37 | Fallendes Herz, fliegender Schnatz

125 14 170
                                    

In Anbetracht der zu erwartenden Ereignisse des morgigen Tages wäre es vernünftig gewesen, schlafen zu gehen. Sehr vernünftig. Doch als Minerva Hand in Hand mit Elphinstone am Loch Ness landete, wusste sie, dass weder er noch sie jetzt Ruhe finden würden.

So war es immer. Je müder sie sich fühlte; je mehr ihr der Tag abverlangt hatte, desto mehr Zeit brauchte sie, die Entspannung wieder zuzulassen. Egal ob am Abend nach einem Quidditchspiel oder einer wichtigen Prüfung, Minerva hatte schon unzählige Male alleine an einem Fenster gesessen und die Stille Hogwarts' genossen, während die Nacht voranschritt. Da würden sie ihre Gedanken besonders heute, wo ein Ereignis das nächste gejagt hatte, noch lange wachhalten.

Als ob Elphinstone es ahnte, geleitete er sie nicht zu ihrem Gästezimmer, sondern in die Küche, die nur vom Mondlicht beschienen wurde. Auf ein Schnippen seines Zauberstabs hin flogen zwei Tassen aus einem Schrank herbei und stellten sich mit einem sachten ‚Klack' auf die Anrichte neben ihnen.

Elphinstone atmete aus. Plötzlich fasste seine Hand in Minervas sich viel weicher an, obwohl er sie nach wie vor fest drückte. Die Anspannung, die sie beide schon zu lange bestimmt hatte, fiel in großen Brocken von ihm ab.
»Earl Grey?«, erkundigte er sich leise, während er mit einem weiteren Zauber die Ingwerkeksdose herbeirief. »Oder doch lieber heiße Schokolade?«

»Dem Schlaf zuliebe die Schokolade.« Minerva fing die schottenkarogemusterte Blechdose aus der Luft und täuschte gar nicht erst Zurückhaltung vor, sondern schnappte sich gleich zwei Kekse auf einmal.
Die Bewegung entlockte Elphinstone ein Zucken der Mundwinkel. Sobald er sah, wie sie noch einen Dritten nahm, wuchs es sich zu einem Grinsen aus. »Kommt sofort. Insofern neben all den Keksen noch Platz bleibt.«
»Aber sicher. Kekse sind schließlich etwas ganz anderes.«
»Stimmt, hätte ich mir auch denken können.«

Elphinstone gluckste und ließ mit der Begeisterung eines Elfjährigen, der die ersten Zaubersprüche übte, Zucker, Milch, Sahne, Zimt, Schokolade und sogar ein Päckchen Mini-Zuckermäuse herbeifliegen. Wie schon die Tassen landeten die einzelnen Behälter punktgenau auf dem Tresen. Zufrieden strahlte Elphinstone sein Werk an, dann hob er einem Dirigenten gleich beide Hände und sorgte mit reichlich dramatischem Gestus dafür, dass die Zutaten in einen Topf auf dem Herd sprangen.

Zum Glück stand er für die kleine Showeinlage mit dem Rücken zu Minerva, denn andernfalls hätte er gesehen, wie sie die Augenwinkel mit dem Umhangsaum abtupfte und sich darüber gesorgt. Dabei war sie schlichtweg erleichtert. Einen besseren Beweis, dass der Blutfluch wirklich besiegt war, hätte er nicht liefern können.

Es dauerte nicht lange, bis ein herrlicher Duft die Küche erfüllte und Elphinstone Minerva einen der beiden Becher reichte – mitsamt gewaltiger Sahnehaube, garniert von den winzigen Zuckermäusen. Die heiße Schokolade schmeckte ungleich köstlicher als jene in der ersten Nacht hier. Auch wenn daran nur die äußeren Umstände schuld waren – immerhin fürchtete Minerva dieses Mal nicht, dass Elphinstone sterben würde –, verbrannte sie sich dafür gerne die Zunge.

»Hast du Lust auf einen kleinen Mitternachtsspaziergang?«, fragte Elphinstone in ihre genießerische Stille hinein. »Es gibt da einen Ort, den ich dir gerne zeigen würde. Wenn du magst. Es ist zwar dunkel, aber das Geheimnis eines schönen Gartens ist, dass er bei jeder Tageszeit etwas zu bieten hat. Und ich behaupte einfach mal, dass mein Garten diese Voraussetzungen erfüllt.«
»Dein Garten?« Überrascht hob Minerva den Blick von ihrem vierten Keks, der sich in der heißen Schokolade auflöste. »Nicht eher der deiner Eltern oder Schwester?«

Elphinstone schmunzelte. »Auf dem Papier vielleicht. Aber in der Realität hat keiner von denen die Muße, sich um einen hübschen Garten zu bemühen. Meine Eltern haben ausschließlich Interesse an den ollen Nutzpflanzen auf ihren Plantagen und Eilean an allem, was sich verfüttern oder zum Heilen nutzen lässt. Aber für Schönheit hat hier niemand ein Auge. Dementsprechend ist der Garten mein Reich. Als Ausgleich für meine viel zu kleine Wohnung in London darf ich mich hier austoben.«

Stichflamme | Minerva McGonagall ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt