Alles erreicht

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Nur Tage nachdem ich wieder zurück in Gelsenkirchen war, stand die Starterliste des ADAC Junior Cups powered by KTM 2017 fest. Neben meinem Bruder Flo und Marec, waren auch Kilian und Felix wieder dabei.
Die letzten Testtage der Moto2 verfolgte ich am Handybildschirm in der Uni, oft auch während der Vorlesungen, oder zuhause am Laptop. Luca machte sich gut. Ein elfter Platz war das schlechteste und der vierte Platz das beste Ergebnis. Darauf ließ sich doch aufbauen. Auf seine Nachricht hatte ich ihm nicht geantwortet. Es war mir irgendwie falsch vorgekommen, egal, was ich in das Nachrichtenfeld eingetippt hatte.
Trotzdem schweiften meine Gedanken immer noch jeden Tag zu ihm. Valentino hielt mich gut auf dem Laufenden. Auch wenn er sich regelmäßig beschwerte, dass Luca ihn quasi täglich zum Duell auf der Ranch forderte.
Neben Valentino meldete sich auch Fabio wieder täglich. Aurelie hatte sich auf meine Seite geschlagen und manchmal, wenn Fabio und ich videochatteten, klinkte sie sich auch ein. Meist blieb es aber bei Nachrichten oder Sprachmemos, da telefonieren bei Fabios engem Zeit- und Trainingsplan nicht so einfach war.
Mit Marec telefonierte ich jeden Tag, manchmal morgens und manchmal abends. Allerdings dauerten unsere Gespräche nie lange. An manchen Tagen war ich ganz froh, wenn ich wieder auflegen konnte. Aber manchmal würde ich mir tiefgründigere Gespräche mit meinem Freund wünschen. Es fühlte sich alles noch so unwirklich an, dass allein das Wort „Freund" mir noch komisch vorkam.

Etwa zwei Wochen nach meinem Besuch in Frankfurt fand das erste Saisonrennen in Qatar statt. Bereits am Donnerstag verschanzte ich mich quasi in meinem Zimmer, um mir die Freien Trainings anzuschauen. Da der Großteil der Sessions und vor allem die Rennen im Dunkeln stattfinden sollten, waren die ersten Freien Trainings schon am Donnerstag angesetzt. Das zweite und das dritte Freie Training fanden dann am Freitag statt und die Qualifyings wie immer am Samstag, sodass am Sonntag die Rennen gefahren werden konnten. So wollte man auch die gröbste Hitze am Tag umgehen.
Da ja Fabio inzwischen in die Moto2 aufgestiegen war, schaute ich die Moto3 mehr oder weniger beiläufig. Trotzdem nahm ich wohlwollend zur Kenntnis, dass Philipp Öttl im ersten Training der Schnellste war. Man warf ja doch immer mal einen Blick auf die deutschen Fahrer. Davon hatten wir auch endlich wieder einen in der MotoGP. Jonas Folger war aus der Moto2 aufgestiegen.
Ich nutzte die Zeit, um Fabio und Valentino noch eine Nachricht zu schreiben und beiden viel Glück zu wünschen. Dann zögerte ich. Sollte ich auch Luca schreiben? Ich entschied mich dagegen, denn ich wollte ihn nicht ablenken. Stattdessen schrieb ich Vale eine zweite Nachricht.

Sag bitte auch Luca viel Glück von mir.

Als dann das erste Freie Training der Moto2 über meinen Fernsehbildschirm flackerte, warf ich mein Handy zur Seite und konzentrierte mich nur auf das Geschehen auf der Strecke. Wenn Luca im Bild zu sehen war, konnte man die vielen Trainingsstunden im Winter erkennen. Er schlug sich gut im engen Fahrerfeld der Moto2 und ließ sich am Ende doch noch ganz knapp von Fabio auf den zehnten Platz verdrängen.
Als die MotoGP für das erste Freie Training auf die Strecke gelassen wurde, ging schon langsam die Sonne unter. Vale hatte in diesem Jahr einen neuen Teamkollegen in Maverick Vinales. Lorenzo war zum Ducati-Werksteam gewechselt. Mit Platz neun am Ende der Session sah Vale nicht ganz unzufrieden aus.
Ich nutzte die Zeit, in der das zweite Freie Training der Moto3 lief, um mir etwas zu essen zu machen, bevor ich mich für die Moto2 wieder vor den Fernseher setzte. Inzwischen war starker Wind aufgekommen. Es war deutlich zu erkennen, dass alle Fahrer Probleme damit hatten. Fabio auf Platz drei und Luca auf Platz fünf kamen da noch mit einem blauen Auge davon. Langsamer waren die Zeiten aber bei allen.
FP2 der MotoGP fand erst am Freitag statt. Deswegen schaltete ich den Fernseher aus und nahm noch mal meine Unterlagen für die Uni zur Hand. Mitte April, also etwa in dreieinhalb Wochen, stand die nächste Prüfungsphase an und da ich vorher noch mit meinem Bruder (und Marec) zur Einführungsveranstaltung des ADAC Junior Cups fahren wollte, musste ich jede Minute nutzen.
Das war auch der Grund, weshalb ich am Freitag quasi den ganzen Tag in meinen Büchern und Skripten vergraben verbrachte. Nur ab und zu nahm ich mir Zeit, um Marecs Nachrichten zu beantworten. Bis um 16 Uhr das zweite Freie Training der MotoGP begann.
Mit einer Tasse Tee machte ich es mir auf meinem Bett gemütlich. Ich hatte nicht genügend Platz in meinem Zimmer für eine zusätzlich Sitzgelegenheit. Von der Tür aus gesehen stand an der hinteren Wand mein Bett, direkt unter einem der Fenster. Am zweiten Fenster stand mein Schreibtisch, um möglichst viel Tageslicht zu nutzen. Gegenüber vom Bett stand eine Kommode und darauf der Fernseher. Und an der vierten Wand, gegenüber vom Schreibtisch stand mein Kleiderschrank.
Vale verbesserte seine Zeit von gestern und stand am Ende auf Platz sechs. Im Anschluss folgte das dritte Freie Training der Moto3. In der Zeit machte ich mir noch einen Tee und kramte ein paar Kekse aus dem Schrank.
Dann wurde es wieder interessant. Luca und Fabio gingen mit der Moto2 in ihre einzige Session am heutigen Tage. Leider bekam ich beide quasi gar nicht zu sehen. Deshalb bekam ich auch nicht mit, wieso Luca bis auf Platz 21 abrutschte. Fabio sah man zumindest hin und wieder, aber auch nicht aussagekräftig genug, um seinen siebten Platz beurteilen zu können.
Aber auch Vale rutschte in seinem dritten Freien Training auf Platz 13 ab. Vielleicht lag es ja an den Streckenbedingungen.
Der Samstag verlief ähnlich wie die vorherigen Tage. Im Grunde wartete ich den ganzen Tag lang nur auf das Qualifying in Qatar.
Pünktlich um 16 Uhr saß ich wieder vor dem Fernseher und sah... Wasser. Und davon jede Menge. Den ganzen Tag hatte es anscheinend geregnet und jetzt liefen teilweise ganze Bäche über die Strecke. Man konnte im Fernsehbild sehen, wie an einigen Stellen versucht wurde, das Wasser abzupumpen.
Aber da es in Qatar so selten regnete, gab es keine Drainage. Deshalb dauerte es wohl sehr lange, bis die Strecke wieder trocknete. Relativ schnell stand dann auch die Entscheidung fest, das Qualifying der Moto3 nach hinten zu verschieben.
Die Sicherheitskommission drehte einige Runden auf der Strecke, doch noch während sie unterwegs war, fielen schon wieder Tropfen. Also entschied sich die Rennleitung dazu, alle Qualifyings abzusagen. Diese sollten auch nicht am Sonntag nachgeholt werden, sodass die kombinierten Zeiten der Freien Trainings für die Startaufstellung herangezogen wurden.
Das bedeutete für Valentino Startplatz zehn in der MotoGP, für Fabio in der Moto2 ebenfalls und Luca startete vom 13. Platz.
Am Sonntag schaffte ich es doch tatsächlich, die Warm Ups aller Klassen zu verpassen. Lilia hatte angerufen und ich hatte es einfach nicht geschafft, sie wieder aus der Leitung zu bekommen. Immerhin verpasste ich vom Rennen der Moto3 nur den Start.
Doch spätestens zum Start der Moto2 legte ich das Handy beiseite. Kurz vor dem Start zog ein Schauer über die Strecke und verursachte gehöriges Chaos in der Startaufstellung. Doch schon nach ein paar Minuten war alles wieder vorbei und pünktlich zum Start war die Strecke auch wieder trocken. An der Spitze war das Rennen relativ schnell entschieden, aber rund um Fabio und Luca war es ein spannender Kampf. Eine größere Gruppe kämpfte hier um die Platzierungen ab Platz Sechs. Am Ende konnte Luca den Kampf für sich entscheiden und wurde Sechster vor Fabio auf Platz sieben.
In der MotoGP fuhr Vale ein starkes Rennen. Nach etwa zehn Runden kämpfte er bereits um die Top Five. Immer in seiner Nähe war Dani Pedrosa, der das Motorradfahren zwischenzeitlich mal zum Kontaktsport machte. Da hatten sowohl Vale als auch er echt Glück, dass sich beide auf ihren Bikes halten konnten.
Mit noch neun Runden auf der Uhr erreichte Vale dann den aussichtsreichen vierten Platz und begann den Kampf mit Marquez ums Podium. Die beiden überholten sich einige Zeit lang immer wieder hin und her, bis sich Vale schließlich ein Stück absetzen konnte und die Verfolgung der beiden Kampfhähne Dovizioso und Vinales an der Spitze aufnahm. Wirklich gefährlich werden konnte er den beiden zwar nicht mehr, trotzdem feierte ich seinen dritten Platz wie einen Sieg. Vielleicht sah es ein bisschen albern aus, wie ich in meinen dicken Flausche-Socken durch mein Zimmer moonwalkte. Aber wer sollte mich schon dabei sehen.

So aufgeregt war ich auf dem Weg zu einer Rennstrecke schon lange nicht mehr gewesen. Heute war der 7. April und ich saß im Transporter meines Vaters. Mit dabei auch meine Mutter und mein Bruder Flo. Seitdem feststand, dass die Einführungsveranstaltung dieses Jahr in Misano stattfand, war ich hibbelig wie kleines Kind kurz vor Weihnachten.
Sollte ich mir Sorgen machen, dass ich mich mehr auf die Strecke freute, als darüber, dass auch Marec dort sein würde?
Ich schob den Gedanken beiseite. Ich würde mich sicherlich freuen, wenn ich Marec später sah. Er war zwar mit seinen Eltern auch schon unterwegs, würde jedoch etwas später als wir ankommen.
Die Härchen in meinem Nacken stellten sich auf, als wir an Rimini vorbeifuhren. Von hier waren es nur noch wenige Kilometer bis Misano Adriatico und danach nur noch etwa zwanzig Minuten bis nach Tavullia. Wenn ich nicht wüsste, dass Luca und Vale dieses Wochenende definitiv nicht hier waren, hätte ich wohl alle meine Überredungskünste dazu verwendet, heute noch einen kleinen Ausflug dorthin zu machen. Doch die beiden waren schon in Argentinien. Das nächste Rennen stand auf dem Programm.
Ein unscheinbarer Kreisverkehr kündigte unsere Ankunft an. Eine relativ schmale Straße führte zu dem großen Tor, das als Eingang zum Fahrerlager am Misano World Circuit Marco Simoncelli diente.
Ein paar Wohnwagen und Transporter standen schon im Fahrerlager verteilt. Wir suchten uns einen Platz eher am Rand und in der Nähe eines Wasseranschlusses. Während wir uns einrichteten, füllte sich nach und nach der große Asphaltplatz direkt hinter der Boxengasse.
Direkt neben uns bauten das einzige Mädchen im Fahrerfeld Gina und ihr Vater ihr Teamzelt auf. Wir kannten Gina schon seit einiger Zeit von einigen anderen Renn- und Trainingsveranstaltungen der letzten Jahre und verstanden uns gut. Gegenüber von uns hatten Felix und seine Familie bereits ihr Wohnmobil bezogen. Daneben parkten gerade Kilian und sein Vater ein. Zwischen den beiden war allerdings noch Platz für ein weiteres Gespann.
Im Laufe des Abends wusste ich auch, wieso. Kilian und Felix hatten den Platz für Marec freigehalten. Wir saßen gerade beim Abendessen, als er und seine Eltern ankamen. Ich winkte ihm, doch das musste für den Moment reichen. Nach dem Essen konnte ich immer noch rüber gehen und ihn begrüßen. Von seinen Nachrichten wusste ich, dass er schon unterwegs gegessen hatte.
Nach dem Essen half ich noch schnell meiner Mutter beim Aufräumen und Spülen. Marec, Killian und Felix standen schon eine ganze Weile auf der gegenüberliegenden Straßenseite und warteten sehr deutlich auf mich. Bevor ich allerdings zu ihnen rüber ging, klettete ich zuerst zusammen mit Flo die Seitenteile unseres schwarzen Teamzeltes fest.
Erst dann holte ich mir noch eine Jacke und ging dann zu den drei Wartenden. Felix und Kilian hatte ich schon begrüßt, als wir gerade angekommen waren. Also ging ich zuerst zu Marec. „Wir gehen nochmal fix aufs Klo.", meinte Felix und verschwand gefolgt von Kilian.
Er lächelte mich an, doch seine Augen schafften es nicht, dass mir warm wurde. Trotzdem zwang ich mich dazu, sein Lächeln zu erwidern, und ließ mich widerstandslos in seine Arme ziehen. Auch den doch recht nüchternen Kuss ließ ich mehr oder weniger über mich ergehen. Das hier fühlte sich irgendwie nicht richtig an.
Ob das nur daran lag, dass ich mich hier gerade an dem Ort befand, an dem ich mit Luca zusammen gekommen war?
Energisch wischte ich diesen Gedanken beiseite. Wieso schlich sich Luca eigentlich ständig in meine Gedanken, selbst wenn ich gerade meinen Freund küsste? Frustriert zog ich die Augenbrauen zusammen und unterbrach den Kuss.
Marec gab einen ähnlich unzufriedenen Laut von sich, doch er beließ es wortlos dabei, denn Felix und Kilian kamen gerade zurück. Stattdessen zogen wir nun zu viert los, erst ein wenig durch das Fahrerlager und dann raus auf die Strecke. Außer uns waren noch ein paar andere Junior Cup-Fahrer unterwegs. Manche mit Fahrrädern oder sonstigen Gefährten, manche wie wir zu Fuß. Wir ließen es allerdings eher gemütlich angehen und schlenderten im Sonnenuntergang die 4,226 Kilometer lange Strecke entlang.
Die Themen unserer Gespräche waren dabei unterschiedlichster Natur. Wenn ich mal nicht mitreden konnte, hing ich einfach schweigend meinen Gedanken nach. Zwischendurch hielten wir immer wieder an, denn Felix musste gefühlt von jedem Kieselstein ein Foto machen. Ein paar Mal nutzten wir alle die Gelegenheit und machten ein Selfie zusammen, oder ließen uns einzeln oder zu zweit fotografieren. Wenn es dann weiterging, lief Marec neben mir. Beide hatten wir die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Es war eine komische Stimmung zwischen uns.
Nach einer Weile verlangsamte er sein Tempo noch weiter und griff nach meinem Arm, um mir zu signalisieren, dass ich das auch tun sollte. Felix und Kilian merkten davon nichts, doch sie waren auch nicht so schnell, dass sie uns leicht abhängen würden.
„Was ist los?", fragte ich ihn. Er schnaubte: „Kannst du dir das nicht denken?" „Marec...", ich schlug einen gequälten Ton an, denn auf Spielchen hatte ich ganz sicher keine Lust.
„Du hättest mir ruhig mal ‚Hallo' sagen können.", beschwerte er sich. Das war es, worüber er sich aufregte? Ernsthaft?!? „Ich saß gerade beim Essen. Du weißt genau, dass meine Eltern es nicht leiden können, wenn ich da einfach abhaue."
„Und hinterher musstest du natürlich erst noch deiner Mutter helfen.", er verdrehte die Augen, doch ich ließ mich davon nicht aus der Ruhe bringen. Ich zuckte mit den Schultern: „So macht man das in einer Familie. Dann hat keiner die ganze Arbeit alleine. Ist nur fair."
Als er daraufhin stumm blieb, fügte ich noch hinzu: „Außerdem hättest du ja genauso rüber kommen können." Damit war für mich alles gesagt. Ich beschleunigte meine Schritte wieder, um auf Kilian und Felix aufzuholen.
Kurz bevor ich die beiden erreicht hatte, holte Marec mich ein. „Entschuldigung.", murmelte er kaum hörbar. Ich sah ihn von der Seite an und lächelte schließlich. Vorsichtig griff Marec nach meiner Hand und verschränkte seine Finger mit meinen. Ich ließ es zu.
In diesem Moment drehte sich Felix um und rief: „Da seid ihr ja wieder!" Bevor einer von uns etwas erwidern konnte, fiel sein Blick auf unsere Hände und er feixte: „Wollt ihr uns etwas mitteilen?"
Jetzt drehte sich auch Kilian zu uns um. Er brauchte einen Moment, bis er sah, was Felix meinte. Doch dann meinte er: „Oh, habt ihr euch doch noch zusammengerauft?" „Wir dachten, wir schauen mal, was die Zukunft so bringt.", erwiderte ich vielleicht ein wenig zu zurückhaltend.

Als ich später am Abend im Bett lag, wollten meine Gedanken einfach nicht still stehen. Ich hatte ein seltsames Gefühlschaos zu verarbeiten. Einerseits waren meine Nerven hier so ruhig, wie sie es seit Monaten nicht mehr gewesen waren. Doch auf der anderen Seite waren da diese unerklärlichen Situationen mit Marec, wenn einfach alles unangenehm war.
Da ich nicht schlafen konnte, scrollte ich durch die Fotos, die ich heute auf der Strecke gemacht hatte. Mit dabei war eines in der bunt bemalten Auslaufzone einer Kurve. Ich stand mit dem Rücken zur Kamera, den Blick in Richtung Sonnenuntergang gerichtet. Das Foto war leicht von unten aufgenommen, sodass man die Bemalung unter meinen Füßen gut erkennen konnte. Meine Haare wehten ganz leicht im Wind.
Ich wusste nicht, wieso ich das tat, doch bevor ich darüber nachdenken konnte, schickte ich das Foto an Valentino.

Am Morgen warf ich zuerst einen Blick auf mein Handy. Vales Antwort blinkte mir entgegen.

Willkommen zuhause, cucciolona.

Eigentlich hätte ich damit rechnen müssen, dass mich diese Nachricht in den nächsten Tagen weiter beschäftigen würde.
Auf der Strecke passierte wenig Spektakuläres. Es ging hier vor allem um sogenannte Test- und Einstellfahrten. Abseits der Strecke hatten die Fahrer noch ein paar Taktik-, Technik- und Theorie-Meetings. So hatte ich den größten Teil der Tage hier Zeit, um nachzudenken.
Und das war nicht gut.
Wenn keiner darauf achtete, wo ich war, verkroch ich mich möglichst ungesehen auf der Tribüne, auf der mich Luca zum ersten Mal geküsst hatte. Im Nachhinein war ich richtig stolz auf mich, dass ich nur ein einziges Mal heimlich ein paar Tränen verdrückt hatte.

Dass wir uns hier an der Strecke befanden, brachte noch ein weiteres Problem mit sich. Es gab keine Möglichkeit, die Trainings und Qualifyings aus Argentinien anzuschauen. Nur über das Internet bekam ich heraus, dass Vale von Platz sieben startete und dass Luca Elfter und Fabio 17. war.
Nur durch Zufall schnappte ich von einem der anderen Fahrer auf, dass es in der Nähe eine Kneipe gab, in der es möglich sein sollte, das Rennen am Sonntag zu schauen.
Also machten wir uns in großer Runde auf den Weg. Es waren tatsächlich nur zehn Minuten Fußweg zu der kleinen Bar. Diese war aber definitiv nicht für eine ganze Horde an Deutschen ausgelegt, die sich jetzt hier ein MotoGP-Rennen anschauen wollten.
Doch die Kellner machten alles irgendwie möglich. Alle Stühle, die sie fanden, bauten sie draußen vor der Kneipe auf. Irgendwoher trieben sie eine Leinwand und einen Beamer auf. Kurz vor dem Start der MotoGP wurde es richtig voll. Es kamen auch noch einige Einheimische dazu, die sich das Rennen ebenfalls anschauen wollten.
Bevor es losging, suchte ich im Internet noch schnell nach den Rennergebnissen von Luca und Fabio. Luca holte mit Platz zwölf wenigstens noch ein paar Punkte, aber Fabio war anscheinend relativ spät im Rennen gestürzt. Ich schrieb dem Franzosen schnell noch eine Nachricht, bevor es für Vale in die Aufwärmrunde ging.

Ist alles in Ordnung bei dir?

Die Ampel ging aus. Vale startete gut, doch Marquez an der Spitze erwischte einen Bombenstart. Schon nach einer Runde hatte er eine Lücke von über einer Sekunde zum zweiten Fahrer aufgefahren. Doch Vale und sein Teamkollege Vinales waren unaufhörlich auf dem Vormarsch.
In der dritten Runde überholte Vinales Crutchlow und lag damit auf Platz zwei, Rossi direkt dahinter. Und dann passierte es: Beim Anbremsen in die zweite Kurve verlor Marquez die Kontrolle über seine Honda und rutschte ins Kiesbett. Damit führte nun Vinales vor Crutchlow und Rossi. Hinter mir klatschten sich einige Italiener ab. Man spürte doch deutlich, dass das hier Vales Heimatland war.
Erst in Runde 19 wagte Vale schließlich das Überholmanöver vorbei an Crutchlow und lag somit auf Platz zwei. Das Geschehen wurde von lautem Jubel begleitet. So endete das Rennen schließlich mit vielen Ausfällen. Neben Marquez hatten noch sechs weitere Fahrer das Rennen nicht beendet. Aber keiner davon hätte den beiden Yamaha-Piloten an der Spitze gefährlich werden können.
In der Zwischenzeit hatte mich schon Fabios Antwort erreicht.

Ja, bei mir ist alles soweit klar. Nur Luca gefällt mir nicht so richtig. Bewegt sich schon das ganze Wochenende ein bisschen steif, aber er verrät mir auch nicht, was los ist.

Ich kann ihn schlecht fragen, Fabio.

Ich weiß. Wollte es dir nur gesagt haben.


Was sollte ich seiner Meinung nach denn jetzt mit dieser Information anfangen?

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