Inzwischen war es dunkel geworden und wir standen im Lichtkegel einer Straßenlaterne auf dem Bürgersteig vor Davids Hochhaus.
»Okay, ich würde sagen, wir gehen zurück in die Wohnung«, schlug er vor.
Sofort schossen mir Bilder durch den Kopf. Bilder, die viel mit heißen Küssen und einem Sofa zu tun hatten. Eben hatte ich noch gefroren, doch plötzlich stieg eine abartige Hitze in mir auf.
»Oh nein, das kannst du vergessen!«, platzte ich panisch heraus. Seine Mundwinkel zuckten verdächtig. Offensichtlich wusste er sehr genau, woran ich gerade gedacht hatte. Na toll.
»Was schlägst du sonst vor? Es ist halb zehn. Ich weiß nicht, ob hier um diese Zeit noch Busse fahren. Wie du inzwischen gemerkt hast, ist das nicht die beste Wohngegend. Und ich glaube kaum, dass es eine gute Idee ist, hier rumzustehen und zu warten, ob die drei Typen vielleicht nochmal vorbeischauen wollen.«
Okay, so gesehen ...
»Lass uns erst mal nach oben gehen. Dann sehen wir weiter«, beschloss er. Ohne meine Antwort abzuwarten nahm er meine Hand und zog mich mit sich. Im Vorbeigehen hob er meine Tasche auf und hängte sie sich um, dann ging er mit mir zusammen zurück zum Hochhaus.
»Was ist mit deiner Familie? Ist es in Ordnung, wenn du um diese Zeit einfach jemanden mitbringst?«, japste ich, als wir uns wieder die Treppe hinaufschleppten.
Mein Gott, was war ich froh, nicht im sechsten Stock zu wohnen. Andererseits, wenn man dadurch eine so durchtrainierte Figur bekam wie David ...
»Mein Vater arbeitet immer lang und heute weiß ich sicher, dass er nicht mehr kommt. Sonst gibt es niemanden. Es wird uns also keiner stören.« Sein intensiver Seitenblick auf mich und das verschwörerische Zwinkern ließen keinen Zweifel daran, was er damit meinte.
Meine Augen wurden groß. Erschrocken entriss ich ihm meine Hand und machte auf dem Absatz kehrt, um die Treppe wieder hinunterzustürmen.
»Hey, warte Lil! Das war doch nur ein Witz!«, rief David und kam mir hinterher. Er griff nach meinem Arm und brachte mich zum Stehen. Als ich mich zu ihm umdrehte, hob er entschuldigend beide Hände. »Ich verspreche dir hoch und heilig, dass ich nichts versuchen werde.«
»Moooooment, Freundchen. Ich erinnere mich, dass du mir vor Kurzem so was Ähnliches versprochen hast, und wir wissen beide, wohin das geführt hat«, stellte ich entrüstet fest.
Seine Augenbrauen schnellten in die Höhe. Das beherrschte er wirklich in Perfektion.
»Darf ich dich vielleicht daran erinnern, dass du damit angefangen hast? Du hast dich quasi auf mich gestürzt.«
Ja, das traf es ziemlich gut. Er hatte leider so was von recht.
»Hätte ich dich von mir runterschmeißen sollen? Hey, ich bin auch nur ein Kerl«, fügte er leiser hinzu.
Ich schluckte. »Okay, ich traue dir nicht ... Aber im Moment habe ich wohl oder übel keine andere Wahl, als mitzukommen.«
Noch während ich mich umdrehte, um die Treppe wieder hinaufzusteigen, wurde mir bewusst, dass das nicht ganz der Wahrheit entsprach. Womöglich traute ich ihm nicht, aber mir selbst traute ich noch viel weniger. Ich hatte regelrecht Angst davor, was ich tun würde, wenn mich diese viel zu intensiven, seltsamen Gefühle wieder überfielen. Mein Verstand war damit völlig überfordert und mein Körper schaltete dann offensichtlich auf Autopilot.
»Sehr vernünftig von dir, Guapa«, stimmte David zu und folgte mir.
Ich war mir da nicht ganz so sicher.
In der Wohnung angekommen zog ich als erstes mein Handy aus der Hosentasche. Ich musste dringend meinem Dad schreiben, denn er würde sich schon riesengroße Sorgen machen. Schließlich hatte ich ihm bereits vor einer ganzen Weile die Nachricht geschickt, dass ich bald zu Hause sein würde. Auch bei Sara musste ich mich schnellstens melden. Ein Blick auf das Display verriet mir, dass ich fünf verpasste Anrufe und siebzehn Nachrichten hatte. Die meisten kamen von Dad, Sara und der Clique-Gruppe, aber es gab auch eine Nachricht von Tim. Ich seufzte.
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Romance⩥ ROMANCE || WATTYS SHORTLIST 2022 ⩤ Die achtzehnjährige Lil ist alles andere als begeistert darüber, dass sie den mysteriösen David für die Abschlusszeitung interviewen soll. Schließlich hält sie den unnahbaren Einzelgänger, der mit niemandem rede...