Ich und der Rest.

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„Leonie! Jetzt mach' schon"-einer der Jungs aus meiner Klasse und zeigte auf den Volleyball, der frontal auf mich zu flog. Geschickt nahm ich ihn an und spielte ihn wieder übers Netz. Der Junge aus meinem Team nickte mir desinteressiert zu und konzentrierte sich wieder auf das Spiel. Ich war nicht wirklich gut im Teamsport und das wusste meine Klasse, weswegen ich eher selten als einer der ersten gewählt wurde. Sportlich war ich aber dennoch. Wirklich wohl fühlte ich mich in meiner Klasse auch nicht, denn ich besaß kaum Freunde. Klar, ich kam mit allen gut zurecht, doch Freundschaft konnte man diese zwischenmenschlichen Beziehungen nicht nennen. Es war einfach nur ein Überlebenskampf zwischen Schulnoten, Unterrichtsstoff, angeblich gebildeten Menschen, die sich Lehrer nennten, Hausaufgaben und Unterricht von morgens früh bis spät Nachmittags. Schule.

Das Klingel aus dem kleinem, grauem viereckigen Kasten erlöste uns alle von diesem Schultag. Nach 95 Minuten Sport und vorherigen 7 Stunden Unterricht, ging es endlich ins Wochenende. Die Jungs und Mädchen aus meiner Klassen strebten alle den schmalen Gang aus der Sporthalle an und teilten sich nach rechts und links zu den jeweiligen Umkleidekabinen auf. Ich stolperte ebenfalls in die Kabine und ließ mich auf die typischen Holzbänke fallen. Schuhe von den verschwitzten Füßen und raus aus den kurzen Sportsachen. Der Sommer näherte sich mit großen Schritten. Alle Mädchen unterhielten sich und lachten und planten ihr Wochenende. Sie ließen alle anderen Teil haben an ihrem Leben, und genau das war der Punkt, der sie so beliebt und begehrt machte und mich in den Schatten der Klasse drückte. Sie waren ständig unterwegs, erlebten Dinge, gingen auf Partys und hingen mit den Jungs ab, und ich, ich saß jeden Tag nach der Schule in derselben kleinen Halle wie die anderen Mädchen, die mit mir trainierten. Ich erlebte keine Abenteuer oder besuchte Partys, doch schon gar nicht hing ich mit Jungs ab. Klar, vieles wäre heute anders, wenn es vor einigen Jahren anders gelaufen wäre. Wahrscheinlich wäre ich selbstbewusster und teamfähiger und wahrscheinlich mutiger, doch es ist nicht anders gelaufen.

„Leo, kommst du mit?"-Jeannie und ich realisierte, das die Umkleidekabine bereits leer war. Ich nickte und lächelte sie an. Jeannie Thompson war die einzige Person aus meiner Klasse, die ich ‚Freundin' nennen konnte. Sie war ein Jahr älter als ich und die anderen, da sie die 10te wiederholen musste. Jeannie war anders als die anderen, sie war ein Punk. Ihr Aussehen und ihr Musikgeschmack, machten allerdings nicht ihren Charakter aus. Jeannie war eine lustige und aufgeweckte Persönlichkeit, wenn man sie denn gut genug kannte. Ihr Aussehen spiegelte nur ihren Lebensstil wieder und auch der hatte sich in den letzten Jahren gebessert. Sie wollte einen ordentlichen Abschluss und zur Uni, auch wenn das kaum einer glauben kann. Ich glaube es, denn sie ist ehrgeizig und stark.

Wir verließen die Sporthalle und gingen redend zum Schulbus. Ich bin Leonie Wayne, 16 Jahre alt und lebe in Atlanta. Ich gehöre nicht zu den Kindern, der reichen und erfolgreichen Eltern, ich gehe auch nicht auf eine Privatschule und lebe auch nicht in einer Villa oder einem riesen Apartment. Ich wohne mit meinem großen Bruder bei unserem Onkel in einer Wohnung. Kurz, ich bin halbwegs normal.

„Bis Montag"-Jeannie, als ich den Bus verließ.

„Ja, bis Montag"-ich und umarmte sie kurz zum Abschied. Ich bin froh Jeannie zu haben, denn hätte ich sie nicht, hätte ich in der Schule niemanden. Ich ging circa zehn Minuten durch Atlantas Straßen und verschwand dann in einem Haus. Hier befanden sich knapp 20 mittelgroße Wohnungen, darunter die von meinem Onkel Til Wayne. Sie war nicht wirklich für drei Leute und einen Hund ausgelegt, aber dass hier so viele wohnen, war ja auch nicht geplant gewesen. Ich schloss die Wohnungstür auf und wurde von einer laut atmenden Bulldogge begrüßt. Ich schloss hinter mir die Tür, scheinbar war noch niemand zu Hause. Auf dem Küchentisch lag ein kleiner Zettel.

‚Hole Cora ab. Til'

Seufzend ging ich in mein Zimmer und packte meine Sporttasche zusammen. Mein Onkel nahm öfters den Border Collie Mix seines Freundes, wenn der auf Geschäftsreise war. Ohne Hausaufgaben gemacht oder etwas gegessen zu haben, verließ ich wieder die Wohnung und fuhr mit dem Fahrrad zum Training. Meine Trainerin erwartete mich bereits. So schnell es ging zog ich mich um und lief mich mit den anderen Mädchen warm. Ich tanzte Ballett und das seitdem ich acht Jahre alt war. Es war verrückt, denn ich tanzte zu dieser harmonischen und relativ ruhigen Musik, doch außerhalb des Trainings hörte ich mit Jeannie zusammen ihre Musik. Punk Rock. Es waren Widersprüche, doch es grenzte sehr gut zwei Teile meines Lebens ab und half mir somit. Ballett war der Teil, der mich als Person in der Schule ausstrahlte. Ruhig, brav, still und untergeordnet. Ich funktioniere mehr, als das ich handle. Privat ist mein Leben wie die Musik die Jeannie hört. Hektisch, verrückt, hart, laut, durcheinander und keine klare Struktur. Das absolute Gegenteil also.

„Sehr gute Leistung Mädchen! Wir sehen morgen früh wieder"-meine Trainerin und ließ uns gegen 22:00 Uhr aus der Halle. Erschöpft trat ich in Jogginghose und Shirt aus der Halle und sah im Licht einer Straßenlaterne jemanden mit einem Fahrrad stehen. Ich schloss mein Fahrrad auf und ging zu der Person. Er sah von seinem Handy auf.

„Können wir?"-Kevin und steckte es in die Hosentasche. Ich nickte und wir fuhren nebeneinander her durch Atlantas Nacht.

„Wie war Training?"-er

„Ganz gut"-ich

„Und was habt ihr gemacht?"-er

„Krafttraining und einen neuen Tanz eingeübt"-ich und wir bogen in unsere Straße ab. Wir lehnten die Fahrräder gegen die Hauswand und Kevin schloss sie zusammen.

„Til hat Cora geholt"-er

„Hab schon mitbekommen"-ich und schloss die Eingangstür zum Treppenhaus auf.

„Langsam habe ich das Gefühl, Til wird zur Hunde-Mama"-Kevin kopfschüttelnd und betrat nach mir den Fahrstuhl.

„Wenn es das ist, was ihn glücklich macht"-ich lachend.

„Aber ist ja nicht so, dass die Wohnung schon für uns drei zu klein ist"-Kevin, als wir den Fahrstuhl wieder verließen. Hinter der Wohnungstür hörte man tiefes Bellen und als mein Bruder die Tür aufschloss, sprang uns der Border Collie Mix entgegen. Wir drängelten uns irgendwie durch den schmalen Flur in die Wohnung und fingen Cora ein. Til kam in Schlafhose und T-Shirt auf uns zu.

„Cora"-ermahnte er die Hündin.

„Gehst du heute Abend weg?"-er an Kevin gerichtet.

„Ja gleich, hab nur eben Leo abgeholt"-er und griff zu einer dünnen Jacke.

„Sei nicht allzu laut, wenn du wieder kommst"-Til und setzte sich wieder aufs Sofa. Kevin und ich wurden streng erzogen, lebten aber sein entspanntes Leben bei unserem Onkel. Ich ging duschen und legte mich in meinem Zimmer ins Bett. Ich hörte noch eine Weile Musik, ehe mich die Müdigkeit zum Schlafen zwang.

Dreamer.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt