und tippte zum ersten Mal seit der Trennung wieder eine Nachricht an Luca.
Viel Glück für dein Rennen. Ich drücke dir die Daumen.
Nur Sekunden später verrieten mir die blauen Häkchen, dass er die Nachricht gesehen hatte. Auf eine Antwort wartete ich allerdings vergeblich. Na gut, er hatte jetzt sicherlich anderes zu tun.
Also legte ich mein Handy weg und konzentrierte mich lieber auf das Moto3-Rennen, das jetzt startete. In einem engen Rennen siegte Canet vor Fenati und Mir.
Es dauerte danach nicht mehr lange, bis auch das Moto2-Rennen bei blauem Himmel gestartet wurde. Fabio fiel nach dem Start ein ganzes Stück zurück. Luca machte gleich mal einen Platz gut. Durch einen Sturz vor ihm, an dem drei Fahrer beteiligt waren, rutschte Luca auf den siebten Rang nach vorn. Fabio hatte immer noch weit hinten zu kämpfen. Am Ende verpasste er knapp den letzten Punkt und wurde 16er. Luca schaffte es mit ein bisschen Glück sogar noch auf den fünften Platz.
Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen lehnte ich mich auf der Couch zurück. Das war doch ganz gut gelaufen. Jetzt war nur noch Valentino mit seinem Rennen dran.
Doch ich bekam nur noch beiläufig mit, wie es bei ihm lief. Kurz nach dem Start erreichte mich eine Nachricht, die mich noch eine Weile über das Rennen hinaus beschäftigte.
Hat ja gut funktioniert heute. Danke.
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Italian Dream
FanfictionFür sie ändert sich an einem Wochenende das ganze Leben. Für ihn auch, nur weiß sie das nicht und wird es so schnell auch nicht erfahren. Oder doch? Luca Marini ist ein junger, ambitionierter Motorradrennfahrer, gerade frisch in die Weltmeisterschaf...