13 | Durch den Nebel

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Das Büro des Schulleiters war vollkommen ruhig. Keine seiner goldenen Gerätschaften surrte oder zischte und die Porträts an den Wänden schützten tiefen Schlaf vor, als stünde die Welt in Abwesenheit von Albus Dumbledore still. Die einzigen Geräusche drangen vom weit entfernten Schulgelände hinauf, wo die Kinder ihre Mittagspause am großen See unter den letzten Strahlen einer müden Herbstsonne verbrachten.

Was hätte Minerva darum gegeben, ebenfalls dort draußen zu sein. Doch vor ihr lag das kalte Steinbecken des Denkariums, dessen runenverzierten Rand ihre Finger umklammerten. Wenn sie ganz ehrlich war, dann graute es ihr davor, weiterzumachen. Bedenken angesichts der Geschehnisse, die Mulcibers gestohlene Erinnerung bereithielt - welche Wahrheiten sie enthüllen könnte - erfüllten sie.
Sie sah hinab in die wirbelnden Gedankenfetzen, weder vollkommen Gas noch Flüssigkeit. Ihr wurde klar, dass sie nicht einmal wusste, wie der Zauberer hieß, in dessen Welt sie gleich treten würde. Nach dem Oblivierungszauber wusste er das wahrscheinlich selber nicht mehr. Das war von Anfang bis Ende falsch.

Hinter ihr trillerte Fawkes auf seiner Vogelstange leise, wie eine Aufforderung an sie, sich endlich der Erinnerung zu stellen. Der Phönix hatte sie seit dem Betreten des Büros genau betrachtet, als wüsste er, was sie da tat. Vermutlich lag die Wahrheit nicht so weit entfernt, immerhin war er kein gewöhnliches Tier. Solange der Schulleiter nicht da war, musste sie wohl auf die Weisheit seines Gefährten vertrauen. Wie schlimm konnte es schon werden?
Minerva holte ein letztes Mal tief Luft, dann tauchte sie in das Denkarium ab.

Noch bevor ihre Füße den Halt wiedererlangten, bemerkte sie den Nebel. Dünne Schwaden, die sich zu allen Seiten erstreckten, durch die Grenzen des Raums brachen und die Szene wie ein ausgeblichenes Foto wirken ließen; farb- und kraftlos. Es wirkte kein bisschen wie das Stück überzeugender Realität, das die Erinnerungen sonst erschufen. Unter all diesen Eindrücken dauerte es einen Moment, ehe es ihr gelang, die Umgebung einzuordnen.

Sie befand sich innen, offenbar in einer Art Wohnzimmer. Zumindest legten die Sofas, der Kamin und ein klobiger Fernseher das nahe. Fernseher? Verwundert musterte Minerva die Muggeltechnologie, die sie selber nur aus dem elterlichen Haus kannte. Allem Anschein nach war das hier ein Muggelhaushalt, allerdings nicht jener der Alditchs.

Der Teppichboden unter Minervas Füßen schwankte gefährlich und Übelkeit kroch in ihr herauf. Eine Erinnerung wie diese hatte sie noch nie erlebt. Nicht, dass sie viel Zeit in der unveränderlichen Vergangenheit verbrachte, immerhin nannte sie kein Denkarium ihr eigen. Aber für gewöhnlich waren Erinnerung nicht so ... unbeständig wie diese. Lag das daran, wie gewaltsam Mulciber diesen Gedanken erlangt hatte, oder generell an dem Oblivierungszauber?

Stimmen drangen zu ihr vor, dumpf und träge, als steckte sie mit dem Kopf unter Wasser. Auf der Suche nach dem Ursprung schnellte sie herum und unweigerlich tastete ihre Hand sich zum Zauberstab. Im gleichen Atemzug hätte sie sich selber für diese Schreckhaftigkeit auslachen mögen. Hinter ihr befanden sich zwei Zauberer in schlichten, dunklen Roben. Auch wenn der Nebel alles auszehrte, konnte sie Rowle und den namenlosen Inhaber dieser Erinnerung ausmachen.
Letzterer hatte sich in einen Sessel gefläzt, die Füße auf einen kleinen Beistelltisch gelegt und drehte bedrohlich den Zauberstab durch seine dicken Finger.

»... So ein elender Trottel!«, schalt er Rowle. »Hast du eine Ahnung, wie schwer es war, diese Schoten zu besorgen und an der Grenzkontrolle vorbeizuschaffen? Wir können es uns nicht leisten, die Dinger überall zu verlieren! Ganz zu schweigen davon, dass unsere Kontaktperson überhaupt nicht begeistert sein wird, wenn jemand die Spur zu ihr zurückverfolgt!«
»Du hast doch selbst gesagt, die Muggelpolizei kümmert sich jetzt um den Vermisstenfall. Als wenn die irgendwas damit anfangen könnten! Im besten Fall explodiert sie denen unter den Fingern!«
»Was das Ministerium wiederum aufmerksam machen würde! Wenn du nicht vorsichtiger bist, Rowle, hat sich diese Sache bald für dich erledigt. Wir können niemanden gebrauchen, der nicht bereit ist, Verantwortung zu übernehmen.«

Stichflamme | Minerva McGonagall ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt