Untätigkeit war für Minerva die schlimmste Strafe, schon seit jeher. Verletzt auf der Quidditch-Tribüne zu sitzen, dazu verdammt, dem eigenen Team beim Verlieren zuzusehen, hatte sich bereits zu ihrer Schulzeit als unerträglich erwiesen, aber wenigstens stand damals kein Leben auf dem Spiel, nur ihr Stolz. Stolz, der ihr im Moment nicht egaler hätte sein können.
Der Tag, den sie so hoffnungsvoll mit der Suche nach ihrem verschwundenen Erstklässler begonnen hatte, fand seinen Tiefpunkt nun dort, wo der ganze Schlamassel angefangen hatte – in der großen Halle von Hogwarts. Zu jener kaum zu ertragenden Untätigkeit verdammt, saß sie alleine am fast leeren Lehrertisch, starrte auf die Ausgabe des Abendpropheten vor sich und erweckte den Eindruck, dass sie versuchte, mit purer Willenskraft ein Loch in die Seiten zu brennen.
Die Sonne hatte sich dem Horizont längst entgegen geneigt, doch der Himmel war eulenfrei geblieben, kein vertrautes Gesicht im Kaminfeuer erschienen. Niemand hatte sie von der Warterei erlöst. Und als dann endlich eine Eule aufgetaucht war, hatte sie bloß die abendliche Zeitung gebracht.
Seufzend schlug Minerva eben jenes elende Blatt zu. Auf die detaillierte Mitschrift von Mrs Blacks ‚flammender' Rede und unzähligen O-Tönen der Demonstranten konnte sie gut und gerne verzichten.Neben ihr ließ sich Pomona am Tisch nieder, die geradewegs aus den Gewächshäusern zu kommen schien, der Erde an Stiefeln und Umhangsaum zu urteilen. »Wo hast du denn deinen Freund gelassen?«, fragte sie sichtlich enttäuscht, als sie Minerva den Teller mit Pasteten vor der Nase wegschnappte.
»Erstens ist er mein ehemaliger Vorgesetzter -«
»Jaja, das sagtest du schon. Aber das eine schließt das andere ja nicht aus!«, entrüstete Mona sich. »Ehemalig, du sagst es ja selber!«
»- und Zweitens«, fuhr Minerva ungerührt fort, »war er nicht zum Vergnügen hier. Er ist zurück in London.«Elphinstone war vor Stunden mit einer Dublette des gestohlenen Auszugs der Flohnetzwerkverbindungsnachweise in die Hauptstadt zurückgekehrt, um Edwards ausfindig zu machen, damit dieser die Verschlüsselung der Adresse auflöste und um zusätzliche Unterstützung einzufordern. Er hatte versprochen, sich umgehend zu melden, sobald er neue Informationen hatte. Minerva war nur schweren Herzens in Hogwarts zurückgeblieben. »Für alle Fälle«, wie Elphinstone gesagt hatte.
Was für ‚Fälle' er sich wohl vorstellen mochte, hatte sie in den vergangenen Stunden zu Genüge hinterfragt. Inzwischen hatte der Abendprophet ihr zumindest Gewissheit verschafft, wieso er sein Versprechen nicht einlösen konnte. ‚Großflächige Räumung des Ministeriums – Ministerin tritt in Verhandlung mit Reinblüterbewegung' hieß es da in riesigen schwarzen Lettern, gefolgt von einem Bild, das eine Horde wild durcheinanderstürzender Menschen zeigte, die allesamt vor einer undurchdringlichen Nebelwolke flüchteten.
Dass es sich um das Atrium des Ministeriums handelte, war nur an der goldenen Zauberstabspitze zu erkennen, die oben aus dem Nebel einen munteren Wasserstrahl hervor schickte. Der Rest des Brunnens der magischen Geschwister war komplett von der Wolke erstickenden Garottengases umhüllt. Eigentlich unsichtbar, war es laut dem Zeitungsartikel nur dank der umfassenden Schutzzauber im Atrium offenbart worden, bevor es ernsthafte Opfer fordern konnte.
Der ganze neun Seiten lange Artikel hatte Minerva detailliert informiert, dass das Ministerium heillos überfordert war – keine Neuigkeiten –, nicht bekannt war, wer das Gas freigelassen hatte; dass St. Mungo voller verletzter Hexen und Zauberer war und die Ministerin sich zur Stunde immer noch Auseinandersetzungen mit den hartnäckigsten der Demonstranten lieferte.
Das magische London versank zusehends im Chaos und Minerva hoffte inständig, dass Elphinstone nicht erneut zwischen die Fronten geraten war. Das Ministerium konnte aufgrund des Garottengases jedenfalls nicht betreten werden und ein Großteil der Angestellten war entweder mit Vergiftungen in der Heilanstalt oder beteiligte sich daran, die verbliebenen Reinblüter in Schach zu halten, fern von den Augen neugieriger Muggel.
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Stichflamme | Minerva McGonagall ✔️
FanfictionAm ersten September 1970 erlebt Minerva McGonagall das Undenkbare: Ein muggelgeborener Erstklässler verschwindet auf dem Weg nach Hogwarts. Zum Frust der jungen Verwandlungslehrerin stellt das Zaubereiministerium die Ermittlungen jedoch rasch ein, o...