Freitagabend, keine Party zu der ich eingeladen wurde, kein Schulstoff den ich aufholen musste, nichts zu tun. Wieder einmal wuchs mir die Langeweile über den Kopf und ich nahm mir eine Tasche aus meiner Kommode. Sporthose, Shirt und Spitzschuhe wanderten hinein. Eine Flasche Wasser und kleine Boxen, die ich an mein Handy anschließen konnte. Niemand konnte mich davon abhalten, was ich wirklich wollte. Ich zog mir Schuhe über und fuhr ins Fitnessstudio, dort gab es einen Raum, für die die Ballett tanzten. In der Umkleidekabine ließ ich mir alles noch einmal durch den Kopf gehen, zögerte dann aber nicht mehr und nahm mein Handy, die Boxen und die Spitzenschuhe. Barfuß betrat ich den Boden des leeren und stillen Raumes. Das Parkett unter den Füßen fühlte sich gut an und ich wusste, dass es das war, was ich immer wollte. Tanzen. Ich schloss mein Handy an den Boxen an und ließ Musik laufen. Der Raum fühlte sich nicht mehr leer an und ich mich nicht mehr alleine. Auch wenn ich mit den Mädels nicht befreundet gewesen war, ich hatte mich in deren Gruppe wohl gefühlt, schließlich waren wir alle immer mindestens ein Jahr lang zusammen und das fast jeden Tag. Ich fühlte mich sich, ließ die Bandage weg und machte mich warm. Ich lief, ich sprang und ich dehnte mich. Ich machte ein paar Krafttrainingsübungen und fühlte mich sicher. Ich zog die Spitzschuhe an und begann einen der Tänzen, den ich einst lernte, als ich noch 11 war. Ein schöner Tanz. Ich hatte ihn auf großer Bühne vor meinem Vater getanzt. Es waren viele Sprung Elemente enthalten und erst am Ende musste man sich auf den Zehnspitzten bewegen. Alles lief super und dann war die Drehung auf den Zehnspitzen dran. Sofort war mein Knie innstabil und ich fiel auf den Boden. Die Musik ging erstaunlicher Weise aus, doch ich rieb nur mein Knie, da es schmerzte. Ich hörte Schritte auf dem Parkett. Jemand hatte mich also beobachtet.„Wieso tust du dir das an?"-die tiefe und raue Stimme ernst.
„Was geht es dich an?"-ich und sah Damian wütend an. Woher plötzlich mein Mut kam, war mir ein Rätsel.
„Hör mir zu! Wenn ein Arzt dir verbietet Ballett zu tanzen, dann hör' gefälligst drauf!"-er und kam noch ein Schritt näher. Seine Hände waren getapet und er löste das weiße Band von seinen Händen.
„Es gibt nichts anderes, was ablenkt"-ich deutlich leiser und mein Mut hatte sich wieder verkrochen.
„Zieh' die Dinger aus"-er und zeigte auf die Spitzenschuhe aus. Wieso auch immer, ich gehorchte. Wahrscheinlich, weil sein Auftreten einem Angst machte.
„Ich weiß wie du dich fühlst, mir ging's nicht anders. Man muss es aber akzeptieren."-er
„Woher weißt du, dass ich nicht mehr tanzen darf?"-ich.
„Jeannie und Kevin"-er monoton.
„Du kennst meinen Bruder?"-ich verwundert.
„Ich habe drei Jahre mit ihm in einer Mannschaft gespielt"-er und spannte sich an.
„Und wieso jetzt nicht mehr?"-ich leise.
„Unkorrekter Körperangriff eines Gegners, Schulterblatt gebrochen, Schulter ausgekugelt. Nie wieder American Football"-er und ließ das erste weiße Band auf den Boden fallen.
„Und jetzt?"-ich
„Fitnessstudio und Boxen"-er. Er hatte also Alternativen gefunden, doch für mich gab es keine.
„Ich werde keine Alternativen finden"-ich ernst. Damian sah mich wütend an und ging auf mich zu. Er hob die Spitzenschuhe auf und wollte den Raum verlassen.
„Das sind meine, gib' die wieder her!"-ich wütend.
„Hm? Was willst du machen? Es deinem Bruder petzen? Der wird sich freuen, wenn er erfährt das du ohne Erlaubnis trainierst"-er und knallte hinter sich die Tür zu. Fuck. Ich saß da, lehnte mich gegen die Wand und wusste nicht weiter. Mit dem müsste ich zwei Wochen San Diego überleben. Na super. Ich packte meine Sachen zusammen und verließ das Fitnessstudio. Jetzt sollte mich also die Vergangenheit wieder einholen. Ballett ließ alles vergessen, naja, es verdrängte es zumindest zuverlässig und jetzt, jetzt stand ich da ohne einen Druckableiter. Ich holte tief Luft und setzte mich auf mein Fahrrad. Damian ist ein Arschloch. Eingebildet und unsympathisch. Noch schlimmer als Marcel. Anfangs war mir Damian lieber, da er die Klappe hielt, doch jetzt waren beide beschissen. Wie hält Nadine das bloß aus? Hm. In irgendeiner Art und Weise war sie ja mit Marcel verwandt. Ich schob meine Gedanken beiseite und schloss mein Fahrrad vor dem Haus an. Ich fuhr wieder einmal mit dem Fahrstuhl zur unserer Wohnung. Niemand war da, außer Whisky. Ich machte mir einen Kakao und wollte mich auf die Couch setzten, doch mir fiel ein Bild ins Auge. Ein Mann, Sonnenbrille auf, kurze schwarze Haare, drei Tage Bart, Babykatze im Arm, die er zuvor, vor einer Explosion rettete. Der Mann selbst trug grüne Kleidung und einen Rucksack. Er lächelt nicht, denn noch saß er nicht im Flugzeug auf dem Weg nach Hause. Nach diesem Bild kam noch ein einziges Mal nach Hause, danach nie wieder. Ich riss mein Blick ruckartig vom Bild weg. Ohne Ballett wäre ich nicht in der Lage überhaupt irgendetwas in meinem Leben zu schaffen. Ich ärgerte mich über mich selbst und das mein Knie diese Belastung nicht standhielt. Jedes anderes Mädchen hielt es auch aus, nur ich nicht. Ich musste raus aus der Wohnung. Ich leinte Whisky an und ging auf die Straße. Vorbei an Kneipen und Bars. Überall liefen Fernseher, auf denen die Eishockeyspiele übertragen wurden. Die Kneipe mit dem Namen ‚Future' war sehr klein und alt. Nur Stammgäste saßen dort. Früher war TJ Wayne dort Stammgast gewesen. Ein großes Bild an der Wand links, neben dem Tresen in der Ecke, erinnerte an ihn. Es hängt dort wo er immer saß, wo er Leute zum Lachen brachte und wo er Geschichten von seinem Job erzählte. Es saß auch am letzten vor seiner letzten Abreise dort und redete mit Til und seinen Freunden. Am Morgen darauf fuhr er zum Flughafen und kam nicht wieder. Ich ging weiter. Diese Kneipe würde mich immer festhalten. Sie hieß Future, doch dort endete die Zukunft von TJ, jedenfalls für uns, die hier in Atlanta waren. Für Kollegen endete die Zukunft außerhalb von Amerika.
Ich setzte mich im Park auf eine Bank und rührte mich nicht. Dachte einfach nur über die vergangenen Jahre ohne TJ und realisierte, wie sehr er fehlte. TJ war nicht irgendwer gewesen, er war mein Vater gewesen. Der Mann, zu dem Kevin und ich aufsahen, der Mann, der fremde Menschen rettete und jedes noch so unscheinbare Lebewesen zu schätzen würdigte. Der Mann der uns verließ, als ich 13 Jahre alt war. Til, sein jüngerer Bruder und mein Onkel, tätowierte sich TJ zu ehren auf die äußeren Handseiten die Ziffer 13. Er wollte das Alter des jüngeren Kindes von TJ auf der Haut tragen, falls er eines Tages nicht zurückkommt. Til hielt sein Wort.
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Dreamer.
Teen FictionEin zurückhaltendes Mädchen vom Schicksalsschlag getroffen und festgehalten und eine Junge der sich an Zigaretten festhält und Mitschüler mit seinem Auftreten verängstigt. Zwei Gegensätze die eigentlich nur eins wollen, wieder so glücklich sein, wie...