Seit dieser ersten Nachricht hatte ich mein Handy andauernd in der Hand. Während der Arbeit musste ich mich ziemlich zusammenreißen, um nicht ständig auf eine Nachricht von Luca zu warten. Er hatte ja auch noch anderes zu tun.
Im Moment war er in Brünn in Tschechien. Dort fand am Wochenende das nächste Rennen statt. Abgesehen von ein paar Presseterminen und seinem üblichen Training hatte er aber relativ viel Freizeit. Das bedeutete wiederum, dass er immer dann Zeit für Nachrichten hatte.
Glücklicherweise war mein Chef nicht da. Diana neben mir bemerkte meine regelmäßigen Blicke aufs Handy aber ganz genau.
In der Mittagspause sprach sie mich darauf an: „Okay, ich finde, ich habe dir jetzt genug Zeit gelassen. Irgendwas ist am Wochenende passiert. Du schaust die ganze Zeit auf dein Handy. Erzählst du mir, was?" „Na gut. Lass uns doch heute Abend essen gehen. Dann erzähl ich dir alles in Ruhe.", lachte ich und suchte in meiner Tasche nach einem Kaugummi. „In Ordnung.", seufzte sie theatralisch, „Da habe ich wohl keine andere Wahl." Zwinkernd schnappte sie mir den eben gefundenen Kaugummi weg und setzte sich wieder an ihren Schreibtisch.
„Du hast übrigens eine Nachricht.", grinste sie und deutete auf mein blinkendes Handy. Ich stürzte mich sofort darauf und tippte ungeduldig auf das Nachrichtensymbol. Es war eine Nachricht von Luca.
Nach Feierabend fuhren Diana und ich gemeinsam zum Hotel. Dort zog ich mich um und nahm meine Handtasche mit. Diana lieh sich ein T-Shirt von mir.
Dann fuhren wir mit dem Bus wieder zurück in die Innenstadt. Wir entschieden uns für die gleiche Location, in der ich auch mit Marec gewesen war, als er mich besucht hatte. Noch immer piepste mein Handy regelmäßig und kündigte eine neue Nachricht von Luca an. So viel schrieb mir nicht mal Lilia. Jedes neue Klingeln brachte Diana zum Lachen.
Wir bestellten uns beide einen Lillet Wild Berry, beim Essen blieben wir beide bei Wraps. Dazu eine große Portion Süßkartoffelpommes, weil die einfach zu lecker waren. Mit dem Lillet stießen wir an.
Von meinem Wrap blieb nicht viel übrig, außer ein paar Krümeln. Jetzt dippte ich die restlichen Süßkartoffelpommes in den vor mir stehenden Sauerrahm.
Diana schob ihren leeren Teller von sich weg und stöhnte: „Boar, ich bin so satt. Ich glaub, ich brauch noch was zu trinken." „Das klingt gut.", stimmte ich zu und steckte mir den letzten Pommes in den Mund.
Wie auf Kommando erschien ein Kellner, der unsere Getränkebestellung aufnahm und die leeren Teller abräumte. Kurze Zeit später kam er mit zwei vollen Gläsern zurück.
„Okay.", meinte Diana und trank einen Schluck, „Jetzt bist du dran. Wie war dein Wochenende?" Ich wand mich unter ihrem bohrenden Blick. Eigentlich hatte ich gehofft, das Gespräch noch ein wenig hinaus zögern zu können. Doch Dianas unnachgiebiger Blick ließ diese Hoffnung schwinden. Ich seufzte: „Na gut."
Sie konnte ihre Ungeduld nicht mehr zügeln: „Hast du Luca wieder getroffen?" Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. Automatisch griff ich nach meinem Handy und warf einen Blick darauf. Natürlich hatte ich eine Nachricht von Luca.
- Hey, ich hoffe, du genießt deinen Abend. Ich wollte dich eigentlich auch gar nicht stören, aber ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten, dir nicht zu schreiben. Hab noch viel Spaß, Pulcino. -
Ich nahm mir die Zeit, ihm zu antworten, auch wenn ich ganz genau wusste, dass Diana auf meine Erzählungen wartete.
- Hey, Luca. Du störst nie! Ich freue mich immer über eine Nachricht von dir. Danke, ich glaube, den werde ich haben. Genieß deinen Abend. -
Diana wedelte mit ihrer Hand vor meinem Gesicht herum. „Hallo?!?", langsam klang sie richtig genervt, „Bist du noch da?" „Ja, ja, sorry.", ich schob ihre Hand beiseite, „Ja, ich habe Luca wiedergesehen."
„Wann? Was habt ihr gemacht?" Ich musste lachen: „Oh Gott, Diana! Beruhig dich mal wieder! Du hyperventilierst ja gleich." Sie winkte ungeduldig ab und forderte: „Jetzt erzähl schon endlich" „Ist gut.", ich trank noch einen Schluck, „Wir haben uns am Freitag in der Boxengasse getroffen."
„Das war's?", rief sie enttäuscht aus. Kopfschüttelnd erwiderte ich: „Du lässt mich ja gar nicht ausreden." Ihr Stöhnen klang mehr als genervt: „Du lässt dir ja auch alles aus der Nase ziehen! Was habt ihr gemacht?"
„Wir haben uns unterhalten.", ich sah, dass sie schon wieder zum Sprechen ansetzte, doch sie hielt sich zurück, „Dann hat ihn Valentino Rossi angerufen und uns zum Essen eingeladen." Jetzt konnte sie nicht mehr ruhig bleiben: „Der Valentino Rossi!?!" Ich nickte bestätigend und löste damit ein begeistertes Quietschen aus.
„Und, und, und?", bohrte sie weiter. „Es war echt lustig. Vale ist ein unglaublich sympathischer Mensch.", ich schilderte ihr mein gemeinsames Essen mit Vale und Luca bis ins kleinste Detail. Auch den Spaziergang mit Luca durchs Fahrerlager im Anschluss vergaß ich nicht.
"Das war alles am Freitag.", schloss ich meinen Bericht, „Danach hat Luca mich nach Hause gebracht."
Diana drängte ungeduldig darauf, alles zu erfahren. Also erzählte ich ihr auch von Marecs komischem Verhalten am Samstag, von Fabio, von Lucas Box, von Valentinos Box, von sämtlichen Handynummern, die ich bekommen hatte, und davon, dass ich eine Nacht bei Luca geschlafen hatte. Auch das Frühstück mit Lucas Team übersprang ich nicht. Sie amüsierte sich köstlich, ließ sich mit ihrem abschließenden Urteil jedoch jede Menge Zeit.
„Ihr beide werdet so was von zusammen kommen.", grinste sie mir schließlich ins Gesicht. Mir fiel alles aus dem Gesicht. Wie kam sie denn jetzt darauf?
Ich stritt alles ab: „Nein! Wir kennen uns doch gar nicht und außerdem sehen wir uns viel zu selten. Ich hab auch gar kein Interesse an einer Beziehung." „Und wie du auf ihn stehst. Du strahlst die ganze Zeit dein Handy an und deine Augen leuchten, wenn du von ihm sprichst. Und du wärst sonst auch nicht nach Österreich gefahren."
„Selbst wenn ich auf ihn stehen würde, was ich nicht tue,", betonte ich, „das hieße noch lange nicht, dass er auch auf mich steht." „Oh, er steht so was von auf dich!", feixte Diana.
„Nein!", fuhr ich sofort dazwischen, „Und überhaupt, woher willst du das wissen?" „Das ist doch so offensichtlich.", bekräftigte sie übermütig.
„Ist es das?", schnaubte ich abfällig. Wenn ich allerdings gewusst hätte, was ich damit auslöste, hätte ich es wohl gelassen. Diana begann, alles aufzuzählen, was ihrer Meinung nach bewies, dass Luca Interesse an mir hatte: „Er ist von sich aus zu dir gekommen. Am Sachsenring schon und jetzt in Österreich wieder. Außerdem hat er dir seine Nummer gegeben und du kriegst ständig Nachrichten von ihm. Er gibt dir ständig süße Spitznamen und ist total interessiert an deinem Leben. Er hat sich gefreut, dich zu sehen und dich nach Italien eingeladen. Seinem Team hat er dich auch schon vorgestellt. Und vergiss nicht das Essen mit Valentino. Und... du hast bei ihm geschlafen."
Damit gingen ihr die Finger aus. „Das hat doch alles überhaupt nichts zu sagen.", protestierte ich wenig erfolgreich. Diana sah sich vermutlich schon als meine Brautjungfer in Italien stehen. Das sollte ich ihr dringend ausreden. Das würde nämlich nicht passieren.
Diana seufzte: „Bist du stur! Aber du wirst schon noch sehen, dass ich recht habe." „Warum bist du dir da nur so sicher?", es war schon fast Verzweiflung, die sich da in mir breitmachte. Diana hatte es sich wohl zur Aufgabe gemacht, mir Hoffnungen einzupflanzen, die niemals eine Chance bekommen würden.
Doch Diana ließ das Thema überraschenderweise ruhen. Stattdessen bestellten wir uns noch etwas zu trinken und genossen den warmen Sommerabend.
Nach diesem Drink ließen wir den Abend dann aber auch ausklingen. Mit dem Bus fuhren wir zurück zum Hotel. Die letzten paar Stunden bis am nächsten Morgen der Wecker klingeln würde, nutzten wir, um zu schlafen. Allerdings konnte Diana sich einen Kommentar doch nicht verkneifen: „Willst du deinem Luca nicht noch mal schreiben?" Erwachsen wie ich war, streckte ich ihr die Zunge raus und erinnerte sie: „Er ist nicht mein Luca." Aber ich nahm mir tatsächlich mein Handy und öffnete die letzte Nachricht von Luca:
- Hey tenerezza, ich werde jetzt schlafen gehen. Morgen habe ich einen ziemlich stressigen Tag. Den ganzen Tag Pressetermine, Fotoshootings und Teambesprechungen. Und die Streckenbegehung ist morgen Abend auch noch. Also schlaf gut und träum süß. Ich melde mich morgen. -
- Gute Nacht, Luca. Ich gehe jetzt auch schlafen. Bis morgen. -
Meine Antwort war schnell getippt. Diana lachte nur und drehte sich auf die Seite. Ich legte mein Handy auf den Nachttisch und kuschelte mich in die Kissen.
Der Arbeitstag war ruhig und entspannt verlaufen. Ich hatte sogar pünktlich Feierabend gemacht. Das gab mir jetzt die Möglichkeit, noch ein wenig Laufen zu gehen. Dazu war ich in den letzten Tagen so gut wie gar nicht gekommen.
Luca hatte heute tatsächlich deutlich weniger Zeit zu schreiben. Als ich heute Morgen auf mein Handy gesehen hatte, leuchtete dort eine süße Nachricht von ihm auf. Er hatte mir einen schönen Tag gewünscht. Ansonsten hatte ich nur noch drei weitere Nachrichten bekommen, in denen er mir seinen Tagesablauf schilderte, sich über etwas oder jemanden aufregte und sich nach mir erkundigte.
Die letzte Nachricht war inzwischen drei Stunden her. Es war komisch, wie sehr mir sein regelmäßiges Schreiben der letzten Tage fehlte. Also bot ein bisschen Joggen auch gleich ein wenig Ablenkung.
Ich band mir gerade die Schuhe zu, als mein Handy heftig zu Vibrieren begann. Es dauerte einen Moment, bis ich es aus meiner Hosentasche gefischt hatte und rangehen konnte.
„Hallöchen!", meldete sich Lilia überschwänglich. Automatisch musste ich lächeln. Ich hatte ihr zwar schon geschrieben und über das letzte Wochenende berichtet, aber wir hatten noch keine Gelegenheit gehabt, zu telefonieren. Dabei hatte ich doch so viel zu erzählen!
„Hallo Lilia.", antwortete ich ihr, „Ich wollte gerade joggen gehen." „Oh nein! So was kannst du doch nicht tun! Sport ist Mord!" „Du hast ja recht.", lachte ich, „Du hast mich ja zum Glück gerettet!" „Das habe ich. So und jetzt erzähl mal.", forderte sie mich auf. Ich tat unwissend und fragte nach: „Was soll ich denn erzählen." „Oh, spann mich nicht auf die Folter! Du weißt genau, was ich meine.", zischte sie.
„Ist ja gut, ist ja gut.", beruhigte ich sie, „Also pass auf. Ich hab Luca wiedergetroffen." „Das hattest du schon geschrieben.", meinte sie.
„Ich weiß. Ich brauchte nur einen guten Anfangspunkt." „Der Anfangspunkt ist mir egal.", gab sie zurück, „Ich will die Details." „Sollst du kriegen. Er hat mich wieder in der Boxengasse gefunden.", begann ich und sie konnte sich nicht verkneifen, doch noch etwas dazu zu sagen: „Das wird eine lustige Kennenlerngeschichte. Wisst ihr Kinder, ich hab eure Mutter erst drei Mal in der Boxengasse gesehen, bevor wir uns richtig gedatet haben." Für ihren letzten Satz hatte sie ihre Stimme verstellt. Als sie geendet hatte, brach sie in schallendes Gelächter aus.
Nur leider war mir gar nicht zum Lachen zumute. So ganz war mir nicht klar, wieso jeder der Meinung, dass aus Luca und mir mehr als Freundschaft werden könnte. Wenn das so sein sollte, mussten doch zuallererst wir daran glauben, oder nicht? Und das tat ich einfach nicht.
„Hey, Vanessa? Bist du noch da?", fragte Lilia nach, als ich nicht in ihr Lachen einstimmte. „Ja, bin noch da.", seufzte ich, „Es ist nur... ich... du hast mich damit grad ein bisschen überfordert." Sie entschuldigte sich sofort: „Oh, tut mir leid. Das wollte ich nicht. Erzähl weiter. Ich werde erst mal nichts dazu sagen." „Das sollst du doch gar nicht!" Aber sie unterbrach mich: „Doch. Ich hör mir jetzt an, was du zu erzählen hast und dann kann ich mir immer noch einen Spaß erlauben."
„Na gut.", gab ich nach, „Wir haben uns dann eine Weile unterhalten, bis Valentino Rossi angerufen hat und uns zum Essen eingeladen hat. Also eigentlich hat er Luca eingeladen, aber der hat gefragt, ob er mich mitbringen kann und Vale hatte nichts dagegen."
Ich erwartete einen Kommentar von Lilia, doch sie sagte nichts. Also fuhr ich fort: „Wir sind dann zu Vales Motorhome gefahren und haben ihn dort abgeholt. Er hat uns einfach halb nackt die Tür aufgemacht!" Ich konnte spüren, dass es meine beste Freundin in den Fingern juckte, etwas dazu zu sagen. Doch sie zwang sich tatsächlich zur Ruhe. Mal sehen wie lange es brauchte, bis sie sich nicht mehr zurückhalten konnte.
Ich beschloss, sie ein wenig zu provozieren: „Alter Schwede, also für seine 37 Jahre hat der Mann einen echt unglaublichen Körper."
Kurz hielt ich inne, um ihr die Möglichkeit zu geben. Im Hintergrund hörte ich das Tippen einer Tastatur. „Lilia?", fragte ich nach und sie forderte mich auf: „Ja ja, sprich weiter. Ich muss Valentino Rossi googeln." Jetzt musste ich doch lachen.
„Er hat uns mit in die Yamaha-Hospitality genommen und dort mit uns gegessen. Danach sind Luca und ich noch ein bisschen im Fahrerlager spazieren gegangen. Da habe ich auch Fabio wiedergetroffen." „Moment.", unterbrach sie mich, „Fabio war der Franzose, richtig?"
„Ja, genau.", erklärte ich, „Der im Leopard Racing Team fährt und in der Moto3 startet. Er hat mir später auch seine Nummer gegeben." „Na immerhin checkt er das schneller als Luca.", meine beste Freundin murmelte das zwar sehr leise, doch ich hörte es trotzdem.
Ein Seufzen konnte ich mir dazu nicht verkneifen, doch dann erzählte ich weiter: „An dem Abend ist eigentlich nicht mehr viel passiert. Luca hat mich dann noch zum Wohnwagen gebracht." „Habt ihr euch noch mal gesehen?", fragte Lilia nach. „Natürlich.", erwiderte ich, „Das war ja nur der Freitag. Am Samstag habe ich mir zuerst mit meiner Familie und Marec die Trainings und Qualis angeschaut und danach kam Luca zu Flos Rennen rüber. Er hat vorher noch ein bisschen mit Flo gesprochen und stand dann mit in der Startaufstellung. Nach dem Rennen kam er auch wieder mit zu uns ins Fahrerlager. Da saßen wir alle dann noch ein bisschen zusammen, bis Mal wieder Vale angerufen hat."
Lilia schnaubte amüsiert: „Also mit Vale hat der Kleine offensichtlich ziemlich viel zu tun." „Er ist nicht klein.", protestierte ich. „Bei dir ist es ja auch nicht schwer, größer zu sein." Leider hatte sie damit recht.
„Soll ich jetzt weiter erzählen?", ich ließ meine Stimme absichtlich etwas genervt klingen. „Ja, sollst du.", forderte Lilia, „Zick nicht." „Ich zicke nicht. Vale hatte außerdem nur für uns gekocht." „Im Ernst?!?", ich hörte schon fast durchs Telefon ihre Kinnlade auf dem Boden aufschlagen.
Lachend bestätigte ich: „Ja und er hat Kellner für uns gespielt. Später haben Luca und ich uns noch einen Film angesehen. Ich hab ihn sogar dazu überredet, auf Deutsch zu schauen." „Stopp!", rief sie dazwischen, „Mehr Details! Was hat Vale gekocht? Wo wart ihr? Wart ihr allein? Was war das für ein Film?" „Hm, es gab erst Salat, dann Spaghetti Carbonara und zum Schluss einen Schokokuchen. Und es gab Wein dazu. Wir waren in Lucas Motorhome und außer Vale war niemand sonst da. Der ist auch später gegangen. Und der Film hieß ‚Das Fenster gegenüber'".
„Okay gut. Klingt ja sehr romantisch.", schmunzelte sie. „Luca hat mich nach Italien eingeladen.", platzte es da plötzlich aus mir heraus.
Für einige Sekunden blieb es still in der Leitung. Dann war Lilia wieder zu hören: „Oh wow! Ich glaube, er mag dich echt gern." „Und...", murmelte ich kaum verständlich, „Ich hab bei ihm geschlafen." „Jetzt wird es spannend!" „Oh man, Lilia! Hast du mir zugehört?" „Klar, du hast mit Luca geschlafen.", wiederholte sie. „Falsch!", rief ich dazwischen, „Ich sagte, ich habe BEI Luca geschlafen, nicht MIT." „Na gut. Aber das ist trotzdem ein ganz schöner Schritt, findest du nicht?"
„Schon irgendwie. Es war... irgendwie schön.", bei dem Gedanken daran, neben ihm aufzuwachen, musste ich sofort lächeln. „Ich weiß, dass du jetzt lächelst.", meinte Lilia sanft, „Wie war der Sonntag?"
„Nach dem Aufstehen haben wir bei seinem Team gefrühstückt. Da hat er mir dann auch die Chefetage vorgestellt. Seine Teamchefin ist Deutsche. Und ich glaube, sie mag mich. Der Rest kann mich immer noch nicht leiden. Dann haben wir uns die Warm Ups angeschaut und für die Rennen sind wir dann tatsächlich in Valentinos Box gegangen! Die hatten dort auch kein Problem damit, dass ich da war. Es war auch egal, als Vale gefahren ist und ich trotzdem noch in der Box saß. Viel entspannter.", erzählte ich und beschloss, dass ich heute keine Lust mehr auf joggen hatte.
Ich zog mir die Schuhe wieder aus und legte mich aufs Bett, um dann weiter zu erzählen: „Vale hat mir übrigens auch seine Nummer gegeben. Falls es Luca wieder vergisst. Nach dem letzten Rennen sind Luca und ich wieder zu uns gefahren. Flo hatte ja zwei Rennen. Als das durch war, mussten wir dann auch direkt fahren. Aber diesmal hat Luca mir seine Nummer gegeben. Wir schreiben eigentlich ständig."
„Ich würde euch beide gern mal zusammen sehen.", meinte Lilia schließlich, „Ich glaube nämlich, dass er dich wirklich gern mag. Aber ich weiß ja, dass du da nicht so schnell bist." „Was soll das denn jetzt heißen?"
„Dass du ein Blindfisch bist, wenn jemand auf dich steht. Du kriegst es ja noch nicht mal mit, wenn du auf jemanden stehst. Erst wenn es zu spät ist und du richtig tief in der Scheiße steckst. Siehe Marec.", führte sie aus und sie hatte recht.
„Apropos Marec.", versuchte ich sie abzulenken, „Der hat sich am Wochenende auch komisch benommen." Ich wollte ihr schon von seiner unerklärlichen schlechten Laune und dem ständigen auf die Pelle rücken erzählen, als plötzlich mein Handy einen weiteren eingehenden Anruf ankündigte.
Ich nahm es kurz vom Ohr und sah aufs Display. Dann wandte ich mich wieder an Lilia: „Wenn man vom Teufel spricht, ruft er an. Ich hör mal, was er will. Wir schreiben später." „Okay, alles klar. Erzähl mir dann, was er wollte und vor allem was du mit komisch meinst. Bis dann.", verabschiedete sie sich und legte auf.
Seufzend nahm ich den Anruf an und meldete mich: „Hey. Na, was gibt's?" „Hi. Ich dachte mir, jetzt wo das Wochenende vorbei ist, kann ich vielleicht auch wieder mit dir reden.", dieser angriffslustige Unterton in seiner Stimme gefiel mir überhaupt nicht.
Doch ich ignorierte das und fragte stattdessen: „Okay, klar. Was hast du auf dem Herzen?" „Wir haben ja nächstes Wochenende kein Rennen.", erzählte er, „Und weil wir uns letztes Wochenende eher wenig gesehen haben, dachte ich, dass du da vielleicht vorbeikommen könntest?"
Wollte ich ihn sehen? Nach seinem Verhalten am Wochenende war ich mir da noch nicht richtig sicher. Außerdem spielte ich seit dem Gespräch mit Lilia mit dem Gedanken, nach Brünn zu fahren.
Das brachte mich schließlich dazu, lieber nicht zuzusagen: „Ich glaube, lieber nicht." „Ich kann auch bei dir vorbeikommen.", schlug er vor. „Marec.", sagte ich, „Nein. Ich... Marec, ich will nach Brünn fahren. Außerdem denke ich, dass ein bisschen Abstand gerade ganz gut ist." „Wie du meinst.", und der aggressive Unterton war wieder da. Bevor ich noch etwas sagen konnte, legte er auf.
Na toll. Was war das denn jetzt? Hatte etwas von einer beleidigten Leberwurst. Was sollte ich jetzt machen? Sollte ich ihm lieber seine Ruhe lassen oder war es besser, wenn ich ihn anrief? Ich brauchte Lilias Rat. Also schrieb ich ihr schnell eine Nachricht, in der ich ihr nicht nur Marecs Verhalten vom Wochenende erklärte, sondern auch den äußerst komischen Anruf von eben.
Dann suchte ich mir die schnellste Strecke nach Brünn und entschied mich am Ende doch dafür, lieber einen Billigflug zu buchen. Sonst hätte ich acht Stunden und 43 Minuten fahren müssen.
Während ich also nach einem Flug suchte, erschien Lilias Antwort auf meinem Handydisplay.
- Das klingt ziemlich nach Eifersucht, und zwar auf deinen Luca. Ich weiß, du willst das nicht hören und hältst es für völlig ausgeschlossen, aber Marec hat Gefühle für dich. Vielleicht merkt er es erst jetzt, weil er dich jetzt nicht mehr so einfach haben kann, sondern weil Luca jetzt echte Konkurrenz für ihn ist. -
Wie bitte? Klar, Marec verhielt sich komisch, wenn nicht sogar ziemlich bescheuert. Aber das hieß doch nicht, dass er jetzt ganz plötzlich seine Gefühle für mich entdeckt hatte! Das war doch völlig absurd! Was auch immer Lilia da hinein interpretierte, was nicht da war, es waren ganz sicher keine Gefühle.
Wiedermal hatte Lilia es damit geschafft, mir wirre Gedanken einzupflanzen. Und diese wirren Gedanken ließen mich jetzt schon seit einer gefühlten Ewigkeit nicht einschlafen. Morgen war bereits Donnerstag. Der Flug nach Brünn war gebucht. Genauso wie ein Rückflug am Sonntag.
Luca hatte ich auch schon Bescheid gegeben. Er hatte darauf bestanden, dass ich bei ihm schlief und mir kein Hotel nahm. Außerdem hatte er mir versprochen, Emanuele zu schicken, um mich abzuholen. Da hatte ich wiederum darauf bestanden, dass es jemand war, der mich halbwegs mochte. Das hatte ihn doch tatsächlich zum Lachen gebracht! Als ich sein ansteckendes Lachen gehört hatte, hatte ich nichts gegen mein eigenes Lachen tun können.
Jetzt allerdings vermisste ich Lucas Stimme im Ohr und seine süße Gute-Nacht-Nachricht hatte ich bestimmt schon zehn Mal gelesen.
Meine Gedanken wurden schließlich auch müde und ließen mich dann doch noch ein wenig schlafen.
Der Donnerstag war ereignislos verlaufen. Am Freitag stand das Interview mit dem Fahrer aus Bohmte bei Osnabrück an. Kevin Yohring fuhr seine letzte Saison im ADAC Junior Cup, weil er im nächsten Jahr die Altersbegrenzung überschreiten würde. Der Cup durfte nur zwischen 13 und 21 Jahren gefahren werden.
Kevin war sehr sympathisch und locker, deswegen verlief das Interview auch völlig entspannt. Ich hatte der Moderatorin bei der Vorbereitung geholfen, was sich etwas negativ auf meinen Zeitplan auswirkte. Auch dass ich nach seinem Interview noch kurz mit Kevin sprach, brachte mich ziemlich in zeitliche Bedrängnis.
Zum Glück hatte ich die Sachen, die ich für das Wochenende brauchte, schon eingepackt. Nach der Arbeit musste ich nur noch den Koffer holen und mich vom Bus zum Flughafen bringen lassen. Allerdings hatte ich nur rund eine Stunde Spielraum für Stau, Verspätungen und Ähnliches, falls ich pünktlich Feierabend machte.
So kam es auch, dass ich meine Mittagspause heute deutlich kürzer hielt als sonst. Das fiel Diana natürlich auf. Sie bohrte so lange nach, bis ich ihr schließlich erzählte, dass ich nach Brünn flog. Voller Begeisterung sicherte sie mir zu, dass ich pünktlich gehen konnte, da sie alle übrigen Aufgaben gerne übernehmen würde.
Also verließ ich doch tatsächlich pünktlich das Studio.
Mit dem Koffer in der Hand stieg ich nur eine halbe Stunde später in den Bus. Der kam trotz Feierabendverkehr ziemlich problemlos zum Flughafen, sodass ich überpünktlich zum Check-in bereitstand.
Durch den Check-in und die Sicherheitskontrolle kam ich absolut reibungslos. Die letzte Stunde bis zum Abflug vertrieb ich mir mit Essen. Das Sandwich machte zwar nicht wirklich satt, aber ich hatte erst mal was im Magen.
Dann war es auch schon Zeit. Ich saß am Fenster und hatte die ganze Reihe für mich. Also breitete ich mich ein wenig aus und versuchte zu schlafen.
Nach der Landung wartete ich noch mal zwanzig Minuten auf meinen Koffer. Dann machte ich mich auf die Suche nach Emanuele. Nebenbei textete ich schnell Luca, dass ich sicher gelandet war. Seine Antwort kam prompt. Saß der denn vor seinem Handy und wartete auf eine Nachricht?
Emanuele zu finden war nicht sonderlich schwer. Was vielleicht auch daran lag, dass er mich ziemlich schnell fand. Ganz gentlemanlike nahm er mir den Koffer ab und zeigte mir dann den Weg zu seinem Auto.
Brav bedankte ich mich: „Danke fürs Abholen." Doch er winkte ab: „Kein Problem. Wenn Luca glücklich ist, haben wir alle es leichter." „Ist er sonst so schlimm?", scherzte ich, aber Emanuele antwortete ernst: „Schlimm nicht, aber nervig. Und wenn nicht alles absolut passt, kann er nie 100 Prozent abrufen."
Damit war unser Gespräch fürs erste beendet. Stumm fuhren wir zum Brno Circuit. Doch die Stille war nicht unangenehm, eher einvernehmlich. Wir hatten beide nichts weiter zu erzählen und bevor wir uns durch peinlichen Small Talk quälten, war es doch besser, einfach still zu bleiben.
Als wir schließlich auf das Gelände des Circuits fuhren, wurde ich doch ziemlich aufgeregt. Ich konnte es kaum noch erwarten, Luca um den Hals zu fallen. Ganz kurz hatte ich Dianas Stimme im Ohr. Doch ich schüttelte sie ab.
Emanuele brachte mich sogar bis vor Lucas Motorhome, vorbei an den ganzen neugierigen Fans. Die beäugten mich kritisch, als ich einfach so an ihnen vorbei und die Treppen zur Eingangstür nach oben stiefelte. Ich bedankte mich noch mal bei Emanuele. Der nickte mir zu, wünschte uns einen schönen Abend und ging. Bevor ich klopfte, atmete ich tief durch.
Meine Faust hatte die Tür noch kein zweites Mal berührt, da wurde diese auch schon aufgerissen. Lucas Augen strahlten mich an und im nächsten Moment lag ich schon in seinen Armen. „Hey.", hauchte er mir in den Nacken. Ich konnte es kaum hören, denn unten vor der Absperrung hatten einige Fangirls angefangen zu kreischen.
Ganz vorsichtig schob ich ihn ein wenig Richtung Tür und er verstand. Ohne mich loszulassen, ging er rückwärts in den Flur und schubste irgendwie hinter uns die Tür zu. Dann richtete er seine ganze Aufmerksamkeit wieder auf mich.
Ganz leicht nahm er mein Gesicht in seine Hände und flüsterte: „Ich habe mich schon den ganzen Tag auf dich gefreut, tesoruccio." „Ich mich auch.", erwiderte ich.
Da Luca am nächsten Morgen wieder früh auf die Piste musste, ließen wir den Abend ganz entspannt auf der Couch ausklingen. Wir hatten zunächst ein wenig durch die Programme gezappt und blieben bei einer englischen Rateshow hängen. So konnten wir beide sie verstehen. Wir amüsierten uns köstlich über die Kandidaten.
Nach einer Weile wurden wir aber beide müde und gingen ins Bett. Wieder schlief ich eng an ihn gekuschelt. Eine Zeit lang lauschte ich allerdings noch auf Lucas regelmäßige Atemzüge. Und in diesem Moment fühlte ich mich, so weit wie ich von meiner Heimat entfernt war, doch irgendwie zuhause.
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Italian Dream
FanfictionFür sie ändert sich an einem Wochenende das ganze Leben. Für ihn auch, nur weiß sie das nicht und wird es so schnell auch nicht erfahren. Oder doch? Luca Marini ist ein junger, ambitionierter Motorradrennfahrer, gerade frisch in die Weltmeisterschaf...