47 | Süße Träume

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So laut wie ihr Einschlafen gewesen war, so leise gestalte sich Minervas Erwachen. Endlich war es still. Unendlich still. Kein Gewitter in ihren Ohren. Nicht einmal das entfernteste Donnern. Im Gegenteil, ihr Atem war so ruhig, dass sie fürchtete, er wäre gar nicht da. Erst als sie die Nasenspitze kräuselte, spürte sie die Luft hindurchstreichen. Also lebte sie wirklich noch.

Ein eigenartiger Gedanke. Normalerweise war es selbstverständlich, aufzuwachen, die Augen aufzuschlagen und – wenn auch widerwillig – aufzustehen. Morgens beschäftigten sie höchstens die Aufgaben des anstehenden Tages, nicht ihr körperlicher Zustand.

Jetzt hingegen nahm sie jeden Sinn in voller Intensität wahr, wie nie zuvor. Dabei umhüllte sie nichts außer angenehmer Wärme. Obwohl ... ein weiches Gewicht drückte auf ihre Brust. Ein bisschen wie früher, wenn die Familienkatze ausgerechnet auf ihrem Bauch einschlafen wollte. Nur das Schnurren fehlte.

Die Erinnerungen an längst vergangene Winterabende im Haus ihrer Eltern erfüllten Minerva mit Zufriedenheit. Sie kam sich vor wie auf eine Wolke gebettet, all das Leid und die Sorgen vergessen. Selbst wenn sie versuchte, daran zu denken, was ihr zuletzt widerfahren war, spülte es die Gedanken gleich wieder fort.
Letztlich war es auch egal, denn jetzt ging es ihr gut. Sie hatte keine Schmerzen, keine Angst. Es warteten keine Schatten mehr darauf, sie zu verschlingen. Alles war gut, das flüsterte ihr sogar die imaginäre Katze zu.

Trotzdem ließ sie nur zögerlich weitere Empfindungen von jenseits der Dunkelheit ihrer Lider in ihr Bewusstsein vor. Die plötzliche Kollision zweier Welten sollte ihr nicht schon wieder dieses zerbrechliche Glück rauben. Nicht wie im Keller der Lestranges ...

Warum dachte sie das? Was war damit gemeint ... Bevor sie tiefer in die Erinnerung eintauchte, trug es die Fragen auch schon in einer Welle neuer Gedankenfetzen fort. Es spielte keine Rolle. Viel wichtiger war doch, dass etwas auf ihre Hand drückte. Im Gegensatz zu dem Gewicht auf ihrer Brust aber eindeutig lebendig.
Das konnte nichts Schlechtes sein. Schlechte Dinge waren stachelig, hart und brennend, nicht weich oder warm. So viel wusste sie.

Mutiger streckte sie ihre Sinne bis in die Fingerspitzen. Es brauchte einen Moment der Überredung, ihren Nerven ein kaum merkliches Zucken zu entlocken. Aber es schien zu reichen, denn sofort antwortete ihr sanfter Druck. Fremde Finger, begriff sie. Und sie schlangen sich fester um ihre. Zogen sie zurück in die Realität. Das Gefühl, zwischen Himmel und Erde zu schweben, schwand zusehends – aber dafür erfüllte eine andere, viel bessere Leichtigkeit Minervas Herz.

Sie wusste einfach, zu wem diese Berührung gehörte. Da spielte es keine Rolle, dass ihre Lider einmal mehr mit einem Dauerklebefluch versiegelt schienen. Die sanften Kreisbewegungen auf ihrem Handrücken verband sie inzwischen so untrennbar mit Elphinstone wie den Anblick einer Pflanze.
Ihr Herz glühte bei dem Gefühl seines Namens in ihrem Kopf für einen Schlag auf, als sei es eine Kohle im Kaminfeuer, das frisch angefacht wurde. Die Funken, die es in ihren ganzen Körper schickte, brachten genug Kraft mit sich, dass sie es schaffte, die Augen wenigstens einen Spaltbreit zu öffnen.

Sie konnte nur durch ihre Wimpern blinzeln, doch sofort flutete gedämpftes Licht ihre Dunkelheit. Lange Schatten versteckten den Raum vor ihr, nicht aber den goldenen Schimmer auf dem Haar der Person an ihrem Bett. Der Anblick genügte, damit das Phönixfeuer in ihr wieder lichterloh brannte.
Bevor er ihr entkam, schloss sie ihren ganz privaten Schnatz fest in die Faust. Selbst wenn es in Wahrheit beim Zucken ihrer Finger in seiner Hand blieb – das Gefühl war gleich. Die schönste Mischung aus Freude und Erleichterung, die es auf der ganzen Welt gab.

Elphinstone hob den Kopf. Für einen Moment schien er ähnlich mit den Lidern zu kämpfen wie sie, aber dann riss er die Augen weit auf. Sie hörte ihn tief Luft holen. Sagen tat er trotzdem nichts. Sein Gesicht ging einfach nur in jenem Strahlen auf, mit dem er bereits das Gartenmagazin bedacht hatte, das sie ihm in der letzten Woche (erst?) geschenkt hatte. Und gleichzeitig lag so viel Sorge in seinem Ausdruck ...

Stichflamme | Minerva McGonagall ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt