36 | Brennende Neuigkeiten

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Mulciber sprach den Legilimens-Zauber nicht aus. Minerva wusste einfach, dass er da war. In ihrem Kopf. Ihr Herz beschleunigte seinen Schlag und für einen Moment sprangen ihre Gedanken wild durcheinander, einem Daumenkino gleich, bei dem jedes Bild ein grundlegend anderes war, ehe sie auf das Kopfsteinpflaster in der Winkelgasse zurückfanden.

Sorgsam durch die Seiten ihres geistigen Daumenkinos blätternd, ging sie den gestrigen Nachmittag erneut durch. Elladoras plötzliches Auftauchen, die Begegnung mit Rosier. Ihre Lügen und die Einladung zu der Rede Lord Voldemorts, mitsamt Flohadresse und Zungenfesselfluch.

Für ein paar Sekunden hatte Minerva das Gefühl, dass ihre Zunge anschwoll, doch nichts weiter geschah. Da waren nur ihre Gedanken und ihr Gast, der alles mit ansah. Erst als Mulciber sich aus ihren Erinnerungen löste, spürte sie das Stechen hinter den Schläfen, das seine Einmischung mit sich gebracht hatte. Er war wirklich ein beängstigend guter Legilimentiker.

Rasch schlug sie die Augen auf und suchte seinen Blick, um sich zu vergewissern, dass er nicht mehr gesehen hatte. Doch vor Überraschung verschwanden ihre Augenbrauen beinahe im Haaransatz. Sie hatte mit vielem gerechnet, nur nicht mit diesem Anblick.

Mulciber sah geradewegs durch sie, Pupillen erweitert, Lippen leicht geöffnet. Als hätte ihn der vorhin herbeigesehnte Schockzauber getroffen. Ausnahmsweise schien er derjenige zu sein, den die Legilimentik umgehauen hatte.
Verflucht, Alston Mulcibers Finger am Zauberstab zitterten!

»Alston? Hast du ... es gesehen?«
Die Augen beharrlich auf einen Punkt in weiter Ferne gerichtet, fuhr Mulciber sich durchs dunkle Haar. Im Schein der Zaubersphäre glänzten erste graue Strähnen darin. »Sie ...«
»Sie ...?«

Mulciber zuckte beim Klang ihrer Stimme zusammen. Ein paar Mal blinzelte er heftig, dann schwand das Zittern seiner Zauberstabhand, als hätte er einen Knopf umgelegt. Er sah Minerva an und räusperte sich. »Du meinst ... die Begegnung mit Rosier?«
Minerva nickte vage. Sie wollte kein Risiko eingehen, doch noch den Fluch auszulösen.

»Ja. Ich habe alles gesehen. Inklusive der Adresse.« Trotz des abwesenden Ausdrucks zog Mulciber seine Mundwinkel in die Höhe. »Verflucht clever von dir.«
Da begriff auch Elphinstone. Ein triumphierendes Lächeln trat auf seine Züge. »Dann bist du nicht ... von etwas gehindert, dein Wissen zu teilen?«

»Nein. Ich kann Archibald hier und jetzt mitteilen, dass Lord Voldemort morgen Abend eine Rede über seine Pläne für die Zukunft Großbritanniens halten wird. In einem Anwesen in Südengland. Nur für geladene Gäste, die mit einem Zungenfesselfluch belegt sind, um unerwünschte Besucher zu verhindern.«
Nun wurden Archies Augen ebenfalls groß. Er starrte Minerva an wie die achtäugige Agrippa. Endlich sank die Spitze seines Zauberstabs, den er bis eben auf Mulciber gerichtet hatte, gen Boden.

Mit einem aufgesetzten Lächeln wandte Minerva sich an Mulciber. »Du wirst Elphinstone und mir also den Rücken freihalten?«
»Sicher ... Wenn mich jemand aus diesem Hospital entlässt.«
Mulciber sah zu Elphinstone hinüber. Wieder fuhr er sich durchs Haar, immer noch ... verwundert? Betroffen? Minerva konnte nicht einschätzen, was ihm gerade durch den Kopf ging. Aber zusammen mit seinem üblichen feinen Zwirn schien Mulciber auch einen Teil seiner gewohnten Selbstsicherheit abgelegt zu haben.

Sie war noch in die Betrachtung ihres früheren Kollegen vertieft, als in der Luft vor ihr ein goldener Lichtfleck auftauchte. Einfach so, mitten im Raum zwischen ihnen. Verwundert blinzelte Minerva, doch der Fleck blieb. Er hüpfte auf und ab, wie ein Funken ... War es das grelle Licht der Zaubersphäre, das ihr Tricks spielte? Oder war sie schlicht übermüdet und sah Dinge, die gar nicht existierten? Minerva rieb sich die Augen.

Der strahlende Punkt war nach wie vor da. Nicht nur das – er wuchs rasant an. Sein Flackern wurde stärker und stärker .... bis das goldene Licht mit einem Mal ein Loch in die Luft schlug. Erschrocken stolperte Minerva rückwärts. Kaltes Metall drückte sich in ihren Rücken. Die Bahre – stumm riss sie den Mund auf, einen Warnruf auf den Lippen.

Stichflamme | Minerva McGonagall ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt