Gegen Kälte hilft nur Wärme

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Ein nerviges Piepsen drang durch den dichten Nebel des Schlafs in meinem Kopf und weckte mich langsam. Ich war eingehüllt in eine angenehme Wärme, die mich irgendwo zwischen Schlaf und Wachsein gefangen hielt.
Hinter mir bewegte sich etwas, beugte sich über mich und das Piepsen verschwand. Ein verlockender Geruch wehte um meine Nase und löste ein Kribbeln in meinem Körper aus. Ich erinnerte mich daran, das schon einmal gerochen zu haben, nur wollte mir partout nicht einfallen, wann und wo.
An meinem Rücken bewegte sich meine Wärmequelle, jedoch nur um mich zu umklammern. Für einen Moment erschrak ich vor dieser Bewegung.
Dann jedoch wurde mir bewusst, dass ich in Lucas Bett lag und er es war, der in diesem Moment sein Gesicht in meinem Nacken vergrub. Er lag dicht hinter mir, berührte quasi die gesamte Rückseite meines Körpers. Sein Arm, der sich um meinen Bauch geschlungen hatte, zog mich noch näher an ihn heran. Und ich genoss es, seufzte sogar wohlig auf und schmiegte mich in seine Berührung.
Seine Stimme war rau und kratzig vom Schlafen, als er sanft in meine Haare hauchte: „Guten Morgen, cucciolona." Ich antwortete mit einem Schnurren. Bevor ich wirklich mit ihm reden konnte, brauchte es noch eine Weile.
Lucas leises Lachen vibrierte in seiner Brust und damit an meinem Rücken. Ein warmer Schauer rann meinen Rücken hinab und löste ein breites Lächeln aus. Wow, mit so viel guter Laune war ich noch nie aufgestanden.
Plötzlich spürte ich seine Lippen auf meinen Haaren. Nur ganz leicht und doch deutlich spürbar. Im nächsten Moment war der sanfte Druck schon wieder verschwunden und ich fragte mich, ob ich es mir nur eingebildet hatte. Hitze stieg mir in die Wangen und färbte sie bestimmt tomatenrot.
Schließlich löste sich Luca mit einem schweren Seufzer von mir und meinte: „Schade, dass wir heute nicht ausschlafen können. Aber das holen wir nach, wenn du mich in Italien besuchen kommst. Jetzt müssen wir aber aufstehen. Frühstück gibt es in der Forward-Hospitality." Zum ersten Mal an diesem Tag drehte ich mich zu ihm um und streckte mich ausgiebig.
Ich sah, wie sich seine Kiefermuskeln spannten und er schluckte. „Mach das nicht.", seine Stimme klang auf einen Schlag wieder deutlich rauer, „Sonst müssen wir wohl den ganzen Tag hier bleiben und ich verpasse mein Rennen."
Schmunzelnd zog ich die Decke über mich und erwiderte: „Das wollen wir ja nicht. Ich bin in einer Viertelstunde spätestens soweit." „Gut.", lächelte er und stand auf. Vor seinem Kleiderschrank blieb er stehen und suchte nach einem Forward-T-Shirt. „Ich würde dir ja ein Shirt anbieten, aber ich glaube, da könntest du drei mal rein passen." „Vermutlich.", gab ich zurück.
Mit einem Stapel frische Klamotten in der Hand verschwand Luca im Badezimmer. Ich nutzte die Gelegenheit und streckte mich nochmal, bevor ich aufstand und mir eben die Jeans und das Shirt von gestern überzog.
Als Luca aus dem Bad zurückkam, war keine Spur der Nacht mehr zu erkennen. Er sah ausgeruht und frisch aus. Seine schokobraunen Haare lagen perfekt. Nicht eines traute sich, aus der Frisur auszubrechen. Er strahlte eine antreibende Entschlossenheit aus, die selbst mich an einen guten Tag glauben lassen ließ.
Ich ging zur Tür, blieb aber direkt vor Luca nochmal stehen und sagte: „Bin gleich zurück." „Mach langsam. Wir haben keinen Stress.", lächelte er und streifte mit seiner Hand meine. Augenblicklich breitete sich eine Gänsehaut über meine Arme aus.
Aus meiner Hoffnung, nicht allzu schlimm auszusehen, wurde leider nichts. Man sah mir die Nacht deutlich an und ich hatte nichts hier, um diese Spuren zu beseitigen. Dann hieß es jetzt wohl improvisieren.
Ich fing mit den einfachen Sachen an. Zähneputzen und Haare kämmen. Zumindest dachte ich, dass das einfach wäre. Allerdings hörte es schon nach dem Zähneputzen auf, denn ich hatte keine Bürste. Auch wenn sich alles in mir dagegen sträubte, schließlich rang ich mich dazu durch, in Lucas Sachen eine Bürste oder etwas dergleichen zu suchen. So wie er seine Haare stylte, musste er doch etwas derartiges besitzen.
Und ich wurde fündig. Na wenigstens etwas. Jetzt hatte ich also schon mal das Haarproblem gelöst. Als nächstes widmete ich mich meinen Augen. Die waren immer noch ziemlich klein und sahen irgendwie müde aus. Ein bisschen kaltes Wasser sollte da Abhilfe schaffen.
Irgendwann war ich doch tatsächlich mit dem Ergebnis zufrieden. Ich sah den Umständen entsprechend annehmbar aus und würde vermutlich nicht allzu viel Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Wenn wir gleich seinem Team gegenüber standen, war das vermutlich nur von Vorteil für mich.
Luca stand bereits in dem kleinen Flur und nahm zwei Jacken vom Kleiderhaken. Die eine reichte er mir. „Bereit?", fragte er mich. Da ich mir nicht ganz sicher war, bewegte ich meinen Kopf in einer Mischung aus Nicken und Schütteln. „Muss ja.", seufzte ich schließlich.

Er wusste ganz genau, was mein Problem war. Deshalb legte Luca in seiner Hospitality auch sofort eine Hand auf meinen Rücken. Damit gab er nicht nur mir Sicherheit, sondern signalisierte auch seinem Team deutlich, dass ich hier zumindest von ihm erwünscht war.
Schon als wir die Hospitality betraten, wurde ich kritisch beäugt. Vor allem aus der Ecke, in der Mario und der andere Mechaniker standen, der schon am Sachsenring etwas gegen mich gehabt hatte.
Es waren bisher nur wenige Leute hier. Luca und ich waren früh dran. Lorri, ich meine natürlich Balda, war aber schon da. Er winkte uns gleich zu sich herüber.
An seinem Tisch angekommen stand er sogar auf, um mich in den Arm zu nehmen und mich ausgiebig zu begrüßen. „Wie schön dich zu sehen." „Ich freue mich auch, hier zu sein.", erwiderte ich mit einem ehrlichen Lächeln, auch wenn immer noch einige der Meinung waren, mir das Leben schwer zu machen.
Du kannst mir glauben, dass Luca sich auch freut.", er zwinkerte mir zu, „Es würde mich nicht wundern, wenn er dem ganzen Team damit auf die Nerven geht." Luca schüttelte nur den Kopf, ließ diese Aussage aber unkommentiert. Stattdessen sah er sich um und beobachtete, wie in der Mitte des Raumes eine lange Tafel eingedeckt wurde.
Schließlich beschloss Luca, dass es Zeit war, sich zu setzen. Flankiert von ihm und Balda ging ich nun also zum Tisch. Die kritischen Augen der anwesenden Mechaniker folgten mir bei jedem Schritt und brannten unangenehm auf meiner Haut. Wir setzten uns und wen hatte ich mir genau gegenüber? Genau, Mario.
Luca beugte sich von einer Seite zu mir. Von der anderen Seite lehnte sich Balda herüber. Und dann ging die große Teamvorstellung los. Währenddessen gab es Frühstück. Die meisten Namen waren schon wieder in den Tiefen meines Unterbewusstseins verschwunden, bevor ich sie überhaupt richtig gehört hatte.
Damit kommen wir zur Chefabteilung.", Balda deutete in eine Richtung schräg gegenüber. Jetzt wurde es interessant. Luca erklärte: „Da sitzt Giovanni Cuzari. Er hat das Team mehr oder weniger gegründet. Und direkt neben ihm sitzt unsere Teamchefin, Milena Körner."
Ich nickte verstehend und genau in diesem Moment sah sie auf und in meine Richtung. Sie begegnete meinem Blick mit einem freundlichen Lächeln und einem interessierten Funkeln in den Augen.
Doch so schnell wie sie zu mir gesehen hatte, wandte sie sich auch schon wieder ab und Giovanni zu. Irgendetwas sagte sie zu ihm, denn im nächsten Moment wandte er sich Mario neben sich zu und redete auf ihn ein. Marios Kopf schoss hoch und Blitze aus Eis schossen aus seinen Augen auf mich zu.
Automatisch zog ich den Kopf ein und fragte mich, was ich jetzt schon wieder falsch gemacht hatte. Luca spürte die Veränderung in meiner Haltung und schoss mit ebenso eisigem Blick zu Mario zurück.
Mit schwer unter Kontrolle gehaltenen Bewegungen standen Mario und der zweite Mechaniker neben ihm, ich glaube er hieß Jacopo, auf und tauschten die Plätze mit Giovanni und Milena. Jetzt hatte ich die hübsche, dunkelhaarige Frau genau mir gegenüber sitzen.
Das freundliche Lächeln ergriff wieder Besitz von ihrem Gesicht und hatte sofort eine entspannende Wirkung auf mich. Luca wandte sich von Mario ab und begann lieber damit, mich seinen Chefs vorzustellen.
Es war Milena, die zuerst das Wort ergriff: „Hallo, schön dich kennenzulernen. Luca hat schon einiges von dir erzählt, aber so richtig konnten seine Beschreibungen dich doch nicht treffen." Ich war nicht nur erstaunt, weil sie Deutsch mit mir sprach, sondern auch über ihre Offensive. Kein Wort wollte mir über die Lippen kommen. „Oh, entschuldige. Wenn man 24/7 mit Italienern unterwegs ist, nimmt man irgendwann diese offene Art an.", sie zuckte ein wenig mit den Schultern.
„Ja, das kann einen ziemlich überrumpeln.", fand ich meine Stimme wieder. „So ging es mir am Anfang auch.", gab sie zu, „Aber das legt sich ganz schnell. Mit Luca und Lorri hast du dir auch zwei ganz liebe ausgesucht." „Ich glaube eher, Luca hat mich ausgesucht.", lachte ich und Milena stimmte ein.
„Stimmt.", meinte sie schließlich, „Gefühlt jeder im Team hat mir die Geschichte vom Sachsenring schon erzählt. Luca selbst mindestens drei mal." Ich musste einfach lächeln und warf einen Blick auf Luca. Der beobachtete uns und das Fragezeichen über seinem Kopf war bestimmt deckenhoch.
„Lass uns lieber auf Englisch weiterreden. Sonst muss Luca platzen vor Neugier.", lachte Milena und wandte sich dann an Giovanni, „Giovanni, schau sie dir an! Da hat Luca was gefunden!"
Meine Wangen glühten und ich senkte verlegen den Blick. Balda legte mir einen Arm um die Schultern und grinste: „Ich hab schon überlegt, ob nicht einfach ich ab jetzt ihren Begleiter spielen soll."
Luca knuffte ihn hinter meinem Rücken in die Seite und Balda zuckte zusammen. Ich ging ein wenig in Deckung, denn Luca ließ seinen Teamkollegen kaum zu Atem kommen. „Gnade!", japste dieser schließlich, „Das war doch nur ein Scherz!" „Das will ich doch hoffen.", knurrte Luca bedrohlich.
Ich warf einen hilfesuchenden Blick zu Milena und Giovanni, doch die beiden amüsierten sich prächtig über ihre Fahrer. „Bist du dir sicher, dass du dir das antun willst?", scherzte Giovanni, „Noch kannst du fliehen." „Ich glaube nicht, dass das nötig ist.", erwiderte ich ehrlich. Im gleichen Moment schubste Luca Baldas Arm von meiner Schulter und platzierte seinen eigenen dort. „Jetzt ist es zu spät.", grinste Milena.
Giovanni und Milena vertieften sich in ein Gespräch miteinander, sodass ich mich auf die beiden Kindsköpfe neben mir konzentrieren konnte. Luca allerdings schien mit einem Ohr auf deren Unterhaltung zu lauschen.
Wie sieht es aus?", fragte er mich plötzlich, „Wollen wir uns das Moto3-Warm-Up anschauen?" „Ja, gern.", erwiderte ich und trank den letzten Schluck meines Tees. Er meldete uns beim Team ab, dann verließen wir die Hospitality. Luca schnappte sich den Roller des Teams und wartete auf mein Aufsteigen.
Ich zögerte. Zu gut erinnerte ich mich noch an die Nähe zum Boden, die meine Knie bei der letzten Fahrt gehabt hatten.
Schließlich gab ich mir einen Ruck. Ich wusste nicht, wie ich sonst in die Boxengasse gelangen sollte. Doch ich bereute es schnell. Luca ließ wieder den Rennfahrer raushängen und ich krallte mich einfach nur an seinem Shirt fest. Mein Gesicht presste ich an seinen Rücken, um nicht auf meine Umgebung achten zu müssen.
Dank Luca fanden wir sogar noch einen Platz an der Boxenmauer mit einem Bildschirm zum Live Timing und Tracking ganz in der Nähe. Es war ein warmer Tag und kaum eine Wolke war am Himmel zu sehen. Das Wetter schien es diesmal gut zu meinen.
Von unserer Position in der Boxengasse aus konnten wir sehen, wie Fabio auf die Strecke ging. Er war es auch, auf den ich am meisten achtete.
Luca musste kurz vor dem Ende des Warm Ups zu seiner Box und sich auf seine eigene Session vorbereiten. Ich verfolgte weiterhin den Formationsflug von Fabio und seinen beiden Teamkollegen. Durch den Windschatten, den die beiden ihm boten, konnte Fabio in der letzten Runde noch die zweitschnellste Zeit fahren.
Ich stand eine ganze Weile allein an der Boxenmauer und beobachtete das Treiben in der Boxengasse. Es störte mich absolut nicht, mich nicht zu Luca in die Box begeben zu müssen. Es gab einige Gründe, warum ich das lieber vermeiden würde. Die meisten von ihnen hatten zwei Beine.
Stattdessen freute ich mich über die Gesellschaft von Fabio, der nach seinem Warm Up und einer wohl ziemlich kurzen Besprechung an meiner Seite auftauchte.
Ich hoffe doch sehr, dass du hier nicht alleine rumstehst, weil Luca sich nicht um dich kümmert!", er klang ein bisschen vorwurfsvoll, doch ich konnte ihn beruhigen: „Nein. Luca muss doch selbst gleich auf die Strecke. Da störe ich ihn lieber nicht." „Na gut.", seufzte er, „Das muss ich als Rennfahrer wohl gelten lassen."
Kurz war es still, bis auf den Klang der Motorräder, die auf die Strecke fuhren. Doch das hielt Fabio nicht lange aus: „Wieso bist du nicht bei seinem Team?" „Ich glaube, sein Team kann mich nicht sonderlich gut leiden.", seufzte ich bedrückt und schüttelte den Kopf. „Oh, das klingt aber gar nicht gut.", mit einem Mal klang er wirklich mitfühlend. Der hatte Stimmungsschwankungen wie eine Schwangere.
Das bewies er mir im nächsten Moment eindrucksvoll. „Hast du gesehen, wie schnell ich eben war?", fragte er mit stolz geschwellter Brust. Ich nickte: „Habe ich. Das war wirklich gut." Er saugte mein Lob förmlich in sich auf.
Zum Glück blieb er zumindest während Luca fuhr halbwegs still. Ein paar Kommentare konnte er sich immer noch nicht verkneifen, aber damit konnte ich umgehen.
Gib mir mal dein Handy.", forderte er mitten in der Session. Sofort hatte er meine vollste Aufmerksamkeit. „Wofür brauchst du mein Handy?" „Na für was wohl?", er sah mich an, als wäre ich schwer von Begriff, „Ich will dir meine Nummer einspeichern." „Tu, was du nicht lassen kannst.", lächelte ich und überreichte ihm mein Handy.
Ich konzentrierte mich allerdings wieder auf die Strecke. Luca wäre mir wahrscheinlich böse, wenn ich etwas von seiner Fahrt verpasste.
Doch dafür gab es keinen Grund. Ich sah, wie er versuchte, sich an schnellere Fahrer zu hängen. Ich sah, wie Balda ihn eine Weile zog. Ich sah, wie er über sich den Kopf schüttelte, als er einen Fehler machte. Und ich sah, wie er an Position 19 abgewunken wurde.
Es dauerte nicht lang, bis Luca und Fabio wieder die Plätze tauschten. Fabio verschwand wieder in seiner Box und Luca leistete mir an der Boxenmauer Gesellschaft.
Vale war als nächster dran. Das Knurren der Maschinen so nah hier in der Boxengasse löste eine Gänsehaut auf meinem ganzen Körper aus. Ich hätte es mir nie träumen lassen, einmal so nah dran zu sein. Vale fuhr quasi in greifbarer Entfernung an mir vorbei und er grüßte uns. Dann richtete er seine Kombi im Stehen und verließ die Boxengasse.
In 20 Minuten Warm-Up schaffte es Marquez nicht, an Rossi vorbeizuziehen. Vale wurde Fünfter und Marquez Sechster. Der Gedanke an Marecs frustriertes Schnauben ließ mich vor mich hin grinsen.
Das verging mir allerdings ziemlich schnell wieder, denn Luca musste zurück an seine Box und er wollte, dass ich ihn begleitete. Ich konnte es ihm nicht abschlagen. Meine Begeisterung hielt sich allerdings in Grenzen. Ich konnte nur hoffen, dass Milena und Giovanni oder zumindest Balda da waren.
Zu meinem großen Glück, welch Ironie, wurden wir von Mario empfangen. Der schnappte sich Luca sofort und ich blieb wie bestellt und nicht abgeholt im Eingangsbereich der Box stehen. Na, das fing ja wunderbar an.
Es dauerte auch nicht lang, bis der erste Mechaniker vor mir auftauchte und mir ein emotionsloses „Du stehst im Weg." entgegen schleuderte, bevor er wieder verschwand. „Dann sagt mir, wo ich hin soll.", murmelte ich vor mich hin und rutschte noch mehr an den Rand.
Am besten wäre es, wenn du gar nicht hier wärst.", bekam ich unerwartet eine Antwort, „Niemand braucht dich hier." Sprachlos starrte ich den vor mir stehenden Mechaniker an. Es war mein allerbester Freund Jacopo.
Ich brauche sie.", plötzlich stand Luca mit verschränkten Armen an meiner Seite. Im nächsten Moment tauchte auch Balda neben mir auf und ergänzte: „Und ich brauche sie hier." „Damit wären wir ja schonmal zwei. Mit deutlich mehr Stimmrecht.", fand Luca. Jacopo und er lieferten sich ein Blickduell der allerersten Klasse.
Schließlich zog sich Jacopo zurück.
Luca entschuldigte sich sofort bei mir, doch ich winkte ab. Balda war allerdings noch nicht wirklich zufrieden. „Lass sie nicht allein.", wies er Luca an, „Wenn du gerade nicht bei ihr sein kannst, dann bring sie zu mir. Sonst war das das letzte Mal, dass sie dich freiwillig hierher begleitet hat."
Da könnte er recht haben.", warf Mario ein. Er war unbemerkt hinter mir aufgetaucht. „Allerdings...", fuhr er fort, „wäre das gar nicht so schlecht."
Ich konnte quasi sehen, wie Luca der Kragen platzte. Auf Italienisch fauchte er seinen Chefmechaniker an. Balda nahm mich am Arm und dirigierte mich in den hinteren Teil der Box und pflanzte mich auf einen Stuhl.
Er ließ mich wirklich nur ein paar Sekunden aus den Augen, um sich auch einen Stuhl zu holen. Doch diese kurze Zeit reichte schon aus, damit der nächste aus dem Team vor mir auftauchen konnte. „So richtig verstehen kann ich Luca ja nicht. An dir ist ja nix besonderes. Und der lässt dich nicht aus den Augen, wie ein..."
Davide, es reicht!", fuhr Balda dazwischen. Besagter Davide trat den Rückzug an, nicht ohne mich nochmal boshaft anzublitzen. Ich sank seufzend auf meinem Stuhl zusammen.
Eine Weile blieb es still zwischen Balda und mir. „Nimm es dir nicht zu Herzen. Ich weiß nicht, was mit denen los ist. Normalerweise sind sie alle ganz okay.", versuchte er mir gut zuzureden. Ich nickte einfach. Die Kälte, die sich langsam in meinem Körper ausbreitete, lähmte mich und ich fand keine Worte.
Als Luca auftauchte, sprang Balda sofort auf und überließ ihm den Stuhl neben mir. Seufzend ließ sich Luca darauf sinken und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Unwillkürlich trat mir ein Lächeln auf die Lippen. Es war echt niedlich, wie er sich die Frisur zerstörte.
Es tut mir wirklich leid, dass du dir das hier antun musst.", begann er, „Ich würde verstehen, wenn du gehen willst." Seine Schultern ließ er hängen und starrte den Boden vor seinen Füßen an.
Doch ich widersprach ihm: „Ich will nicht gehen. Nicht, wenn ich dich dann hier alleine lassen muss." „Na ja.", ein kleines Lächeln erschien auf seinem Gesicht, „Wirklich allein bin ich ja nicht." „Willst du, dass ich gehe?", fragte ich unsicher nach, doch er schüttelte augenblicklich den Kopf. „Also bleibe ich auch.", meinte ich dann.
Flankiert von Balda und Luca verließ ich die Box wieder, als es Zeit für die Startaufstellung der Moto3 war. Die beiden sorgten allein mit ihren Blicken dafür, dass kein Kommentar kam. Ich fühlte mich ein bisschen so, als hätte ich zwei Bodyguards.
Vale sah uns schon von Weitem und winkte uns zu sich. „Wie war euer Abend?", fragte er sofort. Luca und ich warfen uns einen Blick zu. Meine Wangen färbten sich dunkelrot und ich senkte den Blick. „Verstehe.", grinste Vale und ging zu einem Gespräch über sein Moto3-Team über.
Wo ist eigentlich Romano?", fragte Luca plötzlich und sah sich in der Startaufstellung um. Vales Blick verfinsterte sich deutlich. „Romano.", knurrte er schließlich, „Nun ja, nach seinem letzten Ausraster am Freitag haben das Team und ich gestern entschieden, dass er von jetzt an kein Rennen mehr für uns bestreiten wird." „Was hat er dieses Mal gebracht?" „Er hat sich gegen das Team gerichtet.", erklärte Vale mit einer bedrohlichen Ruhe.
Den Start sahen wir uns direkt von der Boxenmauer aus an. Fabio fiel zurück und landete in der größten Gruppe des Feldes. Das wurde ein hartes Rennen für ihn. Allerdings lud uns Vale nach den ersten drei Runden in seine Box ein.
Während wir auf die Yamaha-Box zu schlenderten, hatte ich die schlimmsten Befürchtungen. Ich wusste nicht, ob ich Lust auf noch mehr Feinde hatte.
Doch alle Befürchtungen stellten sich schnell als unbegründet heraus. Vales Team empfing uns euphorisch. Sie boten uns sofort Stühle an und rückten alles so zurecht, dass wir die Bildschirme sehen und das Rennen verfolgen konnten. Für einen Moment verschwand Vale, allerdings nicht ohne vorher konsequent dafür zu sorgen, dass ich neben Luca saß.
Kurz darauf kehrte er mit Getränken für uns alle zurück. „Fabio schlägt sich ganz gut.", stellte Luca fest. Ich nickte und verfolgte seinen Kampf.
Am Ende verpasste er knapp das Podium. Als Vierter hinter Joan Mir, Brad Binder und Enea Bastianini fuhr er über die Linie. Trotzdem sah man ihm die Erleichterung an. Es war definitiv kein schlechtes Ergebnis. Damit empfahl er sich für ein Moto2-Motorrad vielleicht schon in der nächsten Saison.
Luca musste sich nach dem Rennen beeilen. Ich nahm ihn nochmal fest in den Arm und wünschte ihm viel Glück. Doch wir waren beide der Meinung, dass ich lieber in Vales Box bleiben sollte. Allein in der Forward-Box zu sitzen, entsprach absolut nicht meinem Wunsch.
Meine Anspannung stieg unaufhörlich, als Luca in die Startaufstellung rollte. Obwohl Vale sich schon längst auf sein Rennen konzentrieren wollte, saß er trotzdem noch neben mir und fixierte den Bildschirm.
Plötzlich schien ihm etwas einzufallen, denn er sprang auf und verschwand aus meinem Blickfeld. Als er zurückkam hatte er ein Handy in der Hand und setzte sich wieder zu mir. Das Handy hielt er mir hin und meinte: „Gib mir mal deine Nummer. Nur für den Fall, dass es der Kleine wieder versaut." Ich wusste ganz genau, was er meinte. Also tippte ich schnell meine Nummer ein und gab das Handy zurück.
Lucas Start war nicht schlecht. Nur steckte er jetzt in einem riesigen Pulk aus Fahrern fest und kam keinen Platz nach vorn. Er fiel zwar auch nicht zurück, aber am Ende als 17. waren es doch nur zwei Plätze, die er hatte gut machen können. Damit verpasste er den letzten Punkterang um ebenfalls zwei Plätze. Balda dagegen schlug sich ein wenig besser. Er wurde Achter.
Luca wird bestimmt gleich wieder hierher kommen.", meinte Vale, während er seine Lederkombi zurechtschob und den Reißverschluss schloss. „Ich bleibe einfach hier, wenn ich niemanden störe.", sagte ich und er grinste: „Bleib da sitzen. Dann brauchst du dir darüber überhaupt keine Sorgen zu machen." Ich nickte und rutschte tiefer in den Stuhl.
Und tatsächlich tauchte Luca kurze Zeit später wieder neben mir auf. „Nach dem Rennen muss ich schnell zurück.", warf ich ein, „Mein Bruder hat nachher noch sein zweites Rennen." „Ich komme mit.", erwidere Luca sofort.
Bei 46 Grad Asphalttemperatur wurde das Rennen der MotoGP gestartet. Vier Piloten machten einen Frühstart und mussten deswegen eine Durchfahrtsstrafe absolvieren. Weil er sich weigerte, wurde Hector Barbera schließlich disqualifiziert.
Vale musste sich schon beim Start den beiden Ducati-Piloten Andrea Iannone und Andrea Dovizioso geschlagen geben. Die blieben auch bis zum Rennende ganz vorn und holten so den ersten Ducati-Doppelsieg seit 2007 und den ersten Ducati-Sieg seit 2010.
Allerdings tobte das ganze Rennen über ein Vierkampf an der Spitze. Mit von der Partie waren noch Jorge Lorenzo und Vale. Lorenzo wurde schließlich Dritter und Vale musste sich mit dem vieren Platz zufrieden geben. Marquez konnte nicht dranbleiben und wurde Fünfter.

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