Nicht greifbar

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Die Straßenlaternen warfen ihr Licht auf die Strandpromenade vor uns. Warme Schatten tanzten auf Lucas Gesicht, während er mir von Tavullia erzählte. Seine Augen strahlten wie die eines kleinen Kindes an Weihnachten, wenn er von seinem Heimatort sprach. Er weckte eine tiefe Sehnsucht nach Italien in mir. Nach dem warmen Schokokuchen seiner Mutter, von dem Luca mir so vorschwärmte. Nach Sonnenschein und blauem Himmel. Nach einer Pizza in Vales Pizzeria. Nach einem lustigen Abend mit den Jungs aus der Riders Academy und Lucas Freunden. Nach einem langen Spaziergang mit Lucas beiden Hunden. Nach einem nächtlichen Bad in der Adria, weil hier am Tag zu viele Touris waren. Nach einer Runde auf Vales Ranch, nach der man völlig verschwitzt und mit Staub beklebt wieder von seinem Motorrad stieg.
Moment. Das war neu. Ich hatte noch nie auch nur ansatzweise das Bedürfnis gehabt, mich auf ein Motorrad zu setzen. Doch ich machte mir keine weiteren Gedanken darüber. Luca hatte schon von der ersten Sekunde an mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Da gehörten solche komischen Sinneswandlungen wohl auch dazu.
Die Nacht wurde kühler, während wir immer noch Hand in Hand über die scheinbar endlose Strandpromenade schlenderten. In der Ferne konnte ich zwar die Lichter einer offensichtlich großen Stadt ausmachen, doch wir schienen ihr nicht näher zu kommen.
Stattdessen bogen wir an einer Stelle, an der einige große Felsblöcke am Strand und bis ins Meer hinein lagen, ab. Der Sand war noch warm vom Tag unter meinen nackten Füßen.
Wann hatte ich meine Schuhe ausgezogen? Hatte ich überhaupt welche getragen? Ich konnte mich nicht erinnern.
Der raue Seewind blies durch meine Haare und zerzauste sie, wehte sie in mein Gesicht. Ich atmete tief den Geruch des Meeres ein. Kalt umspülten die Wellen meine Knöchel. „Fast wie zuhause.", seufzte Luca neben mir. In diesem Moment fiel mir zum ersten Mal auf, dass er die ganze Zeit Deutsch mit mir sprach.
Er ließ meine Hand los, um sich in einer fließenden, schnellen Bewegung sein Shirt über den Kopf zu ziehen. Mir stockte der Atem.
Plötzlich waren wir nicht mehr am Strand. Der sternenklare Nachthimmel über mir machte Platz für die Decke von Lucas Motorhome.
Ich lag, aufgestützt auf meinen Ellenbogen, auf dem Küchentisch. Luca lehnte über mir, um meine Lippen erreichen zu können. Der Kuss war stürmisch, ja sogar wild. Ich atmete flach und rau. Luca ebenso. Mit einem Arm stützte er sich auf der Tischplatte ab, um nicht mit seinem gesamten Gewicht auf mir zu liegen. Doch seine zweite Hand war frei.
Mit dieser schob er den Stoff meines Oberteils ein wenig nach oben und streichelte sanft die freigelegte Haut an meiner Taille. Seine Finger jagten kleine Stromstöße durch meinen Körper.
Mein Kopf fiel nach hinten. Luca stieß den Atem aus, schob sich noch näher an mich. Langsam ließ er seine Lippen über meine Haut streichen, küsste meinen Hals. Einmal, zweimal. Dann zog er sich zurück. Sein Atem strich über die noch feuchte Stelle und kühlte meine überhitzte Haut.
Noch nie hatte ich ihn so sehr gewollt wie jetzt in diesem Moment.
Und plötzlich lagen wir wieder am Strand. Ich konnte den Sand unter mir spüren. Das Meer rauschte im Hintergrund. Luca lag jetzt halb auf, halb neben mir und küsste mich. Die Sonne wärmte uns. Na gut, vielleicht waren wir das auch selbst.
Luca unterbrach den Kuss. Warm sah er mich an. Dann öffnete er den Mund, um etwas zu sagen und ... klingelte?!?

Ich schoss senkrecht in die Höhe. Meine Augen brauchten ein paar Sekunden, bis sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Nur langsam wurde mir bewusst, dass mein Handywecker immer noch klingelte.
Genervt schaltete ich ihn aus und ließ mich wieder in mein Kissen fallen. Frustriert stöhnte ich auf und legte mir den Arm über die Augen. So ging das schon die ganze Woche. Jede Nacht träumte ich von Luca und jeden Morgen stand ich frustriert und schlecht gelaunt auf.
Nun heute war es noch mitten in der Nacht, um genau zu sein 1 Uhr morgens. Was tat man nicht alles, um sich den eigenen Freund im Fernsehen anzuschauen. Zum Glück hatte ich noch das Training der Moto3 und der MotoGP vor mir, um halbwegs wach zu werden.
Mit einem flinken Knopfdruck auf meiner Fernbedienung schaltete ich den Fernseher ein und zog mich mit meinem Handy in der Hand unter meine kuschelige Decke zurück.
Meine Lieblingsfahrer bekamen schnell alle drei eine Nachricht. Lucas Antwort ließ keine fünf Minuten auf sich warten.

- Guten Morgen, anima mia. Hast du gut geschlafen? Ich mache eben noch ein bisschen Frühsport und rufe dich dann mal eben an. Bis gleich, ciccina. -

Inzwischen lief das erste Freie Training der Moto3, doch es waren kaum Fahrer auf der Strecke. Es regnete in Strömen und die Fahrer, die noch in ihren Boxen gezeigt wurden, trugen alle dicke Jacken über ihren Kombis. Es schien wirklich kalt zu sein.
Auch Fabio war noch nicht auf der Strecke. Ich wusste, dass er wirklich kein großer Freund von Regen war. Erst als der Regen etwas nachließ, wurde es voller auf der Strecke. Die Wettervorhersage für die nächsten Tage war uneindeutig und wer in den Trainings nicht testete, würde es im Rennen schwer haben.
Fabios 21. Platz am Ende des Trainings unterstrich allerdings seine Einstellung zu Regen doch sehr deutlich. Man hatte sehen können, dass er sich auf dem Motorrad nicht wirklich wohlgefühlt hatte.
In der MotoGP gab es einen Piloten, der sich vom Regen überhaupt nicht aufhalten ließ und das war Cal Crutchlow. Vale dagegen fuhr nur aus seiner Box, um überhaupt mal eine Runde gedreht zu haben.
Während ein paar MotoGP-Fahrer noch um die Strecke rollten, rief Luca an. Auch er freute sich nicht so wirklich über die nasse Kälte. „Ich werde schauen, dass ich zwei drei Runden fahre, damit ich das Motorrad halbwegs einstellen kann und dann hoffe ich, dass entweder das Wetter besser wird, oder ich morgen wie durch ein Wunder super schnell werde.", brummte er missmutig.
Ich versuchte, ihn ein wenig zu beruhigen: „Ich bezweifle sehr, dass überhaupt jemand richtig schnell wird." „Das wahrscheinlich nicht.", bestätigte er, „Aber schneller als ich." „Wenn du dir das so richtig schön einredest, wird es auch so.", meinte ich nur. Luca wechselte schnell das Thema. Fünf Minuten lang plauderten wir noch, bevor er schließlich auflegen musste, um sich auf sein Training vorzubereiten.
Der Regen wurde wieder stärker, als Luca das erste Mal auf die Strecke fuhr. Er war vor diesem Jahr noch nie in Philipp Island gewesen, sodass er sich langsam an die richtige Linie herantastete.
Nach ein paar Runden schien er diese zumindest im Ansatz gefunden zu haben. Seine Zeiten wurden von Runde zu Runde schneller. Allerdings blieb er nicht lange auf der Strecke. Als er zurück in seiner Box war, setzte er auch gleich seinen Helm ab und zog sich eine dicke Jacke über seine Kombi. Seine Mechaniker beschäftigten sich mit seinem Motorrad.
Kurz vor Ende des Trainings fuhr er noch mal raus, vermutlich mit neuen Einstellungen am Bike. Es sah jetzt schon viel besser aus. Er bewegte sich geschmeidiger auf dem Motorrad und testete unterschiedliche Linien aus. Trotzdem blieb die Unsicherheit auf der nassen Strecke bestehen. Die Strecke wurde durch den vielen Regen ja auch nicht unbedingt trockener.
Es waren noch drei Minuten auf der Uhr. Luca war einer von nur 10 Fahrern, die noch draußen waren. Er manövrierte sein Motorrad wie auf rohen Eiern in die nächste Kurve hinein, doch sein Vorderrad schwamm ihm einfach davon. Schneller als er gucken konnte, schlitterte er auf seinem Hosenboden neben dem Motorrad her.
Definitiv war es kein schlimmer Sturz. Trotz allem schlug ich die Hände vors Gesicht, als die Wiederholung kam. Nur zwischen meinen Fingern hindurch beobachtete ich seine Rutschpartie über die Strecke. Doch Luca stand auf und verließ die Strecke ohne weitere Hilfe und sein Bike sah auch nicht sehr mitgenommen aus.
Nicht lange nach dem Ende des Trainings erreichte mich dann auch eine Nachricht von ihm.

- Alles okay bei mir. Keine Schmerzen, vielleicht ein paar blaue Flecken. Am Motorrad sind auch nur ein paar Kratzer. Die Strecke ist cool, aber ich glaube, mit Sonnenschein würde sie mir noch besser gefallen. -

Auch nach diesem Training wurde der Regen nicht wieder weniger. Fabio und Vale fuhren in ihren zweiten Freien Trainings zwar raus und landeten auf dem 19. und dem 6. Platz, aber es war mehr ein Schwimmen als ein Fahren.
Das sah wohl auch die Rennleitung so, die schließlich das zweite Freie Training der Moto2 auf unbestimmte Zeit nach hinten verschob. Der Regen aber fiel unverändert weiter. Als die Dämmerung näher rückte, wurde das Training kurzerhand einfach abgesagt.
Inzwischen wurde es in Deutschland langsam hell. Doch ich entschied mich gegen den Gang zur Uni und kuschelte mich stattdessen noch mal ins Bett. Heute Abend war die Semesterstartparty an unserem Campus. Da wollte ich zumindest halbwegs fit sein und ein paar Stunden durchhalten.
Luca wollte sich später wieder melden, bei ihm am nächsten Morgen. Vale hatte wohl seine Jungs am Abend zu sich geholt und noch lange über die Strecke diskutiert. Diese Zeitverschiebung war schon nervig.

Als ich ein paar Stunden später wieder wach wurde, begrüßte mich eine Nachricht auf meinem Handy, mit der ich eher nicht gerechnet hatte.

- Bin jetzt auf dem Weg, bin wohl gegen 5 bei dir. Marec. -

Es dauerte einen Moment, bis sich mir die Bedeutung erschloss. Und einen weiteren, bis mir wieder einfiel, dass ich den Fehler gemacht hatte, ihm bei unseren täglichen Nachrichten von der Party zu erzählen. Ganz offensichtlich hatte ich nicht vehement genug widersprochen, als er sich selbst dazu einlud.
Na gut, jetzt war es eh zu spät, um ihn wieder loszuwerden. Also schaffte ich noch ein wenig Ordnung und suchte mir schon mal ein Outfit für später raus.
Es wurde ein hellrotes Top mit abgerundetem V-Ausschnitt, das vorn wasserfallartig fiel. Dazu wühlte ich mir eine schwarze Jeans aus dem Schrank. Dabei fielen mir die High-Heels mit Nieten, die ich am Sachsenring getragen hatte, in die Hände. Sofort erschien Lucas Gesicht vor meinem inneren Auge. Ich musste unwillkürlich lächeln. Doch heute entschied ich mich gegen die High-Heels. Stattdessen wurden es deutlich flachere Stiefeletten mit Keilabsatz. Sie waren schwarz und mit Schnallen an der Seite verziert.
Desto näher der Zeiger der Fünf auf meiner Uhr rückte, desto nervöser wurde ich. Es war unser erstes Treffen seit vielen Wochen. Dazwischen lagen so viele Veränderungen und nicht zu vergessen ein Streit.
Zum Glück hatten sich Philipp, Raphaela und Bea bereit erklärt, schon eher zum Vortrinken zu mir zu kommen. So musste ich nur eine knappe Stunde allein mit Marec überstehen. Ich hatte ein wenig Angst, dass wir uns gleich stumm gegenüber sitzen würden und uns nichts zu sagen hätten.
Auch wenn ich wusste, dass es bei Luca drei Uhr in der Nacht war, ich schickte ihm trotzdem ein Selfie von meinem fertigen Outfit. Eine Antwort würde ich erst mindestens vier Stunden später bekommen.
Das Klingeln an der Tür ließ mich aus meinen Gedanken aufschrecken. Dann war es wohl soweit. Ich öffnete Marec die Tür, doch bevor ich etwas zur Begrüßung sagen konnte, nahm er mich einfach in den Arm. So als wäre nie etwas gewesen. Ich seufzte tief und ließ es für den Moment zu. Ein wenig Wehmut legte sich auf meine Stimmung. Es war eben einfach nicht mehr wie noch vor einem Jahr.
Bis die anderen ankamen, bestand Marec auf einer Führung durch meine WG. Da es nicht besonders viel zu zeigen gab, setzten wir uns danach in die Wohnküche. Ich wählte ganz bewusst den Sessel, um zu verhindern, dass er sich direkt neben mich setzte. Trotzdem schaffte er es, allein mit seiner Anwesenheit eine kribbelnde Spannung in der Luft zu erzeugen.
„Was gibt es sonst so Neues bei dir?", fragte er schließlich und es war ganz offensichtlich, worauf er damit abzielte, „Hast du immer noch Kontakt zu dem Marini?" Ich nickte bestätigend, ließ mir jedoch viel Zeit für meine Antwort. Ich wusste nicht so recht, wie ich ihm die Botschaft übermitteln sollte.
Schließlich konnte ich es nicht länger hinauszögern: „Wir sind zusammen." Wenn ich dachte, ich hätte lange gezögert, so war die Stille, die jetzt entstand, kein Vergleich dazu. Marec blieb einfach stumm. Er sah mich nicht an und bewegte sich nicht merklich.
„Okay.", seufzte er. Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Genau das war es, was ich zuvor befürchtet hatte. Es war ein Fehler gewesen, ihm überhaupt die Tür zu öffnen.
Doch er durchbrach die erneute Stille: „Wie lange schon?" „Seit dem Rennen in Misano.", antwortete ich bereitwillig. „Das wäre dann...", er überlegte, „seit Anfang, Mitte September?" Ich nickte.
Ein Klingeln an der Tür unterbrach unsere Unterhaltung. Fast schon erleichtert sprang ich auf und machte für meine Kommilitonen auf.

Unsere kleine Gruppe kam gut miteinander aus. Ich war froh, dass sich so immer mal einer der anderen um Marec kümmern konnte. Auch wenn er schon den ganzen Abend lang jede Möglichkeit nutzte, um mal ein paar Minuten mit mir allein zu sein.
Anfangs hatte das noch über das Tanzen funktioniert. Doch inzwischen taten mir die Füße weh. Ich machte gerade ein wenig Pause und nippte an meinem Getränk. Philipp hatte sich schon vor einer ganzen Weile unter die Leute gemischt. Raphaela und Bea waren die meiste Zeit in meiner Nähe. Und Marec wechselte in unregelmäßigen Abständen dazwischen hin und her.
Irgendwann verabschiedeten sich Rapha und Bea, um eine Toilette zu suchen. Keine zwei Minuten später tauchte eine Gestalt neben mir auf. Ich musste den Blick nicht von meinem Getränk abwenden, um zu wissen, wer es war.
„Und, hast du dich genug ausgeruht?", rief er mir über die Musik hinweg zu. Ich schüttelte den Kopf, doch das ignorierte er: „Wollen wir noch mal tanzen?" „Ich muss hierbleiben, damit Rapha und Bea mich wiederfinden.", verneinte ich.
Doch so einfach wurde ich ihn nicht los. „Die finden dich auch auf der Tanzfläche wieder." „Ich habe aber noch ihre Taschen hier.", beharrte ich und blieb bewegungslos sitzen. „Na gut.", seufzte er nachgiebig, „Dann bleibe ich eben hier." Damit stellte er sich demonstrativ direkt neben mich, und zwar so nah, dass sich unsere Arme fast berührten.
Ich rutschte ein paar Millimeter zur Seite. Er kam hinterher. Aber ich weigerte mich, den Blick von meinem Becher zu heben. So blieben wir einfach stumm nebeneinander. Jeder hing seinen Gedanken nach.
Als Rapha und Bea zurückkamen, sprang Rapha sofort ein und bettelte Marec regelrecht darum, mit ihr zu tanzen. Er stimmte schließlich zu und folgte ihr. Ich sah ihm nach. Und plötzlich fehlte mir seine Nähe.

Gegen halb vier traten wir schließlich den Heimweg an. Luca war gerade auf der Strecke. Wir hatten uns in den letzten Stunden wieder ein paar Nachrichten hin und her geschickt.
Da wir für den Weg eine Dreiviertelstunde brauchten, sah ich leider nichts mehr von seinem dritten Freien Training. Doch immerhin war ich pünktlich für die Qualifyings wieder zuhause.
Marec wollte sie nicht sehen. Also gab ich ihm ein Kissen und eine Decke, damit er auf der Couch schlafen konnte. Er sah ein wenig enttäuscht aus. So als hatte er erwartet, in meinem Bett schlafen zu können. Doch das wäre nicht nur mir äußerst unangenehm, sondern auch nicht wirklich fair gegenüber Luca.
Bevor Fabios Qualifying anfing, googelte ich schnell die Ergebnisse der dritten Freien Trainings. Fabio war Sechster, Vale Zwölfter und Luca hatte die Session auf Platz 21 beendet.
Heute regnete es nicht, zumindest im Moment noch nicht. Fabio fuhr ein gutes Qualifying. Doch mir fiel an einigen Stellen auf, dass er sich gerne mal ein wenig zu viel Zeit ließ, um auf seine Mitstreiter zu warten. Das sah leider auch die Rennleitung so. Wegen Bummelns wurde er auf den letzten Startplatz strafversetzt.
Kaum sollte die MotoGP für FP4 auf die Piste, fing es wieder an zu regnen. Auf nasser Strecke erreichte Vale hier den 14. Platz. Er hatte an diesem Wochenende den direkten Sprung in Q2 nicht geschafft und musste sich zuerst in Q1 beweisen. Hier kamen die schnellsten beiden dann in Q2. Vale gehörte nicht dazu. Er wurde Fünfter, was im Gesamtklassement Platz 15 entsprach.
Nach einem kurzen Schauer hatte der Regen dann auch wieder fertig. Zum Qualifying der Moto2 war es wieder trocken auf der Strecke. Das wusste Luca zumindest mit einem 18. Platz umzusetzen.
Ich wusste, dass er jetzt sowieso zu einigen Besprechungen mit seinem Team musste. Also schrieb ich ihm nur eben eine Nachricht, dass er mich anrufen sollte, wenn er soweit war, und legte mich dann auch für ein paar Stunden schlafen.

Es war nicht mein klingelndes Handy, das mich weckte. Ich konnte einfach nicht mehr schlafen. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es bei Luca inzwischen 22 Uhr sein musste. Dann würde sein Anruf wohl nicht mehr lang auf sich warten lassen.
Trotzdem ließ ich mein Handy auf meinem Nachttisch liegen. Ich wollte es gleich mitnehmen, wenn ich im Bad war und wieder tageslichttauglich aussah.
Auf dem Weg dorthin begegnete ich Marec. „Ich muss eben meine Sachen zusammenpacken.", meinte er, „Mein Zug fährt in einer Stunde und von hier brauche ich noch mal zwanzig Minuten zum Bahnhof." „In Ordnung.", meinte ich noch ein wenig neben der Spur, „Ich bin gleich wieder da."
Wahrscheinlich brauchte ich knapp zwanzig Minuten im Bad. Marec war vermutlich schon längst fertig mit seinen Klamotten.
Als ich zurück ins Zimmer kam, sah ich ihn aus den Augenwinkeln irgendwas in seine Tasche werfen. Ich beachtete ihn nicht weiter. Er drehte seinen Rücken so, dass ich nicht sehen konnte, was er in seiner Tasche kramte. Als er aufstand, war sie zu. Mit einer Hand rückte er mein Handy von der Kante des Nachttischs weg und rettete es damit wahrscheinlich vor dem Absturz. Ich konnte mich nur nicht daran erinnern, dass es so nah am Rand gelegen hatte.

Etwas später war ich dann tatsächlich wieder allein. Für ein paar Minuten fühlte sich das wirklich merkwürdig an. Doch ich entschied mich für einen entspannten Abend im Bett und wollte dann früh schlafen.
Erst dann nahm ich mein Handy wieder in die Hand. Eine merkwürdige Nachricht von Luca ließ mich aufmerksam werden.

- Ich wusste ja, dass Marec gestern dabei war. Ich wusste aber nicht, dass das beinhaltet, dass er bei dir schläft. Seit wann geht er eigentlich an dein Handy? -

Ich musste die Nachricht mehrmals lesen, bis ich den Sinn verstand. Marec hatte Lucas Anruf auf MEINEM Handy entgegengenommen. Nicht nur, dass er an mein Handy ging, er hatte es mir auch noch verschwiegen. Luca musste verrückt sein, vor Eifersucht.

- Darf ich dich eben anrufen und das klären? Er hat auf der Couch in der Wohnküche geschlafen. In der Nacht wäre kein Zug nach Frankfurt mehr gefahren. -

Obwohl ich wusste, dass es spät war und Luca wahrscheinlich längst im Bett war, hoffte ich trotzdem auf ein Gespräch mit ihm. So etwas über Nachrichten zu klären, war nicht unbedingt einfacher. Jedes falsche Wort konnte zu einem riesigen Missverständnis werden.
Doch Lucas Antwort enttäuschte mich ein wenig.

- Lass uns morgen darüber sprechen. Bitte. Gute Nacht. -

Wie sollte ich jetzt eine ruhige Nacht haben?

Richtig, gar nicht. Da ich eh zwanzig vor Zwei wieder den Fernseher aktivierte, um alle Warm-Ups und Rennen zu sehen, bekam ich im Grunde gar keinen Schlaf.
Luca vertröstete mich auf nach dem Rennen. Ich konnte verstehen, dass er jetzt vorher keine Ablenkung brauchte. Doch es wurmte mich trotzdem, dass er sich so zurückzog. Es war vorher klar gewesen, dass es nicht leicht werden würde. Aber dass die Probleme so schnell kamen, zog mir doch ein wenig den Boden unter den Füßen weg. Ich hätte gern noch ein wenig länger auf Wolke 7 geschwebt.
Die Warm-Ups gingen im Trockenen über die Bühne. Fabio war 21., Vale Zweiter und Luca erreichte nach einem Sturz nur die 27 Position.
Auch das Rennen der Moto3 wurde auf trockener Strecke gestartet. In der sechsten Runde klappte McPhee am Scheitelpunkt einer scharfen Linkskurve das Vorderrad weg. Da er zu diesem Zeitpunkt auf der Innenseite einer großen Gruppe lag, konnten zwei Hintermänner nicht mehr ausweichen. Bastianini und Migno überrollten ihn, kamen beide dadurch ebenfalls zu Sturz. Die Rennleitung brach das Rennen sofort ab.
Die beiden Italiener konnten die Strecke selbstständig verlassen. Doch McPhee blieb regungslos liegen. Genau fünf Jahre nachdem Marco Simoncelli in einer ähnlichen Situation tödlich verletzt wurde.
Doch nach einigen bangen Minuten kam dann die Erlösung. Die Rennleitung meldete, dass McPhee bei Bewusstsein war. Er wurde ins Krankenhaus gebracht.
Das Rennen wurde für zehn Runden neu gestartet. Kurz vor dem Ende des Rennens kollidierte Fabio mit Nicco Bulega, der daraufhin zu Boden ging. Fabio selbst beendete das Rennen auf Platz 12.
Nach diesem aufregenden Rennen in der Moto3 hoffte ich auf weniger Spannung, aber vor allem weniger Stürze in der Moto2. Für Luca traf das zu. Er kam nicht so wirklich gut in Fahrt und profitierte vor allem von den Stürzen vor ihm. Fast hätte er es noch in die Punkte geschafft, doch am Ende fehlten ihm doch sieben Sekunden auf den 15. Platz.
Vale startete im MotoGP-Rennen eine furiose Aufholjagd. Nach vier Runden war er schon Sechster, nach acht Runden auf Rang vier und in der zehnten Runde als Zweiter fast am Hinterrad des führenden Crutchlow. Doch an ihm kam er nicht mehr vorbei. Als Dritter rundete schließlich Vinales das Podest ab.
Doch auch jetzt nach den Rennen vertröstete Luca mich noch. Er wollte erst alles für seine Weiterreise nach Sepang vorbereiten.
Dafür erreichte mich ein Anruf von Marec. „Ganz schön mutig von dir, dich einfach so wieder bei mir zu melden.", schnaubte ich wütend in den Hörer. Marec war hörbar verwirrt, also schob ich hinterher: „Seit wann gehst du an mein Handy?!?" „Oh Shit, ich hätte nicht gedacht, dass..." „Was?", unterbrach ich ihn, „Dass ich es erfahre? Hast du vielleicht mal drüber nachgedacht, dass du bei meinem Freund rangegangen bist?!?"
„Hör zu, es tut mir leid.", versuchte er wenig überzeugend. „Nein, du hörst mir zu.", fuhr ich dazwischen, „Du hast absolut nichts an meinem Handy zu suchen! Weder in meinen Nachrichten, noch in meinen Fotos und schon mal gar nicht, wenn mich jemand anruft. Verstanden?" „Ja, ich weiß ja selbst, dass es dumm war."
„Das hast du ganz recht." „Könntest du mich bitte mal ausreden lassen?", fuhr er mich plötzlich lautstark an. Ich war zu perplex, um etwas zu erwidern. Das verstand er wohl als Aufforderung.
„Ich weiß selbst, dass ich nicht an dein Handy hätte gehen dürfen. Das war dumm und du hast allen Grund, sauer auf mich zu sein. Es... es war einfach eine Kurzschlussreaktion. Es lag einfach da und hat geklingelt. Und dann stand da sein Name auf dem Display und ich wusste einfach nicht, was ich machen sollte."
„Mich rufen zum Beispiel.", gab ich trocken zurück. „Wäre vermutlich besser gewesen, ja.", gab er zerknirscht zu, „Aber ich hatte in dem Moment einfach das Gefühl, aufpassen zu müssen, dass du dich da zu tief drin verrennst und dir am Ende wehgetan wird."
„Bevor DU auf MICH aufpassen musst, lernen Schweine fliegen!", keifte ich, „Vor Luca?!? Dein Ernst?!? Vielleicht solltest du mich erst mal vor dir selbst beschützen." „Okay, pass auf. Ich werde mich in der nächsten Zeit erst mal nicht mehr melden. Ist wohl doch besser so.", und dann legte er auf. Ohne Verabschiedung.
Warum fühlte sich das nicht richtig an? Ich hatte das Gefühl, ihm unrecht getan zu haben. Er sagte ja nicht, dass er mich vor Luca beschützen wollte, sondern davor, dass mir wehgetan wurde. Das war doch eigentlich gar nicht so verkehrt. Blöd nur, dass er derjenige war, der mich bisher am schlimmsten verletzt hatte.

Lucas Anruf ließ danach noch etwa eine halbe Stunde auf sich warten. Genug Zeit, um den Streit fürs Erste zu verarbeiten. Jetzt war es wichtiger, Luca zu beruhigen. Um Marec konnte ich mir später Gedanken machen.
Hey cuore mio. Entschuldige bitte, dass es so spät geworden ist.", entschuldigte Luca sich prompt, „Ich war eben noch mal bei den Physios im Medical Center. Mir tun von heute Morgen noch die Schulter und der Rücken weh." „Oh nein, ist es etwas Schlimmes?", fragte ich besorgt nach, doch er verneinte: „Nein, sieht nur aus wie kleine Prellungen, aber die tun auch weh."
Cucciolona...", begann er dann, „Ich weiß, dass zwischen dir und Marec nichts ist. Ich wusste auch, dass er bei dir übernachtet hat. Es hat mich einfach so überrascht, seine Stimme, anstatt deiner zu hören... Das war... Ich war ziemlich sauer." „Auf mich?", fragte ich vorsichtig.
Ein tiefes Seufzen am anderen Ende. „Nein.", er klang nicht überzeugt, „Oder zumindest nicht nur. Auf dich, auf mich, auf ihn. Auf diese ganze Situation. Es ist verdammt hart, so weit weg zu sein und dich gefühlte Ewigkeiten nicht sehen zu können. Und das Wissen, dass er sich nur in den Zug setzen muss und dann in ein paar Stunden bei dir ist, macht mich verrückt." „Luca, bist du etwa eifersüchtig?" „Ein bisschen vielleicht.", gab er zu.
Ich bemühte mich, ihn zu beruhigen: „Das musst du nicht! Ich verspreche dir, dass ich kein Interesse an jemand anderem als dir habe, mein coccolone." Ich konnte fast schon vor mir sehen, wie er sein Gesicht verzog. „Ich weiß.", seufzte er schließlich, doch er klang immer noch nicht überzeugt.

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