47 ~ Schwarz

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Elf Jahre zuvor
Rosario, Argentinien

Mit Anlauf rannten Joa und ich auf den Pool zu. Nacheinander sprangen wir mit dem Hintern  voran ins Wasser, dass es nur so spritzte. Als wir wieder auftauchten, klatschten wir uns ab und lachten. Dann begannen wir, wie auf ein geheimes Kommando, leise zu zählen. Genau auf ›drei‹ fing sie jedes Mal an.

»Ich zieh euch gleich die Ohren lang, ihr kleinen Spinner! Ich versuche hier, Evita das Schwimmen beizubringen, und ihr zwei habt nichts Besseres zu tun, als sie die ganze Zeit zu erschrecken! Verschwindet sofort aus dem Wasser!«, schimpfte Tante Val wie ein Rohrspatz. Joa und ich wussten genau, dass sie nur Spaß machte, denn wir konnten das lustige Funkeln in ihren Augen sehen.

Tante Val war die einzige von Mamás Geschwistern, die schwimmen konnte. Sie hatte es auch meinem Cousin Joa und mir beigebracht, und inzwischen fühlten wir uns im Wasser so wohl wie zwei Fische. Mamá war es sehr wichtig, dass wir schwimmen konnten, denn sie selbst hatte es nie gelernt. Joa und ich waren beide acht Jahre alt und schon groß. Evi dagegen war mit ihren fünf Jahren noch ein richtiges Baby.

»Komm, Davi! Lass uns lieber Fußball spielen!«, rief Joa mir zu. Er stützte sich auf den Rand und kletterte aus dem Becken.

»Au ja!« 

Ich war sofort dabei. Ich liebte es, Fußball zu spielen. Ich wollte so gut werden wie Messi, vielleicht sogar besser.

Joa und ich rubbelten uns gerade mit unseren Handtüchern trocken, als plötzlich Oma Maria auf die Terrasse stürmte. Ich machte große Augen, denn das war komisch. Oma kam sonst nie raus und schon gar nicht so schnell. Normalerweise war sie sehr gemütlich und bewegte sich eher wie eine lahme Schildkröte. Außerdem war sie lieber drinnen, weil es da nicht so heiß war. Wir hatten eine Anlage, die die Luft kühlte. Und diesmal lächelte sie nicht, als sie uns sah, wie sie es sonst immer tat.

»Val, schnell! Er kommt! Wir müssen los. Joa, zieh dich an und Davi, du auch. Dein Papá kommt gleich!« Meine Oma fuchtelte wild mit den Händen, sie wollte wohl, dass wir uns beeilten. Joa sah mich an, zuckte mit den Schultern und schlüpfte in seine Sachen, die auf einem Liegestuhl lagen. Ich kapierte gar nicht, was los war.

Mein Papá kam nie einfach so vorbei. Er studierte in Amerika, das war Tausende von Kilometern entfernt und er musste jedes Mal ein Flugzeug nehmen, um uns zu besuchen. Manchmal musste er in die Firma, die meinem Großvater aus Deutschland gehörte, den ich noch nie gesehen hatte, und nachsehen, ob dort alles in Ordnung war. Aber bevor er kam, rief er immer an und dann waren alle ganz aufgeregt und das ganze Haus wurde geputzt und Evita und ich mussten andere Sachen anziehen. Solange er da war, kamen Joa, Oma, Tante Val, Onkel Thiago und alle anderen nie vorbei, nicht mal für fünf Minuten. Also konnte das nicht sein. Es konnte nicht sein, dass Papá plötzlich da war.

Tante Val hatte sich inzwischen ganz schnell angezogen. Sie nahm Joa an der Hand und zog ihn hinter sich her. Oma war schon wieder im Haus verschwunden.

»Spielen wir eben morgen Fußball, okay?«, sagte Joa im Vorbeigehen und stieß mich mit dem Ellenbogen in die Seite.

»Klar, Amigo.« Ich hob die Hand, und Joa gab mir ein High Five. Tante Val umarmte erst Evi und dann mich und wuschelte mir dabei über den Kopf. Oh Mann, das mochte ich echt nicht.

»Macht's gut, meine Zuckerschnuten. Bald üben wir weiter, Evi. Ja?« Meine kleine Schwester nickte und ich merkte, wie sie ihre Hand in meine schob.

Als Joa und Tante Val gegangen waren, sah sie mich mit ihren großen dunkelbraunen Augen an. »Ist Papá wirklich hier?« Das Wasser tropfte noch immer aus ihren nassen, dunklen Haaren, und ich griff mir ein Handtuch von der Liege und wickelte es ihr um den Kopf.

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