30 | Der Hüterin heilende Hände

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Eine kleine Ewigkeit verging – dann lösten sich die unsichtbaren Taue, die Minervas Brust zusammendrückten. Nachtluft strömte in ihre Lungen, kühl und irgendwie ... erdig. Grün. Minerva entwich ein Keuchen. Mit den Knien voran schlug sie auf den Boden. Scharfkantige Kiesel bohrten sich in ihre Haut, aber das war in diesem Moment egal. Sie und Elphinstone waren dem Anwesen der Lestranges entkommen. Seine Hand lag in ihrer, eine beruhigende Gewissheit, dass sie nicht halluzinierte. Das allein zählte.

In einem tiefen Atemzug sog sie die Freiheit in sich. Von allen Seiten drangen Sinneseindrücke auf sie ein. Wasserplätschern. Abendbrise. Blätterrascheln. Moosduft. Ihre Sinne waren so gereizt, dass Minerva beinahe glaubte, die Sterne funkeln zu hören. Angesichts des samtblauen Nachthimmels musste sie einige Male blinzeln, ehe die tanzenden Phantomflammen vor ihren Augen verschwanden und sie überhaupt das Himmelszelt in all seiner Pracht erkannte.

Wohin war Elphinstone mit ihr appariert? Sie konnte nichts Bekanntes erkennen. Ein schneller Rundumblick zeigte lediglich, dass sie von Bäumen umgeben waren. Das glucksende Wasser war nirgends zu sehen. Dafür lag ein gutes Stück hinter ihnen eine breite Straße, die völlig ausgestorben schien. Nur ein einzelnes Straßenschild, dessen reflektierende Schrift im Mondschein schwach leuchtete, eröffnete ihr, wo sie gelandet waren. Loch Ness – Besucherparkplatz A 82 – noch 800 Yards.

»Elphin-«, japste Minerva kurzatmig auf, doch die nächste Silbe verschluckte sie direkt wieder, als sie Elphinstone ansah. Richtig ansah. Selbst im Schatten der Nacht bemerkte sie, dass jegliche Farbe aus seinem Gesicht entschwunden war.

Elphinstones Stirn glänzte schweißnass und es verlangte nicht viel Fantasie ihrerseits, um zu begreifen, was seine Kleider dunkel färbte. Der dünne Stoff seines Hemdes war bereits vollgesogen, sobald sie die Fingerspitzen an seine Brust legte. Die Berührung schien ihn aus seiner Benommenheit zu reißen. Durch zusammengebissene Zähne entwich ihm ein Stöhnen, während er sich mit der freien Hand an ihren Oberarm klammerte.

»Verflucht ... wenn ich –« Ein neuerlicher Schmerzlaut ersetzte die Worte und sein Griff wurde fester. »Wenn ich's nicht besser wüsste ... würde ich denken, zersplintert zu sein.«
Vage ertastete Minerva einen Riss im Stoff seines Hemdes. Sie hatte gesehen, wie Bellatrix ihn angegriffen hatte, sie brauchte keine falsche Hoffnung schöpfen, dass es mit einem Einsatz des magischen Rettungskommandos und dem Zurückhexen eines verlorenen Körperteils getan wäre – »Sicher nicht zersplintert?«

Ein Seufzen kam über Elphinstones Lippen. Ihm war das Flehentliche in ihren Worten also nicht entgangen. »Noch, ah ... alles dran. War – war eine saubere Disapparation.«
Natürlich hatte Minerva das ebenfalls gefühlt – Elphinstone war ein routinierter Apparierer, da hatte sie in jüngeren Jahren schon heftigere Apparationen erlebt. Doch das bedeutete, dass er andere Verletzungen hatte.

Wie zur Bestätigung ihrer schlimmsten Ängste verließ die Kraft ihn und er sackte zusammen, geradewegs gegen sie. Mehr schlecht denn recht fing sie ihn ab. Das zusätzliche Gewicht drückte sie nach unten und am Rande ihrer Wahrnehmung protestierten ihre Knie angesichts dieser Begegnung mit dem Schotter, aber sie achtete nicht darauf. Blut durchnässte die zwei Umhänge auf ihren Schultern, bis hinab auf die Bluse darunter. Kälte kroch in ihre Glieder. Ausgerechnet jetzt hatte sie keine Ahnung, was sie tun sollte.

So oft, wie zu ihren Ministeriumszeiten mal eine Verhaftung oder Hausdurchsuchung schief gegangen war – nie hatte es Elphinstone derart schlimm erwischt. Nicht einmal annähernd, dafür sorgten die Auroren schon. Kein Zauber, den sie kannte, konnte das richten. Und selbst wenn, hätte sie keinen Zauberstab. Sie war machtlos.
»Wir müssen hier weg«, krächzte Minerva, ihre Stimme rauer als die eines erkälteten Gartengnoms, »ins St. Mungo ...«

Stichflamme | Minerva McGonagall ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt