35 ~ Benjamin Blümchen

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»Li, können Leon und ich ein bisschen fernsehen?« Lucy war plötzlich auf der Terrasse aufgetaucht und sah mich aus ihren großen braunen Augen mit diesem treuen Hündchenblick an, dem ich nur sehr schwer widerstehen konnte.

Super. Sie hätte sich wirklich kaum einen schlechteren Zeitpunkt aussuchen können.

»Es ist so schönes Wetter. Müsst ihr da unbedingt fernsehen? Könnt ihr nicht draußen was machen? Und hast du überhaupt schon deine Hausaufgaben fertig?«

Sie verdrehte die Augen. »Ja, Chefin. Es war nämlich gar nicht mehr viel. Gut, dann spielen wir eben Federball. Hier im Garten.« Sie grinste mich frech an, weil sie offensichtlich genau wusste, dass ich sie und Leon im Moment hier draußen überhaupt nicht gebrauchen konnte.

»Na gut«, sagte ich schnell und gab mich geschlagen. »Schaut euch halt was an. Aber nur eine halbe Stunde, okay? Und bitte keinen absoluten Mist.« Mit einem triumphierenden Grinsen verschwand Lucy wieder im Wohnzimmer. »So, jetzt sitzen die beiden da drin und sehen durchs Fenster genau, was wir hier draußen machen«, stellte ich resigniert fest.

Für einen kurzen Moment wirkte David beinahe erleichtert, dann fuhr er sich mit einer Hand durch die Haare. Mir fiel auf, dass er das heute schon sehr oft gemacht hatte. War er womöglich genauso nervös wie ich?

»Du scheinst das gar nicht so schlimm zu finden«, bemerkte ich und wusste nicht so recht, was ich davon halten sollte.

Um seine Mundwinkel zuckte dieses ganz bestimmte Lächeln, das ich so mochte. »Du hast mir ganz schön clever den Ball zugespielt, Pequeña, und ich bin nicht gerade ein Meister darin, aus dem Stegreif die richtigen Worte zu finden. Zumindest nicht, wenn es um solche Dinge geht. Eigentlich hat Lucy mir damit eine Gnadenfrist gegeben, also ...« Er machte wieder diesen einen kleinen Schritt auf mich zu, der die Luft zwischen uns zum Knistern brachte. »Geh morgen mit mir auf ein Date, Lil. Lass uns jetzt das Interview machen und morgen allein und ganz in Ruhe über uns reden, okay? Ich hol dich um drei ab. Ich wollte dir sowieso etwas zeigen. Und ...« Er runzelte die Stirn und stieß dann leise die Luft aus. »Und etwas sagen.«

»Okay«, hauchte ich, tief in seinen Augen abgetaucht und fühlte mich fast wie hypnotisiert.

»Okay.« Er brachte etwas Abstand zwischen uns, während mir schlagartig bewusst wurde, dass ich ihm bereits völlig verfallen war. Plötzlich hatte ich das untrügliche Gefühl, ihm niemals etwas abschlagen zu können, wenn er so dicht vor mir stand und mich mit diesem Blick ansah. Damit hatte er mich völlig in der Hand. Es schien mir, als könnte es für mich nie wieder etwas Wichtigeres geben, als Zeit mit ihm zu verbringen.

»Ich geh nur kurz und hole meinen Laptop«, murmelte ich zerstreut. Diese Erkenntnis musste ich erst mal sacken lassen, weil sie irgendwie beängstigend für mich war.

Außerdem konnten die Zwillinge vom Wohnzimmer aus alles genau beobachten, was sich hier draußen im Garten abspielte, und wenn David so nah bei mir war, konnte ich kaum die Finger von ihm lassen. Vor allem, wenn mir dann noch sein Geruch in die Nase stieg, der definitiv eine meiner größten Schwachstellen war. Neben seinen Augen. Und seinen Lippen. Und seinem Hammerkörper.

»Ja, das wäre hilfreich«, sagte er und lächelte. Wahrscheinlich sah er mir an der Nasenspitze an, wie verwirrt ich war.

»Setz dich doch schon mal auf die Terrasse.« Ich drehte mich um und flüchtete schon fast ins Haus. Als ich hinter unserer großen, dunkelroten Sofalandschaft, die fast den gesamten Raum einnahm, an meinen Geschwistern vorbeikam, sah ich aus den Augenwinkeln, dass sie sich eine Zeichentrickserie ansahen. Ich wunderte mich ein wenig, denn eigentlich waren sie aus diesem Alter schon heraus. Andererseits war ich froh, dass ich nicht eingreifen musste, weil Leon sich mal wieder einen üblen Mord und Totschlag Actionkracher ausgesucht hatte, in dem im Sekundentakt geballert wurde und das Blut spritzte.

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