Das nächtliche Ministerium war still, beinahe so still wie nach den Ausschreitungen im Atrium nur wenige Tage zuvor. Zu still. Minerva entsann sich gut, wie ihr Vater schon vor Jahren geklagt hatte, dass Hexen und Zauberern nichts heilig war – nicht einmal der Sonntag. Was stimmte. Wie viele schummrige Stunden hatte sie in ihrer Zeit hier mit endlosen Pergamentrollen, literweise schwarzem Tee und Miss Cuddles Annäherungsversuchen verbracht?
Und mit Elphinstone. Der Gedanke versetzte ihr einen Stich. Zwischen Notfalldiensten und Vorbereitungen für Gamotssitzungen hatte sich ihre Freundschaft überhaupt erst entsponnen. Eines Nachts war ihr eine Bemerkung über das hübsche marmorne Schachbrett in seinem Büro entschlüpft und wie sehr sie einen würdigen Gegner in London vermisste. Zur Antwort hatte Elphinstone sie mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen aufgefordert, ihre eigenen Figuren zu holen.
Irgendwo zwischen Brust und Bauch loderten Flammen alter Scham in Minerva auf. Nicht einmal vierzig Züge hatte Elphinstone gebraucht, ihr den Wunsch nach einer Herausforderung zu erfüllen, indem er sie gnadenlos matt setzte. Auf dem Schachbrett bewies sich ihr zum ersten Mal der Slytherin in ihm. Doch von da an waren diese Schichten schnell zu ihren liebsten geworden, denn nichts befeuerte ihre Entschlossenheit mehr als der Triumph in den Augen ihres Gegenübers.
Stundenlang hatten sie sich in jenen Nächten gegenseitig ausgespielt – und waren ganz nebenbei ins Plaudern gekommen. Anfangs vor allem über die geteilte Sehnsucht nach ihrer fernen Heimat, doch irgendwann waren die Gespräche persönlicher geworden. Und vielleicht, gestand Minerva sich ein, hatte sie Elphinstone schon damals etwas zu gerne gemocht für einen bloßen Vorgesetzten.
Aber das war im Moment nicht der Punkt, sondern dass sie nie alleine im Ministerium gewesen war. Irgendwer arbeitete immer, egal in welcher Abteilung; egal an welchem Wochentag. Selbst wenn es inzwischen weit nach Mitternacht und somit schon Samstag war, sollten mindestens einige Memos wie Motten durch die Flure schweben. Doch die Deckenlampen waren auf ein Minimum gedimmt, alle Büros entlang ihres Weges verwaist und abgesehen von ihrem eigenen Atem hörte Minerva nicht einmal das Husten eines Doxy. Selbst in ihrer Animagusform nicht, das hatte sie ausprobiert, bevor sie sich für zwei Beine und einen gezückten Zauberstab entschieden hatte.
Es kam ihr vor, als wäre es Wochen – wenn nicht gar Monate – her, dass sie auf vier Pfoten durch ebenso beunruhigende Stille geschlichen war, um in die Flohnetzwerkzentrale einzubrechen. Wie naiv sie doch an die Sache herangegangen war ... Und wie viel seither geschehen war. Sie hätte es nicht für möglich gehalten, dass aus der Suche nach dem verschwundenen Jonathan plötzlich ein Kampf um das Zaubereiministerium werden würde. Doch hier stand sie erneut, ihre Sorgen größer als je zuvor, das Schweigen schwer auf ihren Schultern.
Für einige Sekunden horchte sie in die Dunkelheit, bevor sie auf bloßen Strümpfen weiter den Gang entlanglief, der von den Büros der Strafverfolger gesäumt wurde. Ihre Schuhe war sie gleich nach ein paar Schritten losgeworden, da diese dem noblen Stil einer Reinblüterin alle Ehre machten und sie bloß behinderten. Auch den Umhang hatte sie an einem Schirmständer zurückgelassen. Nur das Pergament mit Voldemorts Plänen war kurzerhand im Ausschnitt ihres Blazers gelandet, damit sie die Hände frei hatte.
Während sie sich vorarbeitete, zielte sie mit dem Zauberstab in die Schatten. Für alle Fälle. Doch niemand erwartete sie, weder Freund noch Feind. Nicht hier und nicht hinter der nächsten Ecke. Auch nicht in Elphinstones Büro. Bis auf Miss Cuddles, die sich freudig um ihren Unterarm schlang, war der Raum leer.
Ein Seufzen erfüllte Minervas Brust, aber sie erlaubte sich nicht, innezuhalten. Stattdessen tätschelte sie die Teufelsschlinge kurz und kehrte auf dem Absatz um. Zum Glück war das Aurorenbüro nicht weit. Selbst wenn die Welt unterging – wenigstens das musste besetzt sein. So sahen es die Regeln vor: Mindestens ein Strafverfolger nebst Unterstützung sowie ein Dreiergespann Auroren hatten rund um die Uhr im Ministerium auf Abruf bereitzustehen. Also war Elphinstone sicherlich bei den Unglücklichen, die heute Nachtschicht schoben.
DU LIEST GERADE
Stichflamme | Minerva McGonagall ✔️
FanfictionAm ersten September 1970 erlebt Minerva McGonagall das Undenkbare: Ein muggelgeborener Erstklässler verschwindet auf dem Weg nach Hogwarts. Zum Frust der jungen Verwandlungslehrerin stellt das Zaubereiministerium die Ermittlungen jedoch rasch ein, o...