Tiefgründiges Gespräch

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Zu Hause sitze ich am Küchentisch und drehe immer wieder die Visitenkarte in meiner Hand hin und her. Ich bin absolut in mich gekehrt und mein Hirn rattert, so dass ich schon fast befürchte, dass es schon raucht. Was soll ich tun? Ich habe mich den anderen gegenüber immer als die Starke gezeigt, aber wenn ich jetzt zu so einem Seelenklempner gehe, zeigt es dann nicht, dass ich total schwach bin? Wie soll es mir helfen, wenn ich in den Gesprächen immer wieder an die Situation erinnert werde? Wie soll ich das alles durchstehen? Ich bin verzweifelt und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen.

 „Hey Marie, du sitzt jetzt schon so lange hier unten.“ Andy kommt in die Küche und streicht mir leicht über den Rücken, eine Geste, die ich von Nik gewohnt bin. „Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll.“ Meine Ehrlichkeit überrascht mich selbst. Ich lege ihm die Visitenkarte hin und schaue ihm in die Augen. „Die Polizistin hat mir die Karte mitgegeben und mir geraten mich an diese Psychologin zu wenden, weil sie auf Missbrauchsopfer spezialisiert ist.“

 „Wenn sie dir diese Psychologin empfiehlt, dann solltest du dort mal anrufen. Marie, du kannst nicht einfach so tun, als wenn nichts passiert ist. Du kannst versuchen jedem was vorzumachen, aber wer dich richtig kennt, merkt wie sehr du dich verändert hast. Deine Lebensfreude ist nicht mehr da, selbst Nik weiß nicht genau, wann er dich umarmen darf und wann nicht.“

 „Ehrlich gesagt, weiß ich das selber nicht so genau. Ich fühle mich so schwach, ich bin dieser ganzen Situation nicht gewachsen.“

 „Wer wäre das denn schon? Marie, es ist nicht schwach sich helfen zu lassen. Du musstest dich schon genug im Leben durchbeißen. Nimm wenigstens jetzt einmal Hilfe an. Probier es mit der Psychologin und wenn es dir nicht helfen sollte, dann kannst du immer noch sagen, dass es nichts für dich ist.“

 Ich nicke, „Du hast recht. Danke…für alles.“ „Ist doch ganz klar und jetzt komm, es ist schon spät. Du solltest ein bisschen schlafen, immerhin hast du letzte Nacht auch nicht viel Schlaf abbekommen.“

 Als ich im Bett liege, denke ich noch mal über Andys Worte nach. Er hat recht, wenn es wirklich nichts für mich ist, dann kann ich das auch noch abbrechen. Es ist echt hilfreich, mal einen anderen Blickwinkel auf die ganze Sache zu haben. Aber habe ich mich wirklich so verändert? Das ist mir gar nicht aufgefallen. Klar habe ich gemerkt, dass ich bei vielen Berührungen zusammengezuckt bin, wenn Nik mich berührt hat, was nie der Fall war, denn wir kennen uns gegenseitig in- und auswendig. Das darf alles so nicht bleiben, es stört mich selbst, denn ich will mein unbeschwertes Leben wieder, das in geordneten Bahnen verläuft, die ich selbst festgelegt habe.

 Ich schlafe ein und träume von so vielen verschiedenen Sachen, die zusammen gar keinen Sinn ergeben. Um mich herum dreht sich alles und ich habe das Gefühl in einen Sog gezogen zu werden und immer weiter runtergezogen zu werden. Immer wieder höre ich eine männliche Stimme sagen „Denn du gehörst nur mir“.

Home sweet homeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt