41 | Stille

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»Oh, jetzt bin ich aber enttäuscht ...«
Mulcibers laute Worte trafen auf umso intensivere Stille. Einige Herzschläge lang hörte man nicht einmal Atemzüge. Alle drei starrten Minerva, Elladora und selbst Rosier den Eindringling an, unerwartet im Schrecken vereint.

Was tat er hier? Eine große Hand legte sich aus dem Nichts um Minervas Magen und drückte langsam zu. Etwas stimmte an dieser Situation nicht. Nur was?

Sie suchte Mulcibers Blick, doch dieser wich ihr gekonnt aus, indem er sich auf der Stelle drehte und den nahezu leeren Raum in Augenschein nahm. Für den Flügel hinter Elladora hatte er eine erhobene Augenbraue übrig, das war es auch schon. Letztlich wandte er sich Rosier zu und schickte ein Seufzen in das anhaltende Schweigen.

»Komme ich wirklich so ungelegen? Ich meine – man hat mir drüben allerlei wilde Versprechungen gemacht, was dieses kleine ... Tête-à-Tête angeht, aber hier wird sich doch tatsächlich nur unterhalten. Da hatte ich mir nach all den Andeutungen ehrlich mehr versprochen, Gid ...«

Minerva sah dabei zu, wie Mulciber durch das Zimmer spazierte und Rosier einen Klopfer auf die Schulter versetzte. Es brauchte einige weitere Wimpernschläge, bis sie endlich begriff, was so falsch an diesem Bild – an Alston Mulciber – war.

Es war das Aussehen. Mulciber sah wieder aus wie immer. Nicht wie das Narbengesicht, in das der Vielsafttrank ihn verwandelt hatte. Doch sie verstand nicht, wieso. Sie waren schließlich nicht umsonst in Tarnung angereist ...

Auf Rosiers Zügen wich die Irritation dafür plötzlich einem breiten Grinsen. »Al, mit dir habe ich gar nicht gerechnet«, rief er aus und scheuchte die letzte Verwunderung kopfschüttelnd fort. »Everard meinte, Rookwood und du, ihr würdet euch bedeckt halten müssen ...«
»Tja, Überraschung!« Mit einem zufriedenen Grinsen breitete Mulciber die Arme zu beiden Seiten aus wie ein Straßenkünstler nach der Aufführung, der auf ein paar Pfundnoten – oder Sickel – aus war.

Nicht nur trat er in seiner eigenen Haut auf – er verhielt sich auch genau so, selbstsicher und spöttisch wie eh und je. Er war kein unerwünschter Eindringling wie sie, begriff Minerva. Nein, Mulciber war in dieser Gesellschaft zuhause. Er gehörte dazu.

Weshalb dann bloß das Schauspiel zusammen mit Elphinstone und ihr? Wenn das hier eine Falle war, warum hatte er sie nicht eher auffliegen lassen? Sie versuchte, schneller zu denken, einen Grund zu finden, aber ... nichts.

»Ich dachte mir, so kurz vor'm Ziel kann man mal eine kleine Ausnahme machen«, fuhr Mulciber derweil mit einem Achselzucken fort, gänzlich unberührt von der gegenwärtigen Anspannung. »Kann mir ja nicht immer das Beste entgehen lassen! Wenigstens einmal muss ich bei so einer Veranstaltung einfach den versteckten Wichtel geben und mich ein bisschen umsehen. Ich sollte schließlich auch wissen, mit wem wir es so zu tun haben, findet ihr nicht?« Während er sprach, sah er langsam von Rosier zu Elladora.

Die befand sich genau wie Minerva immer noch in Schockstarre und fixierte Mulciber mit schmalen Augen. Doch sobald sie seinen Blick auffing, zupfte an ihren Lippen ein kleines Lächeln. »Nun, zumindest ich gebe dir recht, Alston«, sagte sie tonlos, aber es war eindeutig, dass ihre Schultern ein Stück herabsanken.

Noch etwas, auf das Minerva sich keinen Reim machen konnte, ebenso wenig wie auf Mulcibers Reaktion. Dessen überzogenes Strahlen flackerte nämlich und für den Bruchteil einer Sekunde sah das Lächeln, was übrig blieb, gar echt aus. Lange währte der Eindruck jedoch nicht, bevor er sich abwandte und stattdessen mit dem Daumen in ihre Richtung wies.

»Eine Frage drängt sich mir allerdings auf, Gid. Was wird das hier nun für eine Privatvorstellung? Und vor allem: Warum mit der? Hab ich was verpasst? Ich wollte Everard ja nicht glauben, als er mir von McGonagall erzählte ...«
Zur Antwort gab Rosier ein unterdrücktes Schnauben von sich, das seine kurzzeitige Freude direkt vertrieb. »Eine kleine, aber bitter nötige Lektion wird das. Eine, mit der du – bei allem Respekt – nichts zu tun hast.«

Stichflamme | Minerva McGonagall ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt