Unter der spanischen Sonne

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Ich lag neben Luca im Bett. Er schlief friedlich. Doch ich starrte seit einer gefühlten Ewigkeit an die Decke. Meine Gedanken drehten sich Kreis und machten mich verrückt.
Was wäre passiert, wenn Balda nicht in die Küche geplatzt wäre? Wie weit wären wir gegangen?
Seufzend drehte ich mich auf die andere Seite und beobachtete die Laterne draußen vor dem Fenster. Natürlich tat sich dort nichts. Es war halb vier Uhr morgens. Das ganze Fahrerlager schlief. Nun ja, außer mir zumindest. Immerhin hatten sie morgen alle viel vor sich.
Deshalb war ich auch so froh, dass Luca anscheinend überhaupt kein Problem mit dem Einschlafen gehabt hatte. Er musste morgen fit sein und sollte sich nicht den Kopf zerbrechen. Es reichte, wenn ich das tat.
Tja, und das tat ich gründlich. Ich war definitiv noch nicht bereit dazu, mit Luca zu schlafen. Doch hätte ich „Nein" gesagt? Diese Frage konnte ich mir selbst nicht beantworten. Im Nachhinein war es leicht, sich selbst zu belügen. Doch ich hatte fast eine ganze Flasche Wein intus und Luca machte es mir sehr einfach, alle meine guten Vorsätze über Bord zu werfen.
Wenn ich mit ihm zusammen war, dann wollte ich nichts anderes, als so viel wie möglich von ihm zu spüren. Seine Küsse weckten eine Seite in mir, die ich selbst noch nicht kannte.
Nur war mir noch nicht klar, wohin das alles führen sollte. Klar, im Moment war ich glücklich. Aber was war in drei Wochen, wenn er zu den Überseerennen aufbrach und wir uns noch seltener sahen? Oder in drei Monaten, wenn ich voll und ganz im Studium steckte und er den Winter mit trainieren verbrachte? Dass er nicht in Deutschland trainieren konnte, lag leider auf der Hand und mein Studium ließ sich auch nicht so einfach nach Italien verlegen. Uns standen harte Zeiten bevor. Vielleicht war die Frage gar nicht, ob wir es schafften, die Beziehung aufrecht zu erhalten, sondern nur, wie lange wir es schafften.
Ich wollte diese Gedanken nicht zu weit in mein Gehirn eindringen lassen. Luca und ich waren glücklich. Wir hatten uns trotz all der Steine in unserem Weg gefunden. Das allein grenzte schon an ein kleines Wunder, also konnten wir auch diese Fernbeziehung schaffen.
Aber vielleicht hatten wir unser Glück damit schon aufgebraucht?
Das wollte ich einfach nicht glauben. Ich drehte mich wieder zurück auf die andere Seite und sah ihn mir an. Sein Gesicht lag halb im Schatten und doch wirkten seine Züge weich im Licht der Laterne. Ein leichtes Zucken umspielte seine Mundwinkel. Zu gerne hätte ich gewusst, was er gerade träumte.
Plötzlich hob er seinen Arm unter seinem Kopf hervor und schlang ihn um mich. Vorsichtig zog er mich zu sich heran und murmelte kaum verständlich: „Hör auf zu grübeln und schlaf endlich, cucciolotta."
Ich seufzte tief, aber gab schließlich nach und schmiegte mich in seine Umarmung. Er rutschte sich noch ein wenig zurecht, sodass mein Kopf bequem Platz an seiner Schulter fand. Dann war er schon wieder eingeschlafen. So schnell ging es bei mir dann doch nicht. Eine Weile lag ich noch wach und konzentrierte mich auf seine Atmung. Langsam wurde ich ruhiger und konnte immer mehr die quälenden Gedanken ausblenden.
Sein mir inzwischen so vertrauter Duft umspielte meine Nase. Er gab mir ein Gefühl von Heimat und Geborgenheit. Endlich schaffte ich es, meine Augen zu schließen und Ruhe in meinen Körper zu bekommen.

Der unruhige Schlaf steckte mir noch immer in den Knochen, als ich am Morgen mit einer Tasse Tee am Frühstückstisch saß. Luca war gerade unter der Dusche. Ich hatte den Blick in den Spiegel bisher konsequent vermieden. Selbst für mein Handy hatte ich heute noch keinen Blick übrig gehabt.
So wie ich dort saß, schweiften meine Gedanken unweigerlich immer wieder zum gestrigen Abend. Noch immer konnte ich Lucas Berührungen spüren. Sie waren da, eingebrannt in mein Gedächtnis und doch irgendwie unreal.
Meinen Tee schlürfend saß ich also dort am Tisch, als plötzlich Baldas Tür aufging. Nur ganz langsam und vorsichtig schob er die Tür weiter auf und lugte herein. Erst als er sicher war, dass ich allein war, betrat er schließlich die Küche. Er wirkte noch recht verschlafen und steuerte zuerst die Kaffeemaschine an.
Während der Kaffee durchlief, drehte er sich ganz langsam zu mir um. „Ist Luca schon wach?", fragte er und zupfte nervös am Saum seines T-Shirts. „Guten Morgen.", meine Stimme klang belegt, „Er ist unter der Dusche." „Oh ja, tut mir leid. Guten Morgen.", verlegen senkte er den Blick auf den Küchenboden. Eine unangenehme Stille entstand zwischen uns beiden.
Balda atmete regelrecht erleichtert auf, als sein Kaffee fertig war und er die Tasse unter der Maschine wegnehmen konnte. Doch die Stille blieb. Ich wusste nicht, was ich hätte sagen sollen. Es war mir peinlich, dass er uns in dieser doch mehr als eindeutigen Situation überrascht hatte.
Es war Luca, der die Stille durchbrach. Seine Haare klebten ihm noch nass am Kopf, als er in die Küche kam. Er grüßte uns und kam dann zu mir, um mir einen flüchtigen Kuss zu geben. Dann machte auch er sich einen Kaffee.
Sein Teamkollege schien jetzt plötzlich wieder aufzutauen. Balda hatte ein belustigtes Glitzern in den Augen, das mich irgendwie beunruhigte. „Habt ihr die Sache gestern wenigstens zu Ende gebracht, wenn ihr schon die Küche blockiert?", neckte er plötzlich.
Ich verschluckte mich an meinem Tee. Luca verschüttete die Milch, die er sich eben in seinen Kaffee gießen wollte. Balda brach in schallendes Gelächter aus, als Luca zurückgab: „Das geht dich ja mal so gar nichts an."
Während Luca die Milch wieder aufwischte, versuchte Balda mehr Informationen aus ihm herauszukitzeln. Als das nicht funktionierte, probierte er es bei mir. Doch auch ich ließ mich nicht erweichen, vor allem aber weil es eh nichts zu erzählen gab.
Schließlich gab Balda doch auf. „Wie sieht es aus, wollen wir los zum Frühstück?", fragte Luca. Ich nickte und holte schnell mein Handy aus seinem Schlafzimmer. Wir waren mit Valentino und ein paar Jungs aus der Academy verabredet. Balda stand auch schon bereit, um uns zu begleiten.

Also wirklich, Luca. Du musst Balda doch nicht so verstören, du kannst doch auch einfach schneller fahren, wenn du ihn schlagen willst.", schmunzelte Vale, nachdem Balda am Frühstückstisch lang und breit seine Version der Geschichte erzählt hatte. Eifrig nickte Balda und klagte jämmerlich: „Diese Bilder werde ich wochenlang nicht mehr los!"
Luca verdrehte neben mir nur die Augen. Mir war das Ganze mehr als unangenehm. Ich aß stumm mein Frühstück und behielt dabei den Blick stets auf den Tisch gerichtet.
Als wärst du so unschuldig, Balda!", warf Andrea Migno ein. „Genau!", pflichtete ihm Enea Bastianini bei, „Du bist doch sonst der, der sich die Gridgirls zuerst krallt!" Baldas Grinsen wurde keine Spur weniger: „Na und?!? Die vernasche ich immerhin nicht in der Küche, wo mein Teamkollege unbegrenzten Zugang hat."
Dio mio!", platzte Luca plötzlich heraus, „Wir waren nur aus, haben etwas gegessen, ein bisschen Wein getrunken und als wir wieder zurückgekommen sind, haben wir eben in der Küche geknutscht. Mehr war da nicht. Nichts, was Balda hätte verstören können."
Auf einen Schlag wurde es ganz still am Tisch. Die einzigen Geräusche im Raum stammten von denjenigen, die sich nicht an der Diskussion beteiligt hatten, sondern nur still weiter gegessen hatten. Also ich und Nicolò Bulega.
Also hast du es nicht mal zu Ende gebracht.", schüttelte Balda gespielt enttäuscht den Kopf. Mit einem lauten Stöhnen ließ Luca seinen Kopf auf die Tischplatte knallen. Vale kicherte wie ein kleiner Schuljunge.
Schließlich fand ich, dass es Zeit war, selbst etwas zu sagen: „Ich finde es ja super, dass ihr euch so über mein Liebesleben amüsieren könnt, aber es wäre trotzdem ganz großartig, wenn ihr euch ein anderes Thema suchen könntet." „Du meinst, dein nicht vorhandenes Liebesleben.", warf Andrea Locatelli ein.
Luca neben mir gab ein genervtes Knurren von sich. „Immerhin kann ich von mir behaupten, nicht in jedem Bett des Fahrerlagers gelegen zu haben.", murmelte ich nur. „Das ist auch gut so.", pflichtete mir Vale bei, „Ihr solltet jetzt vielleicht lieber eure Konzentration auf den Renntag ansetzen." Damit war die Diskussion schneller beendet, als erwartet.

Nach dem Frühstück hatte ich mir Zeit gelassen, um mir einen schönen Platz auf einer der Naturtribünen zu suchen. Die kurze Nacht machte sich inzwischen unnachgiebig bemerkbar. Wenn ich nicht nebenbei einschlafen wollte, musste ich mir einen Platz suchen, der nah an der Rennstrecke lag.
So kam es, dass die Warm-Ups schon vorbei waren, als ich mich schließlich auf die Wiese setzte. In der Luft über der Strecke fand gerade eine Flugshow statt.
Direkt danach rollte die Moto3 in die Startaufstellung. Auf einem Bildschirm in der Nähe konnte ich die letzten Interviews vor dem Start verfolgen. Instinktiv suchte ich nach Fabio. Doch er wurde auf dem Bildschirm nicht gezeigt.
Als das Rennen startete, konnte ich ihn besser erkennen. Er rutschte in den ersten Runden nach hinten und musste kämpfen, um in den Punkterängen zu bleiben. An der Spitze versuchten sich derweil sechs Fahrer abzusetzen. Doch zur Hälfte des Rennens kämpften wieder elf Fahrer um das Podium. Fabio fuhr in der Verfolgergruppe und konnte sich dort an der Spitze auf Platz 12 halten. In den letzten fünf Runden waren nur noch vier Fahrer an der Spitze, der Rest war zurückgefallen. Nach diesem Pulk folgte eine weitere Lücke, dann Fabio, dann wieder eine Lücke von drei Sekunden, bevor die nächste größere Gruppe kam. Am Ende sicherte sich Brad Binder mit seinem zweiten Platz gleichzeitig auch den WM-Titel. Fabio fuhr sein Rennen auf Platz 12 einsam zu Ende.
Nach dem Moto3-Rennen wuchs meine Anspannung, denn nun war Luca an der Reihe. Nervös begann ich mit meinen Haaren zu spielen. Ich würde es nie zugeben, aber ich hatte Angst, wenn Luca fuhr. Das Risiko fuhr eben bei jedem Rennen mit.
Trotzdem fieberte ich mit ihm mit, als die Startampel ausging. Es wurde kein spannendes Rennen für Luca. Er kam nicht richtig in den Tritt. Nach einem langen, harten Rennen blieb es nur bei einem 25. Platz.
Vor dem Rennen der MotoGP war erst noch eine Mittagspause. Das gab sowohl Fabio als auch Luca genug Zeit, um mich mitten im Nirgendwo zu finden. Mit fetten Sonnenbrillen auf der Nase und neutraler Kleidung waren die beiden fast nicht zu erkennen, sodass sie hier draußen wenigstens keine Autogramme schreiben mussten. Sie setzten sich links und rechts neben mir ins Gras. Ohne zu zögern, legte Luca mir den Arm um die Schultern und zog mich zu sich heran.
Scheiß Rennen.", war sein einziger Kommentar. Fabio auf meiner anderen Seite starrte mit verkniffener Miene vor sich auf den Boden. „Da sagst du was.", meinte er nur, doch Luca entgegnete: „Immerhin hast du Punkte geholt." Fabios einzige Antwort war ein tiefes Seufzen.
Ich ließ meinen Kopf an Lucas Schulter sinken und genoss seine Nähe. Vielleicht war all das hier doch richtig. Vielleicht hatten wir eine Chance. Die Stimmung war ein wenig gedrückt. Wir sprachen nicht miteinander. Jeder hing einfach seinen Gedanken nach.
Erst als der Start der MotoGP nur noch eine Aufwärmrunde entfernt war, lockerte sich die Spannung ein wenig. Zu dritt drückten wir jetzt Vale die Daumen. Es würde definitiv ein hartes Rennen werden.
Marquez kam am Start gut weg. Lorenzo ebenso und auch Vale reagierte schnell. Dahinter bog Vinales in die erste Kurve ein. Ein Vierkampf um die vorderen Plätze begann, den Marquez durch einen Fast-Sturz in der zweiten Runde befeuerte. Doch danach hatten die anderen schnell keine Chance mehr. Der Honda-Pilot fuhr vorne weg, während Vinales abreißen lassen musste. Lorenzo und Vale klärten im Verlauf des Rennens also unter sich, wer auf Platz 2 und 3 landen würde. Am Ende entschied sich der Kampf zwei Runden vor Schluss, als sich Vale verbremste. Er wurde Dritter.
Luca und ich verabschiedeten uns von Fabio, der noch eine Weile auf der Wiese sitzen bleiben wollte. Er versprach mir, dass er einen Weg finden würde, sich bei Aurelie zu melden.
Hand in Hand schlenderten wir zurück ins Fahrerlager. Eine Menge Menschen kamen uns entgegen. Sie wollten das Gelände verlassen. So mussten wir uns ein wenig durchkämpfen, um überhaupt voranzukommen.
Als wir wieder im Fahrerlager ankamen, verschwanden nach und nach schon die ersten Aufbauten. Es war Wahnsinn, wie schnell die riesigen Teamhospitalities nach so einem Wochenende wieder abgebaut waren. Auch am Motorhome der beiden Forward-Piloten fanden schon die ersten Abbauarbeiten statt. So beeilten Luca und ich uns, unsere Klamotten zusammenzupacken und die Taschen in seinen Audi zu laden.
Lass uns eben die anderen suchen. Dann können wir uns absprechen, wo wir uns nachher treffen.", schlug Luca vor und nahm meine Hand. Ich nickte und folgte ihm bereitwillig zurück ins Fahrerlager.
Es dauerte nicht lang, bis wir Valentino fanden. Er war umringt von einigen Fahrern seiner Academy. Wir stellten uns einfach dazu und lauschten dem Gespräch. „Ich würde sagen, wir treffen uns einfach in Barcelona. Ihr wisst ja alle, welches Hotel wir haben.", meinte Vale gerade. Franco Morbidelli, ein Moto2-Fahrer, der 2016 für Marc VDS fuhr, warf ein: „Was machen wir mit denen, die selbst noch nicht fahren dürfen?" „Ganz einfach.", zuckte Francesco Bagnaia mit den Schultern, „Wir laden sie in die Autos von denen, die fahren dürfen."
„Wer fährt eigentlich?", fragte Vale jetzt in die Runde. Luca hob seine Hand und meinte: „Ich hab mein Auto da, aber weil ich Vanessa mitnehme maximal noch drei Plätze." „Ah, du kommst mit?", fragte Niccolo Antonelli jetzt an mich gewandt. Er schien darüber nicht unerfreut zu sein.
Ich nickte bestätigend: „Ja, ich habe morgen noch frei, also reicht es, wenn ich da erst abends zurückfliege." „Wieso hast du frei?", bohrte er nach. Man, war der neugierig. Luca mischte sich ein: „Na weil in Deutschland Feiertag ist, du cretino. Hast du noch nie was vom Tag der Deutschen Einheit gehört?" „Selber cretino.", schnaubte Niccolo, „Kann ja nicht jeder so ein Genie sein."
Ist okay, ihr beiden. Wir haben es verstanden. Luca weiß mal was und Niccolo kennt keine deutschen Feiertage. Aber zurück zu meiner Frage.", forderte Valentino, „Ich fahre auch."
Hey Luca!", rief Balda zu uns rüber, „Kann ich bei euch mitfahren? Ich hab kein Auto dabei." „Klar.", meinte Luca schulterzuckend, „Noch jemand Bedarf?" „Wenn wir euch nicht beim Knutschen zuschauen müssen, gern!", scherzte Franco Morbidelli. „Okay, alles klar. Morbido möchte nicht bei uns mitfahren. Sonst irgendwer?", fragte Luca in die Runde.
Also, Andrea und ich können glaub ich durchaus mit knutschenden Pärchen umgehen.", zuckte Nicolò Bulega mit den Schultern und Andrea Migno neben ihm nickte zustimmend. „Dann wäre das ja geklärt.", meinte Vale, „Der Rest muss mit mir vorliebnehmen." Keiner der Jungs sah in irgendeiner Weise so aus, als würde sie das stören.
Dann fahren wir los, oder?", fragte Luca unsere Mitfahrer. „Wir holen eben unsere Klamotten. Treffen am Auto?", sagte Andrea. „Ja!", rief Luca noch zurück, denn wir waren schon losgelaufen. Balda hatte seine Tasche schon dabei und folgte uns wortlos.
Luca bepackte seinen Kofferraum, während die Jungs und ich schon im Auto saßen. Ich hatte mir den Beifahrersitz gesichert. Die anderen mussten sich auf die Rückbank quetschen, doch ich wusste, dass ich die Fahrt zwischen ihnen nicht überlebt hätte. Außerdem hatten Luca und ich so die Möglichkeit, auch mal ein paar Worte unter uns zu wechseln.
Drei Stunden mit den verrückten in einem Auto.", seufzte Luca schließlich, als er einstieg, „Hast du dir das gut überlegt?" „Keine Ahnung.", gab ich ehrlich zu.
Es wurde eine lustige Fahrt. Andrea und Nicolò, dessen Spitzname übrigens Jerry, abgeleitet von seinem Zweitnamen Jarod, war, waren begnadete Auto-Karaoke-Sänger. Balda litt fürchterlich unter dem Sänger-Gen seiner Sitznachbarn und es wurde noch schlimmer, als ich irgendwann mit einstimmte. Luca hielt sich mit dem Singen zurück, dafür amüsierte er sich köstlich über unsere Tonverfehlungen.
Erst als Balda zwischendurch auf Italienisch fluchte, wurde mir bewusst, wie fair sich die vier Motorradfahrer verhielten, oder besser gesagt die ganze Academy. Sie sprachen in meiner Gegenwart fast nie Italienisch, sodass ich den Gesprächen immer folgen konnte. Ich nahm mir vor, mich dafür zu bedanken.

Unser Hotel lag mitten in Barcelona. Und das meinte ich wörtlich. Wir hatten von unseren Zimmern aus einen wunderbaren Blick über den Plaça de Catalunya und La Rambla.
Wir waren zuerst da gewesen, deshalb saßen wir fünf jetzt in der Lobby des Hotels und warteten auf die Ankunft der anderen. Wahrscheinlich war das Hotelpersonal total genervt von den vier Halbwüchsigen, die sich laut lachend gegenseitig neckten.
Doch sie mussten es nicht lange aushalten. Ungefähr eine halbe Stunde nach uns trudelte auch Vale mit seinen Mitfahrern ein. Die fünf checkten schnell ein, dann setzten sie sich auch zu uns.
Danilo kommt noch mit Lorenzo nach.", sagte Vale, kaum dass er saß, „Sie müssten spätestens in einer halben Stunde da sein." Lorenzo dalla Porta war der junge Fahrer, der Romano Fenati nach seinem Rauswurf ersetzt hatte. Mit Danilo meinte Vale Danilo Petrucci, einen guten Freund und Konkurrenten von ihm.
Wie war die Fahrt?", fragte Luca seinen Mentor. Vale antwortete: „Ruhig. Ich hatte einen totalen Schlafwagen." „Wirklich?!?", rief Balda empört aus, „Ich bin in einer verdammten Karaokebar gelandet. Es war schrecklich!" „Beim nächsten Mal tauschen wir.", schmunzelte Vale.
Bald darauf trafen auch die beiden letzten Vermissten aus der Gruppe ein. Nachdem alle ihre Taschen in ihre Zimmer gebracht hatten, trafen wir uns wieder in der Lobby. Es dauerte nicht lang, bis wir uns auf einen Plan für den Abend geeinigt hatten. Zuerst wollten wir am Strand etwas essen und danach in einen nahe gelegenen Club zum Feiern.
So zogen wir los und machten Barcelona unsicher. Die Luft war selbst zu später Stunde noch sehr warm, sodass wir uns in einen Biergarten setzten, um zu essen. Beim Blick auf die Speisekarte fiel mir allerdings alles aus dem Gesicht. Vale hatte zielstrebig das wohl teuerste Fischrestaurant angesteuert, dass er hatte finden können. Er hatte wohl meinen Blick bemerkt, denn plötzlich lehnte er sich zu mir und meinte: „Ich lade dich ein. Iss, was du willst."
Am Ende war es Luca, der mein Essen zahlte, obwohl ich beiden mehrfach widersprochen hatte. Ich hatte mir das billigste Gericht von der Karte ausgesucht und extra darauf geachtet, dass ich es selbst bezahlen konnte. Doch keiner von beiden ließ sich erweichen. Als wir nach dem Essen wieder zurück zur La Rambla schlenderten, meinte ich aber zu sehen, wie Vale Luca etwas Geld zusteckte.
Der Club lag wirklich nur knapp 200 Meter von unserem Hotel entfernt. Dank Vale kamen wir auch ohne Probleme und recht schnell rein. Die Musik hatte einen leichten, südländischen Rhythmus. Unwillkürlich begannen meine Hüften sich zur Musik zu bewegen.
Luca neben mir wurde von Lorenzo angestoßen: „Ich glaube, deine Freundin will tanzen." Luca verschluckte sich an seiner Cola, die er sich eben bestellt hatte. „Lass mich raten.", kam jetzt auch Morbido dazu, „Du nicht?" „Ich bin ein schrecklicher Tänzer. Ich kann maximal einen soliden Discofox.", stieß Luca zwischen seinem Husten hervor.
Das glaube ich nicht.", meinte ich liebevoll und klopfte ihm vorsichtig auf den Rücken. Er sah mich kurz dankbar an. Doch da tauchte auch Balda auf: „Oh doch, glaub mir. DAS willst du wirklich nicht sehen." Wir konnten froh sein, dass Blicke nicht töten konnten. Bei dem Blick, den Balda jetzt von Luca kassierte, wäre er sonst auf der Stelle tot umgefallen.
Enea sprang ihm zur Seite: „Also ich an deiner Stelle würde jetzt auch nicht behaupten, ein toller Tänzer zu sein." „Habe ich gar nicht.", protestierte Luca, doch Enea winkte ab: „Ich meinte ja auch Balda."
Schließlich mischte sich auch noch Nicco (Antonelli) ein: „Kann ja auch nicht jeder so ein großartiger Tänzer sein, wie ich." „Pass auf, dass du deine Nase nicht an der Decke stößt!", rief Andrea zu uns rüber, bevor er sich wieder ins Gespräch mit Jerry vertiefte. Doch Nicco ignorierte ihn. Stattdessen kam er jetzt zu mir und schlug vor: „Wenn du mir nicht glaubst, kann ich dir gerne beweisen, dass ich definitiv tanzen kann." Er hielt mir seine Hand hin.
Etwas unschlüssig sah ich zwischen ihm und Luca hin und her. „Wenn das für dich okay ist...", meinte ich dann zu Luca, doch er nickte sofort: „Klar, geh tanzen und hab Spaß. Ich warte dann hier auf dich, wenn du eine Pause brauchst." „In Ordnung.", ich küsste Luca noch mal und nahm dann Niccos angebotene Hand, „Dann zeig mal, was du kannst."
Er führte mich zielstrebig in die Mitte der Tanzfläche. Hinter uns folgten noch Francesco, Morbido und Lorenzo. Doch die blieben am Rand und tanzten dort. Was sie dort fabrizierten war ganz sicher nicht großartig, aber zum Feiern in einem Club wie diesem reichte es definitiv.
Als Nicco mich so durch den Club führte, fiel mein Blick auch auf Vale und Danilo. Die beiden standen etwas abseits unserer Gruppe und unterhielten sich. Doch Vale hatte einen wachsamen Blick auf alle seine Schützlinge. Keiner von ihnen wagte es, nach einem alkoholischen Getränk zu greifen, und auch ich verzichtete heute lieber darauf.
Nicco wirbelte mich herum und zog mich wieder heran. Sein Taktgefühl war unglaublich präzise. Wenn ich mich einfach führen ließ, wirkte alles ganz leicht. Perfekt koordinierte er seine und meine Bewegungen gleichzeitig und tanzte meinen Kopf schwindelig. Dafür harmonierten unsere Schritte wunderbar.
Trotzdem behielt ich einen gewissen Abstand bei. Es gab Grenzen und die wurden beim Tanzen manchmal viel zu leicht überschritten. Das wollte ich verhindern.
Nach einigen Liedern entschieden wir uns für eine Pause und kehrten zu den anderen zurück. Luca reichte mir wortlos sein Getränk und legte seine Arme um mich, um mich so nah wie möglich an sich heranzuziehen. Die Jungs scherzten und unterhielten sich. Manchmal guckten sie sich eins der Mädels im Club aus, nur um ein Wortgefecht darüber auszutragen, wer sie ansprechen durfte und am Ende doch gar nichts zu tun.
Doch Luca war ein wenig brummig. „Ist alles okay?", fragte ich ihn schließlich besorgt. Er wand sich unter meinem Blick, sträubte sich gegen eine Antwort. Doch ich ließ nicht locker. Seufzend gab er nach: „Ich weiß, es ist dumm, aber... es stört mich irgendwie, dass ich nicht wie Nicco mit dir tanzen kann."
Das ist überhaupt nicht dumm.", protestierte ich, „Ja, Nicco ist technisch gesehen ein guter Tänzer, aber ich finde da gehört noch viel mehr dazu. Auch ein schrecklicher Tanz kann schön sein, wenn man mit der richtigen Person tanzt."
Luca senkte sein Gesicht zu mir herab, war jetzt ganz nah an mir. Seine Hände umschlossen sanft meine Wangen, als er flüsterte: „Versuchst du gerade mich zum Tanzen zu überreden?" „Ich weiß nicht.", antwortete ich ihm rau, „Funktioniert es denn?" „Mehr als du glaubst.", ich sah, wie er schlucken musste. Vielleicht war ich manipulativ, doch als er für einen Moment die Augen schloss, drückte ich meine Lippen auf seine und verwickelte ihn in einen fordernden Kuss.
Okay, gehen wir tanzen.", keuchte er, als wir uns wieder voneinander lösten. Ein triumphierendes Lächeln schlich sich auf meine Lippen, als ich seine Hand nahm und ihn unnachgiebig hinter mir herzog. Ich spürte die Blicke der anderen auf uns, als sie mit hochgezogenen Augenbrauen Lucas Weg zur Tanzfläche verfolgten.
Mit geschlossenen Augen ließ ich die Musik in meinen Körper fließen. Dann zog ich Luca zu mir heran.
Ich legte seine Hände auf meine Hüften und begann, mich zu bewegen. Es dauerte ein paar Takte, doch dann stieg er ein und ließ zu, dass sich sein Körper zum Takt bewegte. Von wegen nur Discofox! Seine Bewegungen waren weicher als Niccos, doch mindestens genauso koordiniert. Bereitwillig folgten meinen Hüften den Bewegungen, die seine Hände vorgaben.
Schnell vergaß ich die Grenzen, die ich vorhin noch bewahrt hatte. Luca drehte mich und als ich wieder zurückkam, landete ich dicht an seinen Körper geschmiegt. Unsere Körper harmonierten perfekt. Oh, wie sehr wünschte ich mich in diesem Moment ins Hotel!
Wenn wir so weitermachen, kriegen wir gleich ein mächtiges Problem.", merkte auch Luca in diesem Moment an. Ich nickte nur, unfähig zu sprechen. Mein Herz klopfte bis zum Hals.
Langsam löste ich mich von ihm ab und vermisste sofort den Hautkontakt. Doch Luca nahm meine Hand und führte mich zurück zu den anderen. Wir gingen langsam, noch ein wenig schwindelig von all den Empfindungen.
Morbido bemerkte als Erster, dass wir zurück waren. „Hey, die Turteltauben sind wieder aus dem Süden zurück!", rief er in die Gruppe und die Diskussion über die höchste Kurvengeschwindigkeit verstummte. „Wow, Luca. Bist du heute gar nicht mit deiner Ausrede durchgekommen?", schmunzelte Balda.
Ausrede?", fragte Lorenzo. Er war der Jüngste und augenscheinlich noch nicht oft mit den anderen weg gewesen. Francesco erklärte: „Luca erzählt oft, dass er überhaupt nicht tanzen kann, weil er es nicht gern macht." „Ich kann ja auch nicht tanzen.", brummte Luca, doch Jerry widersprach: „Hat man ja eben gesehen. Sie war Wachs in deinen kompetenten Tänzerhänden."
Nun ja,", mischte sich nun Nicco ein, „das muss nicht unbedingt Produkt seiner Tanzkunst gewesen sein. Immerhin war es bei mir nicht so." „Alles klar. Weil es bei dir nicht funktioniert, kann es bei Luca erst recht nicht sein.", Enea verdrehte die Augen.
Ich hatte genug VR46 Riders Academy für einen Abend gehabt. Luca und ich traten recht schnell den Rückzug ins Hotel an. Die anderen blieben noch eine Weile.
Es war ein langer Tag. Luca war müde vom Rennen und ich von dem wenigen Schlaf in der Nacht zuvor. Deshalb gingen wir direkt und ohne große Umwege ins Bett. Heute war mein Hirn sogar gnädig mit mir und ließ mich schnell einschlafen.

Nach einem gemeinsamen Frühstück hatten Luca und ich uns von den Jungs verabschiedet. Wir wollten den Tag zu zweit genießen, da ich am Abend schon wieder zurückfliegen musste.
Zur späten Mittagszeit hatten wir schon eine Stadtrundfahrt und die Markthalle an der La Rambla abgehakt. Nach kurzer Rast in einer kleinen Tapasbar gingen wir weiter Richtung Strand. Dort suchten wir uns einen Platz, wo wir gemütlich sitzen konnten.
„Wir... sollten uns unterhalten.", begann Luca völlig unvermittelt. Innerhalb einer Sekunde schossen mir tausende Gedanken durch den Kopf. Wollte er Schluss machen? Hatte er eine andere? Hatte er einfach keine Lust auf eine Fernbeziehung? Plötzlich sah ich mich in meiner Angst bestätigt.
Okay?", antwortete ich gedehnt. Luca seufzte und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Selbst in diesem Moment absoluter Ungewissheit jagte mir diese Geste ein Lächeln auf die Lippen.
Unsicher ließ er die Hand in seinen Schoß sinken und blickte über das Meer. Er leckte sich über die Lippen. Schließlich stieß er seinen angehaltenen Atem durch den Mund aus und ließ die Spannung aus seinen Schultern weichen. Schließlich murmelte er: „Oh man, wie fange ich bloß an?"
Ich brachte kein Wort heraus. Wieder traten einige Sekunden Stille ein. „Ich hab in den Tagen viel über den Samstagabend nachgedacht.", brachte er hervor, „Ich weiß nicht, was du von mir erwartest."
Inwiefern?", ich wusste nicht, worauf er hinaus wollte. Wieder stieß er einen tiefen Seufzer aus, bevor er sich an einer Erklärung versuchte: „Weißt du, an dem Abend, da ging alles ziemlich schnell. Als wir dort getanzt haben, mitten im Fahrerlager, da habe ich irgendwie die Kontrolle verloren."
Er stockte, sah in die Ferne. Doch anschließend fuhr er fort: „Du sahst so unglaublich gut aus. Und du warst so niedlich verpeilt. An diesem Abend hättest du alles mit mir machen können. Aber..." Seine Stimme verstummte. Leise stieß er einen italienischen Fluch aus, bevor er vor sich hin grummelte: „Warum ist das so schwer?" Ich wusste immer noch nicht, wovon er sprach.
„Ich bin noch nicht so weit, okay?", dieser Satz fiel wie aus dem nichts. Wie vom Blitz getroffen saß ich dort. Hieß das wirklich, dass er...
Ich konnte diesen Gedanken nicht zu Ende führen. Heiße Tränen füllten meine Augen, doch ich kämpfte dagegen an. Ganz sicher würde ich nicht vor ihm weinen! Luca sah mich ganz genau an und plötzlich weiteten sich seine Augen erschrocken.
Oh Shit, das kam falsch rüber!", rief er aus, „Ich meine nicht... also ich, ich will noch mit dir zusammen sein. Aber... ich..." Er verstummte wieder. Inzwischen war ich vollständig verwirrt.
Endlich nahm Luca seinem ganzen Mut zusammen und sprach es aus: „Ich will noch nicht mit dir schlafen."
Die ganze Last fiel von meinen Schultern. Erleichtert atmete ich aus. „Das ist alles?", entfuhr es mir unkontrolliert, „Bitte, erschrick mich nie wieder so!" Perplex sah Luca mich an. Er musste den Stimmungswechsel auch bemerkt haben, konnte ihn aber wahrscheinlich einfach nicht nachvollziehen. Vorsichtig nickte er.
Luca, ich... mir geht es genauso.", erklärte ich und die Erleichterung stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Wir sehen uns einfach so selten.", begann er und ich fuhr fort: „Ich will dich einfach noch ein bisschen besser kennenlernen, bevor wir den nächsten Schritt gehen." „Ganz genau."
Da diese Sorge jetzt aus der Welt geschafft war, konnte ich den restlichen Tag absolut sorgenfrei genießen. Es wurde ein langer Abschied, denn es war klar, dass wir uns in den nächsten fünf Wochen nicht sehen würden.
Als ich auf meinem Platz im Flugzeug saß, ging ich zum ersten Mal seit Sonntagmorgen meine Nachrichten durch. Meine Familie hatte mir ein paar Mal geschrieben. Lilia wollte jedes Detail des Wochenendes wissen und wurde schon wieder ungeduldig. Diana wollte wissen, wie die erste Woche meines Studiums war. Ich antwortete allen und scrollte dann zur letzten Nachricht.
Mir stockte der Atem. So lange hatte er sich nicht gemeldet. Warum tat er es ausgerechnet jetzt?

- Hey. Ich weiß, ich habe mich lange nicht gemeldet. Es tut mir leid. Ich würde dich gern sehen. Marec -

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