'Sachsenring, ich komme!', in meinem Kopf drehte sich alles. Seit einigen Wochen konnte ich an nichts Anderes mehr denken. Heute hatte dieses Gefühl aber seinen Höhepunkt erreicht. Meine Konzentration war am absoluten Tiefpunkt angelangt, dafür hatte ich einen Blutdruck so hoch wie das Empire State Building, also zumindest gefühlt.
Ich arbeitete im Moment für drei Monate in Osnabrück und fuhr extra für dieses besondere Wochenende zurück in meine 4,5 Stunden entfernte Heimat in Thüringen und von dort aus ging es dann am nächsten Tag weiter an den Sachsenring.
Mein bester Freund, den ich an der Rennstrecke kennengelernt hatte, als wir beide noch ein paar Jahre jünger gewesen waren, fuhr auch jetzt noch Motorradrennen.
Dieses Wochenende startete er im ADAC Junior Cup powered by KTM im Rahmenprogramm der MotoGP und er hatte mich zu seinem Grid Girl auserkoren! Ich hatte mir bei meinem letzten Italienurlaub extra ein Kleid dafür mitgebracht. Er würde es lieben, genauso wie meine mit Nieten besetzten High Heels.
Während ich mich im Auto meiner Mutter durch den dichten Verkehr quälte, platzte ich fast vor Vorfreude. Mit meinen neon-gelb lackierten Fingernägeln trommelte ich auf das Lenkrad. Auf jeden Einzelnen war eine kleine, blaue 46 gemalt. Das würde Marec eher nicht gefallen. Er war Marquez- Fan, aber eher Alex Marquez als Marc Marquez. Also war das okay. Extra für ihn hatte ich jedoch zwei Finger an meiner rechten Hand anders lackiert. Der Mittelfinger war ganz schlicht weiß und der Ringfinger rot. Wenn ich mit dieser Hand den Schirm hielt, dann konnte man darin die polnische Flagge erkennen, denn Marec kam ursprünglich aus Polen.
In einer Stunde würde ich endlich Zuhause ankommen. Eigentlich hatte ich wirklich Hunger. Bevor ich heute Mittag losgefahren war, hatte ich nichts gegessen und das machte sich jetzt bemerkbar. Aber ich wollte nicht anhalten. Nicht so kurz vor dem Ziel. Dafür war meine Ungeduld zu groß. Warum konnte ich nicht schon jetzt am Sachsenring sein?!
Niemand bemerkte, wie ich das Auto vor dem Haus meiner Großeltern abstellte. Mein Vater war mit meinem Bruder schon auf dem Sachsenring, der nur eine Stunde von meinem Zuhause entfernt war. Meine Mutter würde mit mir zusammen fahren. Aber leider erst morgen. Bis dahin waren es noch fast 12 Stunden.
Ich stieg aus und ging zur Tür. Langsam drückte ich die Klinke nach unten. Im Inneren des Hauses hatte sich in den letzten Wochen nichts verändert. Alles erinnerte mich an die letzten 18 Jahre, also mein ganzes bisheriges Leben.
Der Kater meiner Großeltern begrüßte mich mit einem lautlosen Miauen. Er gab eigentlich fast nie einen Ton von sich. Er riss immer nur das Maul auf, zeigte seine Zähne, aber miaute nicht. Dafür war er unglaublich liebenswert und verschmust.
Das Wiedersehen mit meiner Mama, die gerade bei ihren Eltern war, und meinen Großeltern fiel ähnlich tränenreich aus, wie es unser Abschied es gewesen war. Den ersten gemeinsamen Abend seit drei Wochen verbrachten wir in unserem Lieblingsrestaurant, einem Griechen.
Aber ich war ziemlich früh am Abend müde, denn ich war um 6 Uhr aufgestanden, und hatte bis Mittag gearbeitet, bevor ich die lange Strecke auf mich genommen hatte. Deshalb freute ich mich endlich wieder auf mein eigenes Bett.
Ich kuschelte mich in meine Decke und ließ meinen Kopf auf das Kissen sinken. An mich geschmiegt schlief eine kleine, flauschige Katze. Ihr Name war Scratty und eigentlich war sie eher launisch und wurde nicht gern berührt. Aber ich war da schon immer eine Ausnahme. Sie hatte mich bestimmt genauso vermisst wie ich sie.
Neben meinem Kopf vibrierte mein Handy und leuchtete auf. Eine Nachricht von Marec.- Freue mich auf dich ;*-
Schnell tippte ich eine Antwort, bevor ich das Handy weglegte und einschlief.
- Ja, ich mich auch auf dich ^^-
Schon früh stiegen wir am nächsten Morgen ins Auto und es ging los. Mein Herz in meiner Brust schlug immer schneller. Ich konnte meinen Herzschlag förmlich an meiner Hautoberfläche spüren, ohne meine Hand darauf zu legen.
Auch meine Mutter bemerkte meine Aufregung. Doch sie sagte nichts. Sie lächelte einfach vor sich hin und fuhr. Sie war auch aufgeregt. Das wusste ich. Schließlich war es das erste Rennen meines Bruders auf großer Strecke. Bisher war er immer nur auf Kartbahnen unterwegs.
Leider hatten wir kein Einfahrtticket und mussten das Auto außerhalb des Geländes stehen lassen. Dafür besaßen wir Fahrerlagerkarten, aber nur für das Lager des Junior Cups. Die ermöglichten uns aber auch den Zutritt zum Gelände und da war es ...
Menschenmassen strömten um uns herum. So viele Menschen auf einem Haufen, die alle das Gleiche liebten. Überall sah man gelbe Kappen aus dem Menschenmeer herausragen. Ab und zu wurde auch mal eine Rote vorbeigetragen. Seltener gab es Blaue oder Orangene. T-Shirts gab es in jeder Variante, aber auch hier überwog das Gelb, das auch meine Fingernägel zierte. Überall um mich herum übertrugen begeisterte Väter ihren kleinen Kindern mit riesigen Kopfhörern auf dem Kopf, die sie vor dem Motorenlärm schützen sollten, die Leidenschaft für diesen Sport. Von der Strecke her waren die röhrenden Motoren der Maschinen zu hören. Eine Gänsehaut breitete sich langsam von meinen Armen über meinen ganzen Körper aus. Ich brauchte einen Moment, um diese Atmosphäre völlig aufzusaugen.
Die Lautstärke der Motorräder konnte eigentlich nur heißen, dass gerade die MotoGP fuhr, also die größte Klasse. Das bedeutete auch, dass gerade mein Held auf der Strecke war. Leider konnte ich von dem Weg oberhalb der Strecke nichts von der Strecke sehen und es war auch kein Bildschirm in der Nähe. Dann hieß es wohl für mich, geduldig bleiben. Irgendwann würde sich an diesem Wochenende noch die Möglichkeit ergeben. Jetzt wollte ich erst mal meinen Bruder in den Arm nehmen. Den hatte ich schon viel zu lange nicht mehr gesehen.
Endlich kam das richtige Fahrerlager in unser Blickfeld. Vor dem riesigen grünen Tor stand ein älterer Mann in einem ebenso grünem T-Shirt. Er forderte sofort unsere Karten, sobald erkennbar war, dass wir das Fahrerlager betreten wollten.
Und dann, endlich, hatte ich Motorräder um mich herum. In jedem Zelt befand sich mindestens eine KTM 390 RC Cup. Die Bikes unterschieden sich nur durch die unterschiedlichen Startnummern und Sponsorenaufkleber. Manche hatten die wenigen erlaubten Flächen auch farbig lackiert.
So auch mein Bruder. Seine KTM war neben den üblichen KTM- Farben (orange, schwarz und an manchen Stellen ein bisschen weiß) neon- grün. Er würde hier am Sachsenring sein erstes Rennen auf diesem Motorrad bestreiten.
Normalerweise fuhr er noch eine Honda NSF 100 im ADAC Minibike Cup, aber dafür war eigentlich schon zu groß und zu schwer. Nicht dass er dick wäre, aber er war so groß wie ich und alle seine Gegner waren mindestens einen Kopf kleiner und dementsprechend leichter. Da Florian ab der nächsten Saison im Junior Cup starten sollte, durfte er hier als Gaststarter fahren. Er bekam also keine Punkte, aber wurde in die Tageswertung einbezogen.
Nach der Begrüßung durch meinen Papa und meinen kleinen Bruder, er war gerade 12, sah ich mich im Fahrerlager nach einem ganz bestimmten Wohnwagen um.
Ich fand ihn, jedoch nicht Marec. Nur seine Eltern waren da. Aber auch das war nicht weiter schlimm, denn seine Eltern liebten mich und freuten sich immer, mich zu sehen. So setzte ich mich zu ihnen und lauschte ihren Geschichten über den kleinen Marec.
Manchmal lief ein bekanntes Gesicht vor dem Zelt vorbei und jeden von ihnen musste ich begrüßen. Die meisten kannte ich noch aus Minibikezeiten, so wie Marec eben.
Nach ungefähr einer Stunde tauchte auch Marec auf. Fast sofort sprang ich von meinem Stuhl auf und ließ mich von ihm umarmen. Marec war fast zwei Köpfe größer als ich, deswegen erreichte ich seinen Nacken selbst dann kaum, wenn ich mich auf Zehenspitzen stellte. Er machte sich gern darüber lustig.
„Hey, Kleine. Schön, dass du da bist.", sagte er, als er mich wieder losließ. Ich lächelte genauso strahlend zurück, wie er mich angrinste. Unter seinem warmen Lächeln schmolz ich dahin. Meine Knie wurden weich. Marecs Mutter sprach ihn auf Polnisch an. Leider verstand ich davon absolut nichts.
„Ich gehe dann mal wieder rüber. Viel Glück für dein Qualifying nachher.", ich winkte ihm zu und verließ schließlich sein Zelt wieder.
Warum brachte allein ein Blick aus seinen wunderschönen Augen mein Herz immer noch zum Schmelzen?
Das hatten wir doch alles schon mal durchgekaut. Marec wollte nichts von mir. Er sah mich als Freundin und nicht mehr. Schon vor einem Jahr hatte ich mir selbst das Herz gebrochen, als ich ihn darauf angesprochen hatte. Ich hatte es irgendwie geschafft, meine eigenen Gefühle zurückzustellen, denn ich wollte ihn als Freund nicht verlieren.
Aber das machte mich kaputt. Ich spürte, wie ich, jedes Mal wenn ich ihn sah, seine Lippen auf meinen spüren wollte. Immer wenn er mich umarmte, wollte ich nie wieder losgelassen werden. Seine schönen braun- grünen Augen brachten mich um den Verstand und sorgten dafür, dass ich vergaß zu atmen.
Sein Blick war tödlich für mich, denn er setze mich außer Gefecht. Er riss jeden Schutzschild nieder und ich hatte keine Chance mehr, zu widerstehen.
Ich brauchte Abstand. Sofort.
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Italian Dream
FanfictionFür sie ändert sich an einem Wochenende das ganze Leben. Für ihn auch, nur weiß sie das nicht und wird es so schnell auch nicht erfahren. Oder doch? Luca Marini ist ein junger, ambitionierter Motorradrennfahrer, gerade frisch in die Weltmeisterschaf...