Wie ein Traum

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Marecs intensiven Blick auf mir konnte ich deutlich spüren, als ich noch immer total neben der Spur meine High-Heels, die Luca mir wieder in die Hand gedrückt hatte, auf dem Boden vor mir abstellte. Das Kribbeln auf meiner Haut nahm nur langsam wieder ab, dafür wurde das flattrige Gefühl in meiner Magengegend immer stärker.
Die Boxengasse war inzwischen fast menschenleer. Nur um den Park Fermé des Junior Cups tummelten sich die Menschen, denn die Maschinen konnten jetzt nach der halben Stunde Einspruchsfrist wieder abgeholt und ins Fahrerlager zurückgebracht werden. Denn nach dem Rennen durften die Motorräder eine halbe Stunde lang nicht angefasst werden. In dieser Zeit konnte Einspruch gegen das Rennergebnis eingelegt werden, wenn zum Beispiel eine der Maschinen augenscheinlich besser gelaufen war als die anderen. Und um das zu überprüfen war es nötig, dass an den Bikes nichts geändert wurde. In der Zeit konnten die Technischen Kommissare auch gleich noch die Daten der Motorräder auswerten und so schon kleine Unstimmigkeiten feststellen. Die deuteten dann oft auf einen Verstoß gegen das Reglement hin, was dann zwangsläufig zur Disqualifikation führte.
Nach dieser halben Stunde konnten die Motorräder wieder abgeholt und mitgenommen werden. Auch mein Dad schob jetzt die KTM meines Bruders etwas an die Seite. Dort stieg Flo wieder auf und fuhr langsam auf den Übergang über die Strecke zu.
Meine Mutter und ich schnappten uns alle Sachen und folgten den Fahrern zurück ins Fahrerlager. Meine High-Heels trug ich in einer Hand. In der anderen hatte ich die Boxentafel und über meiner Schulter hing der Rucksack mit den Zahlen, die man beliebig in die Tafel stecken konnte. So konnten wir meinem Bruder jede notwendige Information anzeigen.
Meine Mutter musterte mich von der Seite mit nachdenklichem Blick. Sie wirkte verwirrt. „Sag mal,", begann sie plötzlich, „du hast ja deine High-Heels gar nicht mehr an!" Ich nickte nur.
Sie betrachtete mich weiterhin und fragte schließlich: „Wessen Schuhe hast du denn da an?" „Wenn ich dir das erzähle, glaubst du mir nie.", meinte ich bestimmt. Aber das leichte Zittern in meiner Stimme nahm mir etwas von meiner Überzeugungskraft. Stattdessen brach ich in unsicheres Lachen aus.
„Wieso?", wollte sie wissen. Nachdenklich sah ich in den Himmel und seufzte. „Ich glaube es ja selbst nicht."
Jetzt wurde meine Mutter neugierig. Das erkannte ich an dem begeisterten Glanz, den ihre Augen annahmen und an dem bohrenden Blick, den sie auf mich richtete. Unter ihren strengen Augen konnte ich nur nachgeben. „Also gut, ich erzähls dir.", ein leichtes Lächeln huschte über meine Lippen, „Die Schuhe gehören Luca Marini."
„Äh, Luca wer?" „Luca Marini. Er fährt Moto2 im Forward Racing Team und kommt aus Italien.", erklärte ich geduldig. Allerdings wurde die Verwirrung im Gesicht meiner Mum nur noch größer.
Deshalb hakte sie auch sofort nach: „Wie kommt es, dass du die Schuhe eines Weltmeisterschaftsfahrers trägst?" Ich zuckte nur mit den Schultern. Keine Ahnung, wie kam es dazu? „Er... hat mich vorhin bei Flos Rennen angesprochen und wir haben uns eine Weile unterhalten. Dann war Rossis Box offen und eigentlich wollte ich da hin, aber meine Füße haben mir da einen ziemlich fetten Strich durch die Rechnung gemacht. Das hat er gemerkt und mir seine Sneaker angeboten. Und ganz ehrlich? So bequeme Schuhe hatte ich noch nie an."

Auch jetzt, drei Stunden nach dem Ende des Rennens trug ich noch immer die weißen Nikes von Luca. Ich hatte mir wieder eine dunkelblaue Jeans und ein einfaches weißes T-Shirt angezogen. Ich band mir gerade meine Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen, als Marec in der Tür zu unserem Wohnwagen erschien.
Seine Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen und er stellte fest: „Ah, hier bist du. Deine Eltern konnten mir das nicht verraten." „Vielleicht wollten sie auch einfach nur nicht.", neckte ich ihn lachend. Er warf mir nur einen gespielt bösen Blick zu und drängelte sich zu mir auf die Bank. Ich musste ihm gezwungenermaßen weichen. „Also, was ist los?", fragte ich nach, „Wir wollten uns doch erst nach dem Essen treffen?"
Marec lehnte sich weit zurück und erklärte grinsend: „Ja schon, aber das haben wir ausgemacht, BEVOR du mit schneeweißen Air Max durch die Gegend gerannt bist. Von denen ich mir absolut sicher bin, dass sie Luca Marini gehören. Also, wie kommst du an diese Schuhe?"
Ich stöhnte auf. So ziemlich jedem in diesem Fahrerlager waren meine, ähhhhm Lucas Schuhe aufgefallen. Aber immerhin hatte ich Marec versprochen, ihm die Geschichte zu erzählen.
Mit seinen Fingerspitzen trommelte Marec ungeduldig auf den Tisch vor uns. Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte Marec mich aus seinen tiefen, braun-grünen Augen und brachte mein Blut zum Kochen. Meine Wangen färbten sich tiefrot.
„Ich... habe mir euer Rennen angeschaut.", begann ich. Marec unterbrach mich sofort: „Das weiß ich doch schon." „Willst du nun wissen, was passiert ist?" „Okay, ja. Ich bin still.", er schmunzelte. Ich knurrte ihn an: „Das will ich auch hoffen."
„Ja ja.", er winkte ab, „Jetzt erzähl schon."
„Also, kurz nach dem Start hat Luca mich dann angesprochen.", erzählte ich, „Nein, eigentlich fing das sogar schon gestern bei eurem Quali an. Da haben wir uns ziemlich lange quasi gegenseitig angestarrt." Marec konnte nicht mehr vor Lachen.
Ich stimmte mit ein: „Das war schon ziemlich merkwürdig. Aber egal. Er hat mich heute jedenfalls angesprochen und sich ziemlich nett mit mir unterhalten. Dann war Rossis Box offen und da wollte ich eigentlich mal hin. Luca meinte aber, dass Vale eh gestresst wäre und dass er mich mal zu einem gemeinsamen Essen mitnimmt. Da hat er nämlich auch bemerkt, dass mir in den High-Heels ziemlich die Füße wehgetan haben. Ich habe mir zwei ordentliche Blasen geholt."
Die waren jetzt gut unter Blasenpflastern versteckt und schmerzten gleich viel weniger. Marec hatte inzwischen die Augenbrauen zusammengezogen und musterte mich bei jedem meiner Sätze skeptisch. Es sah nicht so aus, als würde er mir das alles glauben.
„Ein Essen mit Valentino...", seufzte er schließlich, „Da könnte ich gut drauf verzichten. Da müsste der Herr Marini schon mit Marquez kommen. Aber bei dir sieht das ja etwas anders aus."
Marec zwinkerte mir zu. „Ja...", hauchte ich verträumt. „Wie ging es weiter?", wollte der Pole wissen und ich lehnte mich nach hinten, bevor ich weitersprach: „Luca hat sich wohl Sorgen um meine Füße gemacht, denn er meinte, ich solle die High-Heels ausziehen. Aber nachdem ich mich beschwert hatte, dass ich nicht barfuß durch die Boxengasse laufe, da hat er mir dann seine Schuhe angeboten. Die hatte ich auch wirklich nötig, deswegen habe ich mich von ihm mit in seine Box nehmen lassen."
„Und da haben sie dich einfach so reingelassen?", mein Gegenüber sah ein bisschen geschockt aus. Ich lachte leise auf. „Na ja, ich glaube der eine Typ, könnte ein Mechaniker gewesen sein, der war nicht so begeistert von mir. Ich glaube, er wollte sich Luca zur Brust nehmen, aber da hat der mich schon wieder raus geschleift. Da war euer Rennen fast vorbei und den Zieleinlauf wollten wir uns anschauen.", erklärte ich, „Aber ich habe mich kurz mit Lorenzo Baldassarri unterhalten." Okay, eigentlich hatten wir nur zwei Sätze gewechselt. Trotzdem fand ich das schon ziemlich beeindruckend. Wer konnte schon von sich behaupten, Lorri in seiner Box überrascht zu haben!
Marec eindeutig nicht, denn der starrte mich mit großen Augen an und murmelte: „Unglaublich! Das nächste Mal nimmst du mich mit!" „Marec...", tadelte ich ihn, „Ich weiß doch noch gar nicht, ob es überhaupt ein nächstes Mal gibt."
Mein bester Freund starrte verständnislos zurück. „Luca hat dich doch zum Essen eingeladen, oder nicht?" Das musste ich wohl oder übel bestätigen. „Und seine Schuhe hast du auch noch.", schob Marec noch hinterher, „Wann willst du die ihm denn wieder geben?" „Morgen. Wir wollen uns die Rennen zusammen anschauen. Und ich soll mir seines aus seiner Box ansehen."
Ganz kurz hatte ich Angst, dass Marec in Ohnmacht fallen würde. Aber er fing sich wieder und setzte jetzt einen eher wehmütigen Blick auf.
Dann seufzte er verträumt: „Ich würde mir auch gern mal ein Rennen aus der Boxengasse anschauen." „Wer nicht?", entgegnete ich schlicht. „Schon klar.", meinte er schließlich, „Aber du hast im Gegensatz zu mir die Möglichkeit dazu." Das wurde mir jetzt auch erst so richtig klar.
Ich quietschte aufgeregt und fiel Marec unangekündigt um den Hals. „Ich werde in Lucas Box sein und das ist so verdammt nah an Valentino Rossi.", meine Stimme zitterte wie Espenlaub in einem Novembersturm.
Marec zögerte kurz, aber dann legte er seine Arme um mich und hielt mich während meines Ausbruches fest. Sein leises Lachen drang zu mir vor. „Ganz ruhig, Kleine. Es ist doch nur Rossi. Wenn es Marquez wäre, dann dürftest du dich aufregen.", stichelte er. Ich sah ihn entgeistert an und schnipste schließlich gegen seine Schulter. Dann löste ich mich aus seiner Umarmung.
„Wann wollen wir nachher los?", fragte ich ihn. Marec legte seine Stirn in Falten und überlegte laut: „Na ja, Essen gibt es frühestens in einer halben Stunde und danach wollte Felix noch eine Runde Tischkicker spielen... Also, was hältst du von um 9?" Ich nickte.

Zum wiederholten Mal an diesem Tag zog ich mich um. Auf dem Ankerberg waren Klamotten nötig, die dreckig werden oder sogar kaputtgehen konnten. Das galt auch für die Schuhe. Deshalb trennte ich mich schweren Herzens von den schönen weißen Sneakern und zog mir stattdessen ältere schwarze Turnschuhe von mir an.
Taschen nahm ich keine mit. Die gingen eh nur verloren. Ich hatte eine Handyhülle, die zum Aufklappen war und an der Seite einige Fächer hatte. Dort verstaute ich alles nötige, also etwas Geld, meinen Ausweis und so weiter. Das Handy selbst wanderte aber nicht wie gewöhnlich in meine Hosentasche, sondern in den Ausschnitt meines T-Shirts. So konnte es mir nicht so schnell verloren gehen und geklaut wurde es mir von dort auch nicht so schnell.
Nur ein paar Minuten später stand Marec in schwarzen Jogginghosen und seinem schwarzen Junior-Cup-Shirt vor mir. Über seinem Arm hing eine Jacke. Die hätte ich fast vergessen. Also flitzte ich nochmal in den Wohnwagen und holte mir auch eine.
Als ich wieder neben ihm stand, zögerte Marec kurz. Er ließ seinen Blick über mich wandern. Dann wandte er sich aber ab und murmelte: „Gut, lass uns gehen." „Kommen jetzt Felix und Kilian mit?", wollte ich wissen.
Marecs Schultern spannten sich sichtlich an. Sein Gesicht aber zeigte keine Gefühlsregung, als er erklärte: „Die beiden wollten schon vor gehen. Wir sollen sie an dem Burgerstand aufgabeln." Ich musste automatisch schmunzeln. Das war nichts Neues. Bei meinen drei Lieblings-Junior-Cuppern, abgesehen von meinem Bruder, drehte sich fast der ganze Tag nur ums Essen.
Okay, sie waren auch alle drei um einiges größer als ich. Felix war der größte der drei und selbst wenn ich auf Zehenspitzen ging, reichte mein Kopf geradeso an seine Schulter heran. Kilian und Marec waren fast gleich groß. Beide etwas kleiner als Felix, aber auch beide gut zwanzig Zentimeter größer als ich. Alle drei zogen mich ziemlich gern damit auf. Andererseits hatte ich immer das Gefühl, dass meine Körpergröße zumindest ein kleines bisschen den Beschützerinstinkt der Jungs weckte.
Gemeinsam mit Marec begab ich mich auf den langen Weg zum Ankerberg. Gut einen Kilometer mussten wir noch durch das Gelände des Sachsenrings zurücklegen. Dabei fanden wir auch Kilian und Felix. Nachdem wir das Gelände verlassen hatten, mussten wir eine Straße überqueren und anschließend kam man zu einer riesigen Wiese, gelegen an einem ziemlich steilen Hang. Die Wiese diente rechts und links von einem Weg, der auf den Hang und auch wieder herunter führte, als Zeltplatz und war immer gut besucht.
Um auf den Ankerberg zu kommen, musste man einfach diesem Weg folgen. Der war aber abschnittweise wirklich steil. Jedes Jahr wunderte ich mich, wie man dort betrunken wieder herunter kam ohne zu rollen.
Oben angekommen verwandelte sich der asphaltierte Weg in einen riesigen, erdigen Platz. Hier fand die Party statt. Es gab mehrere Bühnen, auf denen einige DJs ihre Musik zum Besten gaben. Auf einer Bühne wurde vor allem Rock gespielt. Das war auch die mit dem größten Publikum. Von der zweiten ertönte eine bunte Mischung aus Rock, Pop und Schlagern. Die dritte Bühne hatten sich die Jungs ausgesucht. Electro. Eigentlich nicht so wirklich mein Musikgeschmack.
Trotz allem hatte ich Spaß. Aber eigentlich vor allem deshalb, weil sich die Jungs ziemlich zum Deppen machten. Und trotzdem zogen sie kaum Aufmerksamkeit auf sich. Wahrscheinlich musste man hier so sein. Nach ein paar Drinks, die Marec und Kilian mir abwechselnd ausgegeben hatten, die ich aber holen musste, weil beide noch nicht 18 waren, war mir die grottige Musik ziemlich egal und ich schloss mich den anderen beim Tanzen an. Meine Mutter sagte immer „Der Abend ist nur so schön, wie man sich ihn macht." Und damit hatte sie absolut recht.
Trotzdem gingen wir auf mein Drängen hin auch mal zu den anderen beiden Bühnen. An der rockigen Bühne blieben wir sogar ein Stück. Auch wenn die Musik eigentlich nur mir gefiel.
Nach einer Weile erkannte ich ein bekanntes Gesicht in der Menge. Allerdings handelte es sich um niemanden, den ich unbedingt sehen wollte. Ich drehte mich zu den Jungs um und hoffte, dass mein Ex mich nicht gesehen hatte.
Doch alles Hoffen war vergebens. Natürlich hatte er mich gesehen und auch erkannt. Und natürlich kam er zu uns rüber und sprach mich an: „Hey, Vanessa! Wir haben uns ja lange nicht gesehen." Das war auch kein Zufall. „Oh, wow. Hey Robert. Ja, das stimmt. Wie geht's dir denn?", ich zwang mich zu einem Lächeln.
Eigentlich wollte ich einfach nur weg von hier. Ich würde sogar die Jungs wieder zu diesem Electro-Scheiß begleiten. Aber Robert ließ mir keine Chance. Er nahm mich etwas zur Seite, so als wollte er nicht, dass die anderen drei unser Gespräch mit anhörten. Dabei wollte ich noch nicht einmal mit ihm reden. Robert redete inzwischen ohne Punkt und Komma auf mich ein. Was genau er sagte, wusste ich nicht. Ich hörte nur mit einem halben Ohr zu. Ab und zu schnappte ich mal ein paar Fetzen auf. Es ging wohl gerade um den Freund seiner Schwester.
Ich warf einen Blick auf die Jungs hinter mir. Sie schienen in eine angeregte Diskussion vertieft zu sein. Immer mal wieder sah einer von ihnen zu mir herüber. Dann sandte ich ihnen einen hilfesuchenden Blick zu, aber den schienen sie nicht zu verstehen.
Robert erzählte noch immer. Er bemerkte nicht, dass ich ihm kaum zuhörte. Das hatte sich also seit der Trennung nicht geändert. Trotz allem wandte ich mich wieder ihm zu und tat zumindest so, als wollte ich wirklich hören, was er erzählte.
Felix, Marec und Kilian tauchten plötzlich neben uns auf. Kilian sprach mich sofort an: „Hey, wir wollen weiter. Willst du mit?" „Ja, will ich.", erwiderte ich und sah dankbar zu Kilian auf. Doch Robert durchkreuzte meine Fluchtpläne: „Hey, ähm. Gebt ihr uns noch fünf Minuten? Wir haben uns echt lange nicht mehr gesehen." Nein, nein, nein. „Ja, klar.", meinte Felix und Marec fügte hinzu: „Dann aber wirklich." „Ja, danke Jungs.", grinste Robert mich an.
Als die drei wieder weg waren, grinste er mich noch immer an. „Was ist?", murrte ich. Ich mochte dieses Grinsen nicht. Irgendwie wirkte das ziemlich überheblich auf mich.
„Ach nix.", das Grinsen verschwand nicht aus seinem Gesicht. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und ging unwillkürlich einen Schritt zurück. Robert fixierte einen Punkt hinter mir und meinte: „Deine kleinen Freunde spielen sich wohl als deine Beschützer auf?" Dann zwinkerte er mir überheblich zu und griff nach meinem Arm. Mit einem Ruck zog er mich zu sich heran.
„Auf die drei ist Verlass.", entgegnete ich ernst, „Keiner von ihnen würde mich sitzen lassen. Wenn sie mich beschützen wollen, dürfen sie das." Ich starrte ihm wütend in die Augen und stemmte mich gegen ihn, um mich aus seiner Umklammerung zu befreien. Als mir das gelang, ging ich auf Abstand.
Und schon plapperte Robert wieder los. Musste der denn nie mal atmen?
„Eigentlich könnten wir uns doch auch mal wieder auf einen Kaffee treffen.", meinte er plötzlich. Ich versteifte mich. „Du hattest doch schon früher keine Zeit für mich. Warum jetzt?", ich hörte meine Worte selbst kaum, aber er verstand sie trotzdem. „Ich weiß, dass ich einiges falsch gemacht habe.", seufzte er dann, „Aber ich möchte das wieder gut machen. Ich möchte nochmal neu mit dir anfangen." „Ich aber nicht.", warf ich sofort ein, denn ich hatte mit dem Kapitel abgeschlossen.
Ich konnte in seinen Augen sehen, dass ihn meine Worte trafen. Robert senkte ein wenig den Kopf. „Warum nicht?", wollte er wissen. „Ich will es nicht. Und ich kann es nicht.", erklärte ich ernst, „Wir haben vieles durchgemacht und du hast mich oft im Stich gelassen. Du hattest viele Chancen bei mir, aber du hast sie alle verspielt. Du hattest mein Herz in der Hand und hast es fallen gelassen. Du hast mich immer wieder verletzt. Ich hatte lange mit all dem zu kämpfen und ich bin froh, dass ich das jetzt hinter mir lassen konnte. Ich bin froh, dass ich mein Leben wieder im Griff habe."
„Gib mir doch noch eine Chance.", bettelte er, „Ich erwarte nicht, dass sich zwischen uns wieder etwas entwickelt. Ich möchte nur Frieden, vielleicht Freundschaft." „Das sollten wir jetzt und hier nicht ausdiskutieren.", fand ich.
Er hatte sicher schon getrunken und ich auch. Das aber war ein Thema, das nur im nüchternen Zustand zur Debatte stand. Nein, eigentlich gab es da nichts, über das diskutiert werden musste. Ich hatte ihm deutlich gesagt, dass ich das nicht wollte. Freundschaft würde ganz sicher nicht funktionieren, dafür stand zu viel zwischen uns.
Gerade als Robert zu einer Erwiderung ansetzen wollte, umschlangen mich zwei starke Arme von hinten und rissen mich vom Boden. „Komm, die fünf Minuten sind um.", raunte mir Marec mit sanfter Stimme ins Ohr, während er mich auf seinen Armen zurechtrückte. Ich legte meine Arme um seinen Hals und meinte: „Ich kann auch selbst laufen." „Ja, ich weiß.", Marec zuckte mit den Schultern, „Musst du aber nicht."
Ich wandte mich noch einmal Robert zu und sagte: „Ich werde ja sehen, wie ernst es dir damit ist. Schließlich hast du ja meine Nummer. Hattest du die ganze Zeit." Und trotzdem hatte er sich nie gemeldet.
Erst als wir vor Felix und Kilian standen, ließ mich Marec wieder runter. Felix grinste ihn an und Kilian trat schmunzelnd an seine Seite und legte ihm einen Arm um die Schultern: „Siehst du, war doch gar nicht so schwer." „Warum hat das dann keiner von euch gemacht?", brummte Marec zurück. Felix zeigte ihm lachend einen Vogel: „Bist du irre?!? Du bist der einzige, der sie so von hinten überfallen kann, ohne dass sie austickt!"
Ich konnte mich vor Lachen kaum noch auf den Beinen halten. Irgendwie hatte er recht. Marec vertraute ich schon fast blind.
Gemeinsam mit den Jungs kehrte ich zur Electro-Bühne zurück und konnte mich sogar dazu durchringen mit ihnen zu tanzen. Ich konnte daran sogar richtig Spaß finden.
Irgendwann verabschiedete sich Felix nach Hause, denn seine Eltern hatten ihn jetzt schon zum fünften Mal angerufen. Also waren jetzt nur noch Kilian, Marec und ich da.
Schließlich hatten wir alle keine Lust mehr auf die pumpenden Bässe und entschieden uns dazu, eine kleine Runde über den Platz zu drehen. Es dauerte nicht lang, bis wir beim Autoscooter hängenblieben.
Wir holten uns jeder fünf Marken und warteten auf die nächste Runde. Allerdings waren so viele Leute unterwegs, dass Marec und ich uns ein Auto teilen mussten. Kilian erwischte ein eigenes. Nach jeder Fahrt wechselten wir durch, sodass jeder mal fahren durfte. Eigentlich kamen wir aber nicht wirklich von der Stelle, weil wir uns die ganze Zeit nur gegenseitig in die Kiste fuhren.
Der Abend verging viel schneller als mir lieb war, aber schließlich entschieden sich die Jungs dazu, wieder ins Fahrerlager zu gehen.
Marec blieb dicht an meiner Seite, während Kilian immer einige Schritte schneller war als wir. Ab und zu musste er sogar stehen bleiben und auf uns warten. Doch Marec und ich waren in eine intensive Diskussion darüber vertieft, ob es eine gute Idee wäre, morgen heimlich auch bei Vale vorbeizuschauen.
Er war eindeutig dafür, aber ich war mir da ziemlich unsicher. Es war nicht unbedingt mein Ziel, mich bei Valentino unbeliebt zu machen. Aber vielleicht konnte ich ja Luca fragen, ob er die Einladung zum Essen ernst gemeint hatte.
Als wir uns an den Abstieg vom Ankerberg machten, legte Marec mir einen Arm um die Schultern und hielt mich so den ganzen Weg nach unten fest. Wahrscheinlich hatte er Angst, dass ich bei meinem Talent mit der Nase zuerst nach unten rutschte. Ehrlich gesagt machte ich mir aber mehr Sorgen, dass ihm das passierte.
Unten angekommen, sogar ganz ohne Sturz, ließ mich Marec aber nicht los. Zwar lockerte er seinen Griff und ließ seine Hand auf meinen Rücken rutschen, doch er behielt die ganze Zeit diese Berührung bei.
Ich war mir nicht sicher ob das an seiner Berührung lag oder einfach an meinem Zustand, aber eine kribbelnde Gänsehaut überzog meinen Körper und ich fühlte mich schwindelig. Ein bisschen so, als würde ich auf Wolken schweben und hätte keinen festen Boden unter meinen Füßen. Vielleicht war es doch ganz gut, dass Marec mich festhielt.
Im Fahrerlager angekommen verzog sich Kilian sofort in seinen Wohnwagen. Also stand ich jetzt Marec gegenüber, der mich eindringlich musterte.
Schließlich fragte er mich: „Wann geht es für dich morgen in die Boxengasse?" „Ich werde nach den Warm Ups hier abgeholt.", erklärte ich mit leiser Stimme. Irgendwie wirkte Marec traurig, aber ich konnte mir einfach nicht erklären wieso. Auch nicht als er weiter fragte: „Können wir uns die vielleicht zusammen anschauen?" Ich stimmte schnell zu, setzte dann aber hinterher: „Aber ich muss pünktlich wieder hier sein." Marec nickte.
Dann nahm er mich in den Arm und wünschte mir eine gute Nacht. Während er mich so festhielt, glaubte ich zu hören wie er sagte: „Keine Sorge, ich pass schon auf, dass du da rüber kommst. Auch wenn das heißt, dass wir uns nicht nochmal sehen."
Aber als ich den Blick hob, konnte ich keine Regung in seinem Gesicht erkennen. Nur das traurige Glitzern in seinen braun-grünen Augen, das ich schon vorhin bemerkt hatte.
Seufzend löste ich mich aus seiner Umarmung und winkte ihm nochmal: „Gute Nacht, Marec. Schlaf gut." „Du auch, Kleine. Träum süß.", trug er mir auf. Dann drehte er sich um und ging zu seinem Wohnwagen. Ich starrte noch eine Weile auf die Stelle, an der er eben noch gestanden hatte und flüsterte: „Das werde ich." Der ganze Tag kam mir inzwischen doch eh schon wie ein Traum vor. Morgen würde keiner auf mich warten, der mich in die Boxengasse zu Luca brachte. Genauso wenig wie ich mir dort die Rennen ansehen würde.
Die Einladung hatte ich hundertprozentig nur geträumt. Da war ich mir selbst dann noch sicher, als ich mich in mein Bett kuschelte und die weißen Sneaker anstarrte, die dort auf dem Schrank standen.

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