Hilflos

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Ungeduldig trommelte ich mit meinen Fingern auf den Schreibtisch, während mein Handy wählte. Das Studium hatte mich in den letzten Tagen so sehr gefordert, dass ich keine Zeit für einen einzigen Gedanken an Luca gehabt hatte. Dementsprechend hatte ich auch noch nicht mit Fabio oder Lilia gesprochen.
Doch jetzt hatte ich endlich etwas Luft zum Atmen. Und es hatte nur ein paar Sekunden gedauert, bis Luca das erste Mal in meinem Kopf aufgetaucht war.
Damit war plötzlich auch die Trennung von Marec wieder präsent gewesen. Nur fühlte ich mich selbst nach drei Tagen nicht so, wie es eigentlich normal gewesen wäre. Ich war noch immer nicht wirklich traurig. Stattdessen hatte ich vielleicht ein kleines bisschen ein schlechtes Gewissen, weil ich im Grunde keinen Gedanken mehr an diese Beziehung verschwendete. Die Trennung von Luca hatte mich da deutlich mehr beschäftigt.
Während das Handy im Hintergrund immer noch tutete, hatte mein Kopf genug Zeit, mich mit allerlei Unsinn zu bombardieren. Was würde ich machen, wenn Luca mich nicht wieder zurücknahm? Und was, wenn doch?
Ich wollte schon fast wieder auflegen, da meldete sich am anderen Ende der Leitung endlich eine Stimme. „Oui? Mon dieu bist du heute hartnäckig!", Fabios Stimme klang eindeutig gestresst.
Oh.", ich wusste gar nicht so richtig, was ich sagen sollte, „Ich, ähm... Störe ich?" „Nun ja sagen wir mal so: Du hattest schon immer ein Talent dafür, die ungünstigen Momente zu erwischen.", ich hörte das Schmunzeln in seiner Stimme deutlich heraus und entspannte mich ein wenig.
Immerhin platze ich nicht rein, wenn du dich gerade mit Aurelie beschäftigst.", konterte ich, bis mir klar wurde, dass das tatsächlich sein konnte, „Oder?" Fabio lachte: „Nein, heute nicht! Aber wenn du in meiner Nähe wohnen würdest, würde das öfter vorkommen, glaube mir." Leider hatte er damit wahrscheinlich recht.
Ich versuchte lieber, schnell abzulenken: „Wobei störe ich denn heute?" „Ich bin gerade in Florenz gelandet. Du hast mich in dem Moment angerufen, in dem der Jüngste der Familie vor mir sich dazu entschieden hat, sich im Gang laut schreiend auf den Boden zu werfen, weil er das Flugzeug nicht verlassen wollte.", ich konnte im Hintergrund die typischen Geräusche eines Flughafens hören.
Oh verdammt! Ich hatte ganz vergessen, dass am Wochenende das Rennen von Mugello stattfand. „Soll ich mich lieber später nochmal melden?", fragte ich vorsichtshalber nach.
Fabio klang plötzlich weit weg, als er irgendetwas auf Französisch sagte. Dann war seine Stimme wieder bei mir: „Nein, nein. Alles gut. Tom holt eben unser Gepäck und den Mietwagen und ich geh schon mal raus."
Tom war sowas wie sein persönlicher Assistent. Er begleitete Fabio schon eine ganze Weile, denn Fabios Vater wollte, dass er sich voll und ganz auf das Motorradfahren konzentrierte. Tom war für alles drum herum zuständig. Er organisierte die Reisen, sorgte dafür, dass Fabio pünktlich war und seine Trainingspläne einhielt.
Sag ihm liebe Grüße, ja?" „Ja natürlich.", er klang wieder für einen Moment abwesend, „Aber du rufst doch nicht an, damit ich Tom Grüße ausrichte, oder?"
Wie hatte er das nur durchschaut? Ich schaffte es nicht mal, zu antworten, bevor Fabios Stimme schon wieder mein Ohr erreichte: „Was hat Marec angestellt?"
Sich getrennt.", antwortete ich emotionslos. In meinem Handy blieb es still. Auch die Hintergrundgeräusche des Flughafens verstummten.
Wie meinen?", fragte Fabio schließlich. „Er hat Schluss gemacht.", ich bemühte mich, keine Regung in meiner Stimme zuzulassen. „Fuck.", stieß Fabio wenig gentlemanlike hervor, „Wie geht es dir? Soll ich dir einen Flug organisieren? Ich kann hier nicht weg. Ach verdammt!"
Fabio!", rief ich dazwischen, „Es ist alles gut. Wirklich." „Du bist seltsam.", ich konnte fast schon vor mir sehen, wie er skeptisch die Augenbrauen zusammenzog. „Kann sein.", gab ich zu.
Warum bist du seltsam?", fragte er noch immer mit einer gesunden Portion Skepsis. „Er hat etwas gesagt, was mich ein wenig zum Nachdenken gebracht hat.", erklärte ich, „Deswegen rufe ich auch an. Ich brauche deinen Rat." „Dass ich mal zum Beziehungsratgeber für meine Freunde werden würde, hätte ich auch nie gedacht.", murmelte mein Lieblingsfranzose vor sich hin.
Ich ignorierte seine Bemerkung und berichtete ihm stattdessen: „Er glaubt, dass ich mit ihm nicht glücklich geworden wäre und deswegen wollte er den Weg für Luca frei machen." „Hätte ich ihm ehrlich gesagt nicht zugetraut.", Fabio klang ehrlich erstaunt.
Ich ließ meinen Kopf über die Lehne meines Schreibtischstuhls nach hinter sinken und fuhr mir mit meiner freien Hand durch die Haare. „Tja, und jetzt sitze ich hier und weiß nicht, was ich tun soll.", seufzte ich.
Solange ich mit Marec zusammen gewesen war, hatte ich eine gute Ausrede gehabt, um nicht ernsthaft über Luca nachdenken zu müssen. Aber jetzt fehlte mir diese Ausrede. Jetzt musste ich mich wirklich mit der Tatsache beschäftigen, dass es eine, wenn auch verschwindend geringe Chance gab, dass ich immer noch eine Chance bei Luca haben könnte. Der einzige Weg meinen Kopf jetzt wieder auszuschalten, war von Fabio zu hören, dass Luca über mich hinweg war.
Doch der tat genau das Gegenteil. „Schreib ihm.", sagte er, „Schreib ihm und sage ihm, wie es dir geht. Ich weiß nicht, ob er deine Gründe für die Trennung versteht, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er dir nicht böse ist. Wenn er sich wieder jemanden gesucht hätte, hätte das auch nicht lange gehalten. Dafür denkt er noch zu viel über dich nach. Aber ich habe dir schon zu viel verraten. Er wollte nicht, dass du das weißt."
Wie sollte ich damit jetzt bitte umgehen? Fabio verabschiedete sich recht schnell. Tom hatte den Mietwagen organisiert und jetzt fuhren die beiden an die Strecke nach Mugello.
Ich wusste nicht, wie ich mit den Informationen von Fabio weiter machen sollte. Die Unsicherheit hatte er nicht vertrieben. Ich brauchte mehr Informationen. Einem Impuls folgend schrieb ich Valentino eine Nachricht.

Hey Vale. Ich weiß, dass du auf dem nach Mugello bist, und ich will auch gar nicht weiter stören. Marec und ich haben uns getrennt. Ich wollte nur, dass du das weißt. Ich drücke euch beiden die Daumen für das Wochenende.

Ich konnte im Nachhinein nicht mehr sagen, was ich mir von dieser Nachricht erhofft hatte. Dass von Vale nicht sofort Luftsprünge kommen würden, hätte mir vorher klar sein müssen. Doch seine Antwort klang skeptischer, als ich erwartet hatte. Aber vielleicht interpretierte ich da auch zu viel hinein.

Wie geht es jetzt weiter?

Das versuche ich gerade herauszufinden.

Mit seiner zweiten Nachricht nahm er mir zumindest ein bisschen meine Befürchtungen.

Luca sitzt neben mir. Wir reden später. Am besten nach dem Wochenende.

Das war vielleicht gar nicht so dumm. Ich wollte ja niemanden vom Rennen fahren ablenken.

Die Ergebnisse des ersten Freien Trainings am Freitag musste ich auf dem Rückweg aus der FH nach Hause nachschlagen. Vale war 15., Luca 16. und Fabio 21. geworden. Ich hatte vormittags das Feedbackgespräch in einem Seminar gehabt. Deshalb kam ich erst pünktlich zur Mittagspause an der Bahnhaltestelle an.
FP2 der Moto3 war gerade vorbei, als ich den Fernseher zuhause anschaltete. In der kurzen Pause zwischen Moto3 und MotoGP stellte ich mir schnell die Reste des Auflaufs von gestern Abend in die Mikrowelle und zog mir bequeme Klamotten an.
Mit dem Essen setzte ich mich schließlich auf mein Bett und schaute mir das zweite Freie Training meiner Lieblingsfahrer an. Alle drei schafften mindestens eine kleine Verbesserung. Bei Valentino waren es drei Plätze hin zu Platz 12. Fabio machte das Ganze ebenfalls mit Platz 12 doch etwas deutlicher. Das einzige, was mir an Lucas Training und der Zeit für Platz 11 überhaupt nicht gefiel, war die Art und Weise, wie er vom Motorrad stieg. Er wirkte etwas steif und unbeweglich auf der linken Seite.
Meine Beobachtungen beschäftigten mich über den restlichen Abend hinweg. Während ich mich wieder einmal mit meinen Karteikarten zum Lernen beschäftigte, drehten sich meine Gedanken in regelmäßigen Abständen um Luca.

So ähnlich war es auch am nächsten Tag. Der Samstag sollte eigentlich nur aus lernen bestehen, doch ich ließ nebenbei den Fernseher laufen. Der lenkte meine Aufmerksamkeit allerdings verlässlich auf das dritte Freie Training, als erst Valentino Erster wurde und im Anschluss Fabio 17. und Luca Neunter wurden. Während des vierten Freien Trainings der MotoGP gab ich mir wirklich Mühe, mich auf meine Unterlagen zu konzentrieren. Trotzdem feierte ich heimlich und nur für mich allein ein kleines bisschen, als auch hier Valentino mit Platz 2 gut abschnitt.
Als schließlich das Qualifying auf dem Plan stand, legte ich meine Karteikarten doch noch beiseite. Bei dem Krimi, den Vale und sein Teamkollege lieferten, hätte ich mich eh nicht konzentrieren können. Leider war es am Ende Vinales, der sich die Pole Position schnappte. Vale startete von Position 2.
Bei Fabio und Luca fieberte ich richtig mit. Ich bewegte mich sogar auf meinem Bett sitzend mit durch die Kurven, wann immer einer der beiden im Fernsehbild auftauchte. Was Fabio anging war das mit Platz 23 leider nicht so häufig. Luca war allerdings trotz Platz 6 anscheinend nicht viel interessanter für die internationale Regie.

Den Sonntag begann ich nach dem Ausschlafen in mein Bett eingekuschelt und die Rennen schauend. Meine Karteikarten lagen zwar in Griffweite, aber beachtet wurden sie erst nach dem letzten Rennen.
Die Warm Ups hatte ich verschlafen, denn ich hatte am Vortag noch bis tief in die Nacht gelernt. Aber jetzt pünktlich zum Rennen der Moto3 war ich zumindest so weit wach, dass ich aufnahmefähig war.
Mit dem Start des Moto2-Rennens war ich dann schlagartig hellwach. Mein Adrenalinspiegel war in der letzten Viertelstunde vor dem Start rapide angestiegen. Schon kurz nach dem Start schlug ich das erste Mal die Hände vors Gesicht, als Balda mit einem Highsider abflog und einen weiteren Fahrer mit sich riss. Erst als klar war, dass er weder Luca noch Fabio erwischt hatte, konnte ich aufatmen. Doch durch diesen Sturz vor ihm verlor die Gruppe um Luca den Anschluss an die Spitzengruppe. Nach zwei Runden fielen zwar einige Tropfen, aber nie genug um wirklich als Regen durchzugehen. Schon nach ein paar Minuten verzogen sich die dunklen Wolken wieder. Luca beendete das Rennen souverän auf dem 6. Platz, den er auch im Quali herausgefahren hatte. Für Fabio ging es sechs Plätze nach vorn auf Platz 17.
Auch Vale lieferte in der MotoGP ein packendes Rennen. Mit einem traumhaften Start übernahm er die Führung und bog als Führender in die erste Kurve ein. Doch schon in der zweiten Runden kämpfte er mit seinem ehemaligen Teamkollegen Lorenzo. Die beiden tauschten mehrfach die Plätze. Ab der dritten Runde mischten sich auch Vinales und Dovizioso in den Kampf ein. Als sich Dovizioso in der 14. Runde die Führung schnappte und diese bis zum Ende nicht mehr hergab, bestand das Führungsquartett neben ihm noch aus Vinales, Vale und Petrucci. Am Ende musste Vale seinen Podestplatz noch an Petrucci abgeben und wurde Vierter.

Am nächsten Wochenende schaffte ich es nur am Sonntag, mir die Rennen aus Barcelona anzusehen. Am Freitag hatte ich den kompletten Tag für Projektpräsentationen in der FH verbringen müssen. Den Samstag hatte ich bei Bea verbracht und mit ihr zusammen die Präsentation für eine unserer Prüfungen vorbereitet.
In der Woche hatte ich zwar mit Valentino telefoniert, doch seine kryptischen Aussagen hatten mir bei meinem Problem kein Stück weiter geholfen. Wahrscheinlich wollte er seinem Halbbruder nicht in den Rücken fallen. Ich konnte ihn verstehen.
So saß ich erneut an einem Sonntag vor dem Fernseher und ignorierte die neben mir liegenden Karteikarten völlig. Stattdessen suchte ich die Startaufstellung der Moto2 nach Luca ab. Vergeblich.
Fabio fand ich auf Platz 13, doch von Luca war nichts zu sehen. Warum stand er nicht in der Startaufstellung? War er am Freitag gestürzt? Oder am Samstag? Hatte er sich verletzt?
Meine Aufmerksamkeit für das Rennen war begrenzt, denn ich versuchte, nebenbei etwas über Luca herauszufinden. Fabios enger Kampf um Punkte endete auf Platz 7, doch ich hatte davon nicht viel wahrgenommen.
Es war eher Zufall, dass ich beim Start der MotoGP wieder auf den Bildschirm schaute. Die Szene, die sich dort abspielte, ließ mich schockiert zurück. Petrucci zog ohne erkennbaren Grund einmal quer über die Strecke und krachte Marquez in die Seite. Vale kämpfte sich im ersten Drittel des Rennens vom 13. Platz nach vorn auf Platz 8. Doch dabei hatte er anscheinend seine Reifen zu sehr beansprucht, denn diesen Platz konnte er am Ende nur mit Mühe halten.
Ich ließ ihm nach dem Rennen noch etwas Zeit, bis ich ganz sicher war, dass er mindestens zurück in der Box, wenn nicht sogar schon im Motorhome war. Dann rief ich ihn an. Ich brauchte Antworten.
Lange musste ich nicht warten, bis Vale sich am anderen Ende der Leitung meldete. Wahrscheinlich ahnte er schon, warum ich anrief. Trotzdem fragte er mich mit einer Seelenruhe: „Wie geht es dir?" „Bessere Frage.", gab ich zurück, „Wie geht es Luca?"
Vale seufzte tief und ließ sich mit seiner Antwort Zeit: „Heute? Nicht gut." „Was ist los?", ich konnte das Zittern in meiner Stimme nicht verbergen. Dass Valentino wieder so lange mit seiner Antwort brauchte, machte das Flattern meiner Nerven auch nicht unbedingt besser.
Die Schulter.", er klang plötzlich unglaublich müde, „Wir kriegen sie einfach nicht in den Griff. Die Schmerzen waren am Freitag und Samstagmorgen so groß, dass es einfach unvernünftig gewesen wäre, wenn er heute ein Rennen gefahren wäre." „Und jetzt?", flüsterte ich.
Das ist eine Frage, die ich dir auch stellen könnte.", er versuchte abzulenken. „Wenn ich das wüsste, Valentino.", murmelte ich schwermütig, „Ich glaube, ich liebe ihn immer noch."
Vale blieb erschreckend ernst, als er antwortete: „Ich hoffe, das sagst du auch noch in dreißig, vierzig Jahren." Ich zog die Augenbrauen zusammen. Mir war nicht klar, worauf er hinaus wollte. Doch das erklärte er mir nur Sekunden später selbst: „Er könnte dich gerade auch ganz gut an seiner Seite gebrauchen."
Mir entwich ein leises Seufzen. „So einfach ist das nicht...", setzte ich an, doch Vale unterbrach mich direkt: „Das ist eine ganz miese Ausrede. Das müsstest du doch inzwischen wissen. Du machst es dir selbst schwerer, als es ist."
Wie meinst du das?", ich konnte ihm schon wieder nicht mehr folgen. „Vielleicht wäre alles ganz leicht, wenn du einfach mal den ersten Schritt machen würdest.", Valentino sprach schon wieder in Rätseln.
Doch bevor ich mich darüber beschweren konnte, wechselte er schon wieder das Thema: „Na ja, Luca fliegt jetzt jedenfalls heute nach Spanien. Da gibt es einen ziemlich guten Arzt, der sich die Schulter mal anschauen will. Und von da will er direkt nach Assen, damit er nicht in Versuchung kommt, mit auf der Ranch zu trainieren."
Warum erzählte er mir, dass Luca sich in ein paar Tagen nur zwei Stunden Autofahrt von mir entfernt befinden würde? Allein und mit etwa einer Woche Zeit. Es juckte mir schon jetzt in den Fingern, mich einfach ins Auto zu setzen, und Luca saß noch nicht mal im Flieger.
Doch meine Vernunft gewann die Oberhand. Ich fuhr nicht nach Assen. Heute nicht und auch nicht in den folgenden Tagen.

Es war mein letztes Wochenende vor der zweiwöchigen Prüfungsphase, in der ich innerhalb kürzester Zeit sieben Prüfungen absolvieren musste. Eigentlich sollte ich kopfüber in meinen Aufzeichnungen und Büchern stecken.
Doch ich gönnte mir trotzdem zumindest den halben Sonntag, um mir die Rennen in Assen anzuschauen. Dass ich es erneut nur am Sonntag schaffte, ärgerte mich. Aber ich hatte mit Fabio ein regelmäßiges Update vereinbart, sodass ich die Startplätze meiner Lieblingsfahrer kannte.
Er selbst hatte sich den 5. Startplatz gesichert. Luca ging vom 14. Platz aus ins Rennen und Vale startete von Platz 4.
Während des Moto3-Rennens scrollte ich abwechselnd durch Facebook und Instagram. Man konnte definitiv nicht sagen, dass das Rennen nicht spannend war. Aber ich hatte mir in den letzten Tagen eine Social-Media-Pause verordnet und erlaubte mir deswegen jetzt, dass meine Aufmerksamkeit zwischen Fernsehbildschirm und Handy geteilt wurde.
Das änderte sich kurz vor dem Start des MotoGP-Rennens. Dieses fand heute schon um 13 Uhr und nicht wie sonst erst 14 Uhr statt. Vermutlich um der Formel 1 auszuweichen. Die Moto2 war erst hinterher dran.
Noch war es trocken in den Niederlanden, aber am Himmel zogen schwarze Wolken über die Strecke. Die erste Kurve passierten alle Fahrer ohne Zwischenfälle. Vale hatte schon nach dem Start den ersten Platz gut gemacht und ging als Dritter in die erste Runde. Nach fünf Runden fuhren die ersten vier Fahrer immer noch innerhalb von einer Sekunde. In der elften Runde machte Vale zum ersten Mal ernst. Marquez wurde in Kurve 1 hinein sein erstes Opfer. Nur eine Runde später kassierte er in derselben Kurve auch noch Zarco. Als der kontern wollte, hielt Vale mit einem harten Manöver gegen und lag somit in Führung.
Dann, in der 19. Runde fielen Tropfen. Das Rennen wurde als Flag-to-Flag-Race frei gegeben. Die Fahrer durften jetzt in die Box kommen und auf das Motorrad mit Regen-Setup wechseln. Doch die Führungsgruppe entschied sich dagegen. In Runde 22 schob sich Petrucci an Vale vorbei, doch der holte sich die Führung zwei Runden später wieder zurück. Mit 0,063 Sekunden Vorsprung sicherte er sich schließlich nach 26 Runden den Sieg.
Als er über den Zielstrich fuhr, hielt mich nichts mehr auf meinem Bett. Ich sprang jubelnd auf und hüpfte fünf Minuten lang einfach nur völlig überdreht durch den Raum. Viel zu lange hatte es seit Vales letztem Sieg gedauert!
So richtig beruhigt hatte ich mich erst wieder, als schließlich die Moto2 in der Startaufstellung stand. Der Regen hatte schon lange wieder aufgehört. Luca wurde zumindest kurz in den Fernsehbildern gezeigt, doch er machte keine Anstalten dazu, noch ein Interview zu geben. Stattdessen hatte er den Schlauch, der an seiner Trinkflasche befestigt war, zwischen den Lippen und den Blick, soweit man das unter seiner Sonnenbrille beurteilen konnte, stur geradeaus gerichtet. Er sah angespannt aus, und zwar noch mehr, als er es vor einem Rennstart sowieso immer war. Fabio dagegen winkte sogar, kurz bevor er seinen Helm aufsetzte, nochmal frech grinsend in die Kamera.
Schon der Start verlief nicht wirklich optimal für Luca. Er war mitten im Getümmel, als er auf die erste Kurve zuhielt. Dort wurde sein Rennen unsanft beendet. Ein Konkurrent verlor selbst die Kontrolle und riss Luca mit sich zu Boden.
Ich konnte mich nicht zwischen fluchen und heulen entscheiden. Luca stand direkt wieder auf und war anscheinend unverletzt. Sofern ich das von außen beurteilen konnte. Trotzdem war dieser Sturz direkt in der erste Runde unglaublich frustrierend! Luca sah das anscheinend auch so, denn als er etwas später zurück in seiner Box gezeigt wurde, brauchte ich für seine wohl bemerkt italienischen Worte keine Untertitel.
Fabio aber fuhr ein fantastisches Rennen. Bis ungefähr zur Hälfte des Rennens befand er sich mit seiner Gruppe in Schlagdistanz zum Führenden. Danach musste er ein bisschen abreißen lassen. Am Ende erreichte er Platz 9.

Ich ließ mir Zeit mit meinen Glückwünschen für Fabio und Vale. Meine Nachrichten sollten nicht zwischen hunderten anderen untergehen.
Nachdem ich sie aber abgeschickt hatte, dauerte es nicht lang, bis mein Handy einen eingehenden Anruf ankündigte. „Hey Vale, was gibt's? Solltest du nicht deinen Sieg feiern?", meldete ich mich. Er lachte leise am anderen Ende und erklärte: „Doch, doch. Das mache ich auch gleich. Aber ich dachte mir, dass du mich sowieso wieder nach Luca fragen wirst und ich werde heute später keine Zeit mehr haben, zu antworten."
Oh, okay.", beunruhigt rutschte ich hin und her. „Wir haben vielleicht endlich eine Diagnose für seine Schulter.", Vale spannte mich scheinbar absichtlich auf die Folter, „So wie es aussieht, hat das zwei Mal Auskugeln Schaden gemacht. Die Sehnen sind ziemlich stark entzündet. Er bekommt jetzt Entzündungshemmer und muss bis nächsten Freitag den Arm komplett still halten."
Der nächste Freitag. Das GP-Wochenende am Sachsenring.

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