14 | Saphirblaue Wahrheiten

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- Denkarium: Hogsmeade, Dezember 1959 -

Draußen fiel leise der Schnee. Durch die beschlagenen Fenster des Cafés drang das weiche Licht einer Straßenlaterne hinein und warf lange Schatten auf den kleinen Tisch mit der Spitzentischdecke, von der allerdings nicht mehr viel zu sehen war. Bücher, Pergamentblätter, Teetassen und Tintenfässchen nahmen jeden Zentimeter des wackligen Möbelstücks ein.

Minerva hatte sich tief über eine Rolle Pergament gebeugt, die einige Fuß lang mit ihrer feinsäuberlichen Handschrift gefüllt war. In kleinen Schwüngen huschte ihre Feder von Zeile zu Zeile. Nur hin und wieder pausierte sie, las das eben Geschriebene erneut und strich etwas fort.

»Was klingt besser: ‚Der Äquivalenztheorie folgend bedürfte es einer Anpassung des vierten gamp'schen Transfigurationsgesetzes' oder ‚Die Anwendung der Äquivalenztheorie bedingt die Änderung des vierten gamp'schen Transfigurationsgesetzes'?«
Das Kratzen der zweiten Feder ihr gegenüber hielt kurz inne. »Hm ... Letzteres. Klingt entschiedener, mehr wie die logisch zwingende Gesetzmäßigkeit, die es ist, wenn ich deiner Theorie folge«, erwiderte Elphinstone.
»Mhm, da hast du recht. Danke.«

Zufrieden notierte sie die Worte und für eine Weile versanken sie beide erneut in bequemes Schweigen; sie beschäftigt mit ihrem Artikel für die nächste Ausgabe von Verwandlung heute, er in seine Akten aus dem Ministerium versunken.
Trotz – oder gerade wegen? – ihrer Kündigung hatten diese gelegentlichen Treffen, bei denen sie neben Tee, Gebäck und einem lockeren Plausch ihren Beschäftigungen nachgingen, das Ende ihrer Arbeitsbeziehung überdauert. Nur der Ort war ein anderer, aus Florean Fortescues Eissalon war Madame Puddifoots Café geworden – wegen des guten Kuchens und der Ruhe im Vergleich zu den belebten Pubs.

Mitten im Absatz über die Reform des Transfigurationsgesetzes wurde Minerva jedoch von einem unterdrückten Fluch aus ihren Gedanken zu Verwandlungen gerissen. Zum ersten Mal seit einer kleinen Ewigkeit hob sie den Kopf von ihrem Artikel und sah Elphinstone an. Dieser hatte seine Feder fallengelassen, sich in seinem plüschigen Sessel zurückgelehnt und sah nachdenklich dem seichten Schneegestöber auf den Straßen von Hogsmeade zu.

Fragend legte Minerva den Kopf schief. »Schwierigkeiten?«
Statt eine Antwort zu geben, seufzte er tief. »Ich weiß es nicht. Entweder es ist nichts oder aber ...« Er schüttelte den Kopf. »Dieser Fall ist ... schwierig.«
Verwundert wanderte eine ihrer Augenbrauen in die Höhe. »Du kannst mich jederzeit um Rat fragen.«
»Ich fürchte, es wird dir nicht gefallen.« Er sah auf die Aktenblätter vor sich. »Und das nicht nur, weil Mulciber die Akte führt, jetzt wo er seine eigene Abteilung hat.«
»Was bringt dich zu der Annahme?«

Stumm reichte er ihr den schmalen Hefter, der nur wenige Blätter enthielt. Die Faktenlage war offenbar dürftig und ausweislich des Stempels auf dem Deckblatt ging es nur noch darum, das Verfahren formell abzuschließen. Das bedeutete selten etwas Gutes. Sie blätterte durch Mulcibers Aufzeichnungen.
Hepzibah Smith, das Opfer, war im Monat zuvor tot in ihrer Londoner Wohnung aufgefunden worden. Es gab nur eine Zeugenaussage. Die ihrer Hauselfe Hokey. Ein umfassendes Geständnis, dass diese ihrer Herrin den abendlichen Kakao wie immer zubereitet hatte, mit einer ordentlichen Prise Zucker – der, wie sich in der Küche des Opfers herausstellte, direkt neben einem Fläschchen extrem seltenen, unauffälligen und obendrein tödlichen Gifts stand. Die Elfe hatte laut Vernehmungsprotokoll unter Tränen zugegeben, in ihrer Hast das Falsche gegriffen zu haben. Sie war einfach schon zu alt, so die lapidare Begründung Mulcibers. Klar, geradlinig, kein Raum für Zweifel. Solange man Dienst nach Vorschrift tat.

Minerva musterte das angehängte Bild einer unglaublich dürren kleinen Hauselfe, die sich zitternd am Bildrand zusammengekrümmt hatte, das Gesicht in den knochigen Händen verborgen. Dann sah sie langsam zu Elphinstone. »Du denkst nicht, dass sie es getan hat.«
»Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, aber es gibt eine Ungereimtheit. Etwas, das Mulciber entweder nicht wusste – oder in seiner Unerfahrenheit nicht für bedeutsam hielt.« Er sah wieder hinaus auf die schneebedeckte Gasse. »Vor ein paar Tagen stand der Sohn dieser Dame plötzlich im Hauptbüro. Er empörte sich, dass ihn jemand bestohlen hätte. Ich verstand erst nicht, aber es stellte sich heraus, dass in Miss Smith' Erbe zwei Gegenstände fehlen. Wirklich traurig schien er nicht, mehr besorgt ob der seltenen Artefakte, die sich offenbar in Luft aufgelöst haben.«

Stichflamme | Minerva McGonagall ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt